Der Modulor - eines in Architektur und Technik allgemein anwendbares Maß im menschlichen Maßstab?

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Lisa Schreiber

Architekturtheorie B5400 Der Modulor - eines in Architektur und Technik allgemein anwendbares Maß im menschlichen Maßstab? Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Städtebau und Stadtplanung Bachelor Architektur Prof. Ingrid Burgstaller Prof. Marc Kammerbauer Wintersemester 2016


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Inhalt Architekturtheorie

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Essay Anhang Literaturverzeichnis

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“Der Modulor - Darstellung eines in Architektur und Technik allgemein anwendbaren harmonischen Maszes im menschlichen Maszstab”1 Wie der Titel schon verrät, hat Le Corbusier mit diesem Buch den Versuch gestartet, ein sowohl architektonisches als auch technisches, universell gültiges Maßsystem zu entwickeln, das stark an die menschliche Gestalt geknüpft ist. Im folgenden Text wird der Modulor analysiert und diskutiert, ob es sinnvoll wäre, den Modulor als verbindliches Maßsystem einzuführen.

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Anlass Corbusiers für die Notwendigkeit einer einheitlichen Maßordnung war die Tatsache des Vorhandenseins zweier schwer zu versöhnender Maßsysteme: des “Zoll und Fuß”-Systems der Angelsachsen und des metrischen Systems der übrigen Welt2 in einer modernen technisierten Gesellschaft mit neuen Bedürfnissen einer Normung und Standardisierung der industriellen Produktion: “Wenn es sich darum handelt, Gegenstände des häuslichen, industriellen oder Handelsgebrauchs herzustellen, die nach allen Orten 1 Le Corbusier: Der Modulor. Darstellung eines in Architektur und Technik allgemein anwendbaren harmonischen Maszes im menschlichen Maszstab, S. 3, 10.Auflage 2013, Deutsche Verlags-Anstalt München (zuerst: Le Modulor, 1949) 2 Vgl. Le Corbusier: Der Modulor, S.17


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der Welt verschickt und überall gekauft werden können, fehlt es der modernen Gesellschaft an der gemeinsamen Maßeinheit (...) Ihr Daseinsgrund ist: Ordnung zu schaffen.”3 Zudem fügt er hinzu: “Wenn überdies die Harmonie unsere Bemühungen krönte?”4 Mit dieser Aussage meint Corbusier die Rückbesinnung auf anthropomorphe Proportionalität, auf menschliche Maße, die bereits seit der Antike Werkzeuge des Messens sind. “Diese Werkzeuge besaßen Namen: Elle, Finger, Daumen, Fuß, Spanne, Schritt usw. (...) diese Maße waren wesentliche Teile des menschlichen Körpers (...)”5. Corbusier begründet die Harmonie in der Mathematik, deren Ursprung in der Natur liegt:”(...) die Natur ist mathematisch, die Meisterwerke der Kunst sind im Einklang mit der Natur; sie drücken die Naturgesetze aus und bedienensich ihrer.”6 Da der Mensch der Natur entspringt, ist er also bereits mathematisch-harmonisch vorbestimmt “(...) und daher von vornherein geeignet, als Maßhilfsmittel für die zu erbauenden Hütten, Häuser und Tempel zu dienen.”7 Da das bereits vorhandene Fuß-Zoll-System eng an die menschliche Gestalt geknüpft ist, jedoch eine sehr komplexe Handhabung erfordert und Corbusier den Meter als dem 3 Le Corbusier: Der Modulor. S. 21 4 Le Corbusier: Der Modulor, S.21 5 Le Corbusier: Der Modulor, S.19 6 Le Corbusier: Der Modulor, S. 30 7 Le Corbusier: Der Modulor, S. 19 5


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menschlichen Wuchs gegenüber gleichgültig betitelte1, begann er zusammen mit seinem Mitarbeiter Hanning sein eigenes harmonisches Maßsystem zu entwickeln. Der Ursprung hierfür liegt in Corbusiers Beobachtungen auf seinen Reisen, bei denen er in harmonischen Bauten die Beständigkeit einer Höhe von ungefähr 2,10 bis 2,20 m (7 bis 8 Fuß) zwischen Fußboden und Decke feststellt, die der Höhe eines Mannes mit erhobenem Arm entspricht.2 Folglich entwarf zuerst Hanning und später Elisa Maillard3 ein Liniennetzaus zwei aneinanderstoßenden Quadraten, mit der jeweiligen Kantenlänge 1, die einen Menschen mit erhobenem Arm enthalten. Ein drittes Quadrat sollte im Ort des rechten Winkels eingefügt werden. In Abbildung 1 und 2 wird der Entstehungsprozess des Liniennetzes dargestellt: Durch Umklappen der Diagonalen der Hälfte eines Quadrates ergab sich ein Goldener Schnitt. Anschließend konstruierte man eine neue Diagonale zwischen dem Endpunkt der umgeklappten Diagonalen g und dem Schnittpunkt des Ausgangsquadrates mit seiner Mittelachse. In diesem Punkt 1 Le Corbusier: Der Modulor, S. 20 2 Vgl. Le Corbusier: Der Modulor, S. 28 3 Sie gehörte dem Musee´ de Cluny an und ist die Verfasserin einer ausgezeichneten Arbeit über die regulierenden Liniennetze: „Von der goldenen Zahl“, Verlag Touron & Co. (Vgl. Le Corbusier: Der Modulor, S. 38)


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wurde nun ein rechter Winkel angebracht, der einen neuen Punkt i hervorbrachte. Durch Halbierung der Entfernung g-i entstanden zwei benachbarte Quadrate, jedes gleich dem Anfangsquadrat.4 Außerdem wird erreicht, dass sich die kleinere Teilstrecke, die aus dem über das Quadrat hinausreichende Teil der Diagonale besteht (Wurzel 5 - 1/2), im Verhältnis zur größeren Teilstrecke, bestehend aus der Kantenlänge 1, genauso verhält wie diese zur Gesamtlänge (Wurzel 5 + 1/2). Diese “Goldene” Proportionsregel wird als bedeutsam angesehen und mit dem griechischen Buchstaben Phi bezeichnet.5 Abbildung 3 zeigt nun das endgültige Liniennetz, das einen Menschen mit erhobenem Arm enthält. Jetzt war es wichtig das Ergebnis, welches von Corbusier auch als Gitter bezeichnet wird, mit Werten auszustatten: “Wir streben nach einem menschlichen Wert für die gefundene geometrische Kombination und nehmen dafür die Größe eines Menschen von 1,75m an. Das Gitter ist von jetzt ab 175-216,4-108,2 dimensioniert (...)6 Corbusier entwirft eine weitere Zeichnung, die man in Abbildung 4 sieht. Die gezeigten Werte sind entscheidende Punkte der Raumverdrängung der menschlichen Gestalt. Sie stehen in einem mathematischen Zusammenhang, es gibt die Einheit, 4 Vgl. Le Corbusier: Der Modulor, S. 38, Abb. 7 5 Ekkehard Drach: Architektur und Geometrie. Zur Historizität formaler Ordnungssysteme, S. 254 f., 2012, transcript Verlag Bielefeld 6 Le Corbusier: Der Modulor, S.43 f. 7


ihr Doppel und die beiden verlängerten oder verkürzten Goldenen Schnitte: “(...) Man wird bemerken, daß es sich um eine sogenannte Reihe Fibonacci handelt, in der die Summe zweier sich folgender Glieder das darauffolgende Glied ergibt.”7 Es entstehen zwei Reihen von Phi, die rote Reihe, die auf der Einheit 108 errichtet wurde, und die blaue Reihe, die auf ihrer Verdopplung beruht. Die Reihen gehen nach unten gegen Null und nach oben ins Unendliche. Es war also ein System geschaffen, das in seiner Proportion stets gleich bleibt, und trotz der wenigen Zahlen unglaublich variationsreich und kombinierbar ist. Da die Werte des erzeugten Liniensystems sehr genau mit teilweise mehreren Nachkommastellen angegeben wurden, bat man Corbusier die Werte zu runden und sie so gebräuchlichen Ziffern anzunähern. Zudem war es von Nöten die metrischen Ziffern zugleich in ganzen Fuß-Zoll Werten anzugeben. Nach langen Überlegungen fand Corbusier mit seinen Mitarbeitern eine Lösung für das Problem. Das Liniennetz wurde von nun an im Verhältnis auf einen sechs Fuß (182,88 cm) großen Menschen übertragen. Nun war ein vereinendes Maß zwischen dem Meter und dem Fuß-Zoll-System gefunden: “Der Modulor ist imstande, die Übertragung Meter-Fuß automatisch durchzuführen.”8 Nun stellt sich die Frage, ob der Modulor als universelles Maßsystem wirklich geeignet ist. Ein Kritiker des Modulors

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Le Corbusier: Der Modulor, S.44 Le Corbusier: Der Modulor, S. 58


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Ekkehard Drach bezeichnet den Modulor in seinem Buch “Architektur und Geometrie - Zur Historizität formaler Ordnungssysteme” 9als ein nicht mehr konsistentes System. Er tadelt Corbusiers Vermischung von vormoderner anthropologisch-harmonischer Proportionalität mit der nüchternen Normung und Standardisierung einer modernen Gesellschaft. Jedoch ist genau die Rückbesinnung auf den menschlichen Maßstab ein “Versprechen, die Entfremdung des modernen Menschen und seiner technischen Umwelt aufzuheben”10, wohingegen der Meter als abstrakte Maßeinheit für solch eine Gesellschaft genau richtig wäre. Zudem kritisiert Drach die Richtigkeit der mathematischen Herleitung des Modulors: “ Die Lösung des gestellten Problems, ein Quadrat innerhalb eines von zwei Quadraten gebildeten Rechtecks zu positionieren ist dreifach vorbestimmt. Die Idealposition des einzelenen Quadrats ist bereits durch die erste Operation, die Erzeugung eines Verhältnisses im Goldenen Schnitt, eindeutig festgelegt. Es folgt der Versuch einer zweiten Bestätigung dieser Positionierung: Der Zirkelschlag der Quadratdiagonalensoll Klarheit bringen und das Quadrat noch fester innerhalb des Rechtecks einbinden. Schließlich folgt die Überlagerung des Ganzen mit einem rechtwinkligen Dreieck, dessen 90 Grad Winkel in 9 Ekkehard Drach: Architektur und Geometrie. Zur Historizität formaler Ordnungssysteme, S. 3, transscript Verlag Bielefeld, 2012 10 Ekkehard Drach: Architektur und Geometrie. Zur Historizität formaler Ordnungssysteme, S. 250 9


der Halbierenden des zu positionierenden Quadrats zum Liegen kommt,- womit alle Quadrate endgültig fixiert wären. Allerdings muss bereits der zweite Verifizierungsversuch als gescheitert gelten. Das gewünschte Ergebnis einer Gesamtlänge von zwei Quadratseitenlängen, d.h. die natürlich Zahl 2, kann durch die Addition der beiden irrationalen Werte Wurzel 2 der Quadratdiagonalen und des Goldenen-Schnitt-Anteils von (Wurzel 5 -1)/2 niemals erreicht werden. Wurzel 2 + (Wurzel 5 -1)/2 = ungefähr 2,03”1 Auch Elisa Maillards Lösung, ein drittes Quadrat im Ort des rechten Winkels einzutragen, beäugt Drach mathematisch kritisch: “Das umschreibende Rechteck hätte demnach nämlich ein Verhältnis von 1 : 2,012 bzw. die Ausgangsquadrate wären mit 1 : 1,006 gar keine Quadrate mehr.”2

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Rückbezüglich auf die Kritikpunkte lässt sich zusammenfassen, dass Corbusier sich der Mathematik nicht richtig bediente und im Modulor auch aufgrund der vorgenommenen Rundungen des zweiten Dimensionierungsversuches gewisse Maßtoleranzen auftreten. Da Corbusier die Harmonie und Schönheit besonders in der Mathematik begründete ist der Modulor meiner Meinung nach folglich nicht korrekt und damit auch nicht mehr harmonisch gültig. 1 Ekkehard Drach: Architektur und Geometrie. Zur Historizität formaler Ordnungssysteme, S. 264 2 Ekkehard Drach: Architektur und Geometrie. Zur Historizität formaler Ordnungssysteme, S. 265


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Außerdem finde ich es fraglich, eine beliebige Menschengröße als Ausgangsmaß festzusetzen. Die Quadrate sind in ihrer PRoportionierung zwar konstant, trotzdem besitzt jeder Mensch einzigartige Maße, vor allem in der Raumverdrängung. Das Erwähnen der weiblichen Figur bleibt völlig außen vor. Zudem wird auch keine Acht auf gehandikapte Personen, wie beispielsweise Menschen im Rollstuhl, genommen, die eine völlig andere räumlich-praktische Wahrnehmung und Einnahme haben. Man müsste also gezielt auf jeden Menschen, was wiederum ähnlich wie das Fuß-Zoll-System zu komplex in seiner Handhabung wäre. Ferner verbindet der Modulor zwar den Meter mit dem Fuß-Zoll-System, andere Maßeinheiten werden jedoch nicht genannt. Mit dem metrischen System lassen sich die verschiedensten Maßeinheiten problemlos umrechnen, was in der heutigen Gesellschaft mit ihrem immer weiter wachsenden Fortschritt auf höchster Geschwindigkeit sehr von Nutzen ist. Abschließend lässt sich sagen, dass der Modulor als universell gültiges Maßsystem neben seinen mathematischen Fehlern in seiner Umsetzung zu komliziert wäre. Da die moderne Gesellschaft stets um wachsende Technisierung und Fortschritt bemüht ist, ist der Meter als unkomplizierte abstrakte Maßeinheit passend.

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Le Corbusier: Der Modulor. Darstellung eines in Architektur und Technik allgemein anwendbaren harmonischen Maszes im menschlichen Maszstab, 10. Auflage 2013, Deutsche Verlags-Anstalt MĂźnchen (zuerst: Le Modulor, 1949)

Ekkehard Drach: Architektur und Geometrie - Zur Historizität formaler Ordnungssysteme, 2012, transcript Verlag Bielefeld

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Verfasser: Lisa Schreiber

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