Der Wandel der letzten Ruhestätte

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Technische Hochschule N체rnberg GSO Fakult채t Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Prof. Dr. Richard Woditsch

Theorie der Architektur und Entwerfen

Wissenschaftliches Arbeiten: Studentische Beitr채ge

Der Wandel der letzten Ruhest채tte

Verfasser: Daniel Lugert, Matrikelnummer: 2549334 Sven Vorliczky, Matrikelnummer: 2385678


Seminararbeit im Fach M 1100 Wissenschaftliches Arbeiten Seminarleiter: Dr.-Ing. Mark Kammerbauer (M.Sc., Dipl.-Ing.) Wintersemester 2016/2017 Abgabedatum: 23.01.2017 Technische Hochschule N체rnberg Georg Simon Ohm Fakult채t Architektur Bahnhofstrasse 90 90402 N체rnberg Lehrbereich Theorie der Architektur und Entwerfen Raum BB.309 Postanschrift: Postfach 90121 N체rnberg Internet: http://tae.ohmarch.de/


Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen

Prof. Dr. Richard Woditsch Dr. Mark Kammerbauer

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 2. Ist die klassische Friedhofstypologie noch zeitgemäß? 2.1 Kritische Analyse der klassischen Friedhofstypologie

2.2 Vergleich mit alternativen Begräbnisplätzen

3. Fazit 4. Bibliografie



„Tradierte soziale Strukturen wandeln sich bzw. lösen sich auf, räumliche Bindungen und Eingrenzungen verflüssigen sich. Diese Entwicklungen können unter Leitbegriffen wie Flexibilisierung, Individualisierung und Exterritorialisierung gefasst werden. Insgesamt kann von einer ‚Entfesselung‘ der Bestattungs- und Friedhofskultur gesprochen werden”.1

1. Einleitung

Auf den ersten Blick scheint die Aufgabe eines Entwurfsprojekts im Masterstudiengang der Fakultät Architektur an der Technischen Hochschule Nürnberg, einen „Denkort“, eine überkonfessionelle Klosteranlage in der Metropolregion zu schaffen, eine angenehme und einfache zu sein. Allerdings erfordert das im Vorfeld die vertiefte Erarbeitung vieler verschiedener Themenbereiche, die dazu beitragen, den Entwurf als Ganzes zu komplettieren. Ein zentraler Bestandteil der Gesamtanlage ist dabei auch ein öffentlicher Ort der letzten Ruhe, der zusammen mit einer Aussegnungs- oder Trauerhalle genutzt wird. Hier finden im entsprechenden Rahmen Rituale wie Trauerfeiern für Verstorbene statt. Ein benachbartes Areal dient als

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Friedhof bzw. als Begräbnisplatz, der entsprechend gestaltet wird. Doch wie entwirft man einen modernen Friedhof? Ist die klassische Friedhofstypologie, die in Deutschland zur Zeit noch am weitesten verbreitet ist noch zeitgemäß? Diese Arbeit soll Hilfestellung für den Entwurf einer solchen letzten Ruhestätte geben. Zuerst wird die hier als klassisch bezeichnete Typologie des deutschen Friedhofs analysiert und bezüglich ihrer Aktualität im Umgang mit Trauer und Gedenken in der heutigen Gesellschaft hinterfragt. Anschließend werden alternative Begräbnisplätze und -arten aufgezeigt, die heute und in naher Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen, und mit dem klassi-

Fischer, 2016, S. 264 f.

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schen Friedhof verglichen. Abschließend wird in einem Fazit herausgearbeitet, welche Form von letzter Ruhestätte im Entwurf umgesetzt werden kann und auf welche Eigenschaften dabei besonders zu achten ist.


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2. Ist die klassische Friedhofstypologie noch zeitgemäß?

2.1 Kritische Analyse der klassischen Friedhofstypologie Zuerst wird der in dieser Arbeit verwendete Begriff des klassischen Friedhofs als Typologie definiert. Wir verstehen darunter einen „heterotopen Ort“2, der aus einzelnen Grabzellen, die zu größeren Grabfeldern zusammengesetzt sind, besteht und durch Haupt- und Querwege erschlossen wird.3 Die zwei möglichen Bestattungsarten sind die Erdbestattung und die Urnenbestattung, in der sich die Überreste Verstorbener nach der Kremation befinden (Stand 2013: Erdbestattung 44,7%, Urnenbestattung 22,1%).4 Dominiert wird das Erscheinungsbild dieser Felder durch die

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häufigeVerwendung christlicher Symbolik, Grabmalen in Form von Grabsteinen und einer individuellen Bepflanzung des Grabes. Vor allem seit der Zeit der Industrialisierung dienen Bäume, Sträucher und andere Pflanzen dazu, den naturnahen und parkähnlichen Charakter eines Friedhofs hervorzuheben und dadurch dem Bedürfnis nach Natur in den wachsenden Städten entgegenzukommen.5 Eine bauliche Umfriedung wie Mauer oder Zaun schirmt einen Friedhof nach außen ab und stellt eine Grenze zwischen Leben und Tod dar, die durch Eingangstore überwunden werden kann.6 Eine weitere Konstante sind Gebäude wie Kirche, Kapelle, Aufbahrungs- oder Trauerhalle, die als zentral liegende Elemente den

vgl. Happe, 2016, S. 283 ff. vgl. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, 2002, S. 90 vgl. http://www.bestatter.de <19.12.2016> [Studie zur Bestattungskultur] 2013 vgl. Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, 2002, S. 93 f. vgl. ebd., S. 89 f. vgl. ebd., 2002, S. 94 f. Schmied, 1985, S. 181 vgl. ebd.

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Mittelpunkt eines Friedhofs bilden. Verwaltungs- und Zweckbauten für Technik und Geräte ergänzen heute vielerorts die Friedhofsbauten.7 Als Ort der Trauer und des Gedenkens stellt der Friedhof in der Gesellschaft eine wichtige Anlaufstelle für Angehörige dar, um „nicht nur im Rahmen der Beisetzung, sondern auch bei Besuchen am Grab [...] seine Trauer auszudrücken“.8 Der Friedhof dient dabei auch als Ort der Kommunikation und des Austauschs Hinterbliebener und hilft ihnen so bei der Verarbeitung ihres Verlusts.9 Der Wandel des klassischen Friedhofs geht mit der Veränderung der Gesellschaft einher. War die traditionelle Ortsbindung im 19. Jahrhundert noch


so stark, dass es sich lohnte, große Familiengräber zu unterhalten, so verlor diese Bindung nach und nach aufgrund der räumlichen Verstreuung von Familienmitgliedern auf der ganzen Welt zunehmend an Bedeutung. Die Entfaltung einer gänzlich gewandelten Bestattungs-, Abschiedsund Erinnerungskultur ist durch Exterritorialisierung der Räume seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachten.10

2.2 Vergleich mit alternativen Begräbnisplätzen Die „eher restriktive[n] Bestattungsgesetzgebung“11 in Deutschland erlaubt nur geringe Abweichungen von den Merkmalen der

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Bestattungsarten des klassischen Friedhofs. Dennoch gibt es in diesem engen Rahmen Alternativen, die im Folgenden dargestellt und deren Eigenschaften und Nutzungen mit denen der klassischen Friedhöfe verglichen werden. Eine mögliche Alternative ist die anonyme Bestattung (2013 10,4% aller Bestattungen)12, beispielsweise „als Urnenbeisetzung auf großen Grabgemeinschaftsflächen“13, die bereits seit den 1970er Jahren zunimmt. Gründe, sich für eine anonyme Bestattung zu entscheiden, sind häufig niedriges Einkommen, das Bestreben, Angehörigen mit der Pflege eines Grabes nicht zur Last zu fallen14 und das „Bedürfnis nach völliger Befreiung und Entgrenzung“.15 Anonyme Gräber sind somit vorwiegend als Erweiterungen der klassischen

vgl. Fischer, 2016, S. 263 Sachmerda-Schulz, 2016, S. 304 vgl. http://www.bestatter.de <19.12.2016> [Studie zur Bestattungskultur] 2013 Sachmerda-Schulz, 2016, S. 304 vgl. ebd. Happe, 2016, S. 295 Sachmerda-Schulz, 2016, S. 304 vgl. http://www.bestatter.de <19.12.2016> [Studie zur Bestattungskultur] 2013 Sachmerda-Schulz, 2016, S. 304

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Friedhöfe zu verstehen. Außerhalb der klassischen Friedhöfe gibt es in Deutschland lediglich zwei weitere zulässige Arten von anonymer Bestattung „in Form von Naturbestattungen, deren Anteile ebenfalls stetig zunehmen“16 (2013 6,5%)17: die Baumbestattung „in einem dafür zugelassenen Waldstück“18 und die Seebestattung. In beiden Fällen ist dabei ausschließlich die Beisetzung einer Urne erlaubt.19 Die Individualität der Betroffenen schlägt sich hier nicht in der Gestaltung des Begräbnisorts durch Angehörige, sondern in der eigenständigen Bestimmung des zukünftigen Ruheorts nieder.20 Vor allem im Hinblick auf Angehörige entstehen hier aber oft Konflikte. Die Trauerbewältigung verläuft bei jeder Person anders,


„Allgemein ist die Seebestattung ein wichtiges Beispiel für das zunehmende Auseinanderfallen von Bestattung einerseits, Gedenken andererseits. Die Verflüchtigung der Asche im Meer geht einher mit einer immer vielfältigeren Gedenkkultur an Land”.21

was automatisch unterschiedliche Bedürfnisse hervorruft. Bei vielen ist jedoch zu beobachten, dass ein bestimmter, individueller Ort vorhanden sein muss, der zumindest mit dem Namen des Verstorbenen markiert ist, um vernünftig trauern zu können. Ob das direkt am Friedhof, in einem Friedwald oder an anderen Orten stattfindet, scheint dabei egal zu sein. Vielen Betroffenen genügt dabei schon ein Erinnerungsort, losgelöst vom Bestattungsort, also ein Ort, der nicht in direktem Zusammenhang zu den sterblichen Überresten eines Angehörigen steht. Dieser Ort ist aber essentiell für die Trauerbewältigung der Hinterbliebenen.22 Abschließend ist festzuhalten, dass die Nutzung als Trau-

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er- und Gedenkort an allen untersuchten Ruheorten unter Berücksichtigung der minimalen Individualisierung mit Namenskennzeichnung am klassischen Friedhof genau so wie auch in Friedwäldern oder den Bereichen für Seebestattete funktioniert.

vgl. ebd. vgl. ebd. S. 308 Fischer, 2016, S. 274 vgl. ebd. S. 274 ff.

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3. Fazit

Nach intensiver Beschäftigigung mit der Friedhofsthematik stellt sich heraus, dass der Entwurf einer zeitgemäßen Friedhofstypologie große Herausforderungen an den Entwerfer stellt. Historie beachten, Gesellschaftliche Entwicklungen vorhersagen, Trends erkennen und Bestattungswünsche berücksichtigen, sind nur einige der Herausforderungen des planenden Architekten. Die nachfolgende Zusammenfassung soll einen kurzen Aufriss der wichtigsten Entwicklungen, Veränderungen und Trends der letzten Ruhestätte aufzeigen und dem Entwerfenden bei der Planung als Hilfestellung dienen. „Bereits im späten 19. Jahrhundert“23 wurden Friedhöfe nach

Vorbild einer Parkanlage errichtet um einen Ausgleich zu den schlechten hygienischen Bedingunge der Städte zu schaffen.24 Viele Architekten kritisierten diese Entwicklung, „weil die parkartigen Szenerien die Gräber und damit auch den Tod angeblich kaschieren“.25 Diese Entwicklung setzte sich in der postindustriellen Zeit fort und dem Friedhof wurden neben Parkstrukturen weitere Nutzungen wie beispielsweise botanische Gärten oder museale Bereiche hinzugefügt. Der Friedhof diente fortan auch als Freizeitund Erholungsraum.26 Dadurch jedoch verlor der Friedhof seine heterotope Eigenschaft27 und wird laut Kritikern „überspitzt formuliert, zur austauschbaren Grünfläche banalisiert, die seine eigentliche Bestimmung als einen

23 Happe, 2016, S. 288 24 vgl. ebd. 25 ebd. 26 vgl. Fischer, 2016, S. 271 27 vgl. Happe, 2016, S. 283 ff 28 ebd. S. 292 29 vgl. http://www.aeternitas.de <20.12.2016> [Umfrage Baumbestattungen] 22.05.2014 30 vgl. http://www.aeternitas.de <19.12.2016> [Umfrage Bestattungswünsche] 2013

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Ort der Begenung mit dem Tod negiert“.28 Auch der stetig wachsende Anteil der Baumbestattungen in Deutschland bekräftigt den Wandel der Friedhofstopik weg vom Gegenort und zeugt von einem Bedürfnis an Verschmelzung mit der Natur.29 Betrachtet man die Bestattungswünsche in Deutschland (Stand 2013), lässt sich feststellen, dass sich 29 Prozent der Befragten für einen Bestattungsort außerhalb eines Friedhofes entscheiden. Die klassische Erdbeisetzung auf einem Friedhof wird von 49 Prozent (davon 29 Prozent Sarggrab) favorisiert. Weitere 11 Prozent entscheiden sich für eine pflegeleichte Bestattungsform auf einem Friedhof.30 Diese Statistik zeigt,


dass der Wunsch nach einem alternativen Bestattungsort einen wichtigen Entwurfsaspekt darstellt. Letztendlich lässt sich die Fragestellung, ob die klassische Friedhofstypologie noch zeitgemäß ist, nicht eindeutig beantworten. Die Antwort ist stark von der eigenen Überzeugung und Wertevorstellungen geprägt und stellt eine persönliche Entscheidung dar. Dementsprechend gibt es kein Rezept für den perfekten Friedhof. Ebenso wie jeder Mensch als Individuum für sich persönlich die Antwort auf die richtige Bestattungsart finden muss, ist es die Aufgabe des Architekten, für seinen Klienten die richtige Friedhofsdefinition zu finden. So ist die Umsetzung eines klas-

sischen, heterotopen Friedhofs wie auch eine moderne Form wie offener Parkfriedhof oder Friedwald in der eingangs erwähnten Entwurfsaufgabe denkbar.

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4. Bibliografie

Literatur Böcker, Julia: Frühe Tode. Verräumlichungen der Trauer um Ungeborene. In: Benkel, Thorsten (Hrsg.): Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes. Bielefeld: transcript Verlag, 2016, S. 303-338 Fischer, Norbert: Der entfesselte Friedhof. Über die Zukunft von Bestattungs- und Erinnerungsorten. In: Benkel, Thorsten (Hrsg.): Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes. Bielefeld: transcript Verlag, 2016, S. 263-281 Happe, Barbara: Die Topik gegenwärtiger Bestattungsformen. In: Benkel, Thorsten (Hrsg.): Die Zukunft des Todes. Hetero-

topien des Lebensendes. Bielefeld: transcript Verlag, 2016, S. 283-301 Sachmerda-Schulz, Nicole: Die anonyme Bestattung zwischen Individualisierung und Entindividualisierung. In: Benkel, Thorsten (Hrsg.): Die Zukunft des Todes. Heterotopien des Lebensendes. Bielefeld: transcript Verlag, 2016, S. 303-316 Schmied, Gerhard: Sterben und Trauern in der modernen Gesellschaft. Opladen: Leske und Budrich, 1985 Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel (Hrsg.): Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur 1. Braunschweig: Thalacker Medien, 2002

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Online-Quellen Aeternitas Verbraucherinitiative Bestattungskultur: BestattungswĂźnsche 2013. URL: http://www.aeternitas.de/ inhalt/marktforschung/meldungen/2013_aeternitas_umfrage_bestattungswuensche/ bestattungswuensche2013.pdf <19.12.2016>

Bestattungskultur: Bestattungskultur und soziale Milieus in Deutschland, 2013. URL: http:// www.bestatter.de/uploads/tx_ news/studie_wunsch_wirklichkeit_dr_thieme_10-2013_gesamt. pdf <19.12.2016>

Aeternitas Verbraucherinitiative Bestattungskultur: URL.: http://www.aeternitas. de/inhalt/marktforschung/ meldungen/2014_aeternitas_umfrage_baumbestattungen <20.12.2016> Bundesverband Deutscher Bestatter e.V.: GroĂ&#x;e Studie zur

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