Spielzeit 2024/25
6. Philharmonisches Konzert
Werke von Modest Mussorgskij, André Waignein, Manuel de Falla und Nikolaj Rimskij-Korsakov

„O Schwester, wenn du nicht schläfst, so erzähle uns von deinen schönen Geschichten, damit wir die Nacht dabei durchwachen! Dies wird meine und der Welt Rettung von diesem Unheil verursachen und den König von seiner unseligen Gewohnheit abbringen.“
Märchen aus 1001 Nacht
6. Philharmonisches Konzert
Modest Mussorgskij (1839-1881)
„Eine Nacht auf dem Kahlen Berge“
Konzertfantasie für Orchester
(instrumentiert von Nikolaj Rimskij-Korsakov)
André Waignein (1942-2015)
Rhapsodie für Alt-Saxophon und Orchester
Manuel de Falla (1876-1946)
„El sombrero de tres picos“ Der Dreispitz
Suite Nr. 2: Drei Tänze aus dem zweiten Teil des Balletts
1. Danza de los vecinos (Seguidillas) Tanz der Nachbarn
2. Danza del Molinero (Farrucca) Tanz des Müllers
3. Danza final (Jota) Schlusstanz
Pause
Nikolaj Rimskij-Korsakov (1844-1908)
„Scheherazade“ op. 35
Sinfonische Suite nach „1001 Nacht“
1. Largo e maestoso – Lento – Allegro non troppo – Tranquillo
2. Lento – Andantino – Allegro molto – Vivace scherzando – Moderato
2. assai – Allegro molto ed animato
3. Andantino quasi allegretto
4. Allegro molto – Lento – Vivo – Allegro non troppo e maestoso
2. – Lento – Tempo come I
Solovioline: Marijn Seiffert
Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.


Solist: Roman Markelov, Saxophon
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: José María Moreno
Konzerte
Di 25.03.2025, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 26. & Do 27.03.2025, Stralsund: Großes Haus
Roman Markelov José María Moreno
wurde 1994 in Belaja Kalitwa, Russland, geboren. 2005 begann er sein Studium bei Igor Voronin in Woronesch. 2012 wechselte er nach Moskau, wo er 2015 als jüngster Teilnehmer des Wettbewerbs „Stimme des Saxophons in der modernen Welt“ ausgezeichnet wurde. Sein Studium setzte er an der dortigen Gnessin-Akademie bis 2018 fort. Daraufhin wurde er in Deutschland an der Musikhochschule Köln bei Professor Daniel Gauthier aufgenommen, um seine künstlerischen Fähigkeiten zu vervollkommnen. 2023 schloss er sein Masterstudium mit Bravour ab, das Konzertexamen absolvierte er mit der Höchstnote „ausgezeichnet“. Seitdem arbeitet er als Dozent für Konzertsaxophon an der Kölner Musikhochschule. 2019 gewann er den ersten Preis beim Wettbewerb der Hochschule für Musik und Tanz Köln. 2022 erhielt Roman Markelov im Rahmen des Düsseldorfer „aeolus“-Wettbewerbs den Sonderpreis für die beste Interpretation eines zeitgenössischen Werkes. Dem folgten Einladungen zu Solokonzerten in der Düsseldorfer Tonhalle. Roman Markelov ist derzeit einer der gefragtesten jungen Saxophonisten in Europa und Asien. Sein Repertoire umfasst, neben eigenen Transkriptionen, viele Originalwerke für Saxophon von Komponisten wie Debussy, Glazunov, Milhaud, Schulhoff, Yoshimatsu, Baez und anderen.
Der gebürtige Mallorkiner begann sein Dirigierstudium in Spanien, bevor er sie am Rimskij-Korsakov-Konservatorium in St. Petersburg bei Michail Kukuškin fortsetzte. Seit seiner Rückkehr nach Spanien arbeitet er selbst als Professor für Dirigieren am Konservatorium in Valencia sowie als Gesangsprofessor am Conservatorio der Liceo in Barcelona und Professor für Musiktheorie, Klavier, Harmonielehre und Komposition am Konservatorium für Musik und Tanz in Palma de Mallorca. Darüber hinaus schloss José María Moreno noch ein Jurastudium ab. Seit 2020 ist er künstlerischer Leiter des Orquesta Filarmónica de Málaga. Als Dirigent folgte er Einladungen nach Berlin, Augsburg, Baden-Baden, zu allen namhaften spanischen Orchestern und in zahlreiche europäische Länder, nach Süd- und Nordamerika und China. Dabei trat er in großen Konzertsälen wie der Philharmonie Berlin, dem Helsinki Music Center, dem Teatro Real in Barcelona, dem Teatro Colon in Buenos Aires und in der Verbotenen Stadt in Peking auf. Darüber hinaus wurde José María Moreno die Ehre zuteil, in Rom in Anwesenheit des Papstes Johannes Paul II. sowie vor dem spanischen Königspaar aufzutreten.

Modest Mussorgskij:
Eine
Nacht auf dem Kahlen Berge
„Alles, was er sah, war von einem roten Licht übergossen. Alle Bäume schienen in Blut getaucht, sie leuchteten und stöhnten. Das Himmelsgewölbe glühte und bebte … Feuerflecke zuckten wie Blitze vor seinen Augen. Mit dem Aufwand seiner letzten Kräfte erreichte er seine Hütte und fiel wie ein Stein zu Boden. Und ihn überfiel ein Schlaf so fest und tief wie der Tod.“
Zunächst ist es ein nervöses Wispern der Streicher, das sich mehr und mehr steigert, Holzbläser bäumen sich in Skalen auf, der Klang gewinnt an Kraft, an Intensität, bis der Einsatz der Posaunen Gewissheit werden lässt, was die Hörer*innen von Beginn an ahnten: Hier findet Unheimliches statt, das Protagonist*innen wie Zuhörer*innen in einen Rausch versetzen soll.
Mit rauschhaften Zuständen kannte sich Modest Mussorgskij aus. Seine „Nacht auf dem Kahlem Berge“ entsprang einem Schaffensrausch: „Zur Zeit der Arbeit an der ‚Johannisnacht‘ schlief ich auch nachts nicht und beendete die Komposition des Orchesterstücks genau am Abend des St. Johannistages; irgendetwas brodelte in mir, sodass ich einfach nicht wusste, was in mir vorging.“ Doch wäre es zu romantisch gedacht, würde man glauben, dieser
15-minütige Geniestreich sei tatsächlich an einem Abend entstanden. Bereits lange vor der erwähnten Johannisnacht 1866 spukte in Mussorgskijs Kopf die Idee eines musikalischen Hexensabbats herum – darin war er ganz Kind seiner Zeit, hatte das Thema doch Hochkonjunktur. Mit der „Symphonie fantastique“ und dem „Totentanz“ hatten sich Hector Berlioz und Franz Liszt musikalisch des Themas bereits angenommen. Auch beschäftigte sich die zeitgenössische russische Literatur ausgiebig mit Hexen und schwarzer Magie. So ist es nicht verwunderlich, dass auch Mussorgskij sich bereits Jahre früher mit dem Gedanken trug, eine Oper zu Nikolaj Gogols Erzählung „Johannisnacht“ zu komponieren oder das Drama „Hexen“ des befreundeten Autors Gregor Mengden für den Konzertsaal zu vertonen.
Er skizzierte in groben Zügen den programmatischen Ablauf seiner Komposition:
„(1) Versammlung der Hexen, ihr Klatsch und Tratsch, (2) der Zug des Satans, (3) die unheiligen Lobpreisungen Satans und (4) der Hexensabbat“.
Mussorgskij bestand darauf, dass das Konzertpublikum von dieser Handlung unterrichtet werden solle, „damit die Gesellschaft dafür Verständnis aufbringen kann“, denn so geläufig das Thema als solches Ende des 19. Jahrhunderts bereits war, die musikalische Umsetzung war es nicht. Was der Freund und Biograf Vladimir Stassov als „zutiefst originelles Werk voller Kraft, Energie und eigenartiger Schönheiten“ bezeichnete, nannte Mussorgskij schlicht „nackt, barbarisch und unflätig“.
Ebenso muss es der Komponistenkreis des „Mächtigen Häufleins“, einer Gruppe junger Musiker, die sich der Erneuerung und Schaffung einer nationalen Musiksprache verschrieben hatten, empfunden haben. Mussorgskijs Mentor Milij Balakirev hatte auschließlich scharfe Kritik für das Werk übrig, das ihm kompositorisch wie formal ungeschickt erschien. Mussorgskij aber hielt an der Komposition fest, er werde „weder in der Gesamtanlage noch in der Ausführung irgendetwas ändern“,
auch wenn das bedeuten sollte, dass das Werk nicht zur Aufführung gelange. Hier bot ein musikalischer Autodidakt der etablierten Musikwelt die Stirn und wurde so zum Vorkämpfer der legendären russischen Avantgardebewegung – ohne dass das „Mächtige Häuflein“ dies gebührend anerkannte. Denn auch innerhalb der Komponistengruppe war Mussorgskij eine Ausnahmeerscheinung, ein Autodidakt, der sich mal bewusst, mal intuitiv über musikalische Regelhaftigkeiten hinwegsetzte und ungestüm komponierte, während er mehr und mehr dem Alkoholismus verfiel. Doch an seiner Komposition, die niemand aufführen wollte, hielt er unbeirrt fest: Zunächst versuchte er, die Musik zu retten, indem er sie in eine Szene des nie ausgeführten OpernBallett-Projektes „Mlada“ und später in seine Oper „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ einbaute. Immerhin überdauerte die Komposition auf diese Weise die Jahre. Mit 42 starb Mussorgskij früh aber nicht unerwartet an den Folgen seines Alkoholkonsums. Nach seinem Tod griff ein anderer Komponist des „Mächtigen Häufleins“, Nikolaj RimskijKorsakov, das Projekt wieder auf. Auf Basis der Fassung aus dem „Jahrmarkt von Sorotschinzy“ erstellte er eine neue Orchesterfassung, in der er auch inhaltlich wesentlich von der Ursprungskomposition abwich. Er fügte weitere Passagen aus der Oper, die ursprünglich
nicht Teil der „Nacht auf dem Kahlen Berge“ waren, ein und änderte den Handlungsbogen sowie einige formale Aspekte. Was entstand, war eine ausgeglichene Komposition, mit der Rimskij-Korsakov tatsächlich manche Schwächen des ursprünglichen Werkes bereinigt hat. In dieser Form gelang es ihm 1886, fünf Jahre nach Mussorgskijs Tod, eine „Nacht auf dem Kahlen Berge“ zur Aufführung zu bringen und zu editieren, die tatsächlich das Werk unmittelbar populär machte und bis heute gerne in dieser Fassung in den Konzertsälen der Welt gespielt wird. Den ursprünglichen Handlungsbogen, der mit dem Hexensabbat auf dem Kahlen Berge seinen Endpunkt fand, hat Rimskij-Korsakov noch um eine Episode erweitert, die mit dem Zwölf-Uhr-Schlag der nahen Dorfkirche in einen trüben Morgen überleitet. Eine durchaus gelungene Wendung im Vergleich zu der Originalkomposition, der sich vorwerfen ließe, den Höhepunkt schon direkt zu Beginn des Stückes gebracht zu haben und dem nichts mehr entgegensetzen zu können. Insofern ist unter der Hand von Nikolaj Rimskij-Korsakov ein Werk entstanden, das formal wie musikalisch vielleicht ausgereifter ist als die ursprüngliche Komposition. Der einzige Wermutstropfen ist, dass das Werk nicht mehr die unbändige unkonventionelle Kraft von Mussorgskijs originärer Handschrift verströmt.

„Unterirdische Klänge von übernatürlichen Stimmen – Erscheinung der Geister aus der Dunkelheit, gefolgt von Satan selbst. – Verherrlichung Satans und Feier der Schwarzen Messe. – Hexensabbat. – Zum Höhepunkt läuten von Fern die Glocken der Dorfkirche, die die dunklen Geister vertreiben. – Tagesanbruch.“
Aus dem Vorwort der von RimskijKorsakov überarbeiteten Erstausgabe der „Nacht auf dem Kahlen Berge“
André Waignein: Rhapsodie für Alt-Saxophon und Orchester
„Nach meiner Ansicht beruht der besondere Wert des Saxophons in der verschiedenartigen Schönheit ihres Ausdrucks: bald feierlich-ernst und ruhig, bald leidenschaftlich, dann träumerisch oder melancholisch wie ein abklingendes Echo oder wie die unbestimmten Klagen des Wehens im Walde [...]. Kein anderes mir bekannte Musikinstrument besitzt diesen seltsamen Klang, der bis an die Grenzen der Stille geht.“
Hector Berlioz
Im belgischen Dinant, einer kleinen Stadt, die sich malerisch in eine Felsschlucht, die die Maas gegraben hat, schmiegt, steht eine bronzene Bank, auf der ein ebenso bronzener Herr entspannt mit einem Saxophon sitzt. Diese Skulptur wurde in der Rue Sax 37 zu Ehren des Erfinders Adolphe Sax, des berühmtesten Sohnes der Stadt, errichtet. 1814 als Sohn eines Instrumentenbauers geboren, erhielt der experimentierfreudige Junge schon bald den Beinamen „der Unsterbliche“, da er sich immer wieder in riskante Situationen brachte, die daraus resultierenden Unfälle aber unbeschadet überlebte. So war er im Treppenhaus schwer gestürzt, verschluckte eine Stecknadel, wäre beinahe im Fluss ertrunken, vergiftete sich an einem Schluck Vitriol und wäre beinahe an den Dämpfen in der väterlichen Werkstatt erstickt. Doch seine Experimentierfreude blieb ungebrochen.
Schon in seiner Jugend ein begnadeter Klarinettist, setzte er bald alles daran, die Tonqualität vieler Instrumente zu verbessern und so kam es, dass er 1840 ein Instrument zum Gebrauch in einem Militärorchester erfand, „das im Charakter seiner Stimme den Streichinstrumenten nahekommt, aber mehr Kraft und Intensität besitzt als diese“. 1846 ließ er dieses Instrument unter der Nummer 3226 in Frankreich patentieren und benannte es kurzerhand nach sich selbst: Dies war die Geburtsstunde des Saxophons. Mittlerweile ist das Saxophon überall zu Hause: in der Popmusik, im Schlager, im Rock, vor allem aber im Jazz. Auch im klassischen Orchester ist es bisweilen vertreten – Hector Berlioz war einer der ersten Komponisten, der dem Klang des Saxophons in seinen eigenen Kompositionen huldigte, und so etablierte sich das Saxophon nach und nach auch im klassischen Bereich.
In der Stadt Dinant findet alle vier Jahre zu Ehren des Erfinders und seines Instrumentes ein Internationaler Adolph-Sax-Wettbewerb statt, der vor allem junge Instrumentalist*innen fördern soll. 2010 schrieb der belgische Komponist und Dirigent André Waignein eine Rhapsodie für Alt-Saxophon und Blasorchester, das im Rahmen des 5. Adolphe-Sax-Wettbewerbs seine Uraufführung erlebte. Ein Stück, das sich ganz in den Dienst des Soloinstrumentes stellt, indem es gleichermaßen das technische Potential wie die expressiven Möglichkeiten des Saxophons auslotet. André Waignein, dessen Kompositionen weltweit aufgeführt werden, ist seiner belgischen Heimat immer verbunden geblieben. Viele seiner Werke sind explizit für Blasorchester mit oder ohne Beteiligung von Chören und Solostimmen geschrieben. Auch die Rhapsodie wurde ursprünglich für Blasorchester und Saxophon komponiert, später dann vom Komponisten für Saxophon und Sinfonieorchester erweitert. Dreisätzig angelegt entspricht die Rhapsodie in ihrem Aufbau einem klassischen Instrumentalkonzert. Unmittelbar und virtuos beginnt der erste Satz, der den spielerischen Aspekt des Saxophons hervorhebt, das, bei aller konzertanten Anlage als Soloinstrument immer dominiert. Es folgt ein langsamer Teil, der der Sanglichkeit des Saxophons Raum bietet und immer wieder filmmusikalische Qualitä-
ten entwickelt. Aus der Ruhe dieses lyrischen Momentes geht das Werk in den dritten Satz über, der sich als Tarantella entpuppt. Temperamentvoll spielerisch und rhythmisch prägnant wird aus dem Tanz ein furioses Finale, das sich in schwindelerregende Höhen schraubt und virtuos endet.



Manuel de Falla:
Suite Nr.
2 aus „El Sombrero
de tres picos“
„Es gibt wohl wenige Spanier, selbst wenn wir solche mitrechnen, die wenig wissen und lesen, welche die dem vorliegenden Werkchen zugrundeliegende Erzählung nicht kennen.“
Pedro
Antonio Alarcón, Vorrede zu „Der Dreispitz“
Selbstverständlich kannte Manuel de Falla Alarcóns Erzählung „El sombrero de tres picos“ (Der Dreispitz). Er liebäugelte auch einige Zeit mit dem Gedanken, auf Basis dieses Stoffes eine Oper zu komponieren, zögerte aber, nachdem der 1891 verstorbene Autor testamentarisch explizit eine Vertonung seiner Novelle als Oper untersagt hatte. (Dies sollte allerdings den deutschen Komponisten Hugo Wolf nicht davon abhalten, genau das zu tun: 1896 schrieb er die Oper „Der Corregidor“ nach eben jener Geschichte.) Doch Manuel de Falla sah sich dem Autoren gegenüber verpflichtet und komponierte so zunächst in den Jahren 1915-1917 eine Musikalische Pantomime mit dem Titel „Der Corregidor und die Müllerin“ nach der Novelle. Als der russische BallettImpresario Sergej Diaghilev das Stück sah, signalisierte er Interesse an einer Adaption für die Auftritte seiner Ballets Russes. De Falla überarbeitete den Orchestersatz, wobei er nun die Betonung auf den rhythmisch-tänzerischen Charakter der Musik legte. So erlebte
das Ballett „El sombrero de tres picos“ 1919 im Londoner Alhambra-Theater seine Uraufführung mit einem beeindruckenden künstlerischen Aufgebot: Die Choreographie stammte von Léonide Massine, der zusammen mit Tamara Karsawina auch die Titelrolle tanzte, die Dekorationen und Kostüme hatte ein junger spanischer Künstler namens Pablo Picasso entworfen, und am Dirigentenpult stand Ernest Ansermet. Die außerordentlich erfolgreiche Premiere brachte de Falla internationales Prestige ein.
Die etwas verwickelte Handlung spielt in einem Dorf in der Nähe von Granada. Zusammengefasst geht es um einen „Corregidor“, einen Provinzstatthalter, dessen Würde der Dreispitz verkörpert. Dieser wirbt vergeblich um die Frau des Müllers und macht sich dabei zum Gespött des gesamten Dorfes.
Die durchaus impressionistisch zu nennende Instrumentation des Balletts, bei der sich die Vorbilder Debussy und


Ravel nicht verleugnen lassen, ist hier gepaart mit musikalischem Witz und viel spanischem Volkston. Zur musikalischen Charakterisierung der einzelnen Figuren der Handlung wählte de Falla unterschiedliche Tanztypen aus verschiedenen spanischen Regionen, die zugleich soziale Herkunft, Temperament und Charakter der jeweiligen Person widerspiegeln sollten. 1921 stellt de Falla zwei Orchestersuiten aus dem Ballett zusammen. Dabei übernahm er die Musik des ersten Teils nahezu vollständig, während die zweite Suite aus drei folkloristischen Charaktertänzen des zweiten Balletteils besteht.
Zur Feier der Johannisnacht tanzen die Dorfbewohner ihre Seguidillas, bevor der Müller – angekündigt durch ein unüberhörbares Hornsignal – sich in einer Farruca seiner Männlichkeit brüstet. („Danza del Molinero“). Ein Accellerando signalisiert das Eintreffen der Polizei, die den Müller verhaftet. De Falla kommentiert diese Begebenheit augenzwinkernd mit einem deutlichen Zitat aus Beethovens 5. Sinfonie. Im allgemeinen Getümmel gelingt es dem Müller jedoch zu entkommen. Des Nachts macht der Corregidor der Müllerin erneut den Hof, wird aber von ihr in den Dorfteich gestoßen. Er rettet sich ans Ufer, hängt seine Kleider zum Trocknen auf und zieht ein Nachthemd an, das er im Haus des Müllers findet.
Missverständnisse sind die Folge: Der Corregidor wird für den Müller gehalten und von seinen eigenen Leuten verhaftet. Als der echte Müller nach Hause kommt, glaubt er sich seinerseits von seiner Frau betrogen. Doch zu guter Letzt klärt sich alles auf, die Dorfbewohner verjagen den verhassten Corregidor und tanzen triumphierend eine abschließende Jota.
Ich würde gerne eine sehr expressive und assoziationsreiche Musik machen … keine Arien oder Duette, keine Wagnerianismen oder Italianismen. Natürliche Musik, energetisch oder mysteriös, je nachdem, aber immer unser.

Nikolaj Rimskij-Korsakov: Scheherazade
„Auf der Grundlage der völlig freien Behandlung des musikalischen Materials wollte ich eine viersätzige Orchestersuite schaffen, die einerseits durch Themen und Motive innerlich geschlossen ist und andererseits gleichsam eine kaleidoskopartige Folge von Märchenbildern orientalischen Gepräges bietet.“
Nikolaj Rimskij-Korsakov
Der Orient – durch die St. Petersburger Brille Rimskij-Korsakovs betrachtet, war das gleichbedeutend mit einem geheimnisvollen Sehnsuchtsort. Obgleich im 19. Jahrhundert das Zarenreich als imperialistische Kraft im benachbarten „Orient“ auftrat, hielt sich in Künstlerkreisen die Faszination des Fremdländischen als etwas unwirklich-märchenhaften. „Die russischen Demokraten sahen im Osten eine exotische, utopische Gegenwelt zu ihrer ständisch-feudalen Gesellschaft. Ungehemmte Liebesfähigkeit und freie Natürlichkeit glaubten die Petersburger und Moskauer Künstler in der orientalischen Kultur finden zu können. Sie schätzten die Folklore der kaukasischen und transkaukasischen Völker. Die Orientalinnen trugen für sie die Zeichen des Fremd-Geheimnisvollen, des Wild-Ungezähmten, des Freiseins von ständisch-städtischer zivilisatorischer Beengtheit“, bringt die Musikwissenschaftlerin Sigrid Neef die Anziehungskraft, die jegliche Form von Orientalismus auf die Kunstwelt aus-
übte, auf einen Nenner. In diesem Sinne ist auch Nikolaj Rimskij-Korsakovs „Scheherazade“ als ein musikalisch märchenhafter Bilderbogen zu verstehen, der weder Anspruch auf musikalische Authentizität im Sinne von Einflüssen östlicher Musik erhebt, noch eine stringente Märchenhandlung nachzeichnet.
So führen denn auch die ursprünglichen programmatischen Bezeichnungen der vier Sätze der Suite schnell auf eine falsche Fährte. Denn während sich in den Überschriften „Das Meer und Sindbads Schiff – Die fantastische Erzählung des Prinzen Kalender – Prinz und Prinzessin – Festtag in Bagdad – Das Schiff treibt gegen den Magnetberg und zerschellt“ zunächst ein Handlungsfaden abzuzeichenen scheint, wird bei genauerer Betrachtung und Lektüre der entsprechenden Märchen schnell klar, dass Rimskij-Korsakov hier äußerst farbige Schlaglichter auf einzelne Märchensituationen wirft, die er aus den unterschliedlich-
sten Erzählungen frei zusammenstellt. Schon bald nach der Uraufführung, die 1888 unter seiner eigenen Leitung stattfand, bemerkte er, dass die programmatischen Satzbezeichnungen die Zuhörer*innen auf eine falsche Fährte führten, sodass er sie ersatzlos strich und nur die Tempobezeichnungen erhielt. Und doch erzählt die Sinfonische Suite eine (durchgehende) Geschichte.
Es ist die Erzählung der Scheherazade selbst, die die Rahmenhandlung der Sammlung aus 1001 Nacht bildet und die auch Rimskij-Korsakov als Rahmen benannt hat:
„Sultan Schahrir, überzeugt von der Arglist und Untreue der Frauen, hat sich geschworen, jede seiner Frauen nach der ersten Nacht hinrichten zu lassen; aber die Sultanin Scheherazade rettete ihr Leben, indem sie ihn mit Märchen zu fesseln verstand, die sie im Verlaufe von 1001 Nächten erzählte, und so, von Neugierde erfasst, verschob Schahrir ihre Hinrichtung von Tag zu Tag und gab schließlich seine Absicht völlig auf. Viele Wunder erzählte ihm Scheherazade, indem sie die Verse von den Dichtern, die Worte aus den Volksliedern nahm und Märchen in Märchen und Erzählung in Erzählung flocht.“
So beginnt das Werk mit einem kraftvollen Unisono-Bassthema der Posau-
nen, Tuba und Kontrabässe. Ein Motiv, das in seiner beinahe bedrohlichen Majestät dem Sultan quasi als Leitmotiv zugewiesen ist. Demgegenüber charakterisiert ein arabeskenhaft melodiöses Thema, das die Solovioline durch die Suite verkörpert, die Märchenerzählerin Scheherazade.
Die melismatische Ornamentik und die kleinschrittigen Intervalle tragen ebenso zu einem vermeintlichen musikalischen Exotismus bei wie der vermehrte Gebrauch der übermäßigen Sekunde als „orientalisches Intervall“ sowie perkussive Tamburinklänge. All dies evoziert einen Schein-Orientalismus als musikalisches Gegenstück zur Märchensammlung. Es ist Rimskij-Korsakov auch gar nicht darum zu tun, sich musikalisch wissenschaftlich mit kaukasischer oder transkaukasischer Musik auseinanderzusetzen. Für ihn bedeutet „märchenhafter Orient“ Farbenreichtum. Und diesem wird er in Scheherazade mehr als gerecht. So schildert er atmosphärisch Liebesszenen, Feste und Meeresstürme. Was die Seestürme angeht, konnte der Komponist aus eigener Erfahrung schöpfen, musste er doch – der Familientradition folgend –die Marine-Kadettenschule besuchen und als Offizier fast drei Jahre lang die Weltmeere besegeln – mit mäßigem Enthusiasmus.
Nachdem das Spektrum der märchenhaften Erzählungen vom Auf- bis zum Schiffbruch erzählt ist, wendet sich Rimskij-Korsakov zum Abschluss wieder der Rahmenhandlung zu. Das Herrscherthema erklingt erneut, diesmal aber versehen mit der Vortragsbezeich-
nung „dolce“ und im Pianissimo erklingend. Darüber schwebt Scheherazades Thema. Die Märchenerzählerin hat den Despoten mit ihren Erzählungen, sanft aber beharrlich besiegt. Könnte es doch immer so sein.

Vorschau
7. Philharmonisches Konzert
„Tief im Gemüthe trägt Beethoven die Romantik der Musik, die er mit hoher Genialität und Besonnenheit in seinen Werken ausspricht.“
E. T. A. Hoffmann
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, „Pastorale“
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Philharmonisches Orchester Vorpommern
Dirigent: GMD Florian Csizmadia
Öffentliche Generalprobe
Mo 14.04.2025, 19.00 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal Konzerte
Di 15.04.2025, 19.30 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal
Mi 16. & Do 17.04.2025, 19.30 Uhr Stralsund: Großes Haus

Noch mehr zu entdecken gibt es auf unserem Instagramkanal: www.instagram.com/phil_vorpommern @phil_vorpommern
Impressum
Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH
Stralsund – Greifswald – Putbus
Spielzeit 2024/25
Geschäftsführung: André Kretzschmar
Textnachweise:
Redaktion: Katja Pfeifer
Gestaltung: Öffentlichkeitsarbeit / Pawlitzky
1. Auflage: 500
Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de
Bei den Texten handelt es sich um Originalbeiträge von Katja Pfeifer für dieses Heft.
Bildnachweise:
Umschlagfoto: Peter van Heesen; S. 2: Aram Poghosyan: Roman Markelov; Laura Bueno: José María Moreno; S. 4: Vollmondnacht; S. 7: Wegweiser zum Kahlen Berg bei Kiew S. 9: Adolphe-Sax-Skulptur in Dinant, Belgien S. 10/11: Félix Roulin: Adolphe-Sax-Monument in Dinant, Ausschnitt; S. 13: Gijs Jakobs: Spanische Mühle; S. 14: Hacienda bei Granada; S. 16: Verlassenes Gebäude in der Siedlung Kolmannskuppe, Namibia; S. 19: Édouard Richter: Scheherazade
Die gemeinfreien Fotos stammen von den Plattformen Wikipedia, pexels und pxhere.
Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen
Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.