Abfallmanagement in der Baubranche und sinnvolle Alternativen

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Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Prof. Dr. Richard Woditsch

Wissenschaftliches Arbeiten: Studentische Beiträge

Abfallmanagement in der Baubranche und sinnvolle Alternativen

Verfasser: Chiara Weiss, Matrikelnummer: 2392027 Steffen Schiller Matrikelnummer: 2390765

Theorie der Architektur und Entwerfen


Seminararbeit im Fach M 1100 Wissenschaftliches Arbeiten Seminarleiter: Dr.-Ing. Mark Kammerbauer (M.Sc., Dipl.-Ing.) Wintersemester 2016 /7 Abgabedatum: 23.01.2017 Technische Hochschule N체rnberg Georg Simon Ohm Fakult채t Architektur Bahnhofstrasse 90 90402 N체rnberg Lehrbereich Theorie der Architektur und Entwerfen Raum BB.309 Postanschrift: Postfach 90121 N체rnberg Internet: http://tae.ohmarch.de/


Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen

Prof. Dr. Richard Woditsch Dr. Mark Kammerbauer

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 2. Hauptteil

2.1 Begriffsdefinition 2.2 Historischer Hintergrund des Abfallmanagment 2.3 Alternativmöglichkeiten in der Theorie 2.3.1 Recycling 2.3.2 Cradle to Cradle 2.4 Alternativmöglichkeiten in der Praxis 2.4.1 PHZ2, Dratz & Dratz Architekten 2.4.2 Loblolly House, Kieran Timberlake architects

3. Fazit 4. Bibliographie 5. Bildquellenverzeichnis 6. Anhang



“The future city makes no distinction between waste and supply”.1

1. Einleitung

Im Kontext mit aktuellen Themen wie der Resourcenknappheit oder der exorbitant wachsenden Produktion von Abfall stellt sich die Frage zu Alternativen unserer heutigen Art mit Abfall umzugehen. Keine andere Branche hat in den letzten Jahren sein Tätigkeitsprofil so erweitert wie die Kreislauf- und Entsorgungswirtschaft. In einer Welt mit einer stetig wachsenden Bevölkerung und dem einhergehendem Konsumniveau kann die gegenwärtige Abfallwirtschaft den Wohlstand nicht durch Einschränkung des Wachstums beibehalten. Begriffe wie Recycling hingegen sind heutzutage fast alltäglich geworden, scheinen jedoch nicht an Bedeutung gewonnen zu haben. Das Ziel „dieser“ Öko-Effizienz-Strategien besteht darin, kaum Spuren

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in der Umwelt zu hinterlassen. In vielen Wirtschaftszweigen und Branchen scheint dies schon heute nicht nur Zukunftsvision zu bleiben. Doch wie sieht es mit der Baubranche aus? Gerade dort werden Abfallsysteme basierend auf Recycling mehr in der Theorie als in der Praxis behandelt, auch wenn fast die Hälfte des globalen Abfalls produziert wird. Bisher scheint eine Wiederverwertung von entstehendem Bauschutt kaum möglich zu sein. Doch welche Methoden der Wiederverwendung gibt es überhaupt und wie sinnvoll sind diese im gegenseitigen Vergleich? Recycling und Cradle to Cradle stellen dabei alternative Vorangehensweisen für ein zukunftsträchtiges Abfallmanagment dar um den entstehenden ökologischen

http://www.bbc.com <20.01.2017> [Michel Joachim: Cities from waste] 20.01.2017

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Fußabdruck zu minimieren. Ist es möglich, dass Abfall Teil eines kreativen Prozesses wird anstatt ein Endprodukt zu bleiben? Im Folgenden soll auf diese Fragen eingegangen werden und mit Hilfe einer Definition des Begriffes Abfalls geklärt werden, ob es sinnvolle Alternativen im Abfallmanagment gibt.


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2. Hauptteil

Jährlich werden in den Städten weltweit über 1,3 Billionen Tonnen Müll erzeugt. Innerhalb der nächsten 10 Jahre soll die Müllproduktion stetig wachsen. In den USA werden nur rund 30 Prozent des erzeugten Mülls recycelt.1 Deponien, Landwirtschaften und Energieerzeuger zählen weltweit zu den Hauptquellen klimaschädlicher Emissionen von CO2 und Methan2. Man muss sich zwingend die Frage stellen, wann wir diese Krise beenden beziehungsweise diese Situation ändern und gegebenenfalls anfangen davon zu profitieren?3 Wir müssen beginnen Müll als ein Geschenk zu sehen und es von seinem abwertenden Stigma zu befreien.4

2.1 Begriffsdefinition Müll wird als ungewolltes, nicht erwünschtes Material („dessen sich der Besitzer entledigt oder entledigen muss“5) definiert. Man unterscheidet zwischen „man made- Müll“ und natürlich erzeugtem Müll. Ebenso sollte zwischen festem und durch Emission oder Ausstrahlung erzeugten Müll differenziert werden.6 Bei einer genauen Definition des Wortes Abfall stellt sich vorrangig die Frage nach dem Kontext. Während zum Beispiel die Amerikaner sich im vergangenen Jahrhundert als Entwickler der baulichen Weltstruktur sahen, bezeichneten die Vietnamesen diese als Erzeuger von Müll, mit dem sie ihre Häuser bauen können.7 Aus diesem Grund lässt sich kei-

1 vgl. Hebel et al. , 2014, S. 7 ff 2 vgl. Röttgen, 2011, S. 119 3 vgl. Hebl et al., 2014, S. 7 ff 4 vgl. Bataille, 1967 5 Schnurer / Junger, 2011, S. 34 6 vgl. Hebel et al. , S. 12 7 vgl. Hebel et al. , S. 12 8 vgl. Hebel et al. , S. 012 f.

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ne allgemein gültige Erklärung feststellen, da die Definition schwierig messbare Parameter wie Emotionene, Gefühle, Ästhetik und andere Sinne mit einbezieht.8 Aufgrund dieser Erkenntnis wird im Folgenden ausschließlich das Abfallmanagement der EU, insbesonderen von Deutschland, thematisiert.


2.2 Historischer Hintergrund des Abfallmanagment Seitdem Menschen leben, produzieren sie Müll. In der Frühzeit wurde entstandener Abfall entweder verbrannt oder vergraben, was einen stetigen Anstieg des Bodenniveaus zufolge hatte. Mit der Entstehung von städtischen Ansammlungen entwickelt sich das erste „Müll-Management“. Die Bewohner entsorgen die entstandenen Reste außerhalb der Stadtmauern und formen erste Deponien. Im Mittelalter geht man dazu über Abfälle direkt auf der Straße zu entsorgen. Dies lockt Ratten und Tiere, die Krankheiten wie die Beulenpest, Cholera und Typhus übertrugen. Die wachsende städtische Bevölkerung und die darauf folgende

Industrielle Revolution generieren eine neue Art des Abfalls. Zu dem bisher natürlichem Müll kommt der industrielle Müll und dessen Emissionen. Schnell wurde der Müll zu einem der größten Problemen der Ämter der Stadt. Das Vergraben der Überreste verschmutzt das Grundwasser und der in den 1970er und 1980er Jahren9 hinzu kommende nukleare Atommüll fordern eine Wende im Müllmanagement. Als Folge dessen wird über Alternativmöglichkeiten der Abfallverwertung und Abfallverwendung nachgedacht. Erstmals diskutiert man über ökologische Risiken und Folgen der Wegwerfgesellschaft.10 Das „Duale System“ unter Umweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer fokussiert auf die Produktverantwortung der Unternehmen. Die

9 vgl. Hebel et al., 2014, S. 12 ff 10 vgl. Bünemann, 2011, S. 19 ff 11 vgl. Flasbarth, 2011, S. 320 ff

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Verpackungen sollen gesammelt, sortiert und verwertet werden. Abfallvermeidung und Abfallverwertung stehen im Bezug auf die Produktverantwortung im Vordergrund. Die Abfallhierarchie wird durch „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ und „Recycling“ maßgebend erweitert.11 Der 1987 beschlossene Vertrag „L´Acte Unique“ schafft neue Impulse für die Umweltpolitik. Ziele sind die Qualität der Umwelt zu erhalten, schützen und zu verbessern, zum Schutze der menschlichen Gesundheit beizutragen und die natürlichen Ressourcen klug und rationell zu nutzen. Somit könnte zum Beispiel die effiziente Rückführung von Sekundärrohstoffen in den Wirtschaftskreislauf und die damit verbundene Substitution von Primärrohstoffen


aktiv zur Ressourcenschonung beitragen.12 Die Frage, wie man die Produktion des unorganischen Abfalles minimieren und diesen in eine Ressource konvertieren kann, wird bis heute umfassend behandelt.13 In der Architektur nehmen erstmals Le Corbusier, die Gruppen De Stijl aus den Niederlanden und Bauhaus das Thema „Müll“ auf, indem sie „Sauberkeit, Reinheit und Gesundheit“ durch ihre Architektur fordern.14 Bauschutt stellt mit 50 Millionen Jahrestonnen einen großen Teil des Abfalls dar. Dieser wird zu rund 60 Prozent recycelt und anschließend niederwertig verwendet. Nur ein Bruchteil erfährt eine Qualitätsgleichheit oder Steigerung durch Upcycling. Bisher fehlt die

Akzeptanz und das Wissen über qualitative Recyclingbaustoffe und erklärt den geringen Einsatz dessen.15

12 vgl. Flasbarth, 2011, S. 320 13 vgl. Hebel et al., 2014, S. 15 14 vgl. Hebel et al., 2014, S. 14 f 15 vgl. Flasbarth, 2011, S. 324 f

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2.3 Alternativmöglichkeiten in der Theorie Die gängingsten Alternativmöglichkeiten des Abfallmanagements in der Baubranche stellen Recycling und Cradle to Cradle dar. Im Folgenden werden diese theoretisch definiert und anschließend an einem Praxisbeispiel veranschaulicht.

2.3.1 Recycling Grundsätzlich ausschlaggebend für den Recyclingprozess ist eine erkennbare Zyklizität des Materialkreislaufes.16 Somit hat der Begriff „Recycling“, der im angloamerikanischen Sprachgebrauch eingeführt wurde, die Bedeutung des Schließens von Produktionsprozessen zu Kreis-

läufen im Gegensatz zu den bisher vorherrschenden linearen Herstellungsmethoden.17 Man bezeichnet es als „Rückführung und Einschleusung von Objekten [...] in Materialkreisläufe“18. Es stellt sich die Frage ob ein vollkommener Materialkreislauf im Modell des Recycling real ist. Somit dürften keine Reste, sei es stofflicher, gasförmiger oder energetischer Art, entstehen. In der Regel lässt sich Recycling jedoch in nicht geschlossenen Systemen finden, da der Umwandlungsprozess eines Materiales mit einer stetigen Zerkleinerung dessen verbunden ist. Letztendlich bleiben für den Menschen unverwertbare Reststoffe. Der permanente stoffliche und energetischer Verlust bis hin zur Unbrauchbarkeit wird als „Entropie“ bezeichnet.19 Daraus

16 vgl. Wittel, 1996 , S. 41 17 vgl. Wittel, 1996, S. 30 18 Wittel, 1996, S. 51 19 vgl. Wittel, 1996, S. 41 ff 20 vgl. Althaus, 1992, S. 3 21 vgl. Glücklich, 2005, S. 135 f

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resultierend stellt sich die Frage der Richtigkeit der Definition. Kann der Prozess als Kreislauf gesehen werden oder handelt es sich letztendlich nur um eine „Zeitverzögerung“?20 Voraussetzungen für einen Einsatz von Recyclingbaustoffen sind die technische Eignung, Umweltverträglichkeit, wirtschaftliche Einsatzmöglichkeit und vor allem die Nutzerakzeptanz. Um letztere zu stärken wird von der „Verdingungsordnung für Bauleistungen VOB“ in Deutschland eine Gleichstellung von Recyclaten und Primärbaustoffen gefordert.21 Abfall, der früher als Nebenprodukt beseitigt wurde, wird nun als natürliche Ressource betrachtet und somit in etwas Wertvolles konvertiert. Das Hauptaugenmerk


liegt hier beim Haushaltsmüll, da chemische, medizinische und radioaktive Abfälle Sonderbehandlungen, die mit einem hohen energetischen Aufwand verbunden sind, zur Wiederverwendung benötigen. Zusätzlich bildet unsere gebaute Umgebung ein „größes Lager“ an Rohstoffen. In diesem Zusammenhang werden Bestandsbauten als „Zwischenstadium der Materiallagerung“ beschrieben.22 Downcycling wird im allgemeinen Sprachgebrauch als „ständige Abnahme von Qualität und Wertigkeit“23 bezeichnet. Somit wird zum Beispiel zerkleinertes Abbruchmaterial als Zuschlagstoff für Beton verwendet.24 Der entscheidende Unterschied zu Recycling ist die Anzahl der Umläufe

im Materialkreislauf bis zur finalen Entropie. „Recycling steigert seine Effektivität proportional zur bestmöglichen Verzögerung der Entropie.“25 Upcyclingprozesse sind als eine Umwandlung einer niederwertigen in eine hochwertige Nutzung definiert. Dem Upcycling wird eine Reversibilität des Materiales vorausgesetzt. Somit können zum Beispiel Kunststoffe oder Metalle durch eine Reinigung an Qualität gegenüber des vorherigen Zustandes gewinnen.26 Da der Idealfall der Kreislaufwirtschaft ohne Abfall mit möglichst minimierter oder keiner Entropie beim Recycling nicht umsetzbar ist27, denkt man über andere geschlossene Kreislaufsysteme, wie

22 vgl. Hebel et al., 2014, S. 18 ff 23 Wittel, 1996, S. 43 24 vgl. Glücklich, 2005, S. 134 25 Wittel, 1996, S. 53 26 vgl. Glücklich, 2005, S. 138 27 vgl. Bredenbals/Willkommen, 1994 , S. 52f

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zum Beispiel dem „Cradle to Cradle“, nach.


2.3.2 Cradle to Cradle Die Idee des Cradle-to-Cradle wurde in den 1990er Jahren von den Kreislaufforschern Michael Braungart und William McDonough entwickelt und bedeutet übersetzt „Von der Wiege zur Wiege“. Es beschreibt ein System, das wiederverwendbare Rohstoffe einsetzt, welche in ihrem Gebrauch nicht an Wert verlieren.28 Dabei soll die Idee der Entstehung von Abfall überflüssig gemacht werden.29 Der wohl entscheidenste Unterschied zum bestehenden Recyclingsystem zeigt sich im Design, welches einen schadfreien Rückbau des Produktes und eine Eingliederung in seinen natürlichen Kreislauf garantiert.

Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz wird die Abfallvermeidung in der Abfallhirarchie als höchste Qualitätsstufe bezeichnet. Dies wird durch die Recycling-Baustoffverordnung von 2015 unterstützt, welche die Wiederverwendung von Baustoffen fördert. In ihr hat der Rückbau eines Gebäudes eine größere Gewichtung als dessen Errichtung und sollte bei der Planung bereits berücksichtig werden.30 Das Konzept des Cradle to Cradle beruht auf drei Prinzipien: 1. Abfall entspricht Nahrung 2. Fortlaufenden Zufuhr von Sonnenenergie als Quelle 3. Förderung von Vielfalt.31 Der Metabolismus des Cradle to Cradle, in dem Materialien zu

28 vgl. Braungart, 2011, S. 9 29 vgl. Braungart, 2011, S. 19 30 vgl. Dechantsreiter, 2016, S. 9 31 vgl. Braungart, 2011, S. 36 32 vgl. Braungart, 2011, S. 40

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Nährstoffen werden, teilt sich in zwei verschiedene von einander abhängige Stoffwechselkreisläufe auf. Es wird zwischen dem biologischen Kreislauf, welcher auf abbaubaren Nährstoffen vergleichlich zu unserem Ökosystem basiert und dem technischen Kreislauf unterschieden. Der technische Kreislauf ist ein Abbild des Biologischen, bei dem technische Nährstoffe für den langfristigen Gebrauch hergestellt werden. Dabei erhält das Material seinen Materialwert aufrecht und ein Prozess des des gleichwertigen Recyclings ist gegeben. Beide Kreisläufe sind geschlossen, können sich jedoch überschneiden und produzieren keinerlei Abfälle.32 Trotz seiner einfachen Logik ist


das Prinzip eines dauerhaft fließenden Nährstoffkreislaufs kaum real am Markt vertreten, da der Schwerpunkt auf der Verbesserung der Ökoeffizienz liegt und nicht an einer Abkehr von der klassischen Wirtschaftsweise.33 Die herkömmliche Reaktion auf die allgegenwärtige industrielle Zerstörung besteht darin, nach einer weniger schlechten Methode zu suchen. Dabei scheint jedoch weniger schlecht nicht gleichzeitig gut zu sein.34 Würde das Prinzip in der Baubranche streng umgesetzt werden, dürften nur Baustoffe aus natürlich nachwachsenden Rohstoffen verwendet werden, welche beim Verbau keine Schadstoffe freisetzen. Dabei müssen diese Baustoffe so konstruiert sein, dass sie scha-

densfrei wieder zurückgewonnen werden, um in einem neuen Bau Verwendung zu finden.35 Bisher scheinen Bauwerke, die solches leisten können, jedoch immer noch utopisch. Um das Cradle to Cradle Design im großen Maßstab umsetzbar und damit zukunftsträchtig zu machen, muss das Wissen um die Kreisläufe von Nährstoffen und im Falle der Bauindustrie von Baustoffen mehr untersucht, organisiert und die weltweite Zusammenarbeit verbessert werden. Ein globaler Materialpool mit einer Materialbank als Eigentümer verschiedener Materialien wäre Vorraussetzung für solch ein Vorgehen. Nur so kann das dauerhafte Bestehen von Produkten im Kreislauf garantiert werden.36

33 vgl. Braungart, 2011, S. 19 34 vgl. Braungart, 2014, S. 69 35 vgl. Dechantsreiter, 2016, S. 10 36 vgl. Braungart, 2011, S. 51 Bildquelle: http://www.nachhaltigkeitsblock.de/das-cradle-to-cradle%C2%AE-konzept/ [Nachhaltigkeitsblog, Cradle to Cradle]

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2.4 Alternativmöglichkeiten in der Praxis

aus Primärrohstoffen waren 40% billiger.

2.4.1 PHZ2, Dratz & Dratz Architekten

Altkartonabfall, der in jedem Haushalt anfällt, wird normalerweise verpresst gelagert und anschließend für die Verpackungs- und Zeitungsbranche wiederverwendet. In Deutschland werden Zweidrittel des entstanden Altkartonabfalls recycelt. Dies entspricht jährlich 16 Millionen Tonnen Material. Dratz & Dratz Architekten versuchen diese Kartonageabfälle das erste Mal in der Baubranche zu recyceln. Sie bilden verdichtete Elemente aus Altkarton, die mit Metallriemen zusammengehalten werden und somit eine hohe Standfestigkeit aufweisen. Die Elemente sind einfach stapelbar und können Wände mit bis zu 30m Höhe bilden. Die

Ein Beispiel eines „Recyclinggebäudes“, welches hermetisch abgeschlossen ist, und nicht nur als temporärer Außenpavillon fungiert, ist das PHZ2 von Dratz & Dratz Architekten. Das StartUp Büro auf dem Gelände des Zollvereins in Essen ist ein Forschungsprojekt unter anderem mit dem Fraunhofer Institut. Exemplarisch sollte ein Gebäude aus dem Rohstoff Müll gebaut und dieses nach einer Nutzungsperiode wieder recycelt werden. Jedoch ist das Gebäude abgebrannt, bevor es recycelt werden konnte. Die Baukosten im Vergleich zu einer ähnlichen Konstruktion

Bildquelle: http://www.dratz-architekten.de/images/projekte/phz2/07.jpg [PHZ2, Kreislauf ]

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große Masse jedes Gebildes bietet sehr gute Schalleigenschaften und bei einer Wanddicke von circa einem Meter werden zusätzlich gute Wärmedämmeigenschaften erzielt. Außerdem sind die Altkartonelemente schwer genug um den Windlasten stand zu halten. Forschungen des Fraunhofer Instituts bezüglich Regen und Feuchte ergaben, dass die ersten 8-10 cm des Sockelbereichs Feuchte ziehen, aber extrem schnell wieder austrocknen, sodass die Gesamtkonstruktion keinen Schaden nimmt. Im Gebrauch verlor die Fassade schnell an Farbigkeit und das Gebäude erschien in verschiedenen Weißstufen.Die Architekten verzichteten auf einen geeigneten Brandschutz, der zum Beispiel durch eine Imprägnierung oder Sprinkleranlagen


ausgeführt werden könnte. Somit fing das Gebäude knapp ein halbes Jahr bevor es recycelt werden sollte, Feuer und brannte gänzlich ab. Trotzdem zeigt dieses Experiment, dass eine Verwendung von Abfallmaterialien in der Baubranche durchaus möglich ist und auch auf Akzeptanz stößt.37

37 vgl. Hebel et al., 2014, S. 44 f Bildquelle: http://www.dratz-architekten.de/images/projekte/phz2/05.jpg [PHZ2, Altkartongebäude]

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2.4.2 Loblolly House, Kieran Timberlake architects Das Loblolly House von Kieran Timberlake architects ist der Prototyp einer rückbaubaren Struktur. Die verbauten Elemente können leicht wieder entfernt werden und nehmen dabei im Vergleich zu Beispielen von herkömmlicher Gebäudestrukturen keinen Schaden. Die Komponenten sind an lösbaren Anschlüssen befestigt, welche eine Trennung und anschließende Sortierung garantieren. Das Wohnhaus besteht aus einem modularem Gerüst extrudierter Aluminiumprofile, durch die das ganze Gebäude in verschiedene Elemente aufgelöst werden kann. Diese Bauteile können nun an

anderen Strukturen neu eingesetzt werden und setzen somit das Prinzip des Cradle to Cradle um. Diese Wiederverwendbarkeit demonstrieren Kieran Timberlake architects schließlich an einem weiteren Prototyp, dem „Celophane House“, indem sie die gleiche Art von Gerüst verwenden. Der Konstruktionsprozess in der Baubranche scheint im Vergleich zu anderen Industriezweigen veraltetet zu sein. Für die meisten Gebäude werden Bauteile erst am Konstruktionsort hergestellt und dann fest verbaut, was einen Rückbau unmöglich macht. Die Herstellung des Loblolly House orientiert sich daher an der Automobilindustrie und setzt auf die Vorfertigung seiner Bauteile. Es wird ein Assemble verschiedener

Komponenten geschaffen, welche falls nötig leicht ausgewechselt werden können. Sie sind dabei so designed, dass sie leicht in den Materialkreislauf zurückfließen können. Daher wurde beim Bau als auch bei der Plannung des Gebäudes darauf geachtetet, anstatt einer Beschichtung eine Bauteilreihung verschiedener Komponenten zu verwenden, um die Demontage dieser zu garantieren und Bauabfall zu vermeiden. Die Wahl des Aluminiums als Baustoff bringt ebenfalls Vorteile im Bezug auf Wiederverwendbarkeit mit sich, da es keinerlei Beschichtung benötigt und somit materiell rein verbleibt. Ein weiterer Baustoff ist Holz, welches im Falle der Fassade und des Bodens weiterverwendet werden kann.

Bildquelle: https://cjschwartz.wordpress.com/01-loblolly-house-kierantimberlake-associates/ [Kieran Timberlake Associates, Materials]

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Eine Holzstützenstruktur, die das Gebäude aufgrund von Hochwassergefahr trägt, ist der einzig genannte beschichtete Baustoff und laut Timberlake architects über die Zeit verrottbar. Die Kombiantion aus Loblolly House und Celophane House demonstriert, dass eine Verwendung des Cradle to Cradle Prinzip in der Baubranche möglich ist. Um einen geschlossenen Baustoffkreislauf zu schaffen müsste das Konzept jedoch in einem größerem Maßstab geplant sein. Somit verweilen die Gebäude als Prototyp. 38

38 vgl. Drexler, 2016, S.227 ff. Bildquelle: http://www.kierantimberlake.com/pages/view/20/loblolly-house/parent:3 [Kieran Timberlake architects, Loblolly House]

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3. Fazit

In der Gegenüberstellung zueinander zeigen die verschiedenen Wiederverwendungssysteme im Aspekt der Ökobilanz unterschiedliche Ergebnisse. Recycling besitzt einen im Vergleich größeren ökologischen Fußabdruck, da bei der Wiederverwertung und der damit verbundenen Umformung des Materials ein großer energetischer Aufwand verbunden ist. „Waste Building Materials“ umgehen zwar größtenteils jene zusätzlichen Energieerzeugung, stellen momentan jedoch hauptsächlich temporäre Baustoffe und damit verbundenen Architektur dar. Das „Cradle to Cradle“-Prinzip scheint gerade die zukunftsträchtigste Option zu sein, da es den Vorteil besitzt, das Grundkonzept der Industrieproduktion nicht

unverändert zu lassen. Der ökologische Fußabdruck wird erzeugt, jedoch nur einmal. Das Produkt bleibt durch sein intelligentes Design weiterhin im Kreislauf und macht den Abfallgedanken überflüssig. Dieses Konzept ist bisher jedoch noch nicht in der Realität gänzlich umsetzbar. Die für den Kreislauf zu verwendenen Produkte sind aktuell in ihrer Grundherstellung noch nicht zur Genüge ausgereift und nicht an eine Wiederverwendbarkeit angepasst. Mit dem Ziel Cradle to Cradle als Hauptstrategie zur Abfallvermeidung einzusetzen, müssen die Produkte des Kreislaufs in ihrer eigentlichen Herstellung überdacht und angepasst werden. Unter Vorraussetzung dieser Materialanpassung stellt das „Von der Wiege zur Wiege System“ eine

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zukunftsträchtige und sinnvolle Methode sowohl in der Baubranche als auch in anderen Industriebereichen zur Abfallvermeidung dar.


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4. Bibliographie

Althaus, Dirk: Müll ist Mangel an Phantasie. An der Schwelle zur Kreislaufgesellschaft. Hamburg, 1992 Bataille, Georges: La part maudite. The Accused Ssare. An Essay on General Economy. translated into Englisch by Hurley, Robert, 1988, Urzone Inc., New York City, USA, 1967 Bauer, Michael et al: Nachhaltiges Bauen. Zukunftsfähige Konzepte für Planer und Entscheider. Berlin, Wien, Zuerich: Beuth Verlag, 1.Auflage/ 2011 Braungart, Michael/ McDonough, William: Cradle to Cradle. München, Zürich: Piper, 2. Auflage/ Oktober 2014

Braungart, Michael/ McDonough, William: Die nächste industrielle Revolution. Hamburg: EVA Europäische Verlagsanstalt GmbH u. Co. KG, 3. Auflage/ 2011 Bredenbals, Barbara/ Willkomm, Wolfgang: Bauforschung für die Praxis. Band 6. Abfallvermeidung in der Bauproduktion, Stuttgart: IRB Verlag, 1994 Bünemann, Agnes: Duales Sytem Deutschland. Ein Rückblick über die Entwicklung in Deutschland. In: Ressource Abfall. Entwicklung, Bedeutung und Zukunft der Entsorgungswirtschaft. TK Verlag Karl Thomé-Kozemiensky, 2011, S. 19 ff Dechantsreiter, Ute: Bauteile

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wiederverwenden - Werte entdecken. Ein Handbuch für die Praxis. München: oekom Verlag, 1.Auflage/ 2016 Drexler, Hans/ El khouli, Sebastian: Holistic Housing. Concepts, Design, Strategies and Processes. München: Institut für internationale ArchitekturDokumentation GmbH & Co. KG, 1.Auflage/2012 Eschenbach, Rolf/ Weger, Alexander: Umweltmanagment in der Bauwirtschaft. Abfallvermeidungs- und Verwertungskonzepte. Wien: Manz Verlag, 1995 Flasbarth, Jochen: Die RecyclingGesellschaft. Herausforderungen für Industrie und Politik. In:


Karl Thome-kozemiensky, 2011, S.115 ff

Ressource Abfall. Entwicklung, Bedeutung und Zukunft der Entsorgungswirtschaft. TK Verlag Karl Thomé-Kozemiensky, 2011, S. 319 ff Glücklich, Detlef: Ökologisches Bauen. Von Grundlagen zu Gesamtkonzepten. München: Deutsche Verlags_anstalt GmBH, 1.Auflage/ 2005

Schnurer, Helmut / Junger, Jean-Marie: Der lange Weg von der Müllkippe zur Resourcenwirtschaft. In: Resource Abfall. Entwicklung, Bedeutung und Zukunft der Entsorgungswirtschaft. TK Verlag Karl Thome-kozemiensky, 2011, S.33 ff

Hebel, Dirk et al: Building From Waste. Recovered Materials in Architecture and Construction. Basel: Birkhäuser Verlag, 2014

Wittl, Herbert: Recycling. Vom neuen Umgang mit Dingen. Regensburg: S.Roderer Verlag, 1996

Röttgen, Norbert: Kreislaufwirtschaft in Deutschland. In: Resource Abfall. Entwicklung, Bedeutung und Zukunft der Entsorgungswirtschaft. TK Verlag

Beiträge im Internet: http://www.bbc.com/future/ story/20130524-creating-ourcities-from-waste <20.01.2017> [Michel Joachim: Cities from waste]

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5. Bildquellenverzeichnis

https://cjschwartz.wordpress. com/01-loblolly-house-kierantimberlake-associates/ [Kieran Timberlake Associates, Materials] http://www.dratz-architekten. de/images/projekte/phz2/05.jpg, [PHZ2, Altkartongebäude] http://www.dratz-architekten. de/images/projekte/phz2/07.jpg, [PHZ2, Kreislauf] http://www.kierantimberlake. com/pages/view/20/loblolly-house/parent:3 [Kieran Timberlake architects, Loblolly House] http://www.nachhaltigkeitsblock. de/das-cradle-to-cradle%C2%AEkonzept/ [Nachhaltigkeitsblog, Cradle to Cradle]

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Anhang: Weiterführende Literatur

Braungart, Michael; McDonough, William: Intelligente Verschwendung. Müchen: Oekom Verlag, 1. Auflage, 2013. Braungart, Michael; McDonough, William: Reinventing the World: Step 1, Green@Work Magazine, März/April, 2001.

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Technische Hochschule Nßrnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Prof. Dr. Richard Woditsch

Theorie der Architektur und Entwerfen


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