Migration: Eine städtebauliche Herausforderung dargestellt am Beispiel der Banlieues in Frankreich

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Jakob Brunner

Architekturtheorie B5421 Migration: Eine st채dtebauliche Herausforderung dargestellt am Beispiel der Banlieues in Frankreich Technische Hochschule N체rnberg Georg Simon Ohm Fakult채t Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen St채dtebau und Stadtplanung Bachelor Architektur Prof. Gunnar Tausch Prof. Ingrid Burgstaller Prof. Mark Kammerbauer Wintersemester 2016/17


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Inhalt

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Gliederung Essay

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Abstract

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Literaturverzeichnis

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Gliederung

Migration: Eine städtebauliche Herausforderung dargestellt am Beispiel der Banlieues in Frankreich 1. Einleitung 2. Geschichtliche Entwicklung der Banlieues 2.1 Banlieues als städtebauliche Maßnahme 2.2 Abwertung der Banlieues 3. Städtebauliche und strukturelle Probleme 4. Schlussfolgerungen für die Flüchtlingsunterbringung in Deutschland

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Migration: Eine städtebauliche Herausforderung dargestellt am Beispiel der Banlieues in Frankreich

1. Einleitung Angesichts der derzeitigen Flüchtlingsströme nach Europa stellt sich die Frage nach der Unterbringung der zugewanderten Menschen. Die sogenannten Banlieues, die Großwohnsiedlungen in Frankreich, wurden zwar nicht aufgrund einer Zuwanderung von Flüchtlingen gebaut, in ihnen wurden jedoch ab den 1960er Jahren große Zahlen an nordafrikanischen Einwanderern untergebracht. Welche städtebaulichen und strukturellen Probleme die Banlieues aufweisen und welche Schlussfolgerungen man daraus für die Flüchtlingsunterbringung in Deutschland ziehen kann, soll im Folgenden dargelegt werden.

2. Geschichtliche Entwicklung der Banlieues 2.1 Banlieues Maßnahme

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als

Mit dem Begriff „Banlieues“ werden ursprünglich die seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert „verstädterten Bereiche außerhalb der Zentren“1 in Frankreich bezeichnet. Weil die Zentren der großen Städte wie Paris, Marseille oder Lyon immer enger und teurer wurden, schuf man am Stadtrand Unterkunftsmöglichkeiten für die überwiegend armen Zuwanderer aus den ländlichen Regionen. Aufgrund von akuter Wohnungsnot, bedingt durch eine „Konzentration auf Infrastrukturmaßnahmen“2 in der unmittelbaren Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, begann man dann in den 1950er-Jahren mit dem Bau von Großwohnsiedlungen am Stadtrand. Diese sogenannten Cités waren in Anlehnung an die modernen Vorstellungen von Architekten wie Walter Gropius oder Le Corbusier errichtet worden: Große Wohnblocks, eine klare

städtebauliche 1 2

Germes und Glasze, 2009, S.17 Germes und Glasze, 2009, S.18

Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Freizeit und verhältnismäßig viel Grünraum. Die neu erbauten Großwohnsiedlungen galten ursprünglich als Zeichen des Aufschwungs und des Fortschritts. Sie stellten eine echte Alternative zum Leben in den engen und oft verschmutzten Innenstädten dar. Neben Bürgern der Arbeiterklasse zogen auch Teile der Mittelschicht in die modernen Wohnungen am Stadtrand. 2.2 Abwertung der Banlieues Schon in den 1960er Jahren offenbarten sich bauliche Missstände und strukturelle Probleme der Banlieues. Infolge der sinkenden Attraktivität zogen viele Mittelständler in Einfamilienhausgebiete. Die leeren Wohnungen wurden zum großen Teil von Einwanderern aus den ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika bezogen. Durch die Deindustrialisierung und die Wirtschaftskrise in den 1970er-Jahren


stieg die Arbeitslosigkeit in den Cités und die Siedlungen entwickelten sich zu „Auffangbecken für die sogenannte Problembevölkerung.“3 Die Wechselwirkung aus Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Isolation, politische Vernachlässigung und eine wenig durchmischte Bevölkerungsstruktur ließen abgehängte Parallelgesellschaften entstehen. Diese Probleme führten seit den 1980er Jahren immer wieder zu Unruhen in den Großwohnsiedlungen. Im Herbst 2005 erreichten die Unruhen schließlich ihren Höhepunkt in Form von landesweiten Ausschreitungen in den Banlieues. Auslöser war der Tod zweier Jugendlicher auf der Flucht vor der Polizei. Aufgrund der immer noch vorherrschenden Perspektivlosigkeit suchen junge Menschen in den Cités oft Halt im Islam und radikalisieren sich. So sind die Banlieues in Frankeich mittlerweile als „Brutstätten islamistischer Gewalt“ bekannt.4 3 4

Gnade, 2013 Wagner, 2016

3. Städtebauliche und strukturelle Probleme Im folgenden Abschnitt soll detaillierter auf die strukturellen, städtebaulichen und planerisch bedingten Gründe für das Scheitern der Banlieus als städtebauliche Maßnahme eingegangen werden. Die Entwicklung des Konzeptes der Banlieue entstammt zum Teil aus der Utopie von Corbusiers idealer Stadt, der „Ville Contemporaine“. Von manchen werden die Pariser Banlieues sogar als Verwirklichung von Corbusiers Ideal der Stadt gesehen.5 Dieses zeichnet sich vor allem durch eine klare Trennung der Funktionen und Verkehrsebenen, das Aufbrechen der geschlossenen Bebauung und eine hohe Dichte- und Einwohnerzahl aus. Viele der Eigenschaften der „Ville Contemporaine“ sind in den Cités in Frankreich wiederzufinden. So wurden in diesen reinen „Schlaf5

Praschl, 2105

städten“6 große Zahlen an Einwohnern untergebracht, wobei die klare Trennung der Funktionen hier zum Problem wurde: Vorrangig als „Wohnmaschinen“ ohne urbane Strukturen konzipiert, wurde in den Banlieues die Planung von Gewerbe sowie Einrichtungen für Freizeit und Unterhaltung vernachlässigt, infrastrukturell wurden die Gebiete oft mangelhaft angebunden.7 Außerdem spricht das gleichförmige Bild der Wohnblöcke eine Sprache des „Gigantismus“. Mit diesem Begriff beschreibt der Architekt Yves Lion einen zentralen Fehler beim Bau der Großwohnsiedlungen.8 „Der Bruch in der Formensprache, den [die Großwohnsiedlungen] […] durch die Fülle an Hochhaustürmen und Hochhausriegeln hineinbringen, lässt sie wie eine Welt für sich aussehen.“9 Ein großer Mangel der Cités ist außerdem ihre „fehlende Seele.“10 So Altdorfer, 2015 Altdorfer, 2015 8 Rühle, 2015 9 Kühne und Weber, 2015, S. 84 10 Mühl, 2012 6 7

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Migration: Eine städtebauliche Herausforderung dargestellt am Beispiel der Banlieues in Frankreich

fehle es an etwas „Unverwechselbarem“ und an „Geborgenheit“, wie sie zum Beispiel in dem alten Kern einer gewachsenen Stadt zu finden sei. Auch die immer wiederkehrende Gleichförmigkeit der Wohnblocks stellt sich als Problem dar. Der Schriftsteller Günter Kunert bezeichnete die Bewohner von Großwohnsiedlungen gar als „freiwillige Gefangene von Arealen, deren Gleichförmigkeit die Gleichförmigkeit ihrer Einwohner zur Folge hat.“11 Seit den immer wieder auftretenden Ausschreitungen in den Cités ab den 1980er Jahren hat man sich politisch wieder mehr um die Siedlungen bemüht. Entscheidend verbessern konnte man die Situation seitdem jedoch nicht.

4. Schlussfolgerungen für die Flüchtlingsunterbringung in Deutschland Was können wir in Deutschland aus 11

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Mühl, 2012

dem gescheiterten Konzept der Banlieue in Hinsicht auf die Unterbringung der vielen neu zu uns ins Land gekommenen Flüchtlinge lernen? Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass eine Bildung von Ghettos vermieden werden sollte. Ziel muss sein, die Flüchtlinge nicht nur gesellschaftlich, sondern auch im Wohnungsbau zu integrieren. Eine„mixité“, eine gemischte Bevölkerungsstruktur ist also von Anfang an als Ziel zu sehen.12 So können auch Sprachbarrieren leichter abgebaut und die Isolation der Neuankömmlinge oder gar die Bildung von Parallelgesellschaften vermieden werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Unterbringung der Flüchtlinge in Plattenbauten am Stadtrand trotz großer Leerstände keine Lösung. Es gilt also, die Neuankömmlinge auch städtebaulich geschickt zu integrieren. Dass dies eine riesige Herausforderung sein wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Für eine gelungene Integration ist aber ein städtebauliches Konzept, bei 12

Ulrich, 2015

dem auch die Konsequenzen aus den französischen Erfahrungen gezogen werden, von großer Bedeutung.


Abstract

Anhand des Beispiels der Banlieues in Frankreich kann man städtebauliche und strukturelle Fehler, die es bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu vermeiden gilt, aufdecken. In Deutschland wird die Unterbringung der riesigen Zahlen an Flüchtlingen eine große Herausforderung in den nächsten Jahren, beziehungsweise Jahrzehnten sein, auch in städtebaulicher Hinsicht.

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Literaturverzeichnis

Altdorfer, Sabine: Pariser Banlieues sind gefährlich groß. In: Aargauer Zeitung (CH), 17.01.2015, URL: http:// w w w.aargauer zeitung.ch/kultur/ pariser-banlieues-sind-gefaehrlich-gross-128744332 <22.01.2017> Germes, Melina; Glasze, Georg; Weber, Florian: Krise der Vorstädte oder Krise der Gesellschaft? GS 177, 2009, S. 17 - S. 25. Gnade, Simona: Problemgebiet Banlieue: Konflikte und Ausgrenzung in den französischen Vorstädten. Bundeszentrale für politische Bildung. 21.01.2013. URL: https://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/152511/problemgebiet-banlieue Guratzsch, Dankwart: Warum ziehen Flüchtlinge nicht in den Plattenbau? In: Die Welt, 10.09.2015, URL: https://www. welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article146220516/Warum-ziehenFluechtlinge-nicht-in-den-Plattenbau.

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html <22.01.2017> Kühne, Olaf; Weber, Florian: Fraktale Metropolen: Stadtentwicklung zwischen Devianz, Polarisierung und Hybridisierung, Springer-Verlag, 2015 Mühl, Melanie: Die funktionale Stadt: Hier sollte einmal das Glück Flügel bekommen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.01.2012, URL: http://www. faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ die-funktionale-stadt-hier-sollte-einmal-das-glueck-fluegel-bekommen11605019-p2.html <02.02.2017> Praschl, Peter: Le Corbusier war der Faschist des rechten Winkels. In: Die Welt, 19.05.2015, URL: https://www. welt.de/kultur/kunst-und-architektur/ article141096303/Le-Corbusier-warder-Faschist-des-rechten-Winkels.html <31.01.2017> Rühle, Alex; Simon, Johannes: Groß, größer, Paris. In: Süddeutsche Zei-

tung, 20.08.2015, URL: http:// w w w. s u e d d e u t s c h e. d e / k u l t u r / stadtplanung-grand-paris-paris-ganz-gross-1.2612090#redirectedFromLandingpage <31.01.2017> Ulrich, Stefan: Die Botschaft der Banlieue. In: Süddeutsche Zeitung, 31.10.2015, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/migration-diebotschaft-der-banlieue-1.2715426 <22.01.2017>

Wagner, Joachim: „Brutstätten des Terrors“ – Gewalt und ihre Milieus. In: Die Welt, 07.02.2016, URL: https:// www.welt.de/print/wams/politik/article151919339/Brutstaetten-des-Terrors-Gewalt-und-ihre-Milieus.html <02.02.2017>


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