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Aber hier leben, nein Danke!

# 07/12 //EDITORIAL Liebste wohlverdient ferienbereite LeserInnenschaft, endgültig am Ende des Studienjahres angekommen fragen wir uns, was Fasching mit Faschismus zu tun hat, auch wenn beide zeitlich schon etwas zurückliegen und machen uns Gedanken darüber, wie hoch der durchschnittliche Hipster-Anteil der -Redaktion ist. Diese Ferienausgabe bietet euch Infos über allerlei sinnlose Freizeitaktivitäten wie Klugscheißen, Reisen, Sport, Kino, Musik, Brot & Spielen Lesen und Zeichnen. Als kleiner Tipp: Für Vorletzteres eignet sich auch die hervorragend. Wir glauben aber, dass euch das alles sowieso nicht interessiert, schließlich besteht die -Redaktion aus lauter „paranoiden Fe1 ministinnen“ die nicht kapieren wollen, dass „Männer und Frauen nunmal unterschiedlich sind“. Außerdem wollen wir „Homosexualität als normal hinstellen, obwohl sie eine Abweichung von der Natur darstellt.“ Wir sollten wissen, dass unsere „selbstmitleidige ideologische Nabelschau“ „in unserem postideologischen Zeitalter völlig anachronistisch“ ist. „Unangenehm altklug“, in „möchtegernakademischer Sprache“ vollziehen wir eine „ideologische Indoktrinierung“ und frönen einer „Protest-, Beschwerdeund Kritikkultur“, die allerdings „einäugig“ ist, da wir „am linken Auge blind“ sind. Dennoch schlägt sich unser „reaktionäres“, „unsägliches, pseudoelitäres Blatt (…) bei jedem sich bietenden Anlass auf die Seite der Herrschenden“. Außerdem haben wir „keine Ahnung“, dabei werden doch eh „immer nur die selben Themen behandelt“. Vor allem was die „Berichterstattung bezüglich Israel“ betrifft, ist unsere Zeitung „einseitig“, da Israel doch schließlich „im imperialistischen Stil einen völkerrechtswidrigen Kolonialismus betreibt“. Außerdem ist die „Instrumentalisierung des Holocausts für politische Ziele bzw. für die Vertuschung von Verbrechen der israelischen Regierung eines der schlimmsten Verbrechen der Zionisten“, dabei „ist es leider eine Tatsache, dass sich die israelische Armee zahllose, oft äußerst grausame, Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen leistet, die an jene der Organe Nazideutschlands erinnern“. Auch vergessen wir, dass „Christen“ auch Menschen sind, „über die man sich nicht herablassend und beleidigend äußert“, schließlich steht „in der Bibel (...), dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschuf.“ Wir alle sollten „die gottgegebene Ordnung respektieren“. Wir hoffen, ihr „bedauert“ auch alle „den armen Baum, der für das Papier sein Leben lassen musste“ – wir legen hiermit eine Gedenkminute für ihn ein, er starb für „verbretterte Ideologie“. So verbleiben wir mit unserem „monatlichen Appell an ein breites Publikum, hier nicht zu leben“:

S. 2 KLEINER KURS IM WICHTIGTUN // WOHNRECHTSBERATUNG S. 3 OUT AND PROUD IN INDIA // JAPANISCHE MÄRCHEN, GESCHLECHTERROLLEN UND MORAL S. 4 REGRESSIVES KRAXELN S. 5 ROLL YOUR BOAT S. 6 GRAUE LANDSCHAFT // MENSCHENRECHTSFILME: EINE EMPFEHLUNG S. 7 PÄDOPHILIE UND SCHULD S. 8 DUMPSTERN? CONTAINERN? // THERE‘ NOWT SO QUEER AS LADY GAGA S. 9 ASPHALT & NEONLICHT // REINVENTING LAURA JANE GRACE S. 10 SOMMER, SONNE, KUBB // GAUMENFREUDE, SCHÖNER GÖTTERFUNKEN S. 11 KEINE STUNDE NULL // KAPITALISMUS UND ADORNO S. 12„SOWAS KENNT MAN HIER ZU LANDE NICHT“

Zeitung

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Uni

Wien

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„Aber hier leben, nein Danke!“ 2 1

Dieses und alle weiteren Zitate entstammen aus, von uns hoch geschätzten, LeserInnenbriefen, die im vergangenen Jahr an die Redaktion gingen. 2 Für alle, die es wirklich nicht kennen: Hört mehr Popmusik!

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klugscheißen

KLEINER KURS IM WICHTIGTUN

Eulenspiegel

Wie andere sich wichtigmachen Einfache Einfalt und wie es sich ihnen gleichtun Das geht soweit, dass manche durchaus komlässt.

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m Laufe ihres Lebens schnappen an Bildung und Philosophie Interessierte zahllose gewählt klingende Ausdrücke auf. Der Wortschatz erwachsener sowie jugendlicher Personen schwankt erheblich nach Bildungsgrad. Allerdings finden sich gerade im scheinbaren Sprachschatz der Gebildeten viele Worte, die wirklich als begriffen vorauszusetzen falsch wäre. Zusammen mit einer bestimmten Phraseologie bilden sie die Basis einer emsig betriebenen Wichtigtuerei, die für eben jene Schlaumeierinnen kennzeichnend ist. Im nicht völlig unberechtigten Vertrauen auf die Unkenntnis des Publikums werden sie bei jeder Gelegenheit eingesetzt, in der sie als angebracht erscheinen, weshalb sich sogar mit der Zeit ein gewisses Gespür für den richtigen Augenblick herausbildet. Allerdings beruht diese vage Intuition der Begriffsbedeutung fatalerweise regelmäßig auf der Angeberei anderer und stabilisiert derart seltsame und mitunter verwirrende Verwendungen einiger besonders beliebter Vokabeln.

petente Sprecherinnen sich an einem Punkt entscheiden, Wörter wie ,Dialektik‘ oder ,normativ‘ gar nicht mehr zu verwenden, weil sie den Schabernack, der mit ihnen getrieben wird und wurde, den Begriffen selbst anlasten. Anstatt bedeutungsvolle Verwendung der Begriffe einzufordern, bevorzugen sie, auf sie als Ganzes zu verzichten und neigen dann sogar dazu, diesen Verzicht auch von anderen zu verlangen. Sie reden also gewissermaßen einer Nivellierung der Sprache nach unten das Wort. Frei nach dem Motto: Wenn einige die Worte nicht einzusetzen wissen, soll es lieber niemand tun, das ist zumindest fair. Andere Wörte werden zwar richtig eingesetzt, dafür aber auch immer und überall, wo sich eine Möglichkeit anzubahnen scheint. Dabei handelt es sich meistens um Wörter oder ganze Satzteile aus anderen Sprachen, um Anspielungen auf antike Mythologie oder einfach blumige Metaphern, die nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem konkreten Inhalt stehen. Zu nennen wäre hier sicherlich die ,Hybris‘, die ein sicheres Markenzeichen einer Autorin darstellt,

die sowohl die Skylla der Selbstüberschätzung wie auch die Charybdis der Eingebildetheit zu rammen versteht. Gut kommt auch immer ein lateinisches Zitat, das wohl beliebteste, wenn auch eben darum nicht sehr beeindruckende, „quod licet iovi, non licet bovi“ darf in keinem Text fehlen, der wirklich altklug daherkommen will. Bei französischen Wörtern und Sätzen ist übrigens immer auf den richtigen Einsatz der accents und circonflexes zu achten – die sind der Schlüssel zum Eindruck, den es zu machen gilt.

Hilfe der Altehrwürdigen Was einem ansonsten recht substanzlosen Text auch noch den Anstrich von Tiefe und Wichtigkeit verleihen kann, sind Zitate von alten respektablen Männern. Je nach Kontext können es auch Frauen sein und mitunter dürfen sie sogar noch leben. Als Faustregel gilt aber immer noch: besser tot als lebendig und je kanonisch etablierter, also länger tot, desto besser. Natürlich schwanken die Kanones – richtig deklinierte griechische Wörter können üb-

rigens auch einiges hermachen – je nach Zusammenhang. Ein Kant-Wort wird wohl in der Presse ernster genommen werden als eines von Butler oder Haraway, sowie im Grunde leider eigentlich überall. Denn merke: selbst Linke beeindruckt die Kenntnis Hegels oder sogar Wagners mehr als die der jüngeren lebenden Nachkommen, auch wenn sie beide als alt und verstaubt ablehnen. Es gäbe noch viele andere Dinge zu berücksichtigen und viel über das Wichtigmachen lässt sich noch aus dieser Ausgabe der und nicht zuletzt diesem Artikel lernen. Wer mit offenen Augen alles liest, was Falter und Konsorten zu bieten haben, wird vielleicht eines Tages das Gelernte im Club 2 zur Anwendung bringen können und derart schaumschlagend das Niveau der Sendung beträchtlich heben. Viel Glück dabei – oder besser: bon courage!

//ILLUSTRATIONEN Für die Ferienausgabe der baten wir unsere Schwerpunktillustrator_innen des letzten Jahres, ein weiteres Mal für uns künstlerisch aktiv zu werden. Im selben Stil, wie sie schon einmal die Zeitung gestalteten, sollten sie die bevorstehenden Ferien interpretieren.

Das Sozialreferat informiert .................

WOHNRECHTSBERATUNG

Was bietet die Wohnrechtsberatung? Zuerst Information über die Bewohner_innenrechte -

//IMPRESSUM Herausgeber und Medieninhaber: Verein für Förderung studentischer Medienfreiheit; Unicampus AAKH, Hof 1, Spitalgasse 2-4, 1090 Wien; Tel. 0043-(0)1-4277-19501 Redaktion: Soma Mohammad Assad, Dorothea Born, Oona Kroisleitner, Tamara Risch Mitarbeiter_innen dieser Ausgabe: Iris Borovcnik, Flora Eder, Eulenspiegel, E. G., Norberta Hood, Fridolin Mallmann, J. R., Verena Rechberger, Simon Sailer, Theresa Schmidt, Christoph Schwarz, Jan Tölva, Alessandro Volcich, Florian Wagner Layout: Iris Borov nik Lektorat: Anna-Lena Berscheid, Karin Lederer Illustrationen: Arno Bauer (Büro Alerta), Dorothea Born, Imayna Chaceres, Flora Eder, Doris Maierhofer, Simon Sailer, Rita W., W. I. Walter Anzeigen: Wirschaftsreferat ÖH Uni Wien, inserate@oeh.univie.ac.at, Tel. 0043-(0)1-4277-19511 Erscheinungsdatum: 2. 7. 2012 Kritisch den Mächtigen, hilfreich den Schwachen, den Tatsachen verpflichtet – aber hier leben, nein Danke!

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künfte über:

Was kostet es? Weitere Infos bekommst du im:

Welche Hilfe bekommt man? -

Wie wendet man sich an die Wohnrechtsberatung?

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reisen

OUT AND PROUD IN INDIA Stell dir vor, es ist Regenbogenparade und keiner geht hin. Aus Angst vor Festnahmen und den drohenden zehn Jahren Gefängnisstrafe verstecken sich Millionen homosexueller Inder_innen in heterosexuellen Beziehungskonstrukten. Das diesbezügliche Gesetz Section 377 wird derzeit am Supreme Court in Dehli ausjudiziert. Anhand von drei Stationen soll die Situation der LGBT1Community in Indien geschildert werden.

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’m homosexual! – That’s ok! So und so ähnlich lauten die Rufe, die von Schwulen, Lesben und Transgender auf der Pride in Mumbai gerufen werden. Nach einer mühsamen Fahrt treffen wir am Nachmittag des 28. Jänner 2012 beim Kranti Maidan (Treffpunkt) ein. Dort präsentieren bereits hunderte von Menschen sich und ihre Plakate und verteilen Miniregenbogenfahnen. Von der Bühne aus feuern Organisator_innen sowie Vertreter_innen der über 30 unterstützenden Gruppen die Community an. Bevor wir gemeinsam hinter der überdimensionalen Fahne losmarschieren, werden die Regeln erklärt:

Wir wollen sichtbar sein, aber nicht provozieren! Das heißt, auf dem vorgesehenen Fahrstreifen bleiben, zügig marschieren und keinen Müll hinterlassen. Die für die Pride eigens 2 abgestellten Polizisten achten gemeinsam mit den Organisator_innen darauf, dass diese Regeln eingehalten werden und winken den Verkehr auf dem zweiten Fahrstreifen vorbei. Auf den Gehsteigen versammeln sich zahlreiche Schaulustige sowie Unterstützer_innen. Beim Chowatty Beach angekommen zerstreut sich die Community am Strand, um für die Afterpride-Party am Abend aufzutanken. In einem Gespräch mit einer der Mitarbeiterinnen von LABIA3 erfahre ich, dass die Pride in den letzten Jahren zunehmend kommerziell und entpolitisiert wird. Dennoch sind alle glücklich mit dem friedvollen Verlauf und feiern ausgelassen bis zur Sperrstunde.

Supreme Court in Dehli Der 2. Juli 2009 ist ein historischer Tag. Section 377 wurde abgeschafft. Privater Geschlechtsverkehr zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen ist in der Region Dehli nicht mehr strafbar. Ob dies auch für das restliche Indien gilt, wird aktuell am Supreme Court in Dehli verhandelt. Problematisch dabei ist, dass Section 377 auch der einzige Paragraph ist, welcher biologisch männliche Kinder und Jugend-

Verena Rechberger

liche vor Missbrauch schützt. Daher hat sich in der Diskussion ein intersektionaler Zugang bewährt, bei dem die unterschiedlichen Rechte berücksichtigt werden. Durch die 2009 getroffene Entscheidung entwickelte sich Homosexualität vom Tabu zu einem viel diskutierten öffentlichen Thema, zu dem jede_r eine Meinung zu haben scheint. Die Abschaffung dieses Paragraphen ist für viele Aktivist_innen eine Bestätigung des jahrelangen Kampfes um gleiche Rechte. Dennoch werden mit der Abschaffung neue Fragen aufgeworfen, da mittels Arbeitsrecht und Familiengesetz Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung weiterhin diskriminiert werden.

Pune4 – like a Bird against the wind In den Großstädten sowie in den Medien erfreut sich Homosexualität zunehmender Akzeptanz. Viele Bars haben mittlerweile LGBT-Parties und Bollywoodfilme enthalten bereits homosexuelle Akteure sowie Liebesgeschichten. Der Alltag sieht allerdings anders aus. Viele Personen befinden sich in arrangierten Ehen und wagen es nicht, sich zu outen. Da an das Konzept der monogamen heterosexuellen Familie viele Sicherheiten geknüpft sind, ist es auch für viele bereits geoutete Personen schwer, eine Alternative zu leben. Homosexualität wird zum Phäno-

men der Reichen, denn es benötigt finanzielle Unabhängigkeit, um auch ohne Familie überleben zu können. Häufig wird auf Drängen der Familie dennoch in eine heterosexuelle Ehe eingewilligt. Ob Homosexualität auch jenseits der urbanen Zentren an Akzeptanz gewinnt, hängt stark von der Entscheidung in Dehli ab. Dass mittlerweile auch in kleineren Städten wie zum Beispiel Pune im Dezember 2011 eine erste Pride veranstaltet wurde, lässt zumindest die engagierte Community vor Ort auf eine bessere Zukunft hoffen. Anmerkungen: 1 Lesbian/Gay/Bisexual/Transgender 2 ausschließlich Männer 3 Lesbians and Bisexuals in Action – A queer feminist collective 4 „BOAF – Birds of a feather“ ist eine der bekanntesten Supportgruppen, die zahlreiche Events veranstalten. Quellen: http://queerazaadi.wordpress.com/ http://www.indianjpsychiatry.org/article.asp?issn= 0019-5545;year=2012;volume=54;issue=1;spage=69;ep age=72;aulast=Kalra;type=0 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19962634 http://www.iias.nl/iiasn/29/IIASNL29_10_Vanita.pdf http://journals.cambridge.org/action/displayFulltext ?type=1&fid=2177788&jid=SPS&volumeId=7&issueId =04&aid=2177780

JAPANISCHE MÄRCHEN, GESCHLECHTERROLLEN UND MORAL J. R.

Märchen können viel: sie spiegeln die sich spaßeshalber in Menschen verwandeln, nicht nur Lebensrealitäten ver- um diese zu erschrecken und anderen sondergangener Zeiten wider, sondern baren Gestalten. Doch wo im westlichen Märoft noch Magie benötigt wird, geht der bieten auch Kontrastbilder zur chen Übergang von weltlich zu fantastisch im japaWirklichkeit eines unbestimmba- nischen Märchen scheinbar nahtlos vonstatten. ren Damals, ebenso wie der Re- Ein Tier kann dort beispielsweise zum Menalität, die uns heute direkt betrifft. schen werden, PartnerInnenschaft mit einem Doch wollen sie im besten Fall anderen Menschen eingehen und zu Mutter oder auch genau hier unterstützen, Vater werden, dann aber führen Sachzwänge oder indem sie Hinweise geben, wie Umstände meist zu einer Rückverwandlung. das (scheinbare) Schicksal sich überlisten lässt und damit über Märchenhafte Geschlechterrollen Grenzen hinweggehen.

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uch oder gerade in japanischen Märchen verschwimmen oft die Grenzen zwischen übernatürlicher und ,materieller‘ Welt. Dies zeigt sich an der Präsenz fabelhafter Wesen wie lachender Dämonen und menschenverschlingender, oder auch gütiger Berghexen, Füchsen,

Der Erziehungseffekt, der in westlichen Märchen oft sehr stark hervortritt, indem z. B. Geschlechterrollen vorgeschrieben werden und eine abschließende Moral Handlungsanweisung gibt, spielt in japanischen Märchen nicht dieselbe Rolle. Zwar finden sich immer wieder Geschichten mit Nonnen und Priestern, doch

Märchen lassen sich mitnichten zu buddhistischen Lehrgeschichten reduzieren. Gelegentlich werden gewisse Verhaltensweisen wie etwa Mitleid mit Tieren belohnt, gleichzeitig sind Ausnahmen zu zahlreich, um irgendeine Regel zu bestätigen. Gerade was Geschlechterrollen und soziale Normen angeht, scheinen Märchen besonders geeignet, diese zu brechen: etwa in der Geschichte von Oiko, der starken Frau, die einen Verehrer gleich einmal in den Schwitzkasten nimmt und anschließend das Kämpfen lehrt. Oder bei dem alten Ehepaar in einer anderen Geschichte, das immer gütig sein Hab und Gut verschenkt und am Ende arm bleibt, ohne darüber besonders unglücklich zu sein. Interessant ist auch, dass häufig Frauen Heiratsanträge stellen, Trennungen initiieren oder einem Haushalt Reichtum ermöglichen. Hier gibt es einen Rückbezug auf einstige Regelungen, die in Märchenform freilich noch weitergegeben wurden, nachdem sie bereits abgeschafft waren.

Insgesamt unterscheiden sich männliche und weibliche ProtagonistInnen in ihrem Charakter nicht sehr. Muster wie, dass Männer eher Berufe ausüben und namentlich genannt werden, während Frauen häufig in der Figur einer Familienangehörigen (Mutter, Tochter) Erwähnung finden, sind wohl auch bedingt durch die realen Umstände der Entstehungszeit der Geschichten. Ein ganz anderer Realitätsbezug steckt auch in jenen unheimlich anmutenden Stellen in Märchen, die psychologische Prozesse beschreiben. Etwa in dem Märchen, in dem eine unbekannte Frau an der Türschwelle eines Mannes erscheint und ihn mit den Worten „Ich esse auch nichts“ bittet, sie zu heiraten. Im Verlauf der Geschichte verwandelt sie sich in ein hungriges Monster. Märchen bedienen sich fantastischer Elemente und erlauben Unmögliches vorzustellen. Sie überziehen die Begriffe von Glück und Schrecken so stark, dass das eigene Leben, wenn mensch aus der Märchenwelt wieder auftaucht, viel (be-)greifbarer wirkt.

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sport

REGRESSIVES KRAXELN Eine kleine Polemik über das Klettern und was die Popularität des Trendsports mit der Verfasstheit des spätkapitalistischen Subjekts zu tun hat.

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ie so plötzlich hereinbrechenden Ferien lösen oft erst einmal eine gewisse Leere und Desorientiertheit bei den Studierenden aus, und werfen die Frage auf, was nun mit der vielen Freizeit anzufangen sei. Glücklicherweise gibt es allerlei produktive Freizeitbeschäftigungen, die der Gefahr vorbeugen, möglicherweise über die gesellschaftlichen Verhältnisse zu reflektieren und sich der eigenen Ohnmacht gewahr zu werden. Sehr empfehlenswert ist beispielsweise der neue Trendsport Klettern, der gerade im Studierendenmilieu einen besonderen Zulauf 1 erfährt.

Der Kletterboom Waren früher die verschiedensten Formen des Alpinismus eine eher wenig beachtete und oftmals belächelte Tätigkeit für besonders Waghalsige, boomt seit den 1980er-Jahren vor allem der Bereich des Sportkletterns. Zu dessen neuer Popularität haben wohl verschiedene, teils auch eher banale Gründe, beigetragen. So haben einige Innovationen im Materialbereich das Klettern ein gutes Stück sicherer gemacht als noch vor 30 Jahren. Ebenso erkannten diverse Sportmarken, dass sich ihre Produkte besser verkaufen, wenn sie in Verbindung mit einer spezifischen Sportart vermarktet werden. Glänzende

Bilder von muskulösen, schroffe Felswände emporklimmenden Männern und Frauen prägen nun die Werbekataloge von Eybl, Sports Experts und Hervis und Sportmarken wie Mammut, The North Face oder auch Jack Wolfskin werben für spezielle Kletterkleidung und -ausrüstung. Die meisten dieser Markenprodukte sind zwar sündhaft teuer, aber das Image der Sportlichkeit, Abenteuerlust und Naturverbundenheit kann eins sich schon mal etwas kosten lassen. Immerhin ist der finanzielle Erstaufwand, um in den Klettersport einzusteigen, nicht mehr allzu groß. Eine Jede kann heutzutage ein Paar viel zu enge, unbequeme Schuhe kaufen und in einer der wie Pilze aus dem Stadtbild sprießenden Kletterhallen die ersten Versuche an der Wand wagen.

Reproduzierbare Leistung Während nach Unfällen im extremen Alpinismus sofort das menschenfeindliche Ressentiments auftaucht, die Verunglückten seien ‚selbst schuld‘, schließlich hätte sie niemand zu dieser sinnlosen und gefährlichen Tätigkeit gezwungen, zeigen die Bemühungen diverser nationaler Kletterverbände, die Anerkennung des Kletterns als Olympische Disziplin durchzusetzen, dass der Sport endgültig in der Moderne angekommen ist. Die mit der Kommerzialisierung des Kletterns einhergehenden aufkommenden Wettkämpfe verlangen die Normierung des Sports. So wird die eigentlich kreative und individuelle Tätigkeit auf vergleichbare Leistung reduziert. Im Konkurrenzdenken spiegelt sich der gesell-

Norberta Hood

schaftliche Zwang zur Identität unter kapitalistischen Produktionsbedingungen.

Die Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit Doch auch wenn es einen Großteil der KletterInnen nur selten aus der Stadt hinaus in die Natur oder gar ins Hochgebirge verschlägt, ist es wohl nicht der Reiz, in engen, stickigen Räumen mit anderen Menschen darum zu konkurrieren, sich an rutschigen und verschwitzten Griffen eine Wand hinauf- oder entlangzuhanteln, der das Klettern so populär macht. Die in den Werbekatalogen und dem Alpenvereinsmagazin verbreiteten Bilder werben nicht nur mit einer gehörigen Portion Zivilisationsfeindlichkeit und dem Versprechen auf ein Erlebnis in der grünen Natur, sondern vermitteln auch Abenteuerlust und das Meistern gefahrvoller Situationen. Wer es tatsächlich einmal hinaus oder hinauf geschafft hat, weiß: Es ist die Notwendigkeit, sich für einen Augenblick ganz auf den eigenen Körper und auf die Situation zu konzentrieren, die die Unmittelbarkeit des Moments ausmacht. Die ganz reale Gefahr bietet neben dem Adrenalinkick auch die Möglichkeit zur Erfahrung, die den warenförmigen Subjekten in der spätkapitalistischen Gesellschaft so verstellt ist.

Vermarktung des Selbst Doch anstatt Marx zu lesen, im kritischen Dialog mit anderen zu versuchen, die Komplexität der Vergesellschaftung zu durchdringen, oder

sich wenigstens im Rausch der Ekstase hinzugeben, suchen die freizeitbeschäftigten Subjekte die Erfahrung in der Bezwingung der äußeren und inneren Natur. Die erfahrene Unmittelbarkeit ist gleichzeitig auch die perfekte seelische und körperliche Reproduktion des Subjekts für den kapitalistischen Verwertungsprozess. Wer dem Elend des Alltags durch ein paar Augenblicke gefahrvoller Selbstbesinnung für kurze Zeit entrinnt, kann es später auch wieder besser ertragen. Gleichzeitig wird auch der Körper fit und gesund gehalten, denn Bewegung ist schließlich ein guter Ausgleich zum Alltagsstress. Und da eins auch auf die Sicherungspartnerin angewiesen ist, ist Klettern nicht nur ein Sport für EinzelkämpferInnen und übt letztendlich alle Fähigkeiten der modernen Topmanagerin: in gefahrvollen Situationen einen ruhigen Kopf bewahren, Teamfähigkeit und Durchhaltevermögen. So gesehen ist Klettern Ausdruck der Selbstzurichtung des Subjekts zur Steigerung seiner Leistungsfähigkeit und somit des Werts am Arbeitsmarkt – was uns KletterInnen freilich nicht daran hindern sollte, es zu genießen. Schließlich liegt gerade in den Widersprüchen der Gesellschaft die Möglichkeit, das Ganze als Falsches zu erkennen. In diesem Sinne wünsche ich schöne Ferien! Anmerkung: 1 „Sozio-demografisch befinden sich unter KletterFans vorwiegend Maturanten, Akademiker der oberen Mittelschicht, darunter viele Studenten aus betuchtem Hause.“ http://alpinum.at/viewtopic. php?t=2067

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ROLL YOUR BOAT Einige maritime Trockenübungen für die schönste Sommerbeschäftigung der Welt. Die Basics Eines vorneweg: Gute Schwimmkenntnisse sind fürs Segeln unumgänglich, zusätzlich ist es ein absolutes No-Go, ohne Schwimmweste zu segeln. Die Kleidung sollte so gewählt sein, dass ihr euch gut bewegen könnt und sie nass werden darf, Brillen sollten gut festgebunden werden und bei Schirmkappen sollte darauf geachtet werden, dass der Wind sie schnell ins Wasser wehen könnte. Schuhe – möglichst geschlossen und rutschfest – sollten immer mit dabei sein, Segelhandschuhe sind von Vorteil.

Der erste Schritt aufs Boot Wer zum ersten Mal in einem Segelboot sitzt, wird es als etwas wackelig empfinden. Hier gilt: Nur Mut! Meistens wackelt es in Wirklichkeit weniger als man denkt – und selbst wenn etwas passiert und man ins Wasser fällt, ist man ja nur nass geworden. Der zweite Schritt geht entweder in Richtung Ruder mit einem Griff zur Pinne (siehe Skizze) oder, bei größeren Zweipersonenbooten, zur Vorschot, der vermutlich dickeren Schnur, die an dem kleinen vorderen Segel angebunden ist. Faustregel: Setzt euch bloß nicht ganz nach hinten auf den Heckspiegel – dort blockiert ihr einerseits das Ruder, und andererseits wird das Heck sehr tief ins Wasser tauchen. Richtig macht ihr es, indem ihr euch weiter vorne und mit Blick nach vorne hinsetzt und wenn das Boot Fahrt aufgenommen hat, auf die Kante begebt. Grundsätzlich gilt: Ihr solltet immer auf der anderen Seite als dort wo das Segel gerade ist, sitzen. Beim ersten Mal Segeln sollte jedoch unbedingt eine Trainerin dabei sein, die euch alles genau erklärt und euch entweder im Boot selber oder mit einem Motorboot begleitet. Einmal am Wasser, werdet ihr schnell merken, dass ihr die Geschwindigkeit und die Krängung des Bootes (die Schieflage) mit dem

Flora Eder

Zug an der Schot regulieren könnt – wenn das Segel flattert (‚killt‘), so hat es keinen Druck und dementsprechend könnt ihr auch nicht vorankommen. Dann heißt es: „Dichter nehmen“, also die Schot fester ziehen. Beim Lenken wird euch dann bestimmt bald auffallen: Wenn ihr die Pinne auf die linke Seite des Bootes (‚Backboard‘) drückt, dreht sich das Boot nach rechts, wenn ihr die Pinne auf die rechte Seite des Bootes (‚Steuerboard‘) drückt, dreht sich das Boot nach links – das ist für viele zu Beginn verwirrend, ihr gewöhnt euch aber bestimmt schnell daran.

Der Kurs Euch wird dann bestimmt auch auffallen, dass ihr nicht gegen den Wind segeln könnt – wenn ihr gegen den Wind lenkt, beginnen die Segeln zu flattern, und wenn ihr nicht weiter in eine Richtung lenkt, werdet ihr nach hinten abtreiben. Daher muss immer so gesegelt werden, dass der Wind von der Seite oder von hinten die Segel mit Druck füllt. Um trotzdem in die Richtung des Windes zu gelangen, wird ein Zickzack-Kurs gefahren, der jeweils in 45 Grad zum Wind gesegelt wird (siehe bei der Skizze den Weg von der Startlinie zur Luvboje). Dieser Kurs wird ‚Amwindkurs‘ genannt. Dabei ist es besonders wichtig, die Segel so dicht wie möglich zu halten – also an der Schot fest anzuziehen. Schneller wird das Boot, wenn der Wind von der Seite oder von hinten kommt – diese Kurse heißen ‚Halbwind‘ und ‚Vorwind‘-Kurs.

Wenn ihr euch in die andere Richtung gedreht hättet, würde man ‚Halse‘ dazu sagen – dieses Manöver ist aber besonders am Anfang etwas schwieriger, und wird daher vermutlich nicht in der ersten Segelstunde gelernt.

Die Boote Es gibt unzählbar viele verschiedene Bootstypen auf der Welt – einige von ihnen haben sich aber international durchgesetzt, werden serienmäßig gebaut und auf gemeinsamen Regatten (Wettkämpfen) gegeneinander gesegelt – wie zum Beispiel der Laser, der 49er, der 470er oder der Optimist. Der Laser ist die weltweit am weitesten verbreitete Bootsklasse, wird von einer Einzelperson alleine gesegelt, und zeichnet sich besonders durch seine einfache Aus-

stattung aus. In den allermeisten Segelschulen werdet ihr mit einem Pirat segeln: Eigentlich segelt man ihn zu zweit, die meisten Segelschulen zeigen hier aber gleich größeren Personengruppen auf einmal, wie man alles richtig macht. Das Boot wurde bereits um 1900 gebaut, ist besonders im deutschsprachigen Raum verbreitet und zeichnet sich dadurch aus, dass es vergleichsweise schwer kentert. Ein weltweiter alltimefavorite ist noch der Opti (Optimist), in dem vom Senegal bis Indien, von Neuseeland bis Argentinien Kinder im Alter von neun bis 15 Jahren das Segeln erlernen – und auch in Wien gibt es eine aktive Optiszene. Segeln in Wien – Linktipps: Segelschule Hofbauer (Alte Donau): www.hofbauer.at Liste aller Wiener Segelclubs: www.lsvw.at

Halsen und Wenden Wenn ihr von einem Halbwindkurs aus in die andere Richtung umdrehen wollt, dann nennt sich dieses Manöver ‚Wende‘. Hierzu drückt ihr die Pinne weg von euch, duckt euch – denn der Baum wird in die Mitte des Bootes kommen und könnte euren Kopf verletzen – wartet, bis das Boot wieder so gedreht ist, dass der Wind seitwärts von der anderen Seite kommt, und setzt euch auf die andere Bordkante. Ihr habt dann also einen Bogen durch den Wind gemacht.

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RAUE LANDSCHAFT Maja Haderlaps Roman ist die (autobiografische) Geschichte der kärntner-slowenischen Bäuer_innen, deren Kampf mit ihren Erinnerungen an Folter, Lager, Verfolgung, Verrat, bewaffneten Kampf und Widerstand. Eine der wenigen Geschichten, die selten erzählt wurde und bis heute kaum Platz findet, weder in den Familienerzählungen und schon gar nicht in einer allgemeinen Geschichtsschreibung. Als Leser_in wächst mensch gewissermaßen mit der Ich-Erzählerin in den 1960er-Jahren auf: als Kind ist sie vor allem mit sinnlichen Erfahrungen konfrontiert, die sich um die Großmutter konzentrieren – ihre Art, Geister zu beschwören, um das Unheil fernzuhalten, die rauchende Küche, und die immer wiederkehrende Selbstverständlichkeit, aus ihrer Zeit im Lager zu erzählen. Als das Kind selbst dem Tod nahekommt, beginnt ein Erwachsenwerden, das in erster Linie mit dem grauenden Verständnis um den Tod verknüpft ist. Das Kind wächst und mit ihrem Körper auch ein politisches und emotionales Verstehen: sie geht in die Stadt aufs Gymnasium und beginnt, von einer notwendigen slowenischen Identität in einer deutschen Mehrheitsgesellschaft zu ahnen; sie studiert in Wien und beginnt die Geschehnisse im Dorf in eine gesellschaftspolitische Lage einzubetten. Im Buch selbst äußert sich das nicht durch Nacherzählung, sondern durch das veränderte Sprechen über Protagonist_innen und deren Handlungen. Der Roman beginnt, essayistisch zu werden, eine politische Sprache zu finden und so etwa die allgegenwärtige Todessehnsucht des Vaters in ein historisches Verstehen zu betten. Der Roman bietet keine chronologische Abfolge einer Familientragödie, sondern deckt – immerzu im Präsens formuliert – die allgegenwärtige Hilflosigkeit auf. Durch das gesellschaftliche Verbot, nicht erzählen zu dürfen, gibt es auch keine Strategien im persönlichen Leben, wie mit dem erlebten Grauen und der Gewalt umzugehen ist. Durch das Fehlen einer Identifikationsmöglichkeit nach dem Krieg als Partisan_in bleiben die Bilder so diffus wie die ursprüngliche Motivation: die Politischen, die Katholischen, die Desertierten, die Frauen, die Kinder, die Mitmacher_innen, die Verzweifelten, die Denunzierten, den Kampf im Wald, im Schnee. Die Großmutter, die ein Lagerbuch schrieb, in dem sie nicht vom Lager selbst erzählen kann, findet das Wort nicht für ‚schrecklich‘ und Wörter und der Kampf mit sich selbst. Mit dem Bachmannpreis 2011 ausgezeichnet bekommt das Buch plötzlich unerwartet viel Aufmerksamkeit und damit auch Worte wo jahrzehntelanges Schweigen war: die Geschichte der kärntnerslowenischen Partisan_innen nach dem Nationalsozialismus. Maja Haderlap: Engel des Vergessens. Wallstein. Göttingen 2011. 288 Seiten. 19,50 EUR

MENSCHENRECHTSFILME: EINE EMPFEHLUNG Jährlich findet in Donosti – San Sebastián, einem der schönsten Städtchen Spaniens, das alternative Filmfestival der Menschenrechte statt, bei dem aktuelle Filme aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Problematiken gezeigt werden. Heuer war das Thema Meinungsfreiheit und Zensur, besonders in Kriegszeiten. Hier eine kleine Zusammenfassung mit den ,Best-ofs‘ oder ,Must-sees‘ des heurigen Filmfestivals:

Bei den Kurzfilmen hat der Film Los monstruos no existen gewonnen, ein schockierender Film über die sexuelle Ausbeutung von Kindern durch den Sextourismus in Entwicklungsländern. Sehr empfehlenswert sind jedoch auch die Filme Leonid’s Story, eine eindrucksvolle Darstellung

VOL SPÉCIAL / SPECIAL FLIGHT (SCHWEIZ, 2011)

ESTO NO ES UNA PELÍCULA / THIS IS NOT A FILM (IRAN, 2011)

Was passiert mit den Menschen in Schubhaft? Wie geraten sie dorthin und was kommt danach? Dieser Film blickt hinter die verschlossenen Türen der Schubhaftanstalten und erzählt die Geschichten, von denen kaum jemand erfährt. Die letzten Tage und Monate vor der Abschiebung der Flüchtlinge, ihr Abschiedsschmerz von den Familien und die grobe Behandlung während der Abschiebung werden dokumentiert. Diesen mit dem Amnesty International Preis ausgezeichneten Film sollte mensch sich auf keinen Fall entgehen lassen, um zu erfahren, was sich in unseren Ländern (Schweiz sowie auch Österreich) wirklich abspielt.

„Das ist kein Film“, weil der iranische Regisseur Jafar Panahi von der iranischen Regierung zu 20-jährigem Filmverbot verurteilt wurde. Geschmuggelt in einer Torte gelangt dieser ,Nicht-Film‘ ins Ausland, wo er einen spannenden Einblick in den Alltag des verurteilten Regisseurs gibt: Angefangen mit dem Frühstück geht’s normal weiter mit einigen Telefongesprächen, wie er mit seiner Anwältin über das Urteil spricht, die Berufung und mögliche Chancen, die Strafe zu reduzieren, und dann kommt es zur Hauptsache: er kann keine Filme mehr machen, aber wenigstens möchte er erzählen, worüber er seine Filme machen wollte. So fängt er an, die im Iran verbotenen Geschichten selbst zu erzählen und darzustellen. „Das ist kein Film“, das ist der bittere Alltag eines iranischen Regisseurs, dem das Filmemachen verboten wurde.

der Katastrophe von Tschernobyl, die durch Fukushima keineswegs an Aktualität verloren hat, oder Ngutu, ein Film über einen Einwanderer, der mit Hilfe seiner gesellschaftskritischen Beobachtung versucht, durch eine sehr innovative und witzige Strategie mehr Zeitungen zu verkaufen.

RÍNDETE MAÑANA / GIVE UP TOMORROW (USA, PHILIPPINEN, SPANIEN, 2011): Dieser mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Film erzählt die Geschichte des Filipinen Paco, der eines Verbrechens beschuldigt, angeklagt und verurteilt wurde, das er nie begangen hat. Als der Supreme Court seine bereits lebenslängliche Haftstrafe in eine Todesstrafe umwandelt, beginnen die Uhren zu ticken und die Zeit läuft ...

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kino

PÄDOPHILIE UND SCHULD Mit dem Spielfilm Stillleben sowie der Dokumentation Outing haben die Regisseure und Drehbuchautoren Sebastian Meise und Thomas Reider zwei Filme geschaffen, die sich differenziert mit dem Thema Pädophilie befassen.

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tillleben erzählt die Geschichte einer Familie, die an der Entdeckung der Obsession des Vaters für die eigene Tochter zu zerbrechen droht. Die Missbrauchs-Verdächtigungen der Familie treffen auf den Vater, der Anklage gegen die eigene Person schon längst erhoben hat. Wo beginnt Schuld? Macht man sich schon durch Fantasien schuldig, aus denen nie Taten entspringen? So lauten die Fragen, mit denen sich der Vater, wie auch das Kinopublikum, konfrontiert sehen. Die Idee zum Drehbuch von Stillleben entwickelte Reider, als er auf das Pionier-Projekt der Berliner Charité Kein Täter werden stieß. 2005 ins Leben gerufen, bietet das Präventionsprojekt erstmals Therapieangebote für Menschen mit pädophiler Neigung, die noch nicht straffällig geworden sind. Bei der Recherche zu Stillleben trafen die beiden Filmemacher Sven, einen jungen Pädophilen, den sie über vier Jahre mit der Kamera begleiteten. Der daraus entstandene Dokumentarfilm Outing zeigt Svens Ringen mit der eigenen Pädophilie und den selbst gesetzten Grenzen. Die sprach mit Sebastian Meise und Thomas Reider über ihre Filme und das Thema Pädophilie. Stillleben ist ein Film über Schuld, auch losgelöst vom Thema Pädophilie. War das eure Intention? S. M.: Ja, absolut, weil man mit dem Vater in Stillleben jemanden sieht, der mit seiner Schuld ringt. Das war dramaturgisch interessant: der Mensch, der sich schuldig fühlt und schuldig gemacht wird für etwas, das er nur in der Fantasie begangen hat. Das war die Grundidee. Dahingehend ist natürlich die Pädosexualität eines der Themen schlechthin. Kaum ein anderes Thema wird so tabuisiert, für kaum etwas wird man so stigmatisiert. Wie kamt ihr auf das Motiv der Pädophilie? Hatte das für euch etwas mit den österreichi-

schen ‚Kellerkinder-Fällen‘ und Heimskandalen der letzten Jahre zu tun? S. M.: Das hat uns vielleicht unbewusst schon beeinflusst, aber auf jeden Fall war es das Charité-Projekt Kein Täter werden, das Thomas in einem Zeitungsbericht ausgegraben hatte. T. R.: Ja, ich glaube in Der Zeit gab es einen Bericht über den Ansturm auf das Projekt. Die Charité war damals das weltweit erste Projekt, das mit Pädophilen arbeitete, die nicht straffällig geworden sind. Davor gab es keine Zahlen über solche Personen, sondern nur über jene, die schon kriminell geworden sind. Ich habe mir da auch zum ersten Mal gedacht: Aha, komisch, ich habe immer gedacht, pädophil ist jemand, der jemand anderen missbraucht. Dass dieses Projekt so einen regen Zulauf erfahren hat, hat mich irritiert, da mir nicht klar war, dass es Leute gibt, die diese Hilfe benötigen. S. M.: Hinter diesem Charité-Projekt steckt ein sehr kluger Gedanke. Zu sagen, dass es nicht darum geht, warum jemand eine pädophile Neigung hat, sondern darum, herauszufinden, wie man so jemanden in die Gesellschaft integrieren kann. T. R.: So kann man vermeiden, dass es überhaupt zum Missbrauch kommt. Anzusetzen bevor jemand zum/ zur TäterIn wird, ist logisch. Wobei das nur auf der gesellschaftlichen Ebene gilt, auf der individuellen Ebene wird man in der Therapie durchaus nach den Ursachen der pädophilen Neigung suchen müssen, oder? S. M.: Ja klar, aber es kann sein, dass man niemals zu einer Erkenntnis kommt. Wer weiß, ob ich jemals herausfinden würde, warum ich heterosexuell bin. Ich glaube, da kann ich auch ein Leben lang in Therapie gehen und werde das nicht herausfinden. Das ist ja schon etwas, wo wir noch im Dunkeln tappen, die Frage warum eineR diese oder jene Sexualität entwickelt. Stillleben weckt starke Empathie für den pädophilen Hauptcharakter. Warum behandelt ihr das Thema Schuld ausgerechnet vor dem Hintergrund der pädophilen Neigung? T. R.: Die Kriminalisierung von Gedanken – seien das jetzt pädosexuelle Gedanken oder irgendwelche anderen, auch revolutionäre oder terroristische – ist ein total interessantes Thema. Wann verhaftest du wen? Wenn er die Bombe gebaut hat? Wenn er sie gezündet hat? Wenn er die Zutaten kauft? Das ist einfach eine spannende Korrespondenz zwischen den Gedanken und der Rea-

Theresa Schmidt und Fridolin Mallmann

lität. Und das hat mich interessiert. Grundsätzlich stellt der Satz „Die Gedanken sind frei“ für mich ein humanistisches Grundprinzip dar. Ohne jetzt eine Lobby dafür zu bilden, dass es immer gut ist, alles was man denkt, frei zu gestalten. Das Tolle, wenn man so einen Film macht, ist, dass man eben nicht gesellschaftspolitische Gesetze schreiben muss und festlegen, ab wann etwas kriminell ist. S. M.: Und das Thema der Pädophilie ist ja eines, das uns selbst an unserem Tabu erwischt. Davor haben wir uns einfach noch nie Gedanken gemacht, wie mit jemandem wie Sven umzugehen ist, das war für mich völlig aus der Welt, ich habe mir das nie überlegt. Hat die Recherche zum Charité-Projekt das Szenario des Spielfilms als realitätsnah bestätigt? T. R.: Im Rahmen von Outing haben wir einen Mann kennengelernt, der 24 Jahre lang probiert hat, mit Therapien seine pädophilen Gedanken loszuwerden und sich schlussendlich sogar kastrieren ließ, in der Hoffnung, dass die Neigung dann weg wäre – und sie ist immer noch nicht weg. Das zeigt, dass das schon etwas ist, was in der Realität vorkommt. Der Typ hat Frau und Kinder. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man so leben kann. Das hat mich schon bestätigt, dass es solche Figuren wie den Vater in der Realität gibt. Auch die Zahlen, die von der Charité kommen, die von einem beträchtlichen Ausmaß an Menschen ausgehen, die diese Neigung haben, aber sie nicht ausleben wollen, bestätigen das. Der Leidensdruck des Vaters ist also durchaus etwas, dem Pädophile, die keine Täter werden wollen, ausgesetzt sind ... S. M.: Im Vater sehe ich einen Menschen, der schon immer mit einem starken Schuldgefühl kämpft. Durch die Enthüllung vor der Familie bricht das auf. Er weiß mit sich nichts anzufangen, weiß nicht, welchen Platz er in der Welt hat. Er will sich letzten Endes ja auch für das bestrafen, was er ist und fühlt. Dieser jahrelange Konflikt, dass er weiß, er fühlt sich zu seiner Tochter sexuell hingezogen, war einfach eine riesige Belastung für ihn. T. R.: Die Reaktion, die er an den Tag legt, diese Art Geständnis, ohne die Konfrontation zu suchen, ohne direkt mit der Familie zu reden. Das ist zur Zeit der Status quo des Umgangs mit der Thematik in der Gesellschaft. Man will darüber reden, weiß aber nicht wie.

S. M.: Andererseits ist die Pädophilie nur eine Facette der Persönlichkeit. Die Sexualität dominiert ja nicht den Menschen, sondern der Mensch dominiert die Sexualität letzten Endes. EinE PädophileR ist nicht nur einE PädophileR. Der/ die hat ja auch Familie, FreundInnen, einen Beruf, ein Netzwerk. T. R.: Es ist tragisch, dass diese Neigung die Menschen oft in die Isolation drängt, weil sie mit niemandem reden können. Ein Großteil der Persönlichkeit muss immer ausgespart bleiben. Das ist die Crux an der Sache. Das sind dann diese einsamen, seltsamen, zurückgezogenen Leute, aber gerade die Einsamkeit, Isolation und Zurückgezogenheit hat total oft mit der Neigung zu tun. Selbst die Suche nach TherapeutInnen gestaltet sich äußerst schwierig. Man braucht große Städte, in denen es aufgeklärte TherapeutInnen gibt – andere schicken einen einfach weg. Das ist schon arg. S. M.: Mittlerweile gibt es auch in Österreich einige Einrichtungen, Präventionsprojekte, an die man sich wenden kann. Aber natürlich, wenn man am Land wohnt, da ist generell die Versorgung schlecht. Da eineN SexualtherapeutIn zu finden, ist sehr schwierig. Gab es negative Reaktionen auf den offenen Umgang mit dem Thema Pädophilie in den Filmen? T. R.: Nein, sogar im Gegenteil. Wir haben Angst vor Toronto gehabt, wo Outing auf einem Dokumentarfilmfestival gelaufen ist, aber dort haben wir ein extrem wohlwollendes, interessiertes Feedback erhalten. Alle wollten über dieses unbekannte Thema Bescheid wissen und hatten nicht die befürchteten Berührungsängste. S. M.: Gerade in Nordamerika gibt es ja sehr viele antipädophile Initiativen. Insofern haben wir uns schon Sorgen gemacht, aber interessanterweise ist der Film noch offener als in Österreich wahrgenommen worden. Die Empathie gegenüber Sven war in Toronto wahnsinnig groß. Auch sein Mut ist sehr anerkannt worden. T. R.: Wohingegen in Österreich manchmal die Gefahr, die von Sven ausgeht, eher in den Vordergrund gerückt wurde. Anmerkung: Das Interview wurde von der Redaktion in geschlechtersensible Sprache übertragen.

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musik

Was ist das überhaupt?..........................................

DUMPSTERN? CONTAINERN? -

Warum aber essen manche Menschen bewusst tel ist und ob sie einen Wert im rechtIn Wien wird alleine so 2 serer Gesellschaft nicht die Bedürfnisse Quellenangaben: 2

THERE’S NOWT SO QUEER AS LADY GAGA Mother monster – Popstar und Schwulenikone

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ady Gaga ist wohl eine der bekanntesten und erfolgreichsten Popsängerinnen des 21. Jahrhunderts – nicht nur aufgrund ihrer EuroDance-Songs. Vielmehr fallen einer im Zusammenhang mit Lady Gaga eher Dinge wie das berühmt-berüchtigte ‚Fleischkleid‘ oder die Gerüchte über ihren angeblichen Penis ein. Der Boulevard bedankt sich und produziert unermüdlich immer neue Schlagzeilen über die Künstlerin, die sich vornehmlich um ihren durchaus als extravagant zu bezeichnenden Kleidungsstil drehen. Dass die New Yorker Sängerin aber auch Vorbild für ihre zahlreichen homosexuellen Fans ist und ihren Status nutzt, um Einfluss auf Gesellschaft und Politik zu nehmen, wissen die Wenigsten.

Knutschen, kuscheln, twittern Lady Gaga ist als ein komplexes Phänomen zu begreifen, welches sich aus verschiedenen Aspekten eines karriereorientierten Kalküls zusammensetzt. Dazu gehören die tanzbaren Popbeats ebenso wie ihre Selbstinszenierung durch extravagante Outfits. Der Höhepunkt dieses Zusammenspiels sind zweifelsohne die Videoclips

Lady Gagas, welche zumeist als Kurzfilme mit zahlreichen popkulturellen Zitaten arrangiert werden. Bemerkenswert dabei ist, dass viele dieser Videos homosexuelles Begehren auf sehr unterschiedliche Art und Weise zelebrieren – so küsst Lady Gaga in Telephone eine Butch, lässt in Alejandro ihre Tänzer miteinander kuscheln und stellt sich gleichzeitig selbst als Objekt homosexueller Begierde für schwule Männer dar und küsst in Love Game einen Polizisten, der sich plötzlich in eine Frau verwandelt. Lady Gaga ist nicht, wie viele andere Popsternchen unserer Zeit, ein Produkt unsäglicher Castingshows. Als ehemalige Schülerin eines katholischen Konvents in New York City entschloss sich Stefani Germanotta, wie Lady Gaga eigentlich heißt, dazu, eine Karriere als Sängerin einzuschlagen. Großen Anteil an ihrem späteren Erfolg hatten dabei ihre Auftritte in den Clubs der New Yorker Schwulenszene. Diesen Grundstein ihrer Karriere weiß Lady Gaga noch heute zu schätzen – so ist beispielsweise ihr Auftritt bei einer Benefizveranstaltung, bei dem sie in Gedenken an den von Homophoben ermordeten Matthew Shepard John Lennons Imagine vortrug, als ‚payback‘ an ihre Karrierewurzeln zu verstehen. Die Bindung zu ihren Fans ist zudem ein weiterer wichtiger Punkt, der das ‚Phänomen Lady Gaga‘ ausmacht. Den Kontakt zu den Fans

weiß Lady Gaga wie kaum ein anderer Popstar zu pflegen – ihre Twitter- und Facebook-Accounts werden regelmäßig up-to-date gehalten, die Zahl ihrer so genannten Follower übersteigt die anderer Prominenter, darunter Teenie-Star Justin Bieber oder US-Präsident Barack Obama, bei Weitem. Die Kommunikation mit ihren Fans geht bei Lady Gaga jedoch auch über das für Stars normale Maß hinaus: Sie nutzt ihre Ansagen bei Konzerten, ihre Mitteilungen bei Facebook sowie ihre Tweets regelmäßig, um Empowerment-Botschaften zu senden. Sich selbst inszeniert sie dabei als mother monster, die ihren Fans – den little monsters – als Vorbild dient. In dieser Narration berichtet sie beständig von ihrem früheren Selbst als Außenseiterin, an deren Erfolg niemand geglaubt habe. Ihre Botschaft lautet, an sich selbst zu glauben und in schwierigen Lebensphasen durchzuhalten. Besondere Aufmerksamkeit lässt sie dabei ihren (jungen) homosexuellen Fans zukommen: Nach dem Selbstmord eines schwulen Fans, den dieser per Botschaft via YouTube angekündigt hatte, entschied sich Lady Gaga, auch in größerem gesellschafts-politischen Rahmen aktiv zu werden und setzt sich seitdem aktiv gegen Mobbing ein. Einem offiziellen Bankett bei Präsident Obama, dem sie ihr Anliegen vortrug, strikter gegen Mobbing an Schulen vorzugehen, folgte die Gründung der

Mrs. Northman

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Stiftung Born this Way , die Jugendlichen eine Plattform zum Austausch bietet und Möglichkeiten offeriert, sich gegen Mobbing-Attacken durchzusetzen bzw. diese durchzustehen. Zudem veröffentlichte sie ein Video, in dem sie sich selbst als politische Sprecherin inszenierte, 2 um gegen die Don’t ask – Don’t tell Doktrin der US-Army zu protestieren, die schließlich auch gekippt wurde. Der Einsatz weiblicher, weißer, heterosexueller Popstars für ihre homosexuellen (dies bedeutet in der Regel schwulen) Fans und die Ikonisierung durch die Szene ist nicht neu – Lady Gaga betreibt ihr Engagement jedoch auf mehreren Ebenen. Neben ihrer Popularität aufgrund ihrer extravaganten Erscheinung und ihrer musikalisch doch eher anspruchslosen, wenngleich auch eingängigen Musik ist es ihr vor allem ein Anliegen, insbesondere für die Anerkennung queerer Lebens- und Liebesformen einzutreten, welcher das ‚Phänomen Lady Gaga‘ auch abseits von Charts und Boulevard interessant macht. Anmerkungen: 1 benannt nach ihrem zweiten Album Born this Way. Der Begriff war auch Motto der diesjährigen Regenbogenparade in Wien. 2 Hierbei handelte es sich um ein Gesetz, welches das Outing von homosexuellen SoldatInnen der USArmy verbot.

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musik

Asphalt & Neonlicht ... INTERCOLLECTIVE INSANITY

E. G.

er SaBislang habe ich vermieden, hier in eigen mal e heut sich rt ände Das che zu schreiben. , kind Zieh ares derb wun Mein se. ausnahmswei ODISC die kleine, feine Wiener Techno-Party treuen LAB, braucht Urlaub. Nicht von ihren st dieAugu 25. Am n: ihne Gästen, sondern mit PKW, dem S40, der mit wir n fahre ses Sommers in! enste Rad oder Fiaker ins Strombauamt Greif – B OLA DISC Of Geplant sind 24 Stunden Besten, Wies dort es gibt licht statt Asphalt und Neon e werSternenhimmel und ordentlich Bass. Einig aber: wen, höre zu das sein, ig traur r siche den werden der Paul Kalkbrenner noch David Guetta l HeroLoca re unse en werd n auflegen. Eingelade und ktive kolle Party er Wien ten liebs es, die uns eigenen ren unse aus nen ndIn Freu viele rlich natü Minimal, backlab-Reihen. Klingen wird das nach m mehr. viele m, viele und e Techno, Electro Hous In- und wird zt getan , mod kom wird Der Eintritt eme. Eiscr r soga es gibt icht vielle und – oor Outd phie iloso B-Ph OLA Und ganz im Sinne der DISC n ische klass den um Linie wird es in allererster Wer . feiern und n tanze insam geme n: Rave gehe en mit stressen will, muss gehen; alle anderen werd sehen Wir . ißen gehe offenen Armen willkommen … ht o-Lic Strob dem r unte – uns hoffentlich dort Greifenstein OUTLAB – 25./26.08.2012 – Strombauamt acklab.at olab.b /disc Mehr Infos demnächst auf: http:/ 382/ 29503 61879 ts/20 /even .com https://www.facebook ity) insan ive ollect (outlab – interc

REINVENTING LAURA JANE GRACE Tom Gabel ist jetzt Laura Jane Grace und Against Me! sind immer noch eine der wichtigsten Punkbands überhaupt – jetzt mehr denn je.

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gainst Me! aus Gainesville in Florida gehören definitiv zu der Kategorie Bands, die schon so viele Konzerte auf dem Buckel haben, dass sich mittlerweile wohl Routine eingeschlichen haben dürfte. Doch als sie am 25. Mai dieses Jahres in San Diego die riesige Open-AirBühne erklommen, auf der sie als Vorband für The Cult auftraten, muss es dennoch etwas ganz Besonderes gewesen sein – denn es war die erste Show der Band, bei der nicht mehr Tom Gabel, sondern Laura Jane Grace am Mikrofon stand.

Coming-out im Rolling Stone Keine zwei Wochen zuvor hatte Gabel in einem Interview mit dem amerikanischen Musikmagazin Rolling Stone erklärt, er fühle sich schon lange als Frau und wolle in Zukunft als

eine leben. Er oder besser gesagt sie habe bereits mit der Einnahme von Hormonen begonnen und wolle in Zukunft den Namen Laura Jane Grace tragen. Ihre Ehefrau Heather unterstütze diesen Schritt und die beiden wollen weiterhin zusammenbleiben. Die Nachricht schlug in der Welt der Punkund Rockmusik ein wie eine Bombe. Dabei hatte es durchaus Anzeichen für diesen Schritt gegeben. Bereits 2007 hieß es in dem Song The Ocean: „[…] if I could have chosen I would have been born a woman“. Als die Band eben jenen Song in San Diego spielte, brach die Menge Augenzeug_innenberichten zufolge spontan in Jubel aus. So zeigte Grace sich nach dem Auftritt auch sichtlich gelöst und erfreut darüber, dass ihr Schritt offenbar auf breite Akzeptanz stößt. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Immerhin ist ein Coming-out als trans* auch heute noch mit der Gefahr der Zurückweisung oder gar Schlimmerem verbunden, da Trans*phobie nach wie vor zu den am weitesten verbreiteten Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gehört. Umso erfreulicher ist daher die Welle der Solidarität und Unterstützung, die

Jan Tölva

Grace jetzt entgegenkommt. Mike Shinoda von Linkin Park äußerte öffentlich seine Unterstützung, ebenso wie Brian Fallon von The Gaslight Anthem oder der Profiwrestler CM Punk.

Du bist nicht alleine! Laura Jane Grace ist jedoch nicht die erste prominente Musiker_in, die diesen Schritt gewagt hat. Das bekannteste Beispiel neben Grace ist wohl Mina Caputo, die früher unter dem Namen Keith Caputo bei der Alternative-Rock-Band Life of Agony sang und später eine Solokarriere startete. Der_die kanadische Country-Musiker_in Rae Spoon dagegen erklärte im vergangenen Jahr, nach zehn Jahren als female-to-male Trans*person, sich nicht mehr als „he“, sondern als „they“ zu bezeichnen, um dem eigenen Nicht-Identifizieren mit beiden Geschlechtern Ausdruck zu verleihen. Eine Entscheidung, die zwar nachvollziehbar, aber rein sprachlich leider recht schwer ins Deutsche zu übersetzen ist, da im Deutschen „they“ genauso „sie“ bedeutet wie „she“. Es wäre einfach und billig zu sagen, dass es doch eigentlich egal ist, welches Geschlecht

ein_e Musiker_in hat. Schließlich kommt es doch nur auf die Musik an. Doch ist die Position, aus der heraus eine Person, die trans* lebt, singt und musiziert, unweigerlich eine andere wie die einer cis-Person1. Sie stößt zwangsläufig an sichtbare wie unsichtbare Grenzen, die für andere gar nicht wahrnehmbar sind. Songs, die diese Erfahrungen verarbeiten, sind oft ebenso wichtig wie interessant. Die Stärke von Bands und Musiker_innen wie Against Me! oder Rae Spoon war schon immer die Art und Weise, wie sie über ihr eigenes echtes Leben sangen, statt sich in unkonkretem Blabla zu ergehen. Daher wird sicher sehr spannend zu hören, was Laura Jane Grace auf der kommenden Platte ihrer Band zu erzählen hat. Der programmatische Titel der Platte, Transgender Dysphoria Blues, verspricht jedenfalls Einiges. Anmerkung: 1 Da im Lateinischen ‚cis‘ (‚diesseits von‘) das Gegenteil von ‚trans‘ (‚jenseits von‘) bezeichnet, hat sich der Begriff ‚cis‘ als Bezeichnung für all jene, die nicht trans* sind, eingebürgert.

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brot & spiele

SOMMER, SONNE, KUBB Was tun im Park? Eine Alternative zu anstrengenden Ballspielen oder langweiligem In-der-SonneLiegen ist Kubb.

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as Spielprinzip von Kubb ist einfach und besteht im Wesentlichen daraus, mit Holzstäben aus einigen Metern Entfernung Holzklötze umzuwerfen. Zum Spielen werden ein Kubb-Set, eine in etwa fünf mal acht Meter große, ebene Wiese sowie zwei bis zwölf Spieler*innen benötigt. Ist das Spielfeld abgegrenzt, der so genannte ‚König‘ (ein etwas größerer Holzklotz) in der Mitte platziert und die fünf Holzklötze (oder Kubbs) an den Schmalseiten aufgestellt, kann das Spiel beginnen. Jedes Team hat nun sechs Würfe mit etwa 30 cm langen Holzstöcken, um die Kubbs am anderen

Ende des Spielfelds zu treffen. Gelingt das, wird der umgeworfene Kubb ins gegenüberliegende Halbfeld befördert und aufgestellt. Er muss zuerst getroffen werden, bevor wieder die Holzklötze an der Grundlinie anvisiert werden dürfen. Das Spiel ist zu Ende, wenn ein Team alle gegenüberliegenden Kubbs auf der Grundlinie getroffen und anschließend den ‚König‘ zu Fall gebracht hat. Ein Vorteil von Kubb ist zweifelsohne die flexible Anzahl an Mitspieler*innen, sodass ein Spiel zu zweit genauso wie zu zwölft möglich ist. Auch zu spät kommende Freund*innen oder zufällig getroffene Bekannte können gleich einsteigen. Kubb-Spieler*innen müssen nicht besonders sportlich sein und benötigen keine speziellen Fähigkeiten, auch wenn ein gewisses Maß an Geschicklichkeit natürlich von Vorteil ist. Ein kleines taktisches Element be-

David Fließer

reichert das einfache Spielprinzip, womit Kubb auch über mehrere Spiele hinweg nicht eintönig wird. Wer jedoch kaum oder keinen Spaß daran hat, mit Holzstäben auf andere Holzblöcke zu werfen, wird an Kubb nur wenig Gefallen finden oder das Interesse schnell wieder verlieren. Ein Nachteil ist zudem, dass die vielen Holzteile nicht so leicht zu transportieren sind wie zum Beispiel ein Kartenspiel. Was Kubb im Allgemeinen zu einer so angenehmen und gemütlichen Sommer-Aktivität macht, ist die Tatsache, dass ein Gespräch nebenher ebenso wenig stört wie eine Zigarette in der Hand oder ein Getränk währenddessen. Zusätzliche Infos: Ein Kubb-Set kostet in etwa 30 Euro. Eine ausführlichere Beschreibung der Regeln unter: http://www.kubbaner.de/download/Kubb-Spielregeln.pdf

GAUMENFREUDE, SCHÖNER GÖTTERFUNKEN

Simon Sailer

Warum ein Linseneintopf so zu essen, wie ein Stück von Beethoven zu hören ist.

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eltanschaulich haftet dem Eintopf ein schlechter Ruf an. Er gilt als brauner Einheitsbrei, als Gefängnisfraß, bei dem die Zutaten zu einem ekelhaften Geschmacksgeräusch verschwimmen. In Filmen dient er oft dazu, das Elend der Armut oder des Gefängnisses zu versinnbildlichen und auf Partys befriedigt er den Hunger der seelenlosen Gästinnenschaft. Dabei hält der Eintopf am ehesten noch jenem Vergleich stand, dem sich kulinarische Schöpfungen oft stellen müssen: dem mit der Musik. Wer kennt nicht die Speisekarte im Restaurant Sinfonie, das sich in jeder größeren Stadt zumindest einmal findet, in der aus der Schnitzelplatte ein Ensemble vom Gebackenen gemacht wurde und aus dem Obst-Dessert ein Quartett von Früchten? Eine wirkliche Polyphonie, einen Zusammenklang aller einzelnen Geschmackselemente, die erst nachschmeckend auseinandergelegt werden, bleibt aber

streng genommen dem Eintopf vorbehalten. Er stellt Speisende vor dieselbe Herausforderung, vor die auch durchkomponierte Musik die Hörerinnen stellt: sie müssen das Stück auseinanderhören, um es als Ganzes zu erfassen.

Linsenkanon Es sei etwa an einen Kanon gedacht. Richtig gesungen hört er sich zunächst schön an, wie aus einem Guss. Wer aber diesem schönen Schein auf den Grund gehen will, muss sich die Mühe machen, gedanklich die einzelnen Stimmen zu isolieren. Sie wird dann bemerken, dass es so etwas wie eine Bass-Stimme gibt, einen KanonTeil, der sehr tief und gleichförmig gesungen wird. Bei einem bekannten Kanon ist das zum Beispiel „He, Ho! Spann den Wagen an“. Oder in seiner linken Abwandlung: „Wehrt euch, leistet Widerstand!“ Dann folgt eine Stimme in mittlerer Lage und darüber wird eine Oberstimme gesungen: „Denn der Wind treibt Regen übers Land – Holt die gold’nen Gaben, holt die gold’nen Gaben.“ Nicht jeder Kanon hat genau diese Struktur, aber so oder so ähnlich ist

das Prinzip, das sich entdecken lässt, wenn die einzelnen Stimmen auseinandergehört werden und dann wieder zusammengesetzt. Kehren wir nun gedanklich zum, auf den ersten Blick weniger erfreulichen, Eintopf zurück. Auch hier könnte es lohnen, sich einem Beispiel zuzuwenden. Wie wäre es etwa mit einem schmackhaften Linseneintopf klassisch mit Speck oder – auch sehr lecker – in Knoblauch und Olivenöl knusprig gebratenen Räuchertofuwürfeln? Darin sitzt gerne ein großer Semmelknödel, hoffentlich frisch gemacht mit viel Zwiebeln und Petersilie. Der wird aber ignoriert, weil er nicht so wirklich in die Theorie passt: Er ist so etwas wie eine Gitarrenbegleitung bei einem Kanon, passt hervorragend dazu, ist aber dem Kanon äußerlich.

Mahlzeit aus Elysium Der erste Löffel Linseneintopf affiziert zunächst den ganzen Geschmacksapparat auf einmal. Auf der Zunge der vollmundige nussige Geschmack der weich- aber nicht zu weichgekochten Linsen, die angenehme Bitterkeit des Lor-

beers und die feine Schärfe von frischem Pfeffer, die sanft vom Sauerrahm gedämpft wird, der dem Ensemble einen weichen, geschmeidigen Klang verleiht. In die Nase steigt eine Note von Thymian, gefärbt vom Rauchigen des Specks oder Räuchertofus, der noch um ein aromatisches knoblauchiges Timbre bereichert. Beim Kauen machen sich schließlich die Konturen bemerkbar, für welche die mit den Zwiebeln angeschwitzten fein gewürfelten Karottenstücke sorgen, die schon als farblicher Kontrastpunkt der optischen Komposition als Kontrapunkt dienen durften. Im Abgang bleibt ein befriedigender Nachklang von Geschmäckern zurück, der dennoch zum nächsten Bissen drängt. Schon die Beschreibung des Geschmacks dieses einfachen Linsengerichts lässt die Kleinteiligkeit erkennen, welche der Eintopf zu verbergen neigt und die sich erst der schmeckenden Genießerin in ihrem Reichtum offenbart. Der durchdacht komponierte Eintopf muss also den Vergleich mit der Musik nicht scheuen und darf auch gegessen werden wie ein Stück von Beethoven zu hören ist: oft und mit Genuss, schwelgend in Gedanken an eine bessere Welt.

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lesen

KEINE STUNDE NULL

Alessandro Volcich

Der historische Faschismus gedieh in einer von permanenter Krise und Sinnlosigkeit gezeichneten Epoche des nachbürgerlichen Kapitalismus. In dieser Situation versprach er nicht die Abschaffung des Elends, sondern Elend plus psychischem Mehrwert. Dieserart Krisenlösungsmodell gelang am konsequentesten in der verwirklichten Überwindung der Klassenspaltung im Mordkollektiv, auch Volksgemeinschaft genannt. Weil die Gesellschaft immer noch auf Opfer und Versagung beruht, ist die selbstbewusste Vernichtung von Menschen nach wie vor globales Modell antisemitischer Krisenpolitik. In den Nachfolgestaaten des Dritten Reichs scheint dies aber anders. Staatsraison ist hier nicht mehr ein sich Drücken vor der Verantwortung, sondern die selbstbewusste Vergangenheitsbewältigung und damit ihre Historisierung. Denn Hitlers Helfer und Frauen sind ja nun wirklich vergangen. Hierzu trägt eine empiristische Sozialwissenschaft einen maßgeblichen Teil bei, indem sie das Nachleben nazistischer Elemente nach 1945 nur in der gleichbleibenden personellen, institutionellen und ideologischen Kontinuität wahrnimmt, die aber großteils verschwunden ist. Der durch allen Wandel hindurch wesentliche Kern des postnazistischen Gemeinwesens ist immer noch die Bejahung des Selbstopfers fürs Gemeinwohl, die ohne Verschwörungsglauben nicht auskommt. Postnazismus ist also keine Chronologie im Sinne eines Epochenetiketts, sondern der Versuch, eine bestimmte politökonomische Konstellation und ihr adäquate Bewusstseinsformen zu begreifen. So wird verständlich, weshalb die demokratischen FaschistInnen von der FPÖ bis zu Anders Breivik Israel als ihren Bündnispartner imaginieren, gleichzeitig aber die geschichtlichen Bedingungen dieses Staats verschweigen müssen. Stephan Grigat (Hg.): Postnazismus revisited. Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert. ça ira-Verlag. Freiburg 2012. 288 Seiten. 18,– EUR

KAPITALISMUS UND ADORNO Comics und Graphic Novels aus den Bereichen Theorie, Politik und Geschichte erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Doch den Kapitalismus oder Theodor W. Adorno ins Bild/ Text-Format zu übersetzen birgt Risiken.

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as Angebot an derartigen Büchern ist mittlerweile recht groß. In kleine Häppchen unterteilt und umfangreich illustriert werden den LeserInnen Theorien entweder gebunden an Personen wie Karl Marx, Michel Foucault, Sla1 oder thematisch gegliedert (‚Ethik‘, ‚Psychoanalyse‘, ‚Relativitätstheorie‘ uvm.) nähergebracht.

Daktari und Talking Heads Die Graphic Novel Theodor W. Adorno von Ansgar Lorenz und Reiner Ruffing beginnt biographisch und wird dann theoretischer. Geboten werden Infoboxen zu Personen wie Marcel Proust, Arnold Schönberg, Walter Benjamin, Ingeborg Bachmann oder Martin Heidegger. Dazu kommen zahlreiche Exkurse; etwa zum kategorischen Imperativ und Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein. Bereits auf Seite 7 üben sich die Autoren in kruden Vererbungstheorien. Es wird erwähnt, dass Adorno einen jüdischen Vater und eine katholische Mutter hatte. „Von seinem Vater hatte

der katholisch getaufte Adorno wohl einen gewissen Sinn für finanzielle Fragen (…) geerbt“, heißt es im darauffolgenden Satz. Die Kombination Biographie/Theorie, deren Wechselwirkung Detlev Claussen in Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie so gekonnt meisterte, scheitert in der Graphic-Novel-Version. Nicht aufgrund des Mediums, sondern wegen des Unvermögens der Autoren, Adornos Texte so ernst zu nehmen, dass wenigstens die daraus abgeleiteten Witze zum Lachen statt zum Kopfschütteln animieren. Viele geben lediglich die gängigen Irrtümer der Adorno-Rezeption wieder. So wird etwa behauptet, zu den menschlichen Schwächen des „großen Kritikers der Kulturindustrie“ zähle lediglich, „dass er regelmäßig im ZDF die Serie Daktari (...)“ verfolgte. Hier schwingt die oftmals in den Raum gestellte Behauptung mit, Adornos Fernsehkritik oder gar die gesamte Kritik der Kulturindustrie sei nicht ernst zu nehmen, da der Kritiker selbst die Gegenstände seiner Kritik konsumierte. Auch sonst wird man mit reichlich PartyGossip-tauglichen Anekdoten aus der Welt der Kritischen Theorie ausgestattet. Die Autoren folgen damit ganz den Vorgaben der Reihe, die statt „komplexe Einführungen“ zu liefern, mit „reichlich anekdotischem und biographischem Material“ versucht, das „Denken der Philosophen“ zu erschließen. Kapitalismus. Ein Sachcomic von Dan Cryan und Sharron Shatil erzählt die Geschichte des Kapitalismus anhand männlicher Talking

Florian Wagner

Heads. Ein komplexer ökonomisch/historischer Prozess wird zu einer Aneinanderreihung der Ideen männlicher Denker. Adam Smith, Thomas Hobbes, Karl Marx und die Theoretiker der Frankfurter Schule stellen den LeserInnen ihre Theorien vor und erzählen, wie diese die Welt zugleich erklärt und verändert haben.

Kraken und McDonalds Gleich zweimal wird Queen Victoria als Riesenkrake, die ihre Fangarme um den Globus schlingt, gezeigt. Ob der Kopf Queen Victorias die Krakenzeichnung von ihrer antisemitischen 2 Bildtradition befreit, scheint fraglich. Die einzige prominent vorkommende Frau als weltverschlingendes Monster zu zeichnen, ist fragwürdig genug. Nur fallweise sind Arbeiterinnen oder Bäuerinnen zu sehen. Zu Wort kommen sie jedoch nicht. Selbst der Umstand, dass Frauen während des Ersten Weltkriegs in großer Zahl als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, erklärt uns Lord Kitchener und keine der zwei ArbeiterInnen, auf deren Schultern sich in paternalistischer Pose der rechte Arm des Lords befindet. Vor Klischees schreckt man generell nicht zurück. Hier ein grimmig aussehender Uncle Sam, der sich die Welt mit Deutschland aufteilt. Da eine Landkarte Europas und Nordafrikas, auf der die muslimischen Königreiche durch einen grimmig dreinblickenden, bärtigen, mit einem Schwert drohenden Muslimen symbolisiert werden.

Auch der Adorno-Comic ist nicht arm an problematischen Bildern. Etwa wird Seite 31, die sich der Dialektik der Aufklärung und der Frage der Möglichkeit von Kunst nach Auschwitz widmet, mit einem Engel, der ein Schwert trägt, illustriert. Der Engel ruft: „Verschwindet! Zur Strafe gibt es nur noch McDonalds und Privatfernsehen.“ Bezieht man andere Stellen mit ein, fällt eine latent antiamerikanische Lesart der Texte Adornos auf. So werden etwa die Minima Moralia lediglich als Zusammenfassung von Adornos „negativen Erfahrungen in Amerika, wo er sich nie so richtig heimisch fühlte“, vorgestellt. Auch wenn die Lektüre des Kapitalismus-Comics im Vergleich zur Adorno-Einführung nicht ganz so ernüchternd war, lassen beide viele Fragen offen. Zwingt die bildliche Darstellung zur Verkürzung? Die Bilder könnten andere sein, drängt sich als Antwort auf. Geschichte muss nicht zwangsläufig von männlichen Talking Heads erzählt werden, genauso wie Graphic Novels problemlos ohne latent antisemitische oder antiamerikanische Bildkompositionen auskämen. Die Entscheidung liegt bei AutorInnen, IllustratorInnen und den Verlagen. Anmerkungen: 1 Weder in der INFOcomics-Reihe noch bei Philosophie für Einsteiger ist bis jetzt ein Buch über eine Theoretikerin erschienen. Eine Übersetzung der auf Englisch erschienenen Graphic Novel Feminism wurde bisher nicht angekündigt. 2 Siehe auch # 06/12 „Acta und die Kraken“

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zeichnen

„SOWAS KENNT MAN HIERZULANDE NICHT“

Christoph Schwarz

Oliver Schopf ist Karikaturist, Gerichtszeichner und Chefillustrator beim heimischen Standard, zeichnet regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung, das Schweizer Satireblatt Nebelspalter und ist ständiger Mitarbeiter des New York Times Service, USA sowie der Pariser Wochenzeitung Courrier International. UNIQUE traf den Zeichner in den Weiten des Cyberspace und hat mit ihm über Weltklasse-Karikaturen gesprochen. Was regt Sie zum Zeichnen an? Ich denke in Bildern, also formieren sich in mir immer Bilder, egal wenn ich wo was aufschnappe oder sehe. Ein_e ‚schreibende_r‘ Karikaturist_in wird mehr auf die Sprache achten. Ich tue das zwar auch, aber immer ist es eine Sprache, die sehr bildhaft ist. Abstrakte philosophische Sprache funktioniert in diesem Job nicht. Bekommen Sie Aufträge von ihren Zeitungen oder sind Sie völlig frei in der Themenwahl? Ein_e gute_r Karikaturist_in arbeitet immer völlig frei. Das dauert aber und das muss man sich erarbeiten. Wenn einem ein Thema mit Umsetzung vorgesagt wird, wird’s meistens schlecht. Anregungen ja, Aufzwingen nein. Wie sind Sie zum Standard gekommen? Oscar Bronner suchte 1988 eine_n Cartoonist_in für den Standard und holte mich von der Krone weg. Zum Glück. Ich zeichnete damals gerade ein paar Monate für die Krone, aber nicht, was ich, sondern was Dichand wollte. Der schmiss mir viele Zeichnungen raus, sodass ich froh war, zu Bronner gehen zu können. Bei der Krone kann man nicht zeichnen, weil dort diktatorische Zustände herrschen. Da kann man gleich in Nordkorea arbeiten oder in China.

Was macht eine ‚gute‘ Zeichnung, eine ‚gute‘ Karikatur aus? Tja, man muss sie schnell kapieren. Das ist einmal das Wichtigste. Und dann sollte sie in meinen Augen noch vielschichtig sein. Dass man beim Hinsehen noch anderes entdeckt, was bildhaft angedeutet wird. Z. B. habe ich eine Zeichnung gemacht, wie Faymann sein Profil schärft, als Koch mit einer Pfeffermühle. Ich kam übers Schärfen auf den Pfeffer und über diesen zum Kochen. Da entsteht dann eine eigene Logik. Hauptaussage ist: Das Profil mit Pfeffer schärfen und dann kann man in der Küche noch was dazu machen. Hier ist das Zeichnen des Gesichtes auch wichtig, was Zeit in Anspruch nimmt. Der Tupfen auf dem i war dann noch der Titel, der zum Schluss kam: Kochen wie ein kleiner Chef. Das ist dann eine gute Karikatur. Mir ist auch eine gewisse Atmosphäre wichtig, ich mache gerne Landschaften oder die Büros von Politiker_innen, weil die sehr viel aussagen. Manche, nicht alle Kolleg_innen finden das überflüssig, den Anlass zu überfrachtet, weshalb ihre Arbeiten dann so oberflächlich daherkommen; aber man kann das so reduzieren, um der eigentlichen Idee noch Zusatzebenen zu geben. Das ist dann in meinen Augen eine Weltklassekarikatur. Hier habe ich Vorbilder aus den USA: Pat Oliphant und Jeff MacNelly. Echte Kapazunder. Googeln Sie die mal! Sowas kennt man hierzulande nicht, in dieser Zwergenrepublik. Besonders in Ihren aquarellierten Zeichnungen sieht man ganz viele Farbspritzer und Kleckse – ist es Ihnen wichtig, dass man sehen kann, wie die Zeichnungen entstanden sind? In der Regel ja. Aber die Farbspritzer dienen nicht diesem Zweck, sondern der Lebendigkeit und der Atmosphäre. Ich habe mir diese Handschrift über Jahre erarbeitet, weil ich Künstler_ innen studiert und kopiert habe, um eben deren Handschrift zu entziffern. Mir ist die Lebendigkeit in einer Zeichnung wichtig. Nur die knallharte Idee, mit wenigen Strichen hingetuscht, mag ich nicht. Es ist nur Verstand, nur Denken – mir sind auch das Gefühl und die Seele wichtig!

Bei abstrakten Themen wie Geld stelle ich es mir schwierig vor, Bilder zu assoziieren ... Wieso schwierig? Man muss eben nicht wie Otto Normaldenker nur in Geldscheinen und Münzen denken. Man muss Bilder und Metaphern für abstrakte Dinge finden, die bei allen bekannt sind. Schwierig wird’s allerdings bei philosophischen Begriffen wie Subjektivität oder Apperzeption des Individuums. Das sind dann meist Knacknüsse. Oder Ausdrücke aus der Wirtschaft. Zeichnen Sie mal Nachhaltigkeit! Da muss man fast wie ein Märchenerzähler an die Sache rangehen und Geschichten erfinden. Geht Ihnen Griechenland schon auf die Nerven? – die Motive scheinen sehr beschränkt zu sein, wenn man sich so umschaut. Nein, wieso? Griechenland hat viele Klischees, schon wegen dessen Geschichte, wie Italien oder Ägypten. Man kann froh sein, solche Länder zu haben. Machen Sie mal eine Zeichnung über Tunesien, die man in Österreich verstehen soll. Viel Spaß! Überhaupt ist das mit dem Verstehen in den verschiedenen Ländern so eine Sache. In Italien oder Frankreich würden mir vielleicht Karthago und Hannibal einfallen, weil die das verstehen, in Österreich versteht man ja nur Musikantenstadl, Blasmusik und Co. Es nervt mich, dass man oft auf das zwergische Niveau hier runtergehen muss. Im Standard verwende ich aber trotzdem ‚Unbekannteres‘, weil die Leser_innen vielleicht doch gebildeter sind. Allerdings mit der Jugend ist das auch schon schwierig. Da herrscht meist nur Breitenwissen vor und eine Menge Internet... Im Übrigen finde ich auch, je gebildeter und wissender man ist, umso mehr Bilder steigen in einem hoch. Und die Querverbindungen und Assoziationen wachsen. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos fällt mir immer Thomas Manns Zauberberg ein. Ein Fressen für eine_n Zeichner_in. Welche Rolle spielt Ihrem Verständnis nach die Karikatur/Zeichnung in einer Zeitung gegenüber Text und Foto? Ein Foto dokumentiert. Z. B. Merkel sucht ihren Standpunkt beim Gruppenfoto. Das kann

sehr komisch sein, aber nur, weil es eine Momentaufnahme ist. Wenn aber ein Bild vom_ von der typischen Österreicher_in gefragt ist, hilft ein Foto kaum, da ist eine Zeichnung unschlagbar. Denken Sie an Deix! Oder wenn Meischberger sagt, „da bin i supernackt!“ Das kann man nur zeichnen, mit all der Phantasie, die man hat. Oder Zuckerberg geht an die Börse – aussichtslos für ein Foto. Nicht für eine Zeichnung. Da gibt’s die Bullen und Bären und schon haben Sie Bilder fürs Gestalten. Gerade dieser Unterschied macht die Zeichnung so wichtig für eine Zeitung. Gibt es in den Zeitungen zu wenig Platz für Gezeichnetes? Ist es reizvoller, in normalen Zeitungen zu veröffentlichen als zum Beispiel in Satire- oder Comic-Magazinen? Aber nein, es hängt von der Zeitung und ihren Macher_innen ab. Haben Sie Chef_innen, die die Zeichnung lieben, leben Sie im Eldorado. Egal ob Tageszeitung oder Satire/ Comicmagazin. Im Übrigen halte ich die Zeichnung für essenziell in einer Zeitung, weil sie das Angebot vergrößert. Viele wollen einfach nicht mehr alles lesen, eine Zeichnung kann alles sagen. Libération oder der Courrier Internationalin Frankreich arbeiten fast ausschließlich mit Zeichnungen. Chapeau, kann ich da nur sagen, die haben’s kapiert. Zeitungen, die Zeichnungen vernachlässigen, haben schlechte Blattmacher_innen. Ich lese z. B. heute Die Zeit nicht mehr, weil es dort nach dem Tod der großartigen Gräfin Dönhoff keine Zeichnungen mehr gibt. Ein Fall von publizistischer Engstirnigkeit, aus Gründen von Sparmaßnahmen und Fehleinschätzungen der Leser_innen. Sich Zeichner_innen zu halten kostet zwar was, macht aber die Attraktivität einer Zeitung größer. Viele kaufen oft die Zeitung nur wegen der Zeichner_innen. Anmerkung: Das Interview wurde von der Redaktion in geschlechtersensible Sprache übertragen.

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