Wie wird einerseits Nutzung durch Architektur und andererseits Architektur durch Nutzung beeinflusst

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Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Prof. Dr. Richard Woditsch

Theorie der Architektur und Entwerfen

Wissenschaftliches Arbeiten: Studentische Beiträge

Wie wird einerseits Nutzung durch Architektur und andererseits Architektur durch Nutzung beeinflusst? betrachtet anhand von Surrealismus und Minimalismus

Verfasser: Julia Hager Vanessa van Zoest


Seminararbeit im Fach M 1100 Wissenschaftliches Arbeiten Seminarleiterin: Jennifer Botzki (M.A.) Wintersemester 2018 Abgabedatum: 16.01.2019 Technische Hochschule N체rnberg Georg Simon Ohm Fakult채t Architektur Bahnhofstrasse 90 90402 N체rnberg Lehrbereich Theorie der Architektur und Entwerfen Raum BB.309 Postanschrift: Postfach 90121 N체rnberg Internet: http://tae.ohmarch.de/


Technische Hochschule Nßrnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen

Prof. Dr. Richard Woditsch Jennifer Botzki

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 2. Surrealismus und Minimalismus 3. Wie beeinflusst Architektur die Nutzung? 3.1 Methoden im Surrealismus 3.2 Methoden im Minimalismus 4. Wie beeinflusst Nutzung die Architektur? 4.1 Auswirkung im Surrealismus 4.2 Auswirkung im Minimalismus 5. Vergleich der beiden Beeinflussungen 6. Fazit 7. Bibliografie



1. Einleitung

Alice Munro - „Mit Seeblick“, der Ausgangspunkt des Entwurfes „LesBau“. Eine Kurzgeschichte, die auf den ersten Blick eher trist wirkt, fast langweilig und ohne großen Höhepunkt. Bei genauerer Betrachtung jedoch stellt sich heraus, dass die Autorin zwar distanziert, aber mit einer unterschwelligen Beeinflussung den Leser in den Bann zieht. Eine Traumwelt, die wie eines jeden Alltages wirkt, weder besonders fantasievoll, noch albtraumhaft. Doch genau

dieses Darstellen der Sehnsucht der Protagonistin lässt ihre Realität negativ erscheinen.

oder Betrachter auf seine Umgebung aufmerksam zu machen.

Traum und Realität. Was ist Schein und was ist Sein?

Ganz in diesem Sinne beschäftigt sich die folgende Arbeit mit der Frage „Wie wird einerseits Nutzung durch Architektur und andererseits Architektur durch Nutzung beeinflusst?“ Ausschlaggebend für diese Analyse sind die Methoden des Surrealismus und Minimalismus.

Oder architektonisch gesehen: Surrealismus und Minimalismus. Komplette Gegenteile oder doch nur Mittel, um eine Reaktion auszulösen? Sie beschäftigen sich mit den Themen der Fülle, der Leere; mit dem spezifischen Hintergedanken, den Nutzer

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2. Surrealismus und Minimalismus

Surrealismus ... in der Kunst „Der Surrealismus (franz. ÜberWirklichkeit) (...) beschreibt eine antibürgerliche Lebenshaltung bzw. eine Kunst, die sich dem Traum (Albtraum), dem Fantstischen, dem Irrationalen, der Erotik, dem Tabubruch bewusst öffnet, um der Barberei des Ersten Weltkrieges neue Sichtweisen entgegenzuhalten.“1 Entstanden aus dem Dadaismus und geleitet von der „(...) Traumdeutung und (...) Theorie des Unbewussten in den Schriften Sigmunds Freuds (...)“2 zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieges beschäftigt sich die Kunstrichtung mit den unbewussten Gedankengängen der Menschen. Als Gegenbewegung des Rationalismus arbeitet der Surrealismus mit

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Assoziationen und neuartigen Techniken der „Nichtkomposition“, erschaffen durch Traumfetzen und Hypnose. Das Ziel ist die Schaffung einer Verbindung von Bewusstsein und Unbewusstsein in so drastischer Form, dass der Alltag von einer „absoluten Realität, einer Surrealität“3 begleitet wird. Um dies zu erreichen werden Methoden wie Frottage, automatische Zeichnungen, spontane, unbearbeitete Aufnahmen von chaotischen Bildern oder auch gefundene Objekte verwendet; mit Betonung auf den Inhalt und die freie Form. Obwohl sich die Bewegung hauptsächlich in Frankreich, Paris, befand, gab es innerhalb der Stilrichtung weitere Unterscheidungen: Der organische, symbolische und absolute Surrealismus. Grund dafür war die unterschiedliche Auffas-

https://www.artinwords.de <23.11.2018> [Surrealismus in der Kunst: Definition] Matzner, 13.08.2016 https://www.britannica.com <23.11.2018> [Surrealism - Art and Literature] Gern, 05.05.2002 Waser, 13.04.2007

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sung der Künstler zum Thema „Selbstfindung, zu denen unter anderem Max Ernst, Rene Magritte und Salvador Dali gehörten. ... in der Architektur Während der Surrealismus in der Literatur begann und seinen Höhepunkt in der Kunst erlebte4 , gab es Versuche architektonischer Herkunft. „Dass die Surrealisten mit ihren Symbolen auch der Architektur und insbesondere den Innenräumen eine psychologische Dimension einzupflanzen vermochten, (...)“5 beweist Salvador Dalis „Mae West‘s Face Which May Be Used as a Surrealist Apartment“. Doch bis auf wenige Möbel und einzelne Inneneinrichtungen, existierten mehr Ideen als Umsetzungen.


“Less is more”. Ludwig Mies van der Rohe

Minimalismus , der: „bewusste Beschränkung auf ein Minimum, auf das Nötigste“6 ... in der Kunst taucht Minimalismus erstmals 1965 in einem Artikel von Richard Wollheim unter dem Begriff „Minimal Art“ auf. Als Gegenbewegung des Abstrakten Expressionismus arbeitet die „Minimal Art“ mit nüchterner, mathematischer Genauigkeit und zeichnet sich durch Rationalität und unparteiische Objektivität aus. Dabei geht es darum, „die Kunst auf das absolute Minimum zu reduzieren, um die Grundidee herauszustellen.“7 Minimal Art verzichtet auf Vieldeutigkeiten, Illusionen oder

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emotionale Anspielungen. Stattdessen strebt sie nach Nüchternheit und betont die Reinheit der Farbe, der Form und des Raums.8 „Was man sieht, ist das, was es ist.“9 Bald wächst die Minimal Art zum Minimalismus heran, gelangt von Amerika nach Europa und Japan, und überträgt sich vom rein künstlerischen Umfeld auf Mode, Design und Architektur. „Je weiter er [expandiert], umso schwieriger [wird] es, ihn zu definieren. Das liegt (...) an seinen vielen Gesichtern - und sicherlich auch daran, dass der Minimalismus sich nie ein Manifest gegeben hat.“10 ... in der Architektur ist die Definition von Minimalis-

https://www.duden.de <30.12.2018> [Definition „Minimalismus“] Hodge, 2014, S. 178 Hodge, 2014, S. 176-179 Hodge, 2014, S. 178

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mus umstritten und der theoretische Diskurs darüber komplex. Er ist aber gekennzeichnet durch „Reduktion auf klare, geometrische Grundformen, rechte Winkel und parallele Linienführungen, die Ausdehnung von Flächen und den Verzicht auf überflüssige Dekorationen.“11 Was ihn noch charakterisiert, ist die Ästhetik der Einfachheit. So schreibt Johann Christoph Reidemeister: „Reine Geometrie, perfekte Proportion und ein sensibler Umgang mit den Materialien sind die wesentlichen Zutaten [des Minimalismus]. In der Architektur wurden daraus Häuser, die Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, indem sie jedes Zuviel vermeiden.“12


Abb. 2: Frank Stella, The Marriage of Reason and Squalor, II 1959

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Reidemeister, 28.12.2004 https://architekten-scout.com <30.12.2018> [Minimalismus in der Architektur] Reidemeister, 28.12.2004

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3. Wie beeinflusst Architektur die Nutzung?

3.1 Methoden im Surrealismus Anhand der Surrealen Räume de Chiricos „And among all dreams that the architects has laid upon the earth, I know of no more lovely things than his flights of steps leading up and leading down, and of this feeling of architecture in my art I have often thought how one could give life (not a voice) to these places, using them to a dramatic end.“13 Die Raumwirkung wird hauptsächlich durch das Spiel mit der Perspektive erzeugt. Im Gegensatz zum bekannten Raum, verfälscht der Surrealismus die Wahrnehmung der räumlichen Begrenzung. Dies geschieht zum Beispiel durch eine Überladung an Blickpunkten und einer Vielzahl an

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Fluchtpunkten, die es dem Auge erschweren einer konstanten Raumabwicklung zu folgen. Gezielte Platzierungen von scheinbar fehlplatzierten Objekten schaffen eine räumliche Unordnung, das das Infragestellen der Perspektive zur Folge hat. „Der Betrachter wird mit einem Netz widersprüchlicher räumlicher Ausdehnungen konfrontiert, die in psychologischer Hinsicht den anfänglichen Eindruck von Ruhe und Stabilität untergraben.“14 Es entsteht eine räumliche Inkongurenz, verstärkt durch Schatten und „umgekehrte Perspektiven“. Der Raum an sich wird aufgelöst, um der Psyche den nötigen Raum zum „Wandern“ zu geben. „Diese so genannten Architekturkulissen wirken als trennende

Wimmer, 2015, S. 118/119 Wimmer, 2015, S. 60 Wimmer, 2015, S. 137 Wimmer, 2015, S. 32

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beziehungsweise verbindende Elemente und ersetzen oftmals die perspektivische Anlage des Raums.“15 Wird im Surrealismus der „Raum“ erwähnt, so folgt das Wort „Zeit“ unmittelbar danach, denn ein großer Bestandteil des Stiles ist die „Vierte Dimension“; entstanden durch das Streben nach Unendlichkeit. Mittel dieses Ausdruckes sind unter anderem der Wechsel von Bildräumen, Größenverhältnissen und Handlungsperspektiven. „Die Realität ist demnach für de Chirico eine Anordnung von Zeichen, die man mittels der subjektiven Empfindung und nicht mit der Intelligenz im reinen Wortsinn, das heißt mit rational-logischen Begrifflichkeiten, auffassen soll (...).“16



ten, eine solch konzentrierte Architektur zu schaffen. „Zumthor setzte dabei bewusst auf Verweigerung (...) der spektakulären Architekturgeste, (...) der mitreissenden, an der Aktivität der Besucher mitwirkenden Räume. Von aussen verrät das Gebäude kaum seine Nutzung, von innen gibt es so gut wie keinerlei Beziehung nach aussen; (...) Das Museum ist eine öffentliche Klause (...), [das] sich dezidiert von der Stadt und ihrer Geschäftigkeit abschottet. Seine Funktion besteht darin, dem Besucher die möglichst unbeeinträchtigte, möglichst konzentrierte Kontemplation der Kunst zu gestatten. (...) Selbst der Blick nach aussen ist eine Ablenkung, die sich Letzterer versagen muss.“20 Es ist die Sehnsucht nach Ordnung, die minimalistische Architektur stillt. Während man heutzutage ständig einer Flut von

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Bildern, Reizen und Lärm ausgesetzt ist, widersetzt sich minimalistische Architektur diesem Chaos. Sie ist ein „Ort, wo wir unsere Augen ausruhen können, [das] Sinnbild von Kontemplation, [die] Materialisierung von Schweigen.“21 Diese Einfachheit in der Architektur basiert also auf Neutralität und funktioneller Nüchternheit; erscheint aber keineswegs langweilig und ermüdend. Durch den präzisen Einsatz von Licht und Schatten, Entmaterialisierung und geometrischer Ruhe entsteht eine spannungsvolle, poetische Leere. Wirkung Diese Leere kann sowohl beruhigend und meditativ als auch erfrischend und inspirierend wirken. John Pawson beschreibt sein Stre-

Lampugnani, 23.09.2016 Lampugnani, 01/2015, S. 21-22 Iovine, 2011, S. 11

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ben nach minimalistischem Raum so: „I suppose you can say it was a striving for an extreme. And when you achieved it, it was exciting and stimulating (...). Or rather, it was calming and felt completely settled because it was so clear. I remember feeling it as a kind of irony, because if just right it could cause you to lie down and want to meditate. But for me, I would get so excited that I would always be jumping up to look more closely at the light and at the shadows. I find it very stimulating when I get spaces right.“22 Die ‚atmosphärische‘ Wirkung der minimalistischen Architektur auf die Nutzung ist also nicht eindeutig oder vorherzubestimmen. Klar ist aber: einfache Architektur nimmt sich selbst so sehr zurück, dass die Nutzung in den Fokus



4. Wie beeinflusst Nutzung die Architektur?

4.1 Auswirkung im Surrealismus „[...] Wenn ein Raum mit seiner ganzen Größe auf uns wirkt, welches hinreicht, das Maß unseres eigenen Leibs fast unendlich klein zu machen. Dies kann ein für die Wahrnehmung leerer Raum nie, daher nie ein offener, sondern nur ein durch die Begrenzung nach allen Dimensionen unmittelbar wahrnehmbarer, also ein sehr hohes und großes Gewölbe wie das der Peterskirche in Rom oder der Paulskirche in London. Das Gefühl des Erhabenen entsteht hier durch das Innewerden des verschwindenen Nichts unseres eigenen Leibes vor einer Größe, die andererseits selbst wieder nur in unserer Vorstellung liegt und deren Träger wir als erkennendes Subjekt sind, also hier wie überall durch den Kon-

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trast der Unbedeutsamkeit und Abhängigkeit unseres Selbst als Individuums, als Willenserscheinung, gegen das Bewußtsein unserer als reinen Subjekts des Erkennens.“27 Der Surrealismus hat seine Wurzeln in dem psychischen Gedankenfluss des Menschen (siehe Seite 7 „Surrealismus in der Kunst“) und ist deshalb nur insoweit auf den Raum angewiesen, dass dem Denken und Fantasieren des Menschen ein Rahmen gegeben wird. Der Raum in der Architektur gleicht sozusagen der Leinwand in der Kunst. Er bietet die Möglichkeit fiktive Räume zu schaffen, Räumlichkeiten oder sogar Welten, die jenseits des Realraumes existieren. „(...) Man könnte neben der Unzeitlichkeit sogar von einer Un-

Wimmer, 2015, S. 150 Wimmer, 2015, S. 78

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räumlichkeit (...) sprechen. [...] Wie unsere Gefühle, Liebe und Haß, Freude und Schmerz, zwar innerhalb des Raumes sich abspielen, als seelische, intensive Vorgänge aber nichts vom Raum wissen, auf den sie erst sozusagen nachträglich bezogen werden, so stehen [sie] in ihrem Stimmungseffekt, ihrem wirkenden Wesen, jenseits der drei Dimensionen des Raumes, wie sie jenseits der einen Dimension der Zeit stehen [...].“28 Die Vorstellung des Menschen ist der bestimmende Faktor bei der Wahrnehmung des physischen Raumes, denn wie dieser empfunden wird, ist abhängig vom Individuum. Formen, Farben, Entfernungen, Kompositionen. Je nach Betrachtung, Vorstellungsvermögen, künstlerischer Sugges-


“We believe that we have to draw something and let it be contaminated, because architecture is an incomplete art. To be completed it needs life, which is the final layer. That’s why we don’t want to fill up the spaces.” Aires Mateus

tion und eigenen Gedanken werden unmittelbare Stimmungen und Gefühlszustände generiert oder assoziiert, denn Raum und Zeit existieren lediglich in der Vorstellung einer jeden Person. Wie auch bei der Beeinflussung der Nutzung durch die Architektur, bezieht sich die „Nutzung“ bei ihrer Beeinflussung der Architektur auf die „Zeit“. Bewusste Suggestionen bezüglich der Bewegung vermitteln entweder einen Fortlauf (links nach rechts), einen Rücklauf (rechts nach links) oder aber einen scheinbaren Zeitstillstand (Zusammenstoß von fortlaufender und rücklaufender Bewegung). „[...] Nur mit Hilfe der Zeit kann ein Raum einzig und allein durchmessen werden.“29 4.2 Auswirkung im

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Minimalismus Wie beeinflusst im Minimalismus die Nutzung die Architektur? Forderungen an die Architektur Durch das minimalistische Prinzip, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, liegt der Fokus darauf, die Nutzung in den Vordergrund zu stellen. Denn die Nutzung ist überhaupt die Existenzberechtigung eines Gebäudes - sie ist ihr Inhalt. Nutzung beeinflusst minimalistische Architektur, indem sie das Höchstmaß an funktioneller Nüchternheit fordert. Die Nutzung rückt dann am meisten in den Vordergrund, wenn ihr Umfeld sich in absolute Neutralität

Wimmer, 2015, S. 177 Lampugnani, 23.09.2016

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taucht. So beschreibt Lampugnani: „Denn die Zurückhaltung, die dem Minimalismus eignet, (...) schien die jüngste Generation von Kunstmuseen dafür zu prädestinieren, gegenüber der Kunst jene dienende Haltung einzunehmen, welche die grösste Reverenz ist, die ihr die Architektur zu erweisen vermag.“30 Die Methoden, mit denen minimalistische Architektur ihren Nutzer beeinflusst (3.2) sind also zunächst Forderungen. Es sind Forderungen, die die Nutzung an ein Gebäude stellt. Die Nutzung erfordert den sparsamen Umgang mit Ressourcen, Flexibilität und zeitlose Gestaltung, um wirklich nachhaltig sein zu können. Und sie erfordert Reduktion auf das Essentielle und Präzision im Detail, um ruhenden Raum zu



5. Vergleich der beiden Beeinflussungen

Aus der Recherche der beiden Kunstrichtungen lässt sich schließen, dass das Produkt des Verzichtes im Minimalismus im Überreiz angewendet die Basis des Surrealismus bildet. Dies kann folgende Auswirkungen nach sich ziehen: Architektur beeinflusst Nutzung Der Minimalismus macht sich die Einfachheit der Architektur zunutze, um möglichst vielen Menschen zu gefallen. Das Reduzieren von Details und einer Wertung bzw. Suggestion, gibt der minimalen Architektur die Möglichkeit universell nutzbar zu sein. Der Grund dafür findet sich in der ursprünglichen Absicht des Minimalismus (siehe S.17), erst durch

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Nutzung seine Vollendung zu finden, wieder. Entgegen der endgültigen Erscheinung der Einfachheit ist der Weg zu diesem Ergebnis komplizierter als vermittelt. „Tatsächlich wird eine solche Einfachheit nicht einfach zu erreichen sein. Denn im besten Fall geht sie von der maximalen Komplexität aus, um sie daraufhin in einem langen und schwierigen Auswahlprozess zu reduzieren. Weit davon entfernt, simpel oder gar dürftig zu sein, ist sie ein Konzentrat von Reichtum. «Verwechseln Sie bitte nicht das Einfache mit dem Simplen», soll Mies van der Rohe gemahnt haben. Und: «Der Zwang zur Einfachheit bedeutet keine kulturelle Armut, wenn wir uns bemühen, so viel Schönheit als nur möglich einzufangen.»“32

Lampugnani, 01.03.2008

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Der Surrealismus dagegen ist nicht auf die Nutzung der Architektur angewiesen. Stattdessen führt die Überreizung der Sinne dazu, dass die „beabsichtigte“ Nutzung oftmals infrage gestellt und als Skulptur oder Kunst angesehen wird (Lippensofa von Salvador Dali, siehe S. 6). Dieses Schaffen einer Atmosphäre, generiert durch das Nutzen von Farben, Formen und Kompositionen, löst prinzipiell immer Gefühle in Menschen aus, was der surrealen Architektur einen gewissen Spielraum für „Fehler“ bietet, die im Minimalismus durch das Entblößen jeglicher Details sofort ersichtlich wären.


Nutzung beeinflusst Architektur “I did not want to find a monumental architecture. I did not want to find a fashionable architecture, I did not want to find a beautiful architecture, instead I always sought a ‘skinless’ architecture, an architecture in which the outside arises from the inside, straight out of the inner life of the men who live in it.” 33 Ähnlich diesem Ansatz von Superstudio, und im Gegensatz zum Minimalismus, hat die eigentliche Nutzung der surrealen Architektur keinen direkten Einfluss auf die Architektur, da es der Stilrichtung um das psychologische Erlebnis innerhalb dieser Räumlichkeiten geht. Aufgrund dessen ist es schwierig, einen direkten

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Vergleich der Beeinflussung der Nutzung zur Architektur vorzunehmen.

http://dip9.aaschool.ac.uk <15.01.2019> [Superstudio Quotes]

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6. Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die beiden Stilrichtungen in ihrer Methodik gegensätzliche Herangehensweisen haben, in ihrer Zielorientierung jedoch konsequent durchdacht sind. So beschäftigt sich der Minimalismus mit der Beeinflussung der Architektur durch die Nutzung, indem sich das Gebaute bis auf sein Minimalstes reduziert und der Nutzung all den Spielraum bietet, den er braucht, um sich zu entfalten und zu wirken. Der Surrealismus dagegen ist nicht unbedingt darauf fokussiert die Nutzung zu unterstützen, sondern den Nutzern die Möglichkeit eines erweiterten Bewusstseins zu schenken. Der Überfluss an produzierter Masse lässt dementsprechend nicht nur das Auge

wandern, sondern auch die Gedanken. Doch egal, wie man zu den beiden Stilrichtungen steht, eins ist klar: Beide verstehen ihr Handwerk und wissen genau, wie viel weggelassen bzw. produziert werden kann, um eine reaktion im Betrachter auszulösen. Ist der Blick in die Zukunft gerichtet, lässt sich die Vermutung aufstellen, dass der Minimalismus - architektonisch gesehen - aufgrund seiner Funktionalität sowie Kostengünstigkeit mehr Erfolgschancen hat als der Surrealismus. Wie auch in der Vergangenheit schon, konzentriert sich die Entwicklung des Surrealismus eher in den Bereich des Design; besonders wegen des Fortschrittes der Digitalisierung.

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7. Bibliografie

https://www.duden.de/rechtschreibung/ Minimalismus <30.12.2018> Susie Hodge: Minimal Art. In: Susie Hodge: 50 Schlüsselideen Kunst. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag, 2014, S. 176-179 https://architekten-scout.com/architektur/ minimalismus-architektur <30.12.2018> Johann Christoph Reidemeister: Nachdenken über Einfachheit. Bücher zum Minimalismus in Architektur und Design. In: Neue Zürcher Zeitung, 28.12.2004. URL: https://www.nextroom. at/article.php?id=12125 <02.01.19 16:06> Tunón, Emilio: A Conversation with Manual and Francisco Aires Mateus. In: El croquis Vol. 186. Aires Mateus: at the heart of time, 5/2016, S.17-19 Vittorio Magnago Lampugnani: Museen sind die Kathedralen von heute. In: Neue Zürcher Zeitung, 23.09.2016. URL: https:// www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/ museen-sind-die-kathedralen-von-heuteunterhaltung-und-erkenntnis-ld.118166 <03.01.19 11:21> Vittorio Magnago Lampugnani: Bescheidene Häuser statt spektakuläre Bauskulpturen. Plädoyer für eine auf das Wesentliche ausgerichtete Architektur. In: Neue Zürcher Zeitung, 01.03.2008. URL:

https://www.nzz.ch/bescheidene_haeuser_ statt_spektakulaere_bauskulpturen-1.681016 <03.01.19 16:30>

http://dip9.aaschool.ac.uk/archive/superstudio-quotes/ <15.01.209>

Vittorio Magnago Lampugnani: radikal normal. Positionen zur Architektur der Stadt Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, 01/2015

Abbildungsverzeichnis:

Julie V. Iovine: A Conversation with John Pawson. In: El croquis Vol. 158. John Pawson: the voice of matter, 5/2011, Sxx-xx Othmar Humm: Lob auf das einfache Haus. In: Neue Zürcher Zeitung, 31.03.2008. URL: https://www.nzz.ch/lob_auf_das_einfache_haus-1.697745 <07.01.19 17:30> https://artinwords.de/surrealismus/ <23.11.2018> https://www.britannica.com/art/Surrealism <23.11.2018> Georges Waser: Vom Lippensofa in den Korsettstuhl. In: Neue Zürcher Zeitung, 13.04.2007. URL: https://www.nzz.ch/articleF2YEY-1.142431 <08.01.2019> Andrea Gern: Kunstlexikon Surrealismus. In: Hatje Canz Verlag, Magazin, Künstler & Kunstlexikon, 05.05.2002. URL: http://www. hatjecantz.de/surrealismus-5057-0.html <08.01.2019> Karin Wimmer: De Chirico. Surreale Räume. Tectum Verlag, 2015

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Abb. 1: https://www.lonelyplanetitalia. it/articoli/consigli-di-viaggio/il-megliodella-catalogna <08.01.2019> [Salvador Dali: Mae West‘s Face which May be Used as a Surrealist Apartment, 1934 - 1935] Abb. 2: https://www.moma.org/collection/works/80316 <30.12.2018> [Frank Stella: The Marriage of Reason and Squalor, II 1959] Abb. 3: http://www.kunstgeschichteejournal.net/406/1/De_Chirico_und_das_ moderne_Bühnenbild.pdf <08.01.2019> [Giorgio de Chirico: Morgendliche Meditation, 1911-1912] Abb. 4: http://www.kunstgeschichteejournal.net/406/1/De_Chirico_und_das_ moderne_Bühnenbild.pdf <08.01.2019> [Giorgio de Chirico: Die angstvolle Reise, 1913] Abb.5: https://www.flickr.com/photos/131586008@N08/19914267036 <13.01.2019> [Kunsthaus Bregenz. (Joan Mitchell: Retrospective. Her Life and Paintings)]


Abb. 6: https://www.stein-magazin.de/ moritzkirche-augsburg-raum-der-sehnsucht/#!/foto-post-732-1 <08.01.2019> [Gilbert McCarragher: Moritzkirche in Augsburg, John Pawson] Abb. 7: https://architizer.com/projects/barquinha/media/806164/ <14.01.2019> [Fernando Guerra | FG+SG: School in Vila Nova da Barquinha, Aires Mateus, 2016] Abb. 8: https://www.archdaily.com/785390/ school-in-vila-nova-da-barquinha-airesmateus/570c84fae58ece6805000071school-in-vila-nova-da-barquinhaaires-mateus-photo <14.01.2019> [Fernando Guerra | FG+SG: School in Vila Nova da Barquinha, Aires Mateus, 2016]

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