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Wunderheilung, Spuk und Störtebekers Schätze

Foto: TV FDZ, Julia Bülow

Das sagenumwobene Fischland-Darß-Zingst

Mystische Moorlandschaften, tiefe Wälder und ein Meer, in dem das „Atlantis des Nordens“ versunken sein soll – welch ideale Voraussetzung für die Entstehung und Bewahrung von Sagen und Legenden! Von der Steinzeit bis heute gibt es auf Fischland-Darß-Zingst so einiges zu entdecken und nachzuspüren, was sich an der magischen Schwelle zwischen Wahrheit und Mythos bewegt.

Der Wahrheit recht nah ist man dort, wo Funde aus der Bronzezeit und zum Teil sogar aus der mittleren Steinzeit belegen, ab wann die Gegend von Menschen besiedelt wurde. Wo Menschen sind, da sind Geschichten. So auch die der Fischländer Kirche in Wustrow, deren früher Vorläufer auf keinen Geringeren als den slawischen „Gott der Götter“ Swantewit zurückgeht: Sein Schimmel soll den Kirchhügel mit den Hufen aufgeworfen haben. In nur einer Nacht. Da die Aufschüttung des Hügels als künstlich nachgewiesen wurde, sind wir nun also mittendrin in den Geschichten, die unsere Orte und Landschaften noch ein bisschen spannender machen!

Ein Abbild des slawischen Gotts Swantewit
Foto: Voigt & Kranz UG

Von Störtebeker zum „swatten Darß“

Eine, die sich mit diesen Geschichten richtig gut auskennt, ist Antje Hückstädt. Die Leiterin des Darß Museums in Prerow nimmt uns mit auf eine kleine Reise durch die sagenumwobene Region – und verrät uns gleich zu Beginn ihre Lieblingssage: „‚Die Schatzhüterin bei der Seeräuberburg’ ist eine ganz wichtige Sage.“ Schnell erfahren wir, warum: Sie spielt an der Hertesburg. Dort, wo Klaus Störtebeker der Legende nach seine Schätze versteckt haben soll.

Die wiederum werden von einer hübschen Jungfrau gehütet, die sich nur einmal pro Jahr zeigt: In der Johannisnacht verlässt sie ihr unterirdisches Reich, zieht mit einem Korb voller Wäsche an den Prerower Strom und wartet darauf, von ihrem Schicksal erlöst zu werden. Doch dafür braucht es einen Mann. Und die richtigen Worte …

Während die Schatzhüterin eine romantisch-schöne Sage ist, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen in ihren Bann zieht, hat insbesondere der Darß auch seine düsteren Seiten: „Hier spukt es gleich an mehreren Stellen“, weiß Antje Hückstädt. Bevorzugte Spukorte sind Wegkreuzungen und morastige Wege. Besonders gruselig wird es am Peters Kreuz. Dass sich ausgerechnet hier, am heutigen Wasserwerk, Gestalten wie kopflose Reiter zeigen, ist laut der Regionalexpertin kein Zufall: „Wo Wasseradern verlaufen, schlägt gerne mal der Blitz ein. Das ist ein Phänomen, das den Menschen Angst macht. Aus solcher Angst heraus entstehen Sagen und Legenden.“ Das gilt natürlich auch für „den swatten Darß“, den Wald, wo Spukgeschichten nicht wegzudenken und bis heute im aktiven Kulturgut der Einheimischen verankert sind.

Stolze Seefahrertradition

Weil gerade die Rede von Einheimischen ist: Die sind bekannt für ihre Traditionen und so manche reicht schon weit zurück. Haben Sie auf einem Ihrer Spaziergänge über den Darß vielleicht schon mal kleine Hunde aus Porzellan in einem Fenster sitzen gesehen? Ja? Dann haben Sie ein Relikt aus der Zeit der aktiven Segelschifffahrt erspäht! Mitte des 19. Jahrhunderts fuhr der Großteil der Darßer Männer zur See. Ein beliebtes Mitbringsel waren die sogenannten Kaminhunde. Diese englischen Porzellanfiguren mit goldener Lüsterglasur waren, so Antje Hückstädt, „echte Hingucker“. Da es im Unterschied zu den englischen Häusern auf dem Darß jedoch kaum Kamine gab, bekamen die Darßer Porzellanhunde ihre Plätzchen in den Fenstern. Und sie hatten eine wichtige Informationsaufgabe: „Schaute der Hund aus dem Fenster und sehnsüchtig dem Seefahrer hinterher, war dieser unterwegs. Guckte der Hund nach drinnen, war der Seemann zuhause.“

Was ursprünglich ein Zeichen für die Dorfgemeinschaft war, die der ausgezeichnete Ruf der in die Welt hinaus fahrenden Darßer Seeleute mit Stolz erfüllte, wurde über die Jahre zum Skandal: In Hamburg symbolisierte der nach draußen blickende Hund in manchem Fenster schon bald nicht nur, dass der Herr des Hauses auf dem Meer war, sondern damit die Frau frei für andere Männer. Eine Schande für die Darßer, wo in der dörflichen Struktur doch sehr auf einen guten Ruf geachtet wurde. Antje Hückstädt weiß zu ergänzen, dass die neue Hamburger (Un-)Sitte die Darßer Seeleute mitunter so sehr verärgerte, dass das kostbare Porzellan teilweise sogar zerschlagen wurde. Doch wie es oftmals ist im Leben: „Irgendwann hat sich auch das beruhigt und man hat die Tradition wieder aufleben lassen“, so Hückstädt. Womit es eben lohnt, ganz vorsichtig einmal Ausschau zu halten nach weiß-güldenen Porzellanhunden in Darßer Fenstern.

☛ TIPP

Born, Wieck, Zingst, Prerow – Antje Hückstädts Empfehlung für noch mehr Ortsgeschichte und -geschichten sind geführte Spaziergänge. Und in Prerow natürlich der noch recht neue Sturmflut-Erkundungsweg: Auf einer Strecke von zehn Kilometern veranschaulichen zehn Infotafeln, welch immenses Ausmaß die Sturmflut hatte, welche die Region im November 1872 heimsuchte.

Die Hunde aus Porzellan waren eins ein beliebtes Mitbringsel der Seefahrer
Foto: Voigt & Kranz UG

Wo Wunder geschehen

Während die Darßer hinaus in die Welt spazierten, gab es auch Anlässe, die Menschen früh in die Region Fischland-Darß-Zingst zogen. Einer dieser Anlässe ist die Wunderquelle von Kenz bei Barth. Um die „Wundertätige Maria von Pommern“, Maria Pomerana Miraculosa, die mit einem Zepter den Weg zur Quelle gewiesen haben soll, entsprang eine nennenswerte Marienverehrung, die bis zur Reformation anhielt. Um 1400 wurde die Wallfahrtskirche von Kenz erbaut. Die Verbindung von dortigem Ablass und dem als heilend geltenden Quellwasser machte Kenz zum bedeutendsten Wallfahrtsort Vorpommerns. Heute ist die Quelle mit einem neuen Brunnenhaus umbaut; eine freistehende Pumpe gewährt den Zugang zum Wunderwasser. Besonders gerne nutzen Radfahrer und Wanderer die Möglichkeit, etwas davon in kleine Fläschchen abzufüllen. Vor oder nach dem Besuch der Kenzer Kirche mit ihren beeindruckenden mittelalterlichen Glasmalereien.

Als heilend geltendes Quellwasser gibt es in Kenz
Foto: Voigt & Kranz UG

Doch damit nicht genug der Wunder. Die Wundereiche im Stadtwald von Barth soll bis ins 19. Jahrhundert hinein vor allem gegen Leiden wie Gicht oder Rheuma gewirkt haben. Jedoch nicht ohne eine gewisse Anstrengung: Um in den Genuss des positiven Effekts zu kommen, musste man durch die Öffnung, welche durch eine Verwachsung eines Astes mit dem Stamm entstanden war, klettern. Dies war Menschen vorbehalten. Als ein Schäfer seinen lahmenden Hund durch die Öffnung sandte, war es mit der Heilkraft vorbei. Geblieben ist ein Baum, dessen Besuch nichtsdestotrotz aufgrund seiner besonderen Wuchsform lohnt.

Außerdem lohnt es ganz gewiss, auf weitere Spurensuche zu gehen. Denn schließlich warten da noch Rätsel wie das um den Maler Alfred Partikel, dessen Verschwinden im Ahrenshooper Holz 1945 bis heute nicht geklärt ist. Die Slawenburg Pantlitz birgt Geschichten, die mit bitterlichen Kämpfen zu tun haben, wo man heute eine entspannte Spazierrunde zwischen Wasser, Wald und Kirchturmblick genießt. Und was genau es mit Vineta, jenem „Atlantis des Nordens“ auf sich hat, das erfahren Sie bei einem Ausflug nach Barth.

☛ BUCHTIPP

Wer noch tiefer in die Welt der Sagen und Märchen der Region Fischland-Darß-Zingst eintauchen möchte, dem sei die kleine Sammlung „Das Bernsteinmuschelchen“ empfohlen.

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