Durch Land und Zeit

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Durch Land und Zeit


Herausgeber: Landschaftsverband Südniedersachsen Heimat- und Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden Band 3 der Reihe „Bilder und Texte aus Südniedersachsen“ des Landschaftsverbandes Südniedersachsen e.V. Northeim Mit Druckkostenzuschüssen der Kulturstiftung des Landkreises Holzminden

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich Recherche, Zeichnungen und Einleitungstexte: Thomas Küntzel Text: Birgit Czyppull Idee und Gestaltung: Jörg Mitzkat Wissenschaftliche Beratung: Stefan Krabath © für Bilder und Texte bei den Autoren Alle Rechte vorbehalten

und der ISBN 3-931656-62-4 Holzminden, 2005 Verlag Jörg Mitzkat www.mitzkat.de Druck: Lönneker, Stadtoldendorf


Durch Land und Zeit Bilder und Texte zum Wandel des Landschaftsbildes seit der Eiszeit am Beispiel von: Rammelsberg und Goslar, Seeburger See, Wesertal bei Corvey Birgit Czyppull Thomas KĂźntzel


Für Mitarbeit, Unterstützung sowie wertvolle Hinweise danken wir: Prof. Dr. Hans-Jürgen Beug (Universität Göttingen); Prof. Dr. Hans-Rudolf Bork (Kiel); Peter Broedlau (Lüchtringen); Marianne Burgstaller (Ortsheimatpflegerin Seeburg); Prof. Dr. Dietrich Denecke (Universität Göttingen); Hans-Günther Griep (Goslar); Dr. Klaus Grote (Göttingen); Antje Kayser (Höxter); Dr. Lothar Klappauf (Goslar); Michael Koch MA (Höxter); Andreas König MA (Höxter); Karola Kröll MA (Kiel); Dr. Christian Leiber (Holzminden); Dr. Holger Rabe (Neuhaus im Solling); Dr. Frank Schlütz (Universität Göttingen); Bernd Siebert (Ortsheimatpfleger Bernshausen); Prof. Dr. Hans-Georg Stephan (Göttingen); Prof. Dr. Winfried Türk (Höxter); Dr. Ekkehard Wassermann (Hannover); Prof. Dr. Ulrich Willerding (Göttingen); Katasteramt Höxter; Museum Rammelsberg, Dr. Reinhard Roseneck, Dr. Brigitte Heublein sowie Freunden, Eltern und allen, die mit Ideen, Anregungen und Kritik sowie viel Geduld zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben.


Vorwort

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Eine kurze Anleitung

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Einführung

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Der Rammelsberg und Goslar am nördlichen Harzrand

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Mittel- und Jungsteinzeit (8.000-1.800 v. Chr.)

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Bronzezeit (um 1.800- um 800 v. Chr.)

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10. bis 14. Jahrhundert

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Spätes Mittelalter (Spätes 14. Jahrhundert)

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Frühe Neuzeit (16./17. Jahrhundert)

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Spätes 18. Jahrhundert

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19. Jahrhundert

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Das Wesertal bei Höxter und Corvey

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Ende der letzten Eiszeit (um 8.000 v. Chr.)

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Frühes Mittelalter (9. Jahrhundert n. Chr.)

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Hohes Mittelalter (um 1265)

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Frühe Neuzeit (16./17. Jahrhundert)

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Der Seeburger See im Eichsfeld

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Steinzeit

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Hohes Mittelalter

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14. Jahrhundert

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19. Jahrhundert

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Ausgewählte Literatur

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Abbildungsnachweis

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LANDSCHAFTSENTWICKLUNG

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Inhalt


Bewaldete Hรถhen an der Weser

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Vorwort

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ie abwechslungsreiche, in ihrem harmonischen Miteinander von Natur und Kultur reizvolle Mittelgebirgslandschaft zwischen Eggegebirge und Harz ist mir seit meiner Kindheit vertraut. Zunächst als Schüler und Student, später als Wissenschaftler an der Universität Göttingen, bemühe ich mich seit über 40 Jahren in Kooperation mit engagierten Laien, Studenten und Kollegen aus verschiedenen Fachgebieten um die Erforschung der wechselvollen Geschichte dieser Region im Herzen Deutschlands und Europas. In überschaubaren kulturund naturräumlichen Kleinräumen, wie sie das Weser-Leine-Bergland und der Harz mit seinem Umland in großer Vielfalt aufzuweisen haben, ist es mithilfe jahrzehntelanger erfolgreicher Forschungen möglich, modellhaft langzeitige Entwicklungen über Jahrtausende hinweg aufzuzeigen. Das uns heute vertraute, von Besuchern geschätzte und in größeren Partien noch relativ intakte Erscheinungsbild ist keineswegs urwüchsig, auch nicht in den Wäldern, Wiesen und Wasserläufen, sondern das Ergebnis intensiver, höchst komplexer Einwirkungen des Menschen auf die Natur, eine klassische Kulturlandschaft. Schwerpunkte meiner eigenen Forschungen lagen seit jeher auf Fragen der Siedlungs- und Landschaftsentwicklung besonders im 1. und 2. Jahrtausend nach Christus. Die heutigen Strukturen gehen in vielen Grundzügen auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit zurück. Das LeineWeserbergland mit seinen historischen Ortskernen, Burgen und Klöstern, mit tausenden von wenig bekannten verödeten Orts- und Wirtschaftsplätzen und vielfältigen Kulturlandschaftsrelikten wie Altäckern, Altwegen usw. bietet eine besondere Fülle historischer Kulturlandschaftsrelikte. Der Weg zu deren Entdeckung und Erforschung ist höchst langwierig und mühsam, aber auch von unerwarteten Erfolgen gekrönt. Ich selbst habe zahllose Geländebegehungen, Baubeobachtungen

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und umfangreiche archäologische Ausgrabungen in Städten wie Höxter und Hannoversch Münden, an mittelalterlichen Dorfwüstungen, in Stadtwüstungen wie Corvey und Nienover durchgeführt. Letztere wurden neu entdeckt und stellen besondere archäologisch-historische Höhepunkte dar. Von den vielfältigen ehemals bedeutenden und die Landschaft und Arbeit der Menschen prägenden Gewerben seien lediglich Glashütten und Steinbrüche hervorgehoben, sowie – nicht allein am Harz – Bergbau und Metallverarbeitung. Die Ausbeutung der Metalle des Harzes, insbesondere Silber und Kupfer, bildete eine der Voraussetzungen für den Aufstieg der Ottonen und die Ausgestaltung des hochmittelalterlichen deutschen Königtums. Das Reichskloster Corvey gehörte von der Karolingerzeit bis zu den Stauferkaisern zu den historischen Brennpunkten im Norden Deutschlands. Die fruchtbaren und verkehrsgünstig gelegenen Lößgebiete an der Leine und im Eichsfeld waren über Jahrtausende hinweg in der agrarisch geprägten Welt ein wichtiger Bodenschatz im wahren Wortsinne und das Hinterland für die Montanregion im Harz, für Handel und herrschaftliche Eliten. Für die Erforschung der historischen Landschaftsentwicklung war und ist die Nähe der Universität Göttingen zu den angesprochenen Regionen und Kleinräumen entscheidend. Seit Jahrzehnten sind Geowissenschaftler, Historiker, Botaniker, Sprachwissenschaftler hier aktiv, z. T. im intensiven gegenseitigen Austausch und in Kooperation mit auswärtigen Kollegen wie H.-R. Bork in Kiel. Ein besonderer Glücksfall ist es, dass die archäologische Forschung in der Region in beachtlichem Maße institutionalisiert werden konnte. Stadt- und Kreisarchäologien z. B. in Höxter, Holzminden, Göttingen und Northeim, sowie die Außenstelle für Montanarchäologie des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege in Goslar

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gewährleisten eine denkmalpflegerische Betreuung und weiterführende Forschungsansätze. In der modernen Wissenschaft und Bürokratie bleibt es häufig bei der Sammlung von Daten in Akten, bestenfalls der auf den Außenstehenden eher spröde wirkenden Fachveröffentlichung. Die Darstellung in Medien ist rasch verbraucht und vergessen. Die Frage danach, wie es eigentlich gewesen ist, kann mit Worten nur unzulänglich umrissen werden. In einer zunehmend von Bildern geprägten Kommunikationswelt ist es gewiss legitim und wichtig, diesen Bedarf der breiteren Öffentlichkeit zu befriedigen. Die Schwierigkeit der bildlichen Darstellung einer uns fremden und immer nur lückenhaft und annäherungsweise greifbaren Vergangenheit sei an dieser Stelle ausdrücklich betont. Es ist alles andere als einfach, historische Panoramen wie die für dieses Buch zu erstellen. Puristisch gesonnene Fachwissenschaftler werden sich kaum an derartig komplexe Bilder heranwagen. Eine schriftliche Darstellung kann problemlos Lücken offen lassen oder diese gezielt aufzeigen. Im Bild muß sich der Autor stets fest-

legen, weiße Flecken sind unerwünscht. Die Gefahr der Suggestion, der Vorspiegelung falscher, nur unzureichend abgesicherter Abbildungen der Vergangenheit ist zweifellos stets gegeben und zu bedenken. Jedoch zwingt die bildliche Umsetzung den Darstellenden in besonderer Weise zum Durchdenken der Bruchstücke unseres Wissens und wirkt damit per se Erkenntnis fördernd. Ähnlich soll die Wirkung auf den Betrachter sein. Ein Fächer übergreifender problemorientierter Ansatz ist die unabdingbare Voraussetzung, denen die Autoren nach bestem Wissen und Gewissen versuchen gerecht zu werden. Viele der in den vergangenen Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse flossen in das hier vorliegende Buch ein, das, so meine ich, einen guten Eindruck von der Vielfalt vergangener Lebenswelten und der Faszination ihrer Erforschung vermitteln kann. Neue Erkenntnisse werden zukünftig unsere Einblicke weiter vertiefen. Allen Lesern wünsche ich bei der Lektüre der Texte und beim Betrachten der schönen farbigen Bilder viele Anregungen und Entdeckungen, sowie vor allem viel Freude. Prof. Dr. Hans-Georg Stephan

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Landschaft – vom Menschen geformt

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in Buch über die Entwicklung der Landschaft seit der letzten Eiszeit sollte zunächst die Frage stellen, was Landschaft eigentlich ist. Im Lexikon wird Landschaft als ein bestimmter Teil der Erdoberfläche beschrieben, der nach seinem äußeren Erscheinungsbild und durch das Zusammenwirken der hier herrschenden Geofaktoren eine charakteristische Prägung besitzt und sich dadurch vom umgebenden Raum abhebt. Ferner kann man lesen, dass die Naturlandschaft weithin durch menschliche Einwirkung in Kulturlandschaft umgewandelt worden sei. Entgegen dieser Erkenntnis ist die Auffassung noch weit verbreitet, dass es in Mitteleuropa noch Naturlandschaften geben würde. Am Beispiel der relativ natürlich scheinenden Landschaften des Harzes, des Wesertales und des Seeburger Sees im Eichsfeld zeigt dieses Buch, dass es selbst in abgelegenen Gebieten keinen Quadratmeter gibt, der nicht durch menschlichen Einfluss in den vergangenen Jahrtausenden tiefgreifend verändert wurde. „Entdeckt“ wurde der Einfluss des Menschen auf die natürliche Landschaft erst vor 200 Jahren in der Epoche der Romantik. Damals wurde durch Künstler wie Caspar David Friedrich oder den Schriftsteller Joseph von Eichendorff die unberührte Natur beschworen. In dieser Zeit entstand auch der Mythos vom deutschen Wald als Parabel auf den natürlichen Idealzustand des Menschen. Die Ideenwelt Jean Jaques Rousseaus bildete die Grundlage für die „Zurück-zur-Natur-Bewegung“ der Romantik. Vorher bestimmten fast ausschließlich praktische Überlegungen den Umgang des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt. Deshalb gab es in weiten Teilen Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter keine unberührte Natur mehr. Selbst der Wald wurde von der jahrhundertelangen Nutzung durch den Menschen geprägt. Die mitteleuropäischen Wälder befanden sich seiner-

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zeit in einem katastrophalen Zustand. Vielleicht ist gerade in diesem Verlust die Quelle für die Mythologisierung der Natur zu finden. Doch wider besseres Wissen hat sich die romantische Vorstellung von der Ursprünglichkeit des deutschen Waldes bis in unsere Zeit hinein gehalten. Wald bedeckte in historischer Zeit immer nur einen Teil der mitteleuropäischen Landschaft. Durch die Entwicklung der menschlichen Siedlungen, Verkehrswege oder der landwirtschaftlich genutzten Täler und Flachlandgebiete wird der Wandel, den die Landschaft seit der ersten Besiedlung durch den Menschen erfahren hat, besser vorstellbar. Da es ursprüngliche Natur in Europa praktisch nicht mehr gibt, fehlen uns heute die Vergleichsmöglichkeiten, um das gesamte Ausmaß des Wandels zu erkennen. Es ist das Ziel der Autoren, die Menschen für die ehemalige Mannigfaltigkeit der Kulturlandschaft zu begeistern und ihnen einen besseren Bezug zum eigenen Lebensraum zu ermöglichen. Viele Spuren einstmaliger Nutzungen sind noch heute erkennbar. Wem dies bewusst geworden ist, der sieht die Landschaft vor seiner eigenen Haustür mit ganz anderen Augen. So weisen viele Flurnamen oder Ortsbezeichnungen auf längst vergangene Nutzungen hin und laden somit ein zu spannenden Entdeckungsreisen. Mit alten Burgen oder Klöstern finden sich zudem zahlreiche steinerne Zeugen der bewegten Vergangenheit. Das Buch will Hinweise auf frühere Landnutzungen geben und dazu anregen, sich intensiver mit seiner eigenen Umwelt auseinanderzusetzen und vor Ort auf Spurensuche zu gehen. Auch wenn die Sehnsucht nach wahrer Ursprünglichkeit heute meist in weiter Ferne gestillt wird, ist die Reise in die Landschaft vor der eigenen Haustür ebenfalls spannend und erlebnisreich.

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Zu den Panoramazeichnungen

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ie Panoramen auf den folgenden Seiten sollen zu einer Zeitreise durch Südniedersachsen einladen, durch eine Landschaft, die selbst Heimatverwurzelten manchmal fremd vorkommen wird. Die Bilder sind zwar nur fiktive „Re-Konstruktionen“ der einstigen Wirklichkeit. Sie kommen aber der vergangenen Realität nach Ansicht der Autoren recht nahe und können zumindest einen gewissen „Grundeindruck“ vermitteln. Wenn sich Archäologen oder Historiker mit den Hinterlassenschaften früherer Menschen beschäftigen, möchten sie zeigen, in welcher Umwelt die Leute damals gelebt haben. Texte und Zahlen vermitteln oft nur vage Vorstellungen dieser Welt, und der Sprung zu lebendigen Eindrücken ist von dort aus noch sehr groß. Wir erleben Landschaft normalerweise als etwas relativ Statisches. Berge und Flussläufe verändern sich in der Regel nur unmerklich langsam. Ihre Beständigkeit gibt uns im Alltag ein Gefühl von Vertrautheit. In der Eiszeit war das Wesertal jedoch alles andere als anheimelnd. Später, in der Nacheiszeit, bargen die Wälder des Weserberglandes und des Harzes lebensbedrohliche Gefahren in Gestalt von Bären und anderen wilden Tieren. Schauen wir weiter in die geologische Vergangenheit zurück (was allerdings den Rahmen dieses Buches sprengen würde), so stehen wir den feuerspeienden Vulkanen Nordhessens bis hin zur Warburger Börde und der Dransfelder Hochebene gegenüber, wandeln auf glühend heißen Wüstensanden im „Reinhäuser Wald“, stehen unvermittelt auf einer Koralleninsel oder inmitten eines muschelreichen Flachmeeres, dessen Meeresboden-Reste auf der Plesse und an der Mackenröder Spitze zu finden sind. Südniedersachsen – ein Südseeparadies! Selbst wenn man bedenkt, dass seitdem unendlich große Zeiträume vergangen sind – die Vulkane bei Dransfeld erloschen vor ca. 5-10 Millionen Jahren, für Meereswellen und Dünen müssen wir sogar 200250 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit – zeigen sie doch: Landschaft ist wandelbar. Und sie verändert sich selbst in kleineren Epochenabschnitten so schnell und durchgreifend, dass wir uns die vergangene Wirklichkeit gar nicht mehr vorstellen können: Der Harz, heute Inbegriff für Naturnähe und Erholung, war bis vor wenigen hundert Jahren, ja noch bis vor einigen Jahrzehnten ein bedeutendes

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Industrierevier. Vielfältige Spuren hiervon sind geblieben, sie müssen nur entdeckt und interpretiert werden. Das Motiv des „Panoramas“ bot hierbei die Möglichkeit, viele Details der einstigen Lebenswirklichkeit auf einem Bild darzustellen. Der Betrachter kann mit seinen Augen förmlich in die Landschaft „eintauchen“. Dabei handelt es sich bei den Bildern in diesem Buch genaugenommen nur um „Dioramen“, denn der Begriff „Panorama“ bezeichnete ursprünglich ein „Rundum-Bild“, bei dem der Betrachter in der Mitte stand und sich in eine künstliche Welt in Originalgröße versetzt sah. Diese Kunstform begeisterte um 1800 viele Menschen. Die damaligen Panoramen waren gewaltige, oft bis 15 m hohe und 120 m lange Ölgemälde, die in besonderen Rotunden hingen und Stadtansichten, Schlachten und exotische Landschaften zeigten. Ein später Nachklang dieser Kunstform ist das Bauernkriegsgemälde von Werner Tübke bei Bad Frankenhausen, das 1983 bis 1987 entstand. Heute wirken die Panoramen gegenüber den virtuellen Computerlandschaften antiquiert. Verglichen mit den modernen elektronischen Verfahren bieten die „klassischen“ Techniken andererseits ganz eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Eine große Chance liegt in der Komposition der Bilder. Der Bildvordergrund wurde – vor allem bei den Harzbildern – dazu genutzt, das konkrete Handeln der Menschen in der Landschaft darzustellen, während der Bildmittelgrund und der Hintergrund einzelne Elemente der Landschaft zeigen – Gebäude, Siedlungen, Vegetation – und einen Gesamteindruck vermitteln. Die Szenen im Vordergrund haben sich somit nicht unbedingt an der betreffenden Stelle abgespielt, sondern stehen für typische Ereignisse in der weiteren Region zur Zeit des jeweiligen Panoramas. Noch ein weiteres Merkmal des gemalten Bildes ist wichtig: Anders als bei einem Film oder einer Videopräsentation sollten sehr viele Details und Aspekte auf möglichst wenig Bildern dargestellt werden. Auch deshalb sind die Bilder fiktiv: Die dargestellten Einzelheiten bestanden nicht immer gemeinsam zur gleichen Zeit, sondern prägten bisweilen zeitversetzt innerhalb einer Epoche die Landschaft, beispielsweise bestimmte Häuser, Kirchen und andere Gebäude.

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Als Vorlage für die Panoramen dienten Fotografien der Landschaft, die allerdings meist von verschiedenen Standpunkten aus aufgenommen wurden. Das Wesertal-Panorama entstand beispielsweise aus einem Dutzend Luftbildern, die im Laufe eines Fluges über dem Sollingrand aufgenommen wurden – über eine Strecke von etwa 5 km hinweg. Strenggenommen lässt sich aus solch einer Bildreihe kein Gesamtpanorama konstruieren, da aufgrund der perspektivischen Verzerrung im Hintergrund dieses Bildes viel zu viel Platz ist – alle Elemente wirken viel kleiner als im Vordergrund – andererseits aber für die nahe gelegenen Teile der

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Landschaft zu wenig Platz zur Verfügung steht. Deshalb sind die relativen Dimensionen der einzelnen Landschaftselemente nicht realitätsgetreu wiedergegeben. Vielmehr wurden sie möglichst einfühlsam so komponiert, dass alle wichtigen Details und die charakteristischen Silhouetten der Berge und Täler zu erkennen sind. Im Rahmen dieser Vorgabe bemühen sich die Darstellungen um Lagegenauigkeit und eine dokumentarische Exaktheit. Ähnlich einer optisch verzerrten „Landkarte“ besitzt jedes Detail der Landschaft seinen originalgetreuen Platz. In dieses Formenskelett wurden dann die Rekonstruktionen von Gebäuden, Wegen, Feldern und anderen Landschaftselementen hineinprojiziert. Als Grundlage für die Rekonstruktionen dienten Flurkarten und Pläne aus dem 16. bis frühen 20. Jahrhundert, die durch Geländeforschungen und Quellenstudien ergänzt wurden. Die ausgewählten Gebiete – der Rammelsberg mit dem Harz, das Wesertal und der Seeburger See – sind intensiv von der modernen Wissenschaft erforscht worden. So wurden zahlreiche Bücher und Aufsätze für die Landschaftsrekonstruktionen ausgewertet. Dennoch mussten viele Aspekte und Details frei nach der Phantasie ergänzt werden, sonst wären große Flächen weiß geblieben. Zudem mag sich manche Ungenauigkeit eingeschlichen haben. Die Leser und Betrachter sind deshalb aufgefordert, mit dem Buch in der Hand die Bilder in ihren Details zu überprüfen und zu hinterfragen – und dabei neue Entdeckungen zur Landschaftsgeschichte zu machen! Dann hätten die Bilder ihren wichtigsten Zweck erfüllt: Zur Beschäftigung mit unserer heimischen Umgebung anzuregen und Interesse für die Entwicklung unserer Landschaft zu wecken.

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Diese perspektivische Darstellung zeigt die Lage der Erzvorkommen im Rammelsberg. Die Bilder in diesem Buch zeigen den Rammelsberg mit der Stadt Goslar aus einem etwas anderen Blickwinkel, weshalb die Form des Alten Lagers verzerrt erscheint. Auf die Darstellung des Neuen Lagers wurde verzichtet, weil dieses erst im späten 19. Jahrhundert entdeckt und im 20. Jahrhundert ausgebeutet wurde.

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RAMMELSBERG UND GOSLAR


Rammelsberg und Goslar

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er auf einen der steil aufragenden Berge südlich von Goslar steigt, sieht, wenn er zwischen den Fichten einen freien Blick findet, ein eindrucksvolles Panorama unter sich. Das 300 bis 400 Millionen Jahre alte Felsmassiv des Harzes steigt unvermittelt um 300 Meter aus dem nördlichen, sanft hügeligen Vorland auf, so dass man von den bastionsartig vorspringenden Kuppen einen weiten Blick in das Tiefland hat. Tief eingekerbt führen schmale Täler in das Innere des Gebirges. Einer der Bergrücken barg großen Reichtum in seinem Inneren: Der Rammelsberg. Zwei massive, jeweils über 500 m lange, mehrere hundert Meter tiefe und bis 25-30 m mächtige Erzlager enthielten tausende Tonnen Silber, Kupfer, Blei und Zink, bis sie 1988 nahezu vollständig ausgeräumt waren. Zu Füßen des Rammelsberges entwickelte sich Goslar, im Mittelalter eine der bedeutendsten Städte des Deutschen Reiches, Herzstück des salischen Königtums und Juwel der romanischen und spätmittelalterlichen Städtebaukunst. Das Panorama zeigt Goslar und den Rammelsberg vom Herzberg aus, mit Blick nach Norden. Die (fiktive) Ansicht reicht vom Steinberg im Westen bis zur Kuppe des Rammelsberges im Osten. Im Hintergrund ist der Sudmerberg zu sehen, links unten Nonnenberg und Rabenkopf mit ihren Schiefergruben. Im Hintergrund lassen sich die Höhenzüge des Harli (rechts) und des Salzgitter-Höhenzuges (links) erkennen. In

den Tälern fließen links die Gose, namengebender Fluß für „Goslar“, und in der Mitte die „Abzucht“, die die Grubenwässer des Rammelsberges aufnimmt. Im Vordergrund befindet sich eine Lichtung im Wald. Auf dieser „Aktionsbühne“ sind verschiedene Geschehnisse und Tätigkeiten dargestellt, die sich so oder ähnlich im Harz abgespielt haben können. Rechts sieht man auf dem Vorklappblatt den Rammelsberg jeweils von „außen“, auf der Seite darunter das Innenleben im Berg, Stollen, Abbauweiten, Förderschächte und Pumpenanlagen unter Tage. Die Darstellung basiert auf einer Aufnahme des Bergwerkes am Rammelsberg, die Reinhard Roseneck 1992 publizierte, sowie auf einer Fotografie des Verfassers vom Nordhang des Berges. Die Auswahl der Zeitschnitte orientiert sich an wichtigen Phasen der Bergbaugeschichte des Rammelsberges, besonders in der Neuzeit. Hierzu liegen zahlreiche Bildund Kartenquellen vor. Die Bilder zeigen die Entwicklung des Bergbaus von den mutmaßlichen Anfängen in der Bronzezeit bis kurz vor der Errichtung der großen Erzaufbereitungsanlagen, die heute das RammelsbergMuseum beherbergen. Das Grundpanorama zeigt jeweils einen älteren Abschnitt, das Vorklappblatt eine etwas jüngere Phase, um die sukzessive Verwandlung der oberirdischen und der Untertageanlagen zu veranschaulichen.

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In die Rekonstruktion sind die umfangreichen Forschungsergebnisse der von Lothar Klappauf geleiteten und seit 1992 tätigen Harzarchäologie eingegangen. Die Bergbauanlagen wurden 1988 zu einem Museum ausgebaut. Die Altstadt und Pfalz sowie der Rammelsberg wurden 1992 in das Weltkulturerbe der UNESCO eingetragen.

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