Spielzeit 2024/25
7. Philharmonisches Konzert
Ludwig van Beethoven
Sinfonien Nr. 5 & 6

„Man muss die Nacht gesehen haben, bevor man den Tag begreift.“
Anne Sexton (1928-1974)
7. Philharmonisches Konzert
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, „Pastorale“
1. Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen – Allegro ma non troppo
2. Szene am Bach – Andante molto moto
3. Lustiges Zusammensein der Landleute – Allegro
4. Donner. Sturm – Allegro
5. Hirtengesang. Wohltätige, mit Dank an die Gottheit verbundene Gefühle nach dem Sturm – Allegretto
Pause
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
1. Allegro con brio
2. Andante con moto
3. Allegro
4. Allegro – Presto
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
Öffentliche Generalprobe
Mo 14.04.2025, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Konzerte
Di 15.04.2025, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 16. & Do 17.04.2025, Stralsund: Großes Haus
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„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Ich sehe sie beide vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.“
Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788
Der Ideenkomponist
Beethovens Naturverbundenheit ist nicht nur hinlänglich belegt, sie stellte über den Ausdruck des unmittelbaren Wohlbefindens in der Natur hinaus für den Komponisten eine grundsätzliche Lebens- und Geisteshaltung dar. Und damit war er ganz Kind seiner Zeit.
Freiheit und Natur sind im 19. Jahrhundert zwei große Ideen, die in der Tradition der Aufklärung und Französischen Revolution oft in einem Atemzug genannt werden. In der emphatischen Hinwendung zur Natur erlebt der Mensch seinen Ursprung jenseits aller Entfremdung: Die Unmittelbarkeit des Eindrucks, den ein Aufenthalt im Freien hervorruft, lässt ihn aufatmen und seinen Platz im Weltgefüge suchen. In diesem Sinne schätzte auch Beethoven die Momente auf dem Lande weit über das Maß der bloßen Naturverbundenheit hinaus. Der Aufenthalt in der Natur erhält meditativen, ja – durchaus im religiösen Sinne – andächtigen Charakter.
„Allmächtiger im Walde! Ich bin selig, glücklich im Walde: jeder Baum spricht durch dich. O Gott! welche Herrlichkeit! In einer solchen Waldgegend, in den Höhen ist Ruhe, Ruhe, ihm zu dienen.“
Aus Ludwig van Beethovens Skizzenheft, 1815
Aus dieser Haltung heraus entstand Beethovens Sechste Sinfonie, ein Werk voller Naturbilder, an dem sich bereits unmittelbar nach der Uraufführung eine gleichermaßen end- wie sinnlose ästhetische Diskussion über „Programmmusik“ entfachte. Die in diesem Werk wahrgenommene „Nachahmung“ der Natur mit musikalischen Mitteln wurde als unkünstlerisch, ja kunstfremd empfunden. Sicher schwang auch der Gedanke der Abwertung der Absolutheit einer Sinfonie durch die programmatische Ausrichtung. Doch Beethoven ging es nie um die bloße Abbildung der Natur, um die Beschreibung eines
Baches, um die Imitation von Vogelstimmen oder der Geräuschkulisse eines Gewitters. Hinter den scheinbar klar zu erfassenden musikalischen Naturschilderungen eröffnen sich erst die eigentlichen Dimensionen von Beethovens Gedankenwelt und Musik. Der Titelzusatz „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ sollte Ausführenden wie Zuhörer*innen die größere Dimension der Überlegungen eröffnen.
Beethoven geht es um nicht weniger als die Suche nach dem innersten Wesen der Natur und den Platz, den der Mensch in derselben einnimmt. So ist die scheinbare Naturbeschreibung nur der Ausgangspunkt einer Idee, die als Thema in die Musik Eingang findet und schließlich völlig in der musikalischen Struktur aufgeht. Und somit ist Beethoven hier eine Sinfonie gelungen, die beides ist – so programmatisch wie absolut, leicht wie tiefgründig, religiös wie philosophisch – und das alles im Gewand „heiterer Gefühle“, die mottohaft das Werk sowohl in der Satzbezeichnung als auch im ersten, explizit die Sinfonie einleitenden Thema charakterisieren.
Dabei bleibt es natürlich den Zuhörer*innen selbst überlassen, in welche Dimension des Hörens sie sich begeben wollen und auf welchem Wege sie sich Beethovens Werk nähern.
Der Komponist selbst liefert hier Vorschläge, keine Direktiven: „Man überlässt es dem Zuhörer, die Situationen auszufinden. Wer auch je nur eine Idee vom Landleben erhalte, kann sich ohne viele Überschriften denken, was der Autor will.“
So ist es legitim, sich unter den vielfach sich wiederholenden Figuren im Kopfsatz das Herannahen einer Kutsche vorzustellen. Im zweiten Satz scheint das Murmeln eines Baches unüberhörbar. Gegen Ende dieses Satzes gesellen sich in Form von Holzbläserstimmen Vögel in das Bild, die Beethoven in seiner Partitur sogar konkret als „Nachtigall“, „Wachtel“ und „Kuckuck“ bezeichnet. Gleich einer Solokadenz kurz vor Ende des zweiten Satzes scheinen diese Vogelstimmen zu entschweben, werden aber von den Streichern mit einem kleinen Themeneinwurf sogleich wieder „geerdet“, in Beziehung gesetzt zum betrachtenden Menschen.
Es entsteht ein Dialog zwischen Himmel und Erde, Mensch und Natur – in aller Harmonie, fernab vom konzertanten Gedanken. Das Scherzo widmet sich in parodistischer Manier dem Musizieren selbst, während der vierte Satz Größe und Gewalt der Natur in Form eines Gewitters thematisiert. Hier könnte die Sinfonie enden, der vierte Satz als Finale betrachtet werden. Aber
Beethoven verlässt hier zum ersten und einzigen Mal die Form der viersätzigen Sinfonie zugunsten eines weiteren Satzes, eines resümierenden Rondos der kontemplativ-heiteren Art, einer zusammenfassenden Betrachtung anstelle der sonst üblichen Schlussapotheose.

So heiter und naturnah sich die Sechste Sinfonie auf den ersten Höreindruck darstellt, so ist sie doch ebenso als Singularität zu verstehen wie die oft als schicksalhaft bezeichnete Fünfte Sinfonie. In jedem seiner sinfonischen Werke strebte Beethoven danach, die formalen und musikalischen Grenzen auszuloten, zu dehnen, zu erweitern und so mehr Raum für Ausdruck zu schaffen. Wie unterschiedlich die Ergebnisse dieses Unterfangens sind, tritt wohl kaum deutlicher zutage als bei der Betrachtung der beiden sinfonischen „Schwesterwerke“, der Fünften und Sechsten Sinfonie, die zwar eine unterschiedliche Entstehungsspanne aufweisen, aber im selben Konzert zur Uraufführung gelangten. Während Beethovens Ringen um Themen und Formen zu einer jahrelangen Entstehungszeit der Fünften führt, entstand die Sechste im vergleichsweise kurzen Zeitraum von circa einem Jahr.
Formal entspricht die Sechste zunächst dem klassischen Aufbau. So stellt sich der Kopfsatz als Sonatenform dar. Bei genauer Betrachtung fällt aber auf, dass Beethoven hier auf die sonst übliche konfliktreiche motivische Arbeit zugunsten häufiger Wiederholungen verzichtet. Als sollte die Harmonie des Satzes – und der Welt – nicht gestört werden, drängt Beethoven hier bewusst weder thematisch noch harmo-
nisch vorwärts, vermeidet zu häufige Dissonanzen, Chromatik oder Modulationen, eine Bestandsaufnahme in heiterem Dur.
Mit dem Andante molto moto kommt Bewegung in die Szenerie. Die Themen werden stetig verarbeitet, umspielt und das Augenmerk auf deren Wandel gelegt. Ein sinfonisches „Panta rhei“ mit allen denkbaren Auslegungsmöglichkeiten, was Größe und Tiefe des geschilderten Baches („je größer der Bach, je tiefer der Ton“ – Beethoven) und der weit darüber hinausreichenden Deutungsmöglichkeiten angeht.
Im Zentrum des Scherzos steht ein Bauerntanz, eine liebevoll bis ins Detail ausgearbeitete Parodie auf laienhaftes, aber sinnenfrohes Musizieren. Hier klingt F-Dur gegen D-Dur, behaupten stampfende Tutti-Sforzati den Rhythmus, während Oboe und Fagott mit dem richtigen Timing kämpfen. Jäh unterbrochen wird diese Episode vom drohenden Grollen der tiefen Streicher, die ein Gewitter ankündigen, das Beethoven in der größtmöglichen Farbigkeit mit abwärtsstürzenden Dreiklängen und dramatischen Tremoli zu einer existenziellen Bedrohung steigert. Hier steht der Mensch einer Übermacht gegenüber, der nur mit Hoffnung, nicht mit Kraft begegnet werden kann. Und so ist es ein angedeuteter Choral, der den
rettenden Übergang vom donnergrollenden Allegro zum pastoralen Allegretto ebnet. In dem finalen Rondo glätten sich die Wogen wieder. Es scheint, als gewinne man Abstand von der Unmittelbarkeit des dramatischen Ereignisses, das noch einen Satz zuvor die Existenz bedrohte. Aus der abgeklärten Distanz begreift der Mensch den Sturm als Episode, weitet den Blick und erkennt das Leben als stetigen Kreislauf, eben als Rondo, das in einem choralartigen Epilog mit dem aus weiter Ferne erklingenden Hauptthema des Satzes in gelöster Ruhe ausklingt, ja vielleicht die vielbeschworenen Sterne aus der Mühsal des menschlichen Daseins heraus erreicht – ein Ziel, das Beethoven auch in der Fünften Sinfonie anstrebt, aber zuvor einen gänzlich anderen, „neuen Weg“ einschlägt.
Am 22. Dezember 1808 wurden im Rahmen eines großen Akademiekonzertes unter Beethovens Leitung dessen Fünfte und Sechste Sinfonie zusammen mit dem 4. Klavierkonzert, der Konzertarie „Ah, Perfido!“, Teilen aus der Messe C-Dur und der Chorfantasie op. 80 uraufgeführt. Dabei begann der Abend mit der Sechsten Sinfonie, während die Fünfte den zweiten Teil eröffnete, sodass die Reihenfolge, die für dieses Philharmonische Konzert gewählt wurde, derjenigen der Uraufführung entspricht, allerdings ohne den Sinfonien
noch weitere Werke zur Seite zu stellen. Die Uraufführung geriet allein durch die Anzahl der Werke zu einem nahezu vierstündigen Konzertmarathon, der bei „bitterster Kälte“ – so berichteten Zeitzeugen – stattfand. Nicht zuletzt aufgrund dieser äußeren Umstände fielen die Kritiken eher verhalten aus. Johann Gottfried Reichardt konnte nach dem Abend nicht viel mehr feststellen, als „dass man auch des Guten – und mehr noch des Starken – leicht zu viel haben kann“. Die Fünfte bezeichnete er dabei als „eine große sehr ausgeführte, zu lange Sinfonie“. Erst nach und nach wurde der Musikwelt bewusst, dass Beethoven hier ein sinfonisches Fanal vorgelegt hatte, das noch weitaus revolutionärer war als die bekanntermaßen eng mit Napoleon und der Französischen Revolution in Zusammenhang stehende Dritte Sinfonie. Obgleich Beethoven seiner Fünften keinen programmatischen Titel wie „Eroica“ oder „Pastorale“ mitgab, verfolgte er auch hier eine humanistische Idee, die er als geistigen Überbau in die Musik hineintrug, sie zu Musik machte – von Beginn an. Hatte er der „Pastorale“ eine leichtfüßige F-Dur-Kantilene als „Motto“ vorangestellt, sind es in der Fünften vier schroffe Töne, die sowohl die Tonart c-Moll manifestieren als auch eine unmissverständliche Botschaft senden: Hier singt niemand mehr, hier wird gefordert, gekämpft und direkt adressiert.




Im Jahr 2014 schuf der Künstler Markus Lüpertz eine monumentale Beethoven-Skulptur für dessen Geburtsstadt Bonn.
Im Gegensatz zu zahlreichen Portraits und Denkmälern, die sich dem äußeren Erscheinungsbild des Komponisten annähern, handelt es sich bei Lüpertzʼ Skulptur um die plastische Projektion von Innerlichkeit, die Auseinandersetzung mit dem Künstler Beethoven in seiner inneren Zerrissenheit.
Dieser Beethoven ist kein Heros, sondern eine nachdenkliche, melancholische, ja leidende Existenz. Lüpertz bringt hier das Wesen der Kunst zum Ausdruck: den ewigen Widerstreit des empfindsamen, schöpferischen Geistes mit dem existenziell Zweifelnden, immer Suchenden.
„Beethovens
dramatische Lebensumstände, sein Genie, seine Verletzlichkeit verlangen eine dramatische Interpretation dieses Giganten.“
Markus Lüpertz
„Alle Sätze sind kurz, nur aus zwey drey Takten bestehend … Man sollte glauben, dass aus solchen Elementen nur etwas Zerstückeltes, schwer zu Fassendes entstehen könnte.“
E. T. A. Hoffmann
über den ersten Satz der Fünften Sinfonie
Der Freiheitskämpfer
Mit der Fünften bestritt Beethoven, der ein glühender Anhänger der Ideen der Französischen Revolution war, seinen eigenen Freiheitskampf – auf musikalischem Gebiet. Während die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den ideellen, ja politischen Überbau des Werkes bilden, focht er seinen ganz persönlichen musikalischen Freiheitskampf, der ihn jahrelang – von 1803 bis zur Uraufführung 1808 – um einen „neuen Weg“ für seine neuen musikalischen Inhalte ringen ließ. Musik kann den Charakter eines solchen Kampfes nur annehmen, wenn Gattungskonventionen überwunden werden. Deshalb war für Beethoven die Prozesshaftigkeit die conditio sine qua non dieses „neuen Weges“. Es ging ihm nicht darum, traditionelle Formvorstellungen über Bord zu werfen: Nur in der Auseinandersetzung mit ihnen wird der Diskurs deutlich, dessen Bedeutung in der Überwindung, nicht der Negierung überkommener Formen liegt.
Die Fünfte Sinfonie versteht sich als Inbegriff dieses Diskurses. Angelegt als Finalsinfonie, zielt alles auf das Ende

hin, das die Lösung aller aufgeworfenen Fragen der vorangegangenen Sätze verspricht und mehr noch – einen Ausblick bietet. Der durch diese Richtungsgebung behauptete Zusammenhang der einzelnen Sätze, die alle zum Finale streben, wird in der Verbindung von Scherzo und Finale augen- und ohrenfällig. Die Sätze gehen so logisch im Sinne eines Prozesses auseinander hervor, dass manche Zeitgenossen glaubten, die Sinfonie bestehe nur aus drei Sätzen.
Klangballungen und Energiestauungen, brüchige Diskurse, dramatische Dialoge, sowie agitatorisch immer neu auftrumpfende Steigerungsgänge sind die rhe-
torischen Mittel, mit denen Beethoven die Zuhörenden unmittelbar anspricht, ja, sie auffordert, sich hineinziehen zu lassen in seine „Rede an die Menschheit“. Den ewigen Kampf „per aspera ad astra“ – durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum Sieg hat er hier explizit auskomponiert. Die gesamte Sinfonie ist auf die Lösung des Konfliktes im Finale ausgerichtet, das den Durchbruch zu einer neuen gedanklichen wie musikalischen Qualität darstellt. Dabei scheint alles aus der anfänglichen motivischen Idee zu erwachsen. Beethoven verwandelt die Tonfigur, der im Laufe der Zeit immer mehr Bedeutung zukommt, in reine Energie, groß genug, um einen ganzen Satz, ja eine ganze Sinfonie in kraftvoller Bewegung zu halten. Dabei nutzt er die rhythmisch prägnante Gestalt des kurzen Motivs, um daraus sukzessive eine durchgehende Motorik zu entwickeln, die letztendlich alles beherrscht und unendlich vorwärtsdrängt, bis zur strahlenden C-Dur-Apotheose im Schlusssatz.
Von dieser Motorik wird bereits der erste Satz bestimmt. Dem einleitenden „Klopfmotiv“ stellt Beethoven zwar ein lyrisches Seitenthema gegenüber, das bereits nach kurzer Zeit wieder verschwindet, doch selbst hier ist das Hauptmotiv noch im Bass vorhanden. Die Motorik dieses dynamischen Satzes lässt keine große Entwicklung des
Seitengedankens zu, alles muss sich dem unerbittlichen Zug letztlich unterordnen. Beethoven fokussiert sich auf den Grundgestus, der die dynamische wie motivische Basis von allem bildet. So markant und schlicht das klopfende Viertonmotiv auch wirkt, ist es doch das Ergebnis langer Überlegungen um den richtigen Gedanken, die richtige Form. Im Vergleich zur „Pastorale“ herrscht hier nicht der Gedanke des „Aufatmens“, sondern der des Kampfes, des Ringens vor – im Kleinen wie im Großen: Allein 14 Entwürfe hinterließ Beethoven für das erste Thema des Andante con moto. Ein Gedanke, der gelöster daherkommt und zunächst Raum für eine liedhafte Entwicklung zu bieten scheint. Doch allzu bald bricht das von den Blechbläsern dominierte Marschthema herein. Die zarte Frage, die sich in lyrischem Ton anbahnte, harrt weiter ihrer Beantwortung.
Das Scherzo (Allegro) wird erneut vom dynamischen Grundgestus und dem abgewandelten Ursprungsmotiv dominiert. Das sich anschließende Trio ist als Fugato angelegt. Beethoven neckt hier die Zuhörer*innen immer wieder durch spontan abbrechende Gedanken. Bemerkenswert ist der nahtlose Übergang zum Finalsatz, ein genialer Einfall Beethovens und der entscheidende Wendepunkt der Sinfonie. Beethoven lenkt dazu das Scherzo an einen

tonalen und dynamischen Tiefpunkt, als gelte es Kraft zu schöpfen für einen grandiosen Neubeginn.
„In diesem Moment ruhen die Bässe auf jenem tiefsten Ton im Scherzo der Sinfonie, kein Odemzug. An einem Haarseil über einer unergründlichen Tiefe hängen die tausend Herzen, und nun reißt es, und die Herrlichkeit der höchsten Dinge baut sich Regenbogen über Regenbogen aneinander auf.“
So beschreibt Robert Schumann in romantischen Worten diesen großen Transformationsprozess vom Dunkel zum Licht, „per aspera ad astra“, von c-Moll zum C-Dur des triumphalen
Finales. Die Helligkeit dieses vierten Satzes ist ideologisch grundiert: Beethovens Weg zum Licht war ein politischer – beschwört das C-Dur-Finale doch nichts Geringeres als Musik der Französischen Revolution. Der aufstrebende Fanfarendreiklang und das Hauptthema dieses Satzes verweisen auf den hymnischen Tonfall in den Kompositionen von Claude Joseph Rouget de Lisle, dem Komponisten der „Marseillaise“. „Beethoven spricht wie ein großer Volksredner“, bemerkte Cosima Wagner, und tatsächlich wandeln sich hier alle Zweifel in Gewissheit. Die in den vorangegangenen Sätzen aufgeworfenen Fragen erhalten hier ihre
Antworten. Und diese Antworten sind revolutionärer Natur – sowohl in politischer wie in musikalischer Hinsicht. Den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird hier ebenso das Tor geöffnet wie einer neuen Sichtweise auf die Sinfonie. Beethoven hatte den üblichen Orchesterapparat für dieses Finale entscheidend erweitert. „Das letzte Stück der Sinfonie“, so Beethoven gegenüber seinem Gönner Franz von Oppersdorff, „ist mit 3 Posaunen und Flautino – zwar nicht mit 3 Pauken, wird aber mehr Lärm als 6 Pauken und zwar bessern Lärm machen“. Indem Beethoven so den Klang in Richtung Militärmusik verschiebt, verleiht er seinem Finale einen kämpferischen Ton, mit dem er sich und die Sinfonie aus allzu starren Traditionen befreit. So wurde die Zuhörerschaft im Dezember 1808 Zeuge einer erneuten, diesmal musikalischen Revolution.
„Wichtig allein ist das rhythmische Leben.“
Pierre Boulez über Beethovens Fünfte

„So pocht das Schicksal an die Pforte!“ Dieses Zitat ist untrennbar mit der c-Moll-Sinfonie verbunden. Auf diese Aussage lässt sich auch der oft bemühte Beiname „Schicksalssinfonie“ zurückführen. Doch Beethoven hat diesen Satz wohl nie gesagt. Er stammt vielmehr aus der Feder Anton Schindlers, seines Biografen, der sich hier eine gewisse schriftstellerische Freiheit herausnahm. Sollte es also gar nicht das Schicksal sein, das hier klopft? „Das
c-Moll der ersten drei Sätze ist eine Art von verzweifelter Auflehnung – keine Rede davon, dass das Schicksal an die Pforte klopft. … Kein Schicksal pocht auf eine solche Weise an die Pforte“, ist die Deutung von Nikolaus Harnoncourt, der den sich auflehnenden, von innen gegen die Tür hämmernden Menschen ins Zentrum seiner Interpretation der Sinfonie stellt – und damit eine durchaus sinnreiche Lesart ins Spiel bringt, die in Betracht gezogen werden sollte.

Vorschau
8. Philharmonisches Konzert
„Musik darf das Ohr nie beleidigen, sondern muss vergnügen.“
Wolfgang Amadeus Mozart
Hubert Parry
Sinfonische Variationen
Johannes Brahms
Klarinettensonate Es-Dur op. 120 Nr. 2
Bearbeitung für Klarinette und Orchester von Nicolai Pfeffer (Uraufführung)
Wolfgang Amadeus Mozart
Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543
Solist: Nicolai Pfeffer, Klarinette
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
Öffentliche Generalprobe
Mo 19.05.2025, 19.00 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Konzerte
Di 20.05.2025, 19.30 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 21. & Do 22.05.2025, 19.30 Uhr Stralsund: Großes Haus
Fr 23.05.2025, 19.30 Uhr Putbus
Impressum

Noch mehr zu entdecken gibt es auf unserem Instagramkanal: www.instagram.com/phil_vorpommern
@phil_vorpommern
Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH
Stralsund – Greifswald – Putbus
Spielzeit 2024/25
Geschäftsführung: André Kretzschmar
Textnachweise:
Redaktion: Katja Pfeifer
Gestaltung: Öffentlichkeitsarbeit / Bartels
1. Auflage: 500
Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de
Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge von Katja Pfeifer für dieses Heft.
Bildnachweise:
Umschlagfoto: Peter van Heesen; S. 2: Jakob Philipp Hackert: Flusslandschaft, 1778; S. 5: Franz Hegi: Beethoven am Bache, die Pastorale komponierend, Farblithografie 1834; S. 8/9: Teddy Kelley: Mensch und Natur; S. 10: Markus Lüpertz, Beethoven 2014, Stadtgarten Bonn; S. 12: Faust, aus: The American drawing-book, 1847; S. 14/15: Liberté Égalité Fraternité. Fries am Tribunal de Commerce in Paris; S. 15: Hans Bug: Max Klinger: Beethoven, 1902 Marmor, Leipzig. Die gemeinfreien Fotos stammen von den Plattformen Wikipedia und Freerange.
Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen
Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Theater Vorpommern
Stralsund – Greifswald – Putbus
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