Zur Literatur der Edo-Zeit - Transkript der Video-Präsentation vom 4.2.2021

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Ostasiatisches Seminar, Abt. Japanologie Kultur der Edo-Zeit (Dr. Chantal Weber) Zur Literatur der Edo-Zeit (Gregor Paul)

Thomas Schneider Mat. Nr. 7366328 WiSe 2020, 26.01.2021

Zur Literatur der Edo-Zeit (Gregor Paul) Um den 265 Jahre Geschichte umfassenden Korpus der Edo-Literatur in eine Form zu pressen, geht Gregor Paul auf „Blütenlese“. Er lässt die im literarischen Konsens bedeutenden Autoren und Kritiker für sich sprechen. Indem er sich weitestgehend auf das beschränkt, was zum Zeitpunkt der Verfassung des Artikels (1990) in deutscher bzw. englischer Übersetzung vorlag, versucht er „Misslungenes und Zweifelhaftes“ zu meiden. Nach kurzer Beschreibung der historischen Rahmenbedingungen ist Pauls Essay in zwei Hauptteile gegliedert: ein Blick auf Poesie und Literaturtheorie und dann eine nähere Betrachtung dramatischer und epischer Werke. Edo-Kultur war städtisch-bürgerlich und profitierte von relativen Frieden, einem wachsenden Wohlstand und verbesserter Erziehung. Edo-Literatur wurde, von merkantilem Interesse getrieben und durch allgemeine Einführung des Buchdrucks ermöglicht, von Bürgern für Bürger geschrieben. Sie sollte unterhalten, Eskapismus vom mundanen Alltag und der repressiven Staatspolitik bieten. Welche Ansprüche stellten Zeitgenossen an die Literatur? Matsunaga Teitoku [1571-1653] als Poet und Literaturkritiker der frühen Edo-Zeit bezeichnete als höchstes Ziel die Vermittlung moralischer Lehren, von kindlicher Pietät im Sinne des Neo-Konfuzianismus. Zensur, Schreibverbote und Gefängnisstrafen waren Mittel im Dienst restaurativer Staatsideologie. Mit Wortspielen und Satire versuchten Künstler ihre politische und moralische Autonomie zu behaupten. Schriftsteller knüpften an Heian-zeitliche Poetik und deren Ausdruck von „sympathischen und Sympathie heischenden Gefühlen“ an. Wie bei Ki no Tsurayuki [882-945] („Kein lebendes Wesen kann existieren, ohne sein Lied zu singen.“) im kokinshû oder bei Murasaki Shikibu [um 1000] im genji monogatari („Wenn man sieht, wie ein liebreizendes Mädchen in arge Not und Traurigkeit gerät, fühlt man sich voll Mitleid zu ihr gezogen.“) müsse der Ausdruck von Gefühlen künstlerisch gestaltet werden, als „Harmonie oder Einheit von Form und Inhalt“. Bashô [1644-1694] sah den fûga no michi (Weg der Eleganz) als Lebensform des Ästhetizismus. Laut Paul wird er aber diesem Anspruch nicht gerecht, denn sein berühmtestes Werk, der aus haibun (kurzen Prosatexten) und haiku komponierte Reisebericht oku no hoso michi (Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland) „enthält ein deutliches Lob auf das Tokugawa-Shôgunat“. Ôgyû Sorai [1666-1728], neben Jinsai [1627-1705] und Hattori Nankaku [1683-1759] bedeutendster Vertreter der kogakuha (Schule des klassischen Konfuzianismus) wird zitiert: „es ist völlig falsch, Poesie als Mittel zur Förderung des Guten und Geißelung des Bösen anzusehen“. Keichû [1640-1701], Begründer der man-yôshû (Sammlung von waka – Versen – aus der Nara Zeit [600759]) Studien charakterisierte Poesie als Ausdruck dessen, „was in Herz-und-Verstand aufsteigt“. Kada no Arimoro [1706-1751] formulierte die These: „Poesie ist offensichtlich ohne Wert für das Regieren einer Nation, und sie nützt auch im Alltagsleben nichts.“ Kamo no Mabuchi [1697-1769], Vertreter der kokugaku (Schule der Studien des Landes) sah in der Lyrik im Stil des man-yôshû besonderen erzieherischen Sinn. Es sei „eine Art Methode, ursprünglich japanisches Wesen wiederzugewinnen“, sich freizumachen vom Einfluss der chinesischen Kultur, dessen rationale Züge der japanischen Kultur „wesensfremd“ seien. Moto‘ori Norinaga [1730-1801] teilt die nationalistische Gesinnung, gab aber zu bedenken: „Einige Gedichte mögen Regierung und Moralerziehung förderlich sein, aber andere haben schädigende Wirkung auf Land oder Privatleben.“ Norinaga wird mit makoto (Aufrichtigkeit, Ernsthaftigkeit und Wahrhaftigkeit) in Verbindung gebracht. Er sieht den Menschen als im Grunde schwach, Leben weithin als Leiden. Ueda Akinari [1734-1809], weiterer Vertreter der kokugaku, schrieb fantastisch-historische Geschichten, lehnte aber Gedichte wie Norinagas yamato no gokoro (Der japanische Geist) ab. 1


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