STATIUS VON MÜNCHHAUSEN DAS LEBENSBILD EINES FRÜHEN EUROPÄERS IM SPIEGEL SEINER ZEIT

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DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH

I. 2 Herrschaftsstrukturen im Europa des 16. Jahrhunderts

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er Schritt vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit, kunstgeschichtlich von der Gotik zur Renaissance, brachte neue Formen der Machtpolitik. Durch Heiratspolitik entstanden mehr oder weniger folgenreiche Bündnisse und durch Kriege wurden neue Territorien gewonnen oder alte verloren. Das kaisertreue Rittertum wurde langsam zur Legende, der nur noch Kaiser Maximilian I. (‘der letzte Ritter‘) und König Ferdinand von Aragon nostalgisch nachtrauerten. Nunmehr kämpften Söldner gegen Sold und/oder Raubgut, bewaffnet mit Musketen und Kanonen. Mit der nunmehr wissenschaftlich entwickelten Astronomie wurde die Kartographie vertrauenswürdiger, um alle Weltmeere befahren zu können. Die Wandlung des antiken/mittelalterlichen geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild stellte nicht nur viele kirchliche Dogmen in Frage, sondern half mit dem aufkommenden Humanismus zu einem selbstbewussten neuen Bild vom Menschen und der Welt. Der mittelalterliche Naturalienhandel musste zu einem über Geldhandel strukturierten Welthandel entwickelt werden. Der Kulturschock der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen war auf der anderen Seite auch der notwendige Impuls, Wege in ‘Neue Welten‘ zu suchen. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte ganz neue Formen der Kommunikation und der Vermittlung von Wissen. Das mittelalterliche Bildungsmonopol der Kirche, konzentriert in zugangsbeschränkten Klosterschulen, und das Außenvorlassen der Laien im lateinisch vorgetragenen Gottesdienst wurde aufgebrochen. Die kritische Hinterfragung kirchlicher Dogmen und Hierarchien erwies sich als wirksame Vorstufe einer notwendigen Reformation der Kirche und des Glaubens, der Besinnung auf das in der Bibel (mittlerweile ins Deutsche übersetzt und damit nachvollziehbar) festgehaltene Wort Gottes und die Entwicklung neuer Strukturen in der allgemeinen Schulbildung. Im Spätmittelalter konnte das Königreich Dänemark durch kluge Heiratspolitik mit der Personalunion der Königreiche Norwegen und Schweden noch ein nordisches Großreich bilden, das die Hanse im Ostseeraum in ihren Möglichkeiten einschränkte. Im Bunde mit den nach Selbstständigkeit strebenden Schweden gelang der Hanse dann durch Kriege die Schwächung Dänemarks, das nunmehr ohne Schweden in die Frühe Neuzeit startete. Schweden dagegen konnte ins Baltikum expandieren und selbst das Zarenreich angreifen. Nach dem 30-jährigen Krieg wird Schweden zur nordeuropäischen Großmacht auf einer Stufe mit Frankreich und dem habsburgischen Kaiserreich. Russland erwachte aus der mittelalterlichen Lethargie der Kleinstaaterei, holte westeuropäische Künstler und Handwerker ins Land und reformierte auf diese Weise seine Wirtschaftsstrukturen, konnte sich gegen die Osmanen und Tartaren erfolgreich wehren und begann Sibirien als neuen Wirtschaftsraum zu entwickeln. Allein die Orthodoxie, mittlerweile mit Patriarchat in Moskau, verharrte in alten, machtpolitisch orientierten Strukturen.


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