Chûshingura Präsentation Script 20220601

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Chûshingura Vortrag 20220601 (Thomas Schneider) Hallo. Ich möchte über das japanische Theaterstück Kanadehon Chûshingura aus dem Jahr 1748 sprechen. Wir kennen es unter dem Titel „Das Schatzkabinett treuer Gefolgsmänner“ bzw. „Die Rache 47 führerloser Vasallen“ – je nach Ansichtsweise. Japankenner behaupten, wer Chûshingura nicht verstehe, der verstehe die japanische Denkweise nicht. Die frühe und danach nicht abreißende Popularität des Stücks lässt sich an den vielen Aufführungen seit seiner Kreation bemessen. Bei dem Titel handelt sich um ein zusammengesetztes Konstrukt, wie diese englische Disambiguierung der chinesischen Schriftzeichen verdeutlicht. Der Hauptbegriff chûshin übersetzt sich ungefähr als „treuer Untertan“ oder „tugendhafter Vasal“, mit neo-konfuzianischer Färbung. Hier ist von einem „Speicher“ oder „Schatzhaus“ solcher Gefolgsmänner die Rede. Den vorgeschobenen Begriff kanadehon könnte man salopp mit „Mustervorlagen der kana“ übersetzen. Das weist auf den Zufall hin, dass es sich bei der Anzahl der dem Vendetta Eingeschworenen, den sog. 47 rônin - also führerlosen Samurai - um genau so viele handelt, wie es Zeichen im japanischen Silbenalphabet - also kana - gibt. Worüber wollen wir reden? Zunächst sollten wir grob die Handlung des fiktionalen Stücks verstehen, wobei es im Wesentlichen auf die Beziehungen ankommt. Dann wollen wir einen tatsächlichen historischen Vorfall untersuchen – das sog. Akô jiken aus den Jahren 1701 bis 1703 - in dem 47 Menschen nach Urteil des bakufu sich mit eigenen Händen das Leben nahmen und 1 weiterer Unglücklicher - namens Kanpei, den wir auf der vorherigen Folie kurz sahen – Selbstmord begann. Zuletzt wollen wir zeitgenössische Rechtsdebatten ansprechen. Tatsächlich kamen die Prototypen des Stücks aus den Osaka Puppentheatern. Es handelt sich um mindestens 3 Geschichten, die in den 45 Jahren nach dem historischen Vorfall verschmolzen. Die definitive Version – das „Kanadehon Chûshingura“ – wird folgerichtig 3 Autoren zugeschrieben. Das Stück ist in 11 Akte gegliedert, wie auf diesem ningyô jôruri Programm ersichtlich. Der Ablauf dauert den ganzen Tag und erfasst vielfältige Lebensumstände: Tempel, Palast des Shoguns, ärmliche Hütte, Teehaus, Herrenresidenzen, Haus eines Händlers, auf Reisen. Die Aufführung beginnt mit dem tayû – dem narrativen Erzähler des bunraku. Hier die Originalfassung der Eröffnungsrede mit englischer Übersetzung. Alle 25 Protagonisten sind schon auf der Bühne, während der Vorhang aufgezogen wird. Allerdings liegen sie da wie leblose Puppen. Erst wenn ihr Name vom tayû gerufen wird, erweckt eine Figur nach der anderen zum Leben. Wie schon angedeutet, handelt es sich beim Chûshingura in erster Linie um ein Familiendrama, das zu Beginn des 2. Kamakura Shôgunats im Japan des 14. Jahrhunderts spielt. Nitta Yoshisada ist geschlagen und der Gouverneur von Kamakura, Kô no Moronô, übersieht das Zeremoniell der daimyô Momonoi Wakasanosuke und En’ya Hangan. Hangans Ehefrau, Kaoyo, wird gerufen, um Yoshisadas Helm vor der Einschreinung aus den 47 zu identifizieren. In diesem Holzdruck des Museums of Fine Art Boston ist Tadayoshi fälschlicherweise als Hangan selbst identifiziert. Die Tragödie kommt ins Rollen, als Hangan im Kiefern-Gang des shogunalen Palastes tatsächlich sein kurzes Schwert gegen Kô no Moronô zieht und ihn leicht verletzt. Auf Schloss Edo und während der NeujahrsFeierlichkeiten für die kaiserlichen Gesandten stellt dies einen unvorstellbaren Protokollbruch dar. Noch am gleichen Tag wird Hangan zu seppuku verurteilt und seine Familie des Lehens enthoben. Moronô wird freigesprochen. Ungeduldig wartet Hangan – in Präsenz der Diener des Shôguns – auf seinen obersten Gefolgsmann Ôboshi Yuranosuke. 1


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