Umstrittene Denkmale Monumenti controversi Der Umgang mit dem Erbe der Diktaturen Come gestire l’eredità delle dittature
Umschlag: Faschistische Bauwerke im Alltag: Der Gerichtsplatz in Bozen Tobias Günther, *Pirna 1989 (D) Wandinstallation: Diptychon, 2012 Ich bin von der Atmosphäre, die der Gerichtsplatz ausstrahlt, gebannt. Doch wie gehen die Menschen, die hier leben mit ihm um? Ein Anzugträger schreitet ihn hektisch ab und presst sein Handy ans Ohr. Eine Mutter schiebt ihren Kinderwagen über den Platz. Ein Pärchen führt den Hund aus. Eine gestresst aussehende Frau muss zum Finanzamt. Kinder spielen am Springbrunnen. Ein Radfahrer will auf die andere Seite. Zwei Teenager setzen sich auf die Treppe vorm Gericht und unterhalten sich. Die Menschen gehen vorüber oder nutzen die Gegebenheiten, aber keiner interessiert sich auch nur im Ansatz für die Bauwerke am Platz an sich. Es ist Alltagsleben. Die Gebäude sind Alltag. Sie werden heute für Dinge benutzt, die gebraucht werden. Die faschistischen Merkmale scheinen den Menschen egal zu sein. Im Alltag scheint das faschistische Erbe transparent. Und doch stehen die Bauten als monumentale und beeindruckende Mahnmale für eine kritische Zeit. Ich habe diesen Gegensatz zwischen Alltag und Mahnmal künstlerisch in zwei Fotomontagen verarbeitet. Sie zeigen den Gerichtsplatz mit seinen faschistischen Bauwerken und die Menschen, die den Platz bevölkern aber auch die Bedeutung der Gebäude als historische Monumente mit faszinierender Architektur. Es geht mir auch um den Moment des „Vorübergehens”, des Flüchtigen und des „Nichtwahrnehmens”. Die Bilder auf dem Umschlag und auf den Seiten 22, 23, 65, 115, 145, 193, 203, 207 dieser Publikation sind Beiträge der Studenten der Klasse für künstlerische Fotografie geleitet von Walter Niedermayr – Sommersemester 2012, Fakultät für Design und Künste, Freie Universität Bozen. Le immagini in copertina e alle pagine 22, 23, 65, 115, 145, 193, 203, 207 di questa pubblicazione sono contributi degli studenti del corso di fotografia artistica guidato da Walter Niedermayr – semestre estivo 2012, Facoltá di Design e Arti, Libera Universitá di Bolzano.
Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. Gruppo di lavoro per la teoria e l’insegnamento della tutela dei monumenti
Umstrittene Denkmale Monumenti controversi Der Umgang mit dem Erbe der Diktaturen Come gestire l’eredità delle dittature
herausgegeben von Birgit Franz und Waltraud Kofler Engl A cura di Birgit Franz e Waltraud Kofler Engl
Veröffentlichung des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V., Band 22. Jahrestagung 2012 in Bozen, Südtirol, 19. – 22. September 2012 an der Freien Universität Bozen: Umstrittene Denkmale / Monumenti controversi. Der Umgang mit dem Erbe der Diktaturen / Come gestire l’eredità delle dittature.
© 2013 AK Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. (www.ak-tld.de) und bei den Autoren Die Verantwortlichkeit für die Bildrechte liegt ausdrücklich bei den Autoren der Einzelbeiträge. Es kann kein Schadenersatz für Fehler und Unrichtigkeiten geleistet werden. Herausgeber: Birgit Franz und Waltraud Kofler Engl Redaktionelle Bearbeitung: Haike Bäsler, Birgit Franz, Waltraud Kofler Engl, Hans-Rudolf Meier Übersetzungen: Pier Francesco Bonaventura, Waltraud Kofler Engl Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Südtiroler Sparkasse / Fondazione Cassa di Risparmio.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-940751-72-0 Layout, Herstellung und Vertrieb: Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden Layoutgestaltung: Jörg Mitzkat
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Sommario
Prefazione . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Hans-Rudolf Meier
Monumenti controversi e monumenti delle dittature In merito all’attualità della questione – un’introduzione . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Monumenti controversi Walter Niedermayr
Raccordi tra passato e futuro – L’ eredita culturale in immagini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Contestualizzazione Ingrid Scheurmann
Dall’irrilevanza artistica all’eredità scomoda Riflessioni sul rapporto fra storia ed estetica dalla prospettiva della tutela monumentale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 G erhard G lüher
Lo sguardo diverso Indagine sul recepimento artistico dei monumenti politicamente controversi ����������� 36 Kerstin Stamm
Da agitatori a conciliatori? La diatriba sui monumenti e i suoi possibili benefici . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Waltraud Kofler Engl
La città del Ventennio fascista a Bolzano Introduzione alla visita guidata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Hans-Rudolf Meier
Umstrittene Denkmale und Denkmäler der Diktaturen Zur Aktualität der Fragestellung – eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Umstrittene Denkmale Walter Niedermayr
Bindeglieder zwischen Vergangenheit und Zukunft – Das kulturelle Erbe in Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Kontextualisierung Ingrid Scheurmann
Vom Kunstunwert zum unbequemen Denkmal Zum denkmalpflegerischen Nachdenken über das Verhältnis von Geschichte und Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Gerhard Glüher
Der andere Blick Untersuchungen zur künstlerischen Rezeption des politisch strittigen (Denk)Mals ������� 37 Kerstin Stamm
Von Unruhe- zu Friedenstiftern? Über den Unfrieden mit Denkmalen und seinen möglichen Nutzen . . . . . . . . . . . . 41 Waltraud Kofler Engl
Bozens Stadt des faschistischen Ventennio Einführung zum Stadtrundgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
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Inhaltsverzeichnis
Monumenti del fascismo italiano Ines Oberhollenzer
Il monumento all’Alpino (Kapuziner Wastl) a Brunico – dall’opera al frammento La storia conflittuale di un monumento scomodo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Fabio Campolongo, Cristiana Volpi
Dalle memorie risorgimentali alle architetture del Ventennio fascista Demolizioni, restauri e nuovi monumenti in Trentino dal 1918 ad oggi . . . . . . . . . 81 Daniela Spiegel
„Ma è (solo) un’opera d’arte” L’ approccio ambivalente verso il patrimonio architettonico delle città nuove nell’Agro Pontino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Martha Verdorfer
Ignorarli o presentarli in chiave pedagogica? I monumenti e i luoghi della memoria nel contesto scolastico . . . . . . . . . . . . . . 106
Monumenti e reminiscenze della dittatura nazista Paul Mahringer
„Brückenkopfgebäude” (edifici testa di ponte) a Linz – Possibile denazificarli? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Leo Schmidt
Peenemünde: un paesaggio monumentale controverso tra mito e leggenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Ursula Schädler-Saub
L’ area del Parteitag a Norimberga Questioni di conservazione, utilizzo e comunicazione dal 1945 a oggi . . . . . . . . 134
Inhaltsverzeichnis
Denkmale und Denkmäler des italienischen Faschismus Ines Oberhollenzer
Alpini-Denkmal und „Kapuziner Waschtl” in Bruneck – vom Monument zum Fragment Die konfliktreiche Geschichte eines unbequemen Denkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Fabio Campolongo, Cristiana Volpi
Von den Erinnerungen des „Risorgimento” zu den Bauten des faschistischen Ventennio Abbrüche, Restaurierungen und neue Denkmäler im Trentino von 1918 bis heute ����� 80 Daniela Spiegel
„Ma è (solo) un’opera d’arte” Der ambivalente Umgang mit dem baulichen Erbe der pontinischen Neustädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Martha Verdorfer
Ignorieren oder pädagogisieren? Denkmäler, Erinnerungsorte und Erinnerungstage im schulischen Kontext . . . . . . . 107
Denkmale und Überreste der NS-Diktatur Paul Mahringer
Die Linzer Brückenkopfgebäude – Entnazifizierung möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Leo Schmidt
Peenemünde: Umstrittene Denkmallandschaft zwischen Mythen und Legenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Ursula Schädler-Saub
Das Nürnberger Reichsparteitagsgelände Fragen der Erhaltung, Nutzung und Vermittlung von 1945 bis heute . . . . . . . . . . 135
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Inhaltsverzeichnis
Memoria e dispute sui monumenti su scala internazionale Sandro Scarrocchia
Il Sito Unesco di Auschwitz-Birkenau come monumento controverso: il caso del Memoriale italiano . . . . . . . . 147 A xel Klausmeier
Paesaggio monumentale Muro di Berlino – Ancora un „monumento scomodo“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Birgit Franz
e
G eorg Maybaum
I monumenti al franchismo spagnolo: recepimento, gestione, smantellamento . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Christian
von
Oppen
L’ evocazione della grandezza del Portogallo I monumenti della dittatura di Salazar oggi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Winfried Speitkamp
Simbologia della transizione Costruzione e abbattimento di monumenti nell’Africa postcoloniale . . . . . . . . . . . 184
Riflessioni post-convegno Thomas Will
con commenti di
Hans-Rudolf Meier
e I ngrid
Scheurmann
Cattivi segni Tutela dei monumenti e politica della memoria Riflessioni post-convegno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Appendice Relatori, autori, organizzatori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Pubblicazioni Pubblicazioni del Gruppo di lavoro per la teoria e l’insegnamento della tutela dei monumenti . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Inhaltsverzeichnis
Gedenken und Denkmalstreit weltweit Sandro Scarrocchia
Die Auseinandersetzung um das Mahnmal der italienischen Gefangenen in Auschwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 A xel Klausmeier
Denkmallandschaft Berliner Mauer – Noch immer ein „unbequemes Denkmal“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Birgit Franz
und
G eorg Maybaum
Denkmale zum spanischen Franquismus: Rezeption – Umgang – Entsorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Christian
von
Oppen
Die Beschwörung von Portugals Größe Denkmäler der Diktatur Salazars heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Winfried Speitkamp
Transitionssymbolik Denkmalbau und Denkmalsturz im nachkolonialen Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Nachgedanken zur Tagung Thomas Will
mit Kommentaren von
Hans-Rudolf Meier
und I ngrid
Böse Zeichen Denkmalpflege und Erinnerungspolitik
Scheurmann
Nachgedanken zur Tagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
Anhang Referenten, Autoren, Organisatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Veröffentlichungen Veröffentlichungen des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
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Vorwort Prefazione Birgit Franz
und
Waltraud Kofler Engl
Ausgangspunkt für das Thema der Jahrestagung 2012 des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. waren die noch immer und in jüngster Zeit wieder verstärkt umstrittenen Denkmale und Denkmäler der Mussolini-Ära in Bozen. Sie waren Anlass, über den Umgang mit Denkmalen und Denkmälern nachzudenken, an denen sich politische Auseinandersetzungen entzünden und die Projektionsflächen gesellschaftlicher Konflikte sind oder waren. In Bozen beließ man, wie in vielen Städten Italiens, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und damit des italienischen Faschismus und der nationalsozialistischen Okkupation von 1943 bis 1945 die gebauten und künstlerischen Zeugnisse des Regimes ohne materielle Veränderung – mit Ausnahme einer Inschrift am Siegesdenkmal, die Mussolini als Duce feierte – und übernahm sie in neue Nutzungen. Als Objekte wechselnder Rezeption und Inanspruchnahme stehen sie bis heute im Stadtraum von Bozen. Wenn auch mehr aus Hilflosigkeit denn aus Absicht wurden 1957 sogar die vor Kriegsende nicht mehr angebrachten Platten des Monumentalreliefs zur Glorifizierung des Faschismus mit dem triumphierenden Duce am ehemaligen faschistischen Parteigebäude eingesetzt und die Bildfolge damit vollendet. Mehrere Jahrzehnte regten sich weder Proteste noch Reflexionen zu diesem schwierigen Erbe. Einzig das Siegesdenkmal wurde ab den 1960er Jahren zum Brennpunkt unterschiedlichster Kraft- und Konfliktfelder und geriet in einen nach politisch-ethnischen Konjunkturen wechselnden Dauerstreit zweier Parallelgesellschaften. Das Insigne des Faschismus wurde zur Insigne des Streits. In den letzten Jahren ist der Konflikt um lange ignorierte Objekte und die divergierenden Erinnerungskulturen vehement an die Oberfläche getreten. Nicht-Wahrnehmung steht neben Forderungen nach Entfernung, Vorschlägen zur didaktischen Aufbereitung, Historisierung und einer künstlerischen Auseinandersetzung damit. Die Zusage von Seiten des Staates, nach abgeschlossener Restaurierung im Untergeschoß des Siegesdenkmals gemeinsam mit der
Punto di partenza per il tema del convegno del Gruppo di lavoro sono stati i monumenti dell’era mussoliniana a Bolzano, da sempre e negli ultimi tempi più che mai controversi. Essi hanno dato occasione di riflettere sull’approccio nei confronti dei monumenti e degli edifici-monumento intorno ai quali si infiamma il confronto politico, proiezione di conflitti presenti nella società. Come in molte città italiane dopo la fine della Seconda guerra mondiale, del fascismo e dell’occupazione nazista degli anni 1943-1945 a Bolzano, le testimonianze architettoniche e artistiche del regime – ad eccezione di un’iscrizione sul monumento alla Vittoria che celebrava Mussolini come Duce – non hanno subito modifiche sul piano materiale e sono state destinate a nuovi usi. Tali oggetti, con la loro storia mutevole di recepimento e rivendicazione, sono ancora oggi presenti nello spazio urbano bolzanino. Addirittura nel 1957, più per ingenuità che per vera convinzione, vennero aggiunte al monumentale rilievo che glorifica il fascismo e il duce trionfante sull’edificio ex sede del partito fascista le lastre che non avevano potuto essere posate prima della fine della guerra, dando così compimento al programma figurativo del rilievo. Per decenni questa difficile eredità non ha né destato moti di protesta, né suscitato momenti di riflessione. Solamente il monumento alla Vittoria è divenuto sin dagli anni Sessanta il punto focale di diverse prove di forza, fino a trovarsi in una condizione di conflitto etnico-politico permanente, variabile a seconda della congiuntura, tra due società parallele. Le insegne del fascismo si sono trasformate in insegne del conflitto. Negli ultimi anni il confronto intorno ad oggetti per lungo tempo ignorati e tra culture della memoria così divergenti è riemerso con veemenza. Al semplice „non farci caso“ si accompagna oggi la richiesta di rimozione di tali monumenti, oltre a proposte di revisione in chiave didattica, di storicizzazione e di elaborazione artistica. L’accettazione da parte dello Stato di dare vita al termine dei lavori di restauro del piano interrato del monumento alla Vittoria a un centro di documentazione sulla storia del fascismo