Pyrmonter Wendepunkte -„Gemütsveränderung und Zeitvertreib“ Kur, Natur und Kultur in Bad Pyrmont

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© Dieter Alfter, Bad Pyrmont, 2025

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung: Verlag Jörg Mitzkat Verlag Jörg Mitzkat · Allersheimer Str. 45 · 37603 Holzminden www.mitzkat.de

ISBN 978-3-95954-145-9

Dieter Alfter

Pyrmonter Wendepunkte

Zehn Stationen in der Geschichte des Kurortes Bad Pyrmont

Mitzkat Verlag

Holzminden 2025

Inhalt

Vorbemerkung zu den „Pyrmonter

Kapitel 1: Elfhundertvierundachtzig ............................................................

1184 erhält das Tal der Emmer erste Strukturen

Kapitel 2: Fünfzehnhundertsechsundfünfzig

Mit dem Wundergeläuf im Jahre 1556 macht das Pyrmonter Tal auf seine Heilquellen aufmerksam

Kapitel 3: Sechszehnhundertachtundsechszig

Die Machtverhältnisse im Pyrmonter Tal sind 1668 zugunsten des Grafen/Fürstenhauses Waldeck geklärt

4:

Kapitel 5:

Mit der Gründung der Neustadt Pyrmont im Jahre 1720 entwickelt sich der Kurort Pyrmont

Der unerwartete Pyrmonter Brunnenfund aus dem Jahr 1863. Wie alt sind die Heilquellen wirklich?

Kapitel 6: Neunzehnhundertzweiundzwanzig............................................

Was bedeutet der Anschluss des ehemaligen Fürstentums Waldeck an Preußen im Jahr 1922?

Kapitel 7:

8:

Die Expo 2000 macht Pläne für die Zukunft

Kapitel 9: Zweitausendeinundzwanzig .....................................................

Ist das Jahr 2021 eine Wendepunkt und wohin führt der Weg?

Braucht Bad Pyrmont eine Kur?

Flugschrift zum „Wundergeläuf“ aus dem Jahr 1556

Vorbemerkung zu den „Pyrmonter Wendepunkten“

Was verbirgt sich hinter diesem eigenartigen Titel? Man mag es zunächst einmal ganz konkret verknüpfen mit einem Ereignis, das sich über Jahrhunderte in der Hauptallee abspielte. Ist das Pyrmonter Wundergeläuf aus dem Jahr 1556 noch ein chaotisches Spektakel, zu dem allein in jenem Jahr etwa 10.000 Heilsuchende in den Sommermonaten aus vielen Teilen Europas gepilgert sind. Erst nach dem Jahr 1668 wird mit der Anlage der Hauptallee im Kurzentrum dem Heilwassertrinken eine feste Struktur gegeben. Bei Dr. Johann Philipp Seip (1686-1757), dem herausragenden Pyrmonter Badearzt des 18. Jahrhunderts, kann man lesen:

„Im Jahre 1668 hat der gottselige Fürst von Waldeck und Pyrmont, Georg Friedrich, General-Feldmarschall des Reiches und der vereinigten Niederlande, den Ort in guten Stand und Flor zu bringen, und denen Curgästen alles Vergnügen und Bequemlichkeit zu verschaffen, eine schöne Allee von vier Reihen Lindenbäumen auf 500. Schritt lang und 40. Schritte breit, pflanzen, auch ein groß achteckiges Brunnenhaus 42. Schuh im Diameter und 60 Schuh hoch über dem Trinkbrunnen aufbauen, und das Wasser reinlich einfassen und ableiten lassen.“ (Seip 1750, S. 68 f.) Wozu diese Allee dient, beschreibt Seip in seiner Einleitung auf Seite 36 f.: „Die Herren Brunnengäste finden zu ihrem Vergnügen Gemütsveränderung und Zeitvertreib, des Vormittags bey dem Trinken die drey luftigen Spaziergänge an der angenehmen Lindenallee, an welchen unten ein großer Wasserbehälter, darinnen der Säuerling als eine schöne Fontäne etliche und 20 Schuch hoch springet (welches vermutlich der einzige Springbrunnen aus einer lautern mineralischen Quelle in Deutschland seyn mag.)“

Wie hängt das nun mit dem Begriff Wendepunkt zusammen? Auf der ersten Ebene ist dies einfach zu erklären. Die schattige Hauptallee, zusammengefügt aus Lindenbäumen, verbindet den Brunnenplatz mit seinem achteckigen Brunnentempel am oberen Ende mit dem ebenfalls achteckigen Wasserbecken, das von einer mineralwasserhaltigen Fontäne der Säuerlingsquelle gespeist wird. Diese Orte bilden in einem leicht abfallenden

Gelände den Anfang und das Ende des Spazierganges. Der Becher mit dem eisenhaltigen Wasser der Hylligen Born Quelle wird dem Kurgast vor oder in dem Tempel auf dem Brunnenplatz zugereicht. Er oder sie trinkt während der Spazierganges das heilbringende Wasser, am Wendepunkt auf Höhe des achteckigen Wasserbecken mit der Fontäne findet der Gast den Weg zurück auf den Brunnenplatz und lässt sich dort, mindestens noch zweimal, den Trinkbecher wieder füllen.

Bereits hier kann man durchaus von einem Pyrmonter Wendepunkt sprechen. Die Kurgäste, gleich ob allein oder in einer Gruppe, wenden auf Höhe des Wasserbeckens und gehen den gleichen Weg zurück zum Brunnenplatz. Der Blick den Weg hinauf ist ein anderer als der Blick hinunter zum Wasserbecken mit der Skulptur eines Schwanes, der das Wasser der Oesdorfer Säuerlingsquelle in die Höhe schleudert. Ein Wendepunkt ist dies allemal. Der Spaziergang an der frischen Luft, unter den schattenspendenden Lindenbäumen, im Norden geprägt durch die Heilquellen auf dem Brunnenplatz, im Süden markiert durch die hoch sprudelnde Säuerlingsquelle in einem Wasserbecken, inszeniert förmlich die hohe Bedeutung, markiert den Weg zwischen diesen beiden Punkten und versinnbildlicht gleichsam das Therapieangebot des Pyrmonter Kurortes: Bewegung und Trinken, eingebunden in einen festen Wegerythmus.

Dies war im Jahr 1556 noch völlig anders. Tausende von Heilsuchenden lagern in Zelten auf den Wiesenflächen des heutigen Kurparks, auf dem sogenannten Heiligen Anger und gehen im Laufe eines Tages zu den Trinkund Badebrunnen. Von einer Struktur oder Ordnung kann überhaupt nicht die Rede sein. Aber auch hier kann man den Begriff der Wendezeit gut anwenden. Im 16. Jahrhundert sind die heilbringenden Quellen schon ein Begriff. Überwiegend sind es Menschen aus der Region, die in den Sommermonaten in dieses Tal kommen, um mit Hilfe einer Trink- oder Badekur Heilung zu erfahren. Das Wundergeläuf von 1556 wird auf diese Weise absichtsvoll vermarktet. Plötzlich sind es viele tausend Heilsuchende aus ganz Europa, die diesen heiligen Ort aufsuchen. Erstmals sind es Flugschriften in verschiedenen Sprachen, die das Tal der sprudelnden Quellen bewerben. Dies ist auch ein Wendepunkt, weil von nun an die Pyrmonter Quellen ganz anders wahrgenommen werden. Und sie werden von nun besonders ge-

Die grosse Fontäne am Ender der Hauptallee, Lithographie, um 1800

fördert ab den Jahren 1625 und 1668 mit dem Pyrmonter Hauptvergleich, durch die Regentschaft des Hauses Waldeck-Pyrmont. Nun wird das Kurzentrum systematisch entwickelt. Dies ist ein besonders bedeutender historischer Wendepunkt. Ein Zeitraum, in dem die Weichen für einen bedeutenden Kurort von europäischem Rang gestellt werden.

Bad Pyrmont ist im Jahr 2000 ein dezentraler Standort der EXPO 2000 in Hannover. Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover hatte am 14. Juli 1990 den Zuschlag für die Ausrichtung der Weltausstellung erhalten und das Generalthema Mensch-Natur-Technik festgelegt. Bad Pyrmont bekommt die einmalige Chance, mit dem Thema Aqua Bad Pyrmont: Wasser-Gesundheit, Mythos und Visionen einen Aspekt zu den heilbringenden Pyrmonter Quellen ins Gespräch zu bringen. Fünf Teilaspekte für Bad Pyrmont werden von 1992-2000 entwickelt und realisiert. Ideen, die den ver-

trauten Kurort „verjüngen“. Nur ein Beispiel – die Untere Hauptallee wird die vertraute Hauptallee erweitern und als Wasserlauf den Fußweg bis zum Infozentrum am südlichen Ende des Kurzentrums und die Großraumparkplätze neu erlebbar machen. Wasser, Licht, Georg Philipp Telemanns Pyrmonter Kurwoche in 7 Sätzen und Skulpturen zur Lebensgeschichte eines Menschen sind auf dieser Fläche Erlebnismomente, die den Weg hinunter zu den Parkplätzen zu einem besonderen Ereignis machen. Also sind wir wieder bei der Geschichte der Hauptallee. Wieder ist es ein Wendepunkt, der sich dank der Weltausstellung realisieren lässt. Dabei muss ein Wendepunkt nicht unmittelbar ein Richtungswechsel sein. Im Fall von Bad Pyrmont sind es über einen Zeitraum von 2000 Jahren einschneidende Erlebnisse oder Entscheidungen, die den weiteren Verlauf maßgeblich beeinflussen. In diesem Sinne wird es aufschlussreich sein, die Historie Pyrmonts einmal unter dem Begriff Wendepunkte neu zu betrachten, auch um die heutige Situation zu bewerten. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die beiden Begriffe Heilquellen und Bewegung.

Blick auf die Untere Hauptallee in Richtung Brunnenplatz

Kapitel 1: Elfhundertvierundachtzig

1184 erhält das Tal der Emmer erste Strukturen

Pyrmont liegt in einem Tal des Weserberglandes, das von dem Fluss Emmer durchzogen ist. Dieser Fluss, der im Eggegebirge entspringt und wenige Kilometer vor Hameln in die Weser mündet, ist die Lebensader dieses Tales. Die Basis einer heimischen Wiesen- und Weidewirtschaft sind die Marschen auf beiden Seiten der Emmer. Die ertragreiche Bodenbeschaffenheit bildet die Grundlage für eine Ansiedlung von Dorfgemeinschaften, die Landwirtschaft betreiben. Wenige Funde aus der Vor- und Frühgeschichte dieses Tals sprechen dafür, das ganz sicher in der Jüngeren Steinzeit, also vor 4000 bis 2000 Jahren v. Chr., das Emmertal an den Hängen des Königsbergs, wohl auch am Fuße des Schellenbergs besiedelt war. Noch weiß man nicht viel über diese Siedlungsgemeinschaften. Von einer festen Siedlungspolitik kann noch nicht die Rede sein. Die umherziehenden Familien und Gruppen brauchen das Gefühl, das sie sich sicher fühlen unter dem Schutz eines Landesherrn. Der erste Wendepunkt ist also verbunden mit der festen Ansiedlung von Menschen in Dorfgesellschaften. Für das Pyrmonter Tal ist dies verknüpft mit dem 12. Jahrhundert.

Erst zu Zeiten Heinrichs des Löwen (um 1129/30 oder 1133/35- 1195), der durch die Eingliederung kleiner Grafschaften eine herzogliche Gebietsherrschaft in großem Stil aufbaut, erhebt sich dieser Welfenkönig zum zweitmächtigsten Territorialherren nach dem Kaiser. Nun finden sich auch schriftliche Dokumente mit den Hinweisen eines Übergangs vom frühmittelalterlichen Personenverbandsstaat zu einem institutionellen Flächenstaat (Engel S. 30). Zu der Lehnsmannschaft Heinrichs des Löwen zählt unter anderem die Familie der Grafen zu Schwalenberg. In Sachsen und Westfalen bildet sich eine Oppositionspolitik gegen die oft gewaltsame Eroberungspolitik des Welfenherzogs. Bereits im Jahr 1167 hat der Kölner Erzbischof Reinald von Dassel ein Defensivbündnis gegen Heinrich den Löwen geschlossen, aber erst sein Nachfolger Philipp von Heinsberg, Erzbischof von Köln, hat diese Offensive planmäßig betrieben.

Linke Seite: Der Schellenturm, als Aussichtsturm im 19. Jahrhundert aus Mauerelementen der mittelalterlichen Burg erbaut

Ein Ziel ist es, den Sturz Heinrichs des Löwen herbeizuführen, aber von größerer Bedeutung ist der Gedanke, die Region Westfalen als eng besiedelten Herrschaftsraum, als Bollwerk für die Verteidigung einer so bedeutenden Stadt wie Köln in Anspruch zu nehmen.

Die Urkunde vom 2. April des Jahres 1184 ist erstmals der Ausgangspunkt einer selbstständigen Herrschaft im Pyrmont-Lügder Tal. Sie ist Teil einer Kölner Burgenpolitik des Erzbischofs Philipp von Heinsberg, die sich auch in dem Dokument an zentraler Stelle wiederfindet:

„Wir (der Erzbischof) haben im Sachsenlande ein gewisses Gut Oesdorf (Allod Udisdorp) gekauft mit allem Zubehör, nämlich mit Ministerialen, Unfreien, Hufen, Mühlen, bestellten und unbebauten Äckern, Weiden, Wiesen, Wäldern, Bergen und Tälern, und zwar mit dem gleichen Recht, nach dem es der frühere Eigentümer besaß, und dieses Gut haben wir dem heiligen Petrus und allen unseren Nachfolgern zu ewigem Besitz übergeben. Es gefiel uns und schien uns zweckdienlich, innerhalb des zusammenhängenden Gebietes dieses Gutes zur Verteidigung und zum größeren Schutz unseres Herzogtums in Westfalen eine Befestigung und Burg zu bauen. Diese Burg haben wir zu Ehren des Hl. Petrus mit seinem Bild bzw. Wappen versehen, dann nach Petrus ist sie Petri mons genannt.“

Zwei Dinge werden in diesem Vertrag festgehalten. Der Bau einer Burg ist ein wehrhaftes Element, um das Land Westfalen vor Überfällen zu schützen. Es ist in der Tat ein ganzes Netz von Burgen, die zudem noch teilweise Blickkontakte zueinander haben, um die Grenze Westfalens in einer Art Vorwarnsystem zu sichern. So wird die neu erbaute Burg, heute bekannt als Schellenturm, als Eigentum des Kölner Erzbistums gekennzeichnet. Das Wappen von Petrus hebt das Eigentumsrecht hervor, die Namensgebung unterstreicht dies. So erklärt sich auch die Namensgebung von Pyrmontder französisch sprechende Philipp von Heinsberg nennt die Burganlage in seiner Umgangssprache Pierremont.

Zum zweiten wird im Kern und im Hauptteil dieser Urkunde die Verwaltung von dem Gut Oesdorf angebunden an die Grafschaft des Widekind von Schwalenberg, einem engen Vertrauten des Kölner Erzbischofs. „Da diese Burg (Petri mons) in der Grafschaft und Gerichtsgewalt des Widekind von Schwalenberg, des Bruders Volkwins, lag, haben wir die Hälfte der Burg dem-

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