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Selbstbestimmte Pionierin

Ruth Gattiker hatte als eine der ersten Frauen in der herzchirurgischen Anästhesie eine gehörige Portion Mut und den Biss, um sich in der männerdominierten Medizin durchzusetzen. 1969 war sie Narkoseärztin bei der schweizweit ersten Herztransplantation am USZ.

Text: Claudio Jörg Bilder: Milan Schijatschky, iStock nierten Umfeld durchzusetzen. Nach ihrer ersten Stelle als Assistenzärz‑ tin in der Chirurgie der Pflegerinnen schule erhielt sie eine Anstellung als Narkoseärztin am Kantonsspital Zürich, wie das Universitätsspital Zürich damals hiess. Ihr Chef war Åke Senning, eine Koryphäe der Herz chirurgie. Der Schwede baute in den 1960er‑Jahren die Herzchirurgie in Zürich auf. «Eine Frau – nein, das geht nicht», soll er zuerst gesagt haben. Später verstanden sich die beiden bes tens. «Er hatte nicht gerne Duckmäuser, deshalb kam ich so gut mit ihm aus», erklärte sie schelmisch in der Sendung.

Die Beste ihres Fachs

Teil des Teams um Åke Senning, das die erste Herztransplantation der Schweiz durchführte. Der aufsehener‑ regende Eingriff glückte, doch der Patient verstarb einige Monate nach dem Eingriff, weil sein Körper das transplantierte Herz abstiess. Trotz dem wurde damit die Grundlage für die späteren erfolgreichen Herztrans plantationsprogramme am USZ in den 80er Jahren gelegt. Diese wurden möglich dank der Entwicklung des Medikaments Cyclosporin, das die Ab‑ stossung des transplantierten Organs durch den Körper besser unterdrückt.

Schon mit 16 Jahren wusste die 1923 geborene Ruth Gattiker, dass sie gerne studieren und einen Beruf haben möchte. «Heira‑ ten und Kinder haben? Das kam für mich überhaupt nicht infrage», er zählte die 93 Jährige im Jahr 2016 –vor Lebensenergie sprühend – in der Sendung «Aeschbacher» am Schweizer Fernsehen. Die Karriere gelang ihr erst über Umwege dank viel Mut und viel Biss. Ihr Vater war alles andere als begeistert von ihren Absichten und wollte, dass sie Sekretärin wird und eine Familie gründet.

Eine Frau? Das geht nicht!

In der Berufswelt wusste sich Ruth Gattiker in einem von Männern domi

In den 1950er Jahren wurde die Anäs thesie zu einem eigenständigen Fach. Die Disziplin entwickelte sich dyna misch. Man begann, die Patienten zu intubieren und künstlich zu beat‑ men. 1963 verbrachte Ruth Gattiker ein Jahr an der Mayo Klinik in den USA. Anschliessend unternahm sie eine dreimonatige Tour und be‑ suchte in Amerika diverse Herzklini ken. Ihre Habilitation «Anästhesie in der Herzchirurgie» wurde 1971 zu einem Standardwerk im deutsch‑ sprachigen Raum. 1976 wurde sie zur Titularprofessorin ernannt. Ihr För derer Åke Senning bezeichnete sie als «die Weltbeste ihres Fachs».

Aufsehenerregender Eingriff

70 Stunden Wochen waren für Ruth Gattiker normal. Wenn Patientinnen oder Patienten in einem kritischen Zustand waren, schlief sie auf einem Klappbett im Spital. 1969 war sie ein

Aktiv bis ins hohe Alter Nach ihrer Pensionierung blieb Ruth Gattiker aktiv. Sie unternahm jeden Tag ein bis zweistündige Spaziergänge und hielt sich mit Pilates fit. An der Universität Zürich studierte sie Musik wissenschaften und belegte an der Volkshochschule Kurse in Altgrie chisch. Ihrer Lebensgefährtin, der Chirurgin Marie Lüscher, blieb sie 36 Jahre verbunden. Ruth Gattiker starb 2021 nach einem kurzen Spital‑ aufenthalt. Heute ist ein Preis nach ihr benannt, der Frauen in der akade mischen Medizin würdigt: der «Stern Gattiker Preis» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften.