Magazin Humanité 3/2011: Das Älterwerden positiv gestalten

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Impressum Humanité Ausgabe 3/2011 August 2011 ISSN 1664-1159

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Report – Diskussion 4 Das Älterwerden positiv gestalten 8 Alt sein – Würde oder Bürde? 12

KONKRET – Bosnien und Herzegowina Das schwere Erbe der Nachkriegskinder

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KONKRET – Patenschaft für Wasser «Es ist wie ein neues Leben»

Titelbild und Rückseite: Caspar Martig Herausgeber: Schweizerisches Rotes Kreuz, Rainmattstrasse 10, Postfach, 3001 Bern Telefon 031 387 71 11, info@redcross.ch, www.redcross.ch

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Spenden: Postkonto 30-9700-0

16 ÜBERZEUGT – Das Rote Kreuz und die Frauen Die Heldentat von Odette Micheli

Adressänderungen: E-Mail an aboservice@redcross.ch oder Telefon 031 387 71 11 Redaktionsadresse: Schweizerisches Rotes Kreuz, Redaktion Humanité, Postfach, 3001 Bern, humanite@redcross.ch, www.magazin-humanite.ch Redaktion: Tanja Pauli (Redaktionsleitung), Urs Höltschi (Public Fundraising), Hana Kubecek (Gesundheit und Integration), Isabelle Roos (Corporate Partnerships), Christine Rüfenacht (Sekretariat der Kantonalverbände), Isabel Rutschmann (Kommunikation), Karl Schuler (Internationale Zusammenarbeit)

22 ERLEBT – Annemarie Huber-Hotz Smarte, organisierte Strategin

Mitarbeitende dieser Ausgabe: Wanda Arnet, Philippe Bender, Mario Böhler, Urs Frieden, Martin Grossenbacher, Hildegard Hungerbühler, Heinz Jehle, Markus Mader, Marco Ratschiller, Katharina Schindler, Mario Wüthrich, Julia Zurfluh

25 Engagiert – Freiwillige des Besuchs- und Begleitdienstes SRK Menschlichkeit kommt nie aus der Mode

Abo-Kosten: Das Abonnement kostet CHF 6.– pro Jahr und ist für SRK-Gönnerinnen und SRK-Gönner im Beitrag enthalten. Erscheinungsweise: vier Mal jährlich Sprachen: deutsch und französisch Gesamtauflage: 116 300 Bildrechte aller Fotos ohne Hinweis: Schweizerisches Rotes Kreuz Übersetzungen: Übersetzungsdienst SRK Gestaltungskonzept: Effact AG, Zürich Layout, Lektorat und Druck: Vogt-Schild Druck AG, Derendingen Nächste Ausgabe: Dezember 2011

neutral Drucksache No. 01-11-421718 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership

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18 KONKRET – Haiti «Im neuen Zuhause fühle ich mich sicher»

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KREUZ & QUER Heisshunger auf Neues Rätsel/Cartoon


© SRK, Caspar Martig

editorial

Die Freiheit, Hilfe anzunehmen Liebe Leserin, lieber Leser Was wir als «alt» bezeichnen, ist Ansichtssache. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mich in der 4. Klasse nach dem Alter der neuen Lehrerin fragte. «Ich weiss es nicht, aber sie ist schon älter», antwortete ich. Meine Mutter musste am Elternabend feststellen, dass ich damit eine 34-Jährige meinte. Die kleine Geschichte zeigt: «Man ist so alt, wie man sich fühlt». Dieses oft zitierte Bonmot ging mir durch den Kopf, als ich den Report auf Seite 4 dieser Ausgabe las. Die Einstellung der acht Mitglieder vom Club 66+ gefällt mir. Ich hoffe, dass ich dereinst auch einen aktiven Ruhestand erleben darf und mich mein Umfeld als meist gutgelaunten Senior wahrnehmen wird. Und ich werde den Fahrdienst und den Notruf des SRK nutzen, wenn es nötig sein sollte. Ohne falschen Stolz, weil ich weiss, dass diese Dienstleistungen mir Unabhängigkeit ermöglichen. Hilfe anzunehmen heisst nicht, sich hilflos zu fühlen oder gar egoistisch zu handeln. Im Gegenteil, in der Regel ist es ein freier, selbstbestimmter Entscheid und zudem rücksichtsvoll, wenn dadurch Familienangehörige entlastet werden. In dieser Hinsicht nehme ich mir die körperlich behinderte Sandra Hadorn als Vorbild, die uns auf Seite 25 erzählt, warum sie den Begleitdienst des SRK nutzt. Herzliche Grüsse

Markus Mader Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes

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Fritz Boss (73) und seine Lebenspartnerin Lisa Fankhauser (67), Hugo Pfeuti (69), Astrid Notz (70), Doris Hauri (66), Jakob Notz (70) und Marc Dinichert (68) – nicht auf dem Bild ist Martin Freitag (67)

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Report

Astrid und Jakob Notz sind den Enkelkindern nahe, geografisch und emotional

Die Hündin bringt Leben in den Alltag von Doris Hauri

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ie gehören der «Generation Gold» an, sind «best Ager» und «Silver Surfer». Sie sind vital, stecken voller Lebensfreude und zählen sich noch überhaupt nicht zum alten Eisen: Die Rede ist von acht Mitgliedern des Clubs 66+ aus Lyss, die sich bereit erklärt haben, die überarbeitete Broschüre «Das Älterwerden gestalten» zu studieren. In einer moderierten Diskussionsrunde sagten sie uns ihre Meinung. Sowohl zum Ratgeber als auch zum Thema Älterwerden im Allgemeinen. «Je älter man wird, desto wichtiger ist es, ein gutes Netz an Freunden und Bekannten zu pflegen, denn dieser Kreis wird mit den Jahren immer kleiner», sagt Clubmitglied Doris Hauri. Mit der Idee, regelmässig gemeinsam etwas zu unternehmen, wurde der Club 66+ gegründet. Der Name gibt zugleich einen Hinweis auf die Aufnahmebedingung: Der Verein ist offen für alle Ortsansässigen ab dem 66. Lebensjahr. Man kann mit auf Gruppenführungen, die alleine gar nicht möglich wären oder macht einen Ausflug, den 6

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Fritz Boss entdeckt die Schönheit der Schweiz gerne zu Fuss

Marc Dinichert sieht die Natur als Hobbyfotograf mit anderen Augen

man ohne Gruppendynamik vielleicht auf ewig hinausschieben würde. «Im Club 66+ trifft man Gleichgesinnte, mit denen man über Alltagsfreuden und -sorgen reden kann. Das tut gut», sagt Fritz Boss. Und man vertiefe bisher nur flüchtige Bekanntschaften, sodass der Bekanntenkreis stets grösser werde, fügt Astrid Notz an. Unruhige Ruheständler «Uns wäre es aber auch ohne das Club-Programm nie langweilig. Unsere Agenda ist immer randvoll», sagt Lisa Fankhauser und ihr Lebenspartner nickt bestätigend. Ausnahmslos alle anderen Teilnehmenden der

«Unsere Agenda ist immer randvoll.» Diskussionsrunde stimmen dieser Aussage ebenfalls zu. Das Klischee, Pensionierte hätten mehr Stress als Berufstätige, scheint sich zu bestätigen. «Das Problem ist, dass ich seit meiner Pensionierung oft auch unüberlegt zusage, wenn mich jemand für eine Ak-

tivität anfragt. So nach dem Motto, dass ich ja jetzt für alles Zeit habe», erklärt Marc Dinichert. Eine gewisse Tagesstruktur sei nach wie vor ein wichtiges Element im Alltag, sind sich die Senioren einig: «Man braucht Fixpunkte. Sonst besteht die Gefahr, dass man Sachen auf unbestimmte Zeit hinausschiebt oder ganz versanden lässt.» Zwischendurch sei es aber auch sehr angenehm, einfach einmal überhaupt nichts loszuhaben und die eigenen Hobbys zu pflegen, wie zum Beispiel ausgedehnte Spaziergänge mit dem Hund, ergänzt Doris Hauri. Ein Nachschlagewerk Aber wie wird ein Ratgeber aufgenommen von der Zielgruppe, die sich offensichtlich selber zu helfen weiss? «Das Älterwerden gestalten» entstand in Kooperation von ProSenectute und dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) und wurde soeben in einer überarbeiteten Version neu vom Careum Verlag veröffentlicht. Das Urteil ist nicht repräsentativ für eine ganze Generation, steht aber sicher stellvertretend für


report weit weg, dass ich mich an eine dieser Stellen wenden müsste», sagt Hugo Pfeuti. Trotzdem könnten sich die Seniorinnen und Senioren gut vorstellen, später einmal Dienstleistungen wie den SRK-Notruf, den Fahrdienst oder den Besuchsdienst in Anspruch zu nehmen. «Ich bin sehr froh zu wis-

kommentar Hildegard Hungerbühler Ethnologin und Gerontologin im Departement Gesundheit und Integration des SRK

sen, dass es diese Angebote gibt. Sollte ich aus irgend einem Grund später einmal nicht mehr mobil sein, würde ich keinen Moment zögern, den Fahrdienst zu beanspruchen», sagt Astrid Notz. Sie kann sich auch sehr gut vorstellen, vom Notruf Gebrauch zu ma-

Mit Tennis spielen hält sich Hugo Pfeuti fit

chen, sollte sie je alleinstehend sein. Tipps für das Alter Doch an Zeiten, in denen es ihnen vielleicht gesundheitlich nicht mehr so gut gehen wird wie heute, mag in dieser Gesprächsrunde noch niemand denken. Im Gegenteil: «Positives Denken» sei das Rezept, um gut mit dem Älterwerden zurechtzukommen, findet Astrid Notz. «Es gibt jeden Tag etwas Schönes, auch wenn man vom Schicksal ab und zu ‹eines auf den Deckel› bekommt», sagt sie. Fritz Boss Tipp, um in Würde älter zu werden: «Lernen zu akzeptieren, dass nicht mehr alles gleich und vor allem nicht mehr so

Lisa Fankhauser bleibt mit dem Velo in Bewegung

einfach geht wie früher.» Voraussetzung dafür sei, an sich zu arbeiten und Veränderun-

viele. Die Broschüre sei inhaltlich professionell und interessant, findet Martin Freitag. Aber: «Ich hätte sie bereits viel früher gebraucht, denn viele Themen wären bei der Vorbereitung auf die Pensionierung sehr hilfreich gewesen.» Den Schritt vom Arbeitsleben in die Rente hätten sie alle gut gemeistert, sind sich die Anwesenden einig. «Wir geben uns viel Freiraum, sprechen Unstimmigkeiten sofort an und haben beide neben den gemeinsamen auch eigene Hobbys», schildert beispielsweise Jakob Notz den Alltag mit seiner Frau seit seiner Pensionierung. Der Ratgeber beinhaltet aber auch Ratschläge für das fortgeschrittene Alter, bis hin zu den Themen Sterben und Tod. «Ich kann mir gut vorstellen, dass ich die Broschüre von Zeit zu Zeit als Nachschlagewerk brauchen werde, wenn irgend ein Problem auftaucht», sagt Marc Dinichert. Alle finden es sehr hilfreich, dass im Anhang wichtige Adressen von Organisationen und Diensten für Fragen im Alter zu finden sind. Obwohl: «Für mich ist es gefühlsmässig noch

gen im guten Sinne anzunehmen, fügt er an.

«Ich lache auch mal über mich selber. Das hilft oft.» Doris Hauri sieht in ihrem Hund eine Chance, um gut mit dem Altern umzugehen: «Man lernt neue Leute kennen, kommt an andere Orte und erlebt viel mehr als vorher.» Ihn würden im Alltag Selbstgespräche weiterbringen, gibt Marc Dinichert mit einem Schmunzeln preis. Und: «Ich lache auch mal über mich selber, das hilft mir oft weiter. Es bringt ja nichts, sich über Kleinigkeiten aufzuregen.» Weise Worte von weisen, aber keineswegs verstaubten Rentnern.

Der Ratgeber kann für CHF 50.– beim Verlag bestellt werden: Telefon 043 222 51 50 oder verlag-careum.ch

✎ Ihre Meinung: Schreiben Sie uns zu diesem Thema per E-Mail an humanite@redcross.ch oder per Post

Noch nie ging es bei uns so vielen Menschen im Alter gut. Materiell abgesichert, körperlich und geistig fit, lässt sich das Alter positiv gestalten. Das trifft zumindest für diejenige Generation mehrheitlich zu, die nun im dritten Lebensalter (65–75 Jahre) steht. Die sogenannten Babyboomer verfügten in ihrem Leben bereits über mehr Chancen als noch ihre Eltern. Das wirkt sich jetzt im Alter positiv aus auf ihr Selbstverständnis. Immer mehr ältere Menschen sind nach ihrer Pensionierung aktiv und leisten mit Freiwilligenarbeit gesellschaftlich wertvolle Beiträge. Ein Beispiel ist die Kinderbetreuung, welche Grosseltern – insbesondere die Grossmütter – leisten. Sie wird in der Schweiz auf einen Wert von zwei Milliarden Franken pro Jahr geschätzt. Freiwilligenarbeit älterer Menschen erfüllt eine doppelte Funktion: sie kommt einem wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnis entgegen und unterstützt die individuelle Sinnfindung älterer Menschen in ihrer nachberuflichen Lebensphase. So weit so gut. Es existiert jedoch noch ein anderer Teil der Altersbevölkerung: Menschen, die an der Armutsgrenze oder gar vereinsamt leben, die von einem harten Arbeitsleben in ihrer Gesundheit mehrfach geschädigt und sozial isoliert sind. Diese Gruppe, welche die Leistungsanforderungen, die unsere Gesellschaft nun zunehmend auch an ältere Menschen richtet, nicht mehr zu erfüllen vermag, gerät im neuen Diskurs um die «Golden Ager» häufig in Vergessenheit. Als Hilfswerk, das sich dem Engagement für verletzliche Menschen verpflichtet, trägt das SRK die Verantwortung, genau diese älteren Menschen als Zielgruppe seiner Dienstleistungen im Blick zu behalten.

an die Redaktionsadresse (Seite 2).

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© Martin Volken

Report

Auch im hohen Alter wichtig: Aktiv bleiben und Kontakte pflegen

Interview

Alt sein – Würde oder Bürde? Älter werden und alt sein ist nicht immer leicht in einer Zeit, wo alles auf Jugend getrimmt ist. Und doch ist damit auch viel Positives verbunden. Wir sprachen mit zwei Menschen, die es wissen müssen – Judith GiovannelliBlocher und François Höpflinger. Interview: Hana Kubecek  Bilder: Roland Blattner

Frau Giovannelli-Blocher: Wir werden immer älter – eine Chance oder Bürde?

Judith Giovannelli-Blocher (GB): Es ist beides. Eine Chance, weil man einen ganz neuen Lebensabschnitt kennenlernt, weil man sich neu orientieren kann, neue Qualitäten, neue Möglichkeiten entdeckt. Eine Bürde ist es nicht, aber eine ziemliche Herausforderung. Bedingt durch die Einschränkungen, mit denen man altersbedingt konfrontiert wird und die sich auf alle Lebensbereiche auswirken. Wie sehen Sie das Herr Höpflinger?

François Höpflinger (FH): Immer mehr Menschen leben lange. Dadurch gibt 8

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es im Alter auch völlig verschiedene Lebenssituationen. Menschen, die heute zwischen 65 und 79 Jahre alt sind, sind psychisch in besserer Verfassung, zufriedener und weniger häufig einsam als Menschen aus früheren Generationen. Ob Bürde oder Würde, ist sehr individuell. Das Leben kann dann zur Bürde werden, wenn Gebrechlichkeit und Bedürftigkeit auftreten. Davon betroffen sind vor allem Menschen im vierten Lebensaltersabschnitt (80+).

nichts mehr «muss» und weniger Angst habe. Natürlich habe ich Angst, etwa vor Stürzen, aber ich habe weniger Angst vor dem Leben, Angst zu versagen. Aktiv bleiben und dennoch loslassen können, das ist die grosse Kraft des Alters. FH: Dem kann ich nur zustimmen. Insbesondere ältere Invalide oder Langzeitarbeitslose erleben die Pensionierung als Befreiung, weil sie sich nicht mehr legitimieren müssen, weshalb sie «nicht arbeiten». Haben Menschen Angst vor dem

Woran wachsen wir im Alter?

Älterwerden?

GB: Das lässt sich nicht generalisieren. Das Leben wird einerseits schwerer und anderseits auch leichter. Leichter, weil ich

GB: Im Alter haben Menschen vor allem Angst vor Hilfsbedürftigkeit, Gebrechlichkeit und Abhängigkeit. Viele davon


report betroffene Menschen verschweigen das. Doch ich finde, das gehört einfach zum Leben, zum Altsein. Hilfsbedürftigkeit widerspricht nicht der Würde des Menschen, sondern gehört zum Wesen des Menschseins. Deshalb mein Motto: Gebrechlichem mit mehr Zärtlichkeit begegnen! Der Umgang mit gebrechlichen Menschen ist in vielen anderen Kulturen emotionaler, löst positive Gefühle aus. Bei uns ist das Gegenteil der Fall. FH: Zerfall und Gebrechlichkeit werden noch immer häufig versteckt. Doch lässt sich auch beobachten, dass immer mehr Menschen es wagen, ihre Behinderung zu zeigen. Beispielsweise begegnet man heute vielen älteren Menschen, die mit dem Rollator unterwegs sind. Am meisten Angst haben ältere Menschen vor einer Demenzerkrankung. Und vor einem leidvollen Sterben, nicht aber vor dem Tod. GB: Ja, viele haben Angst vor Demenz und dementen Menschen. Ich finde, von diesen kann man viel lernen. Würden wir diese Menschen so nehmen, wie sie sind, hätten wir nicht so einen Schrecken vor ihnen.

Sollen alte Menschen durch ihre Angehörigen gepflegt werden?

GB: Es ist oft erschwerend, wenn alte und hilfsbedürftige Menschen durch ihre Angehörige gepflegt werden. Es ist ein Mythos zu meinen, es sei am schönsten, wenn die Tochter die bedürftige Mutter oder den Vater pflegt. Da ist viel Konfliktpotenzial im Spiel. FH: Das sehe ich gleich: Die Angehörigen sollen helfen, aber nicht pflegen. Es kann für beide Seiten für die Beziehung sehr belastend sein, wenn beispielsweise die Mutter vom Sohn gebadet wird. Die eigentliche Pflege soll den Fachkundigen (Spitex, Rotes Kreuz) überlassen werden. Was ist Ihre persönliche Empfehlung, um sich auf das Alter vorzubereiten?

FH: Selbstunternehmer, Selbstunternehmerin werden. Im Alter ist es von Vorteil, wenn man Generalist ist. Ältere Menschen sollten vielfältige Interessen und Kontakte pflegen. Selber aktiv sein und auf andere zugehen, aus sich heraus den eigenen Rhythmus finden. Was nicht heisst, dass man unbedingt immer

aktiv sein muss. Zudem ist es wichtig, dass man lernt mit Einschränkungen kreativ umzugehen, diese können finanzieller, gesundheitlicher oder sozialer Art sein. GB: Das eigene Leben als Weg des Werdens betrachten, auf dem wir wachsen und reifen. Je offener, mutiger, lernender wir durchs Leben gehen, desto versöhnlicher, demütiger und inspirierter können wir uns selbst begegnen. Nur denen, die rechtzeitig die Weichen für das Alter stellen, gelingt es, den «Höhenweg des Alters» zu gehen. Mein Tipp: leicht werden, Ballast abwerfen, loslassen, mit weniger auskommen, zu persönlicher Souveränität und Unabhängigkeit gelangen. Im ständigen Wandel sich selbst treu bleiben. Und fähig sein zur Liebe, aber auch zum Zorn. Fähig sein zu Reflexion, vor allem zur Selbstreflexion. Älter sein bedingt, Unternehmerin, Unternehmer zu werden; sein eigener Manager zu sein.

➥ Das ungekürzte Interview finden sie im Internet: magazin-humanite.ch

Fällt es Männern leichter als Frauen, älter zu werden?

FH: Solange Männer in einer Paarbeziehung leben, haben sie es leichter. Gut die Hälfte der Männer über 90 sind in einer Paarbeziehung. Wenn jedoch die Partnerin nicht mehr da ist, wird es schwieriger. Für einen Mann ist die Vertrauensperson meist seine Partnerin. Für eine Frau sind es oft Freundinnen oder Bekannte. Wie verhält es sich mit Altersmilde und Alterssturheit?

FH: Im hohen Alter braucht es eine geschützte Umgebung. Das führt dazu, dass man resistenter gegen Veränderungen wird. Gibt es zu viele Veränderungen, etwa wenn Betreuungspersonen dauernd wechseln, kann dies zu einer gewissen Sturheit führen. Besonders im vierten Lebensalter ist vertraute Routine sehr wichtig. In der Kindheit gibt es auch viele körperliche und seelische Veränderungen, nur nehmen in dieser Phase die Kapazitäten zu. Im Alter ist die Ausgangslage ähnlich, doch man verliert Energie und Kraft.

Judith Giovannelli-Blocher, Jahrgang 1932, bekannt als Sozialarbeiterin, Organisationsberaterin und Supervisorin. Erst im Alter ist sie als Schriftstellerin hervorgetreten. Ihre Bücher «Das Glück der späten Jahre. Mein Plädoyer für das Alter» und «Woran wir wachsen. Erfahrungen eines Lebens» haben ein grosses Echo ausgelöst. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann in Biel.

François Höpflinger, Jahrgang 1948, studierte Soziologie in Zürich und in London. Seit 1991 befasst er sich mit Altersund Generationenforschung. Er lehrt als Titularprofessor Soziologie an der Universität Zürich und veröffentlichte Publikationen wie «Einblicke und Ausblicke zum Wohnen im Alter». Mit seiner Frau lebt er in Horgen und hat zwei erwachsene Kinder sowie vier Enkelkinder. Humanité 3/2011

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Gemeinsam für eine gute Sache.

Die Mitarbeitenden der Credit Suisse engagieren sich gemeinsam mit dem Schweizerischen Roten Kreuz für soziale Projekte. Wir sind stolz auf das soziale Engagement unserer Mitarbeitenden. Im Rahmen unserer Partnerschaft mit dem Schweizerischen Roten Kreuz unterstützen wir dessen gemeinnützige Projekte mit Freiwilligeneinsätzen. credit-suisse.com/volunteering



konkret

Bosnien und Herzegowina

Das schwere Erbe der Nachkriegs Sie putzen und kochen für einsame Kriegswitwen, führen Nothilfekurse an Schulen durch und geben sich gegenseitig Halt: Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) unterstützt in Bosnien junge Menschen dabei, sich sinnvoll zu engagieren. Text: Katharina Schindler   Bilder: Claudia Kälin

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n Bosnien und Herzegowina ist besonders für junge Menschen die Lebenssituation schwierig. Sie haben keine persönlichen Erinnerungen an den Krieg, der vor 16 Jahren zu Ende ging. Und doch prägt er ihr Leben. «Für junge Menschen gibt es kaum Freizeitangebote und erst recht kei12

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ne beruflichen Perspektiven. Umso wichtiger ist es, dass sie eine gesellschaftliche Aufgabe übernehmen können, bei der sie gebraucht und geschätzt werden», sagt Jürg Frei, Verantwortlicher des SRK für Bosnien und Herzegowina. Nach dem Krieg baute das SRK Schulen und Spitäler

wieder auf, lieferte medizinische Geräte und betreute kriegstraumatisierte Frauen und Kinder. Heute konzentriert sich das SRK darauf, die Eigeninitative der Bevölkerung zu stärken. Das ist immer noch nötig, denn viele Wunden sind noch nicht verheilt. Die Spannungen zwischen den


konkret Die jungen RotkreuzFreiwilligen spüren viel Dankbarkeit

gendlichen nicht nur, wie man einsamen Menschen im Alltag beisteht. Sie erhalten auch das Rüstzeug, um selber Aktionen durchzuführen. «Es gibt so viele Menschen in unserem Land, die unter Einsamkeit und Armut leiden. Ich bin glücklich, dass ich einigen von ihnen den Alltag etwas erleichtern kann.» Die 18-jährige Aleksandra Pesta ist eine von Dutzenden Jugendlichen, die sich in Bosnien als Rotkreuz-Freiwillige sozial engagieren. Jede Woche besucht sie vier, manchmal auch mehr betagte Menschen. Sie hilft ihnen im Haushalt, kauft für sie ein und wenn jemand erkrankt, organisiert sie die nötige Hilfe. Die meisten von ihnen sind Kriegswitwen, die ganz auf sich selbst gestellt sind. «Ohne mich hätten sie niemanden», stellt die junge Frau fest. «Wenn ich ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern kann, bin ich der glücklichste Mensch.» Standaktionen in den Städten Mitten in der Kleinstadt Maglaj halfen die Jugendlichen mit bei einer Standaktion, bei der Passantinnen und Passanten kostenlos Blutdruck und Blutzuckergehalt gemessen wurden. Ein begehrtes Angebot, denn im schlecht funktionierenden Gesundheitswesen gelten selbst für einfache medizinische Kontrollen lange Wartezeiten – und sie kosten Geld.

Ein anderes Mal wurden auf dieselbe Weise Blutspender angeworben. An Schulen klären die Jugendliche ihre Altersgenossen über Alkohol und Drogen auf, oder sie führen Nothelferkurse durch. Ergänzend gibt es regelmässig Jugendlager, wo sich die Rotkreuz-Freiwilligen aus dem ganzen Land gegenseitig kennen lernen. «Dieser Austausch ist besonders wertvoll. Es ist einer der wenigen Orte, wo Jugend-

«Die Jugendlager der RotkreuzFreiwilligen tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen.» liche aus verschiedenen ethnischen Gruppen gemeinsam etwas unternehmen und Vorurteile abbauen», betont Jürg Frei. «Es gibt noch viel zu tun» Der 21-jährige Nedim Iamanovic hat schon mehrere Sommerlager hinter sich. Vor vier Jahren besuchte er auf Anregung seines Lehrers einen ersten Rotkreuz-Kurs. «Ich bin ihm noch heute dankbar», betont Nedim. «Seit ich beim Roten Kreuz bin, hat sich mein Leben drastisch verändert. Ich habe Freunde gefunden, eine Aufgabe und ein Ziel: Ich will möglichst viele junge Leute für das Engagement beim Roten Kreuz gewinnen. Denn es gibt noch so viel zu tun in unserem Land.»

➥ redcross.ch/bosnien-herzegowina

kinder Bevölkerungsgruppen dauern an und auch wirtschaftlich hat sich das Land nicht erholt. Viele Familien überleben nur dank den Geldern, die Verwandte aus dem Ausland nach Hause schicken. Mehr als die Hälfte der jungen Frauen und Männer sind arbeitslos. Jungen Menschen eine Perspektive geben Im Rahmen eines umfassenden Sozialprogramms fördert das SRK gemeinsam mit dem Bosnischen Roten Kreuz Jugendgruppen, die sich sozial engagieren. In Kursen und Workshops erlernen die Ju-

Die Jugendlichen des Bosnischen Roten Kreuzes messen am Stand kostenlos den Blutdruck und den Blutzuckergehalt Humanité 3/2011

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konkret

Diese Frau schöpft sauberes Wasser aus dem Brunnen, den das SRK restauriert hat

Patenschaft für Wasser

«Es ist wie ein neues Leben» Im Norden Malis, am Rand der Sahara, leiden die Menschen unter Wassernot. Mit dem Bau von Tiefbrunnen, die mit Solarenergie Wasser pumpen, hat das SRK die Lebensgrundlage von rund 10 000 Menschen deutlich verbessert. Patinnen und Paten des SRK machen es möglich, dass solche Brunnen gebaut werden können. Text: Katharina Schindler

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evor wir den Brunnen hatten, waren die Kinder oft krank. Sie litten an Durchfall und ihre Haut war voller Ekzeme. Für uns hat ein neues Leben begonnen», sagt die vierfache Mutter Kadija. Seit anderthalb Jahren hat ihr Heimatdorf Bintagoungou einen solar­ betriebenen Brunnen, der vom SRK gebaut wurde. 60 Meter tief musste gebohrt werden, um zum Grundwasser 14

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zu gelangen. Denn in dieser Region breitet sich die Wüste immer weiter aus. Die Menschen leiden unter Wassernot und chronischer Unterernährung. Früher gab es im Dorf einfache Sodbrunnen, aus denen die Frauen das Wasser holten. Doch im Laufe der Jahre sind sie ausgetrocknet und verwittert. So mussten die Frauen immer weiterlaufen, um das Wasser Kessel um Kessel herbeizuschleppen.

«Es war sehr anstrengend. Wir standen im Morgengrauen auf und machten uns auf den Weg. Erst gegen Mittag, in der grössten Hitze waren wir mit dem Wasser zurück. Und das jeden Tag. Auch die Mädchen mussten mithelfen, nur so konnten wir den Bedarf einigermassen decken», erinnert sich Kadija. In einigen Weilern wurden die alten Sodbrunnen renoviert und können


konkret wieder genutzt werden. Doch wo der Grundwasserspiegel zu tief war, entschloss sich das SRK zum Bau von Tiefbrunnen, die mit Solarenergie das Wasser aus 60 m Tiefe heraufpumpen. Die Intensität der Sonne, unter der die Menschen oft leiden, kann so sinnvoll genutzt werden. Gesunde Ernährung dank Wasser Jetzt hat die junge Mutter genügend Wasser und Zeit, um gemeinsam mit andern Dorffrauen einen Gemüsegarten

«Jeder Brunnen hat Hunderten Menschen die Hoffnung zurückgegeben.» zu betreiben. Das Saatgut haben sie vom Roten Kreuz erhalten. Einen Teil des Gemüses brauchen die Frauen für die gesunde Ernährung der eigenen Familien. Den Rest verkaufen sie auf dem Markt. Bintagoungou liegt in der Region Timbuktu in Nord-Mali, wo die Lebensbe-

dingungen äusserst prekär sind. Wenn die Regenzeit einmal schlecht ausfällt, droht rasch eine Hungersnot. Das SRK hilft rund einem Dutzend besonders armer Dörfer, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Wasser ist dabei das Schlüsselelement. Dank an die Patinnen und Paten des SRK Für Kamilou Wahabou, den Delegierten des SRK in Mali, ist klar, dass sich die Investition gelohnt hat: «Diese Dörfer sind kaum wieder zu erkennen. Vor allem den Frauen und Kindern geht es viel besser. Jeder Brunnen hat Hunderten Menschen die Hoffnung zurückgegeben.» Möglich waren diese Brunnen unter anderem dank den Patinnen und Paten einer Wasserpatenschaft, die alle täglich mindestens einen Franken gespendet haben.

➥ Wie

Sie eine Patenschaft abschlies-

sen können, erfahren Sie auf Seite 24

Kurz befragt Eliane Boss Sie koordiniert seit 2006 die Patenschaften des SRK im In- und Ausland und berät die Patinnen und Paten.

Was ist der Unterschied zwischen einer Spende und einer Patenschaft? Als Patin oder Pate entscheiden Sie sich dafür, längerfristig und regelmässig ein bestimmtes Anliegen zu unterstützen. Sie wählen einen unterstützungswürdigen Bereich, der Ihnen persönlich am Herzen liegt. Zweimal pro Jahr werden Sie informiert, was dank Ihrem Patenschaftsbeitrag realisiert werden konnte. Die meisten Patenschaften werden mit einem Betrag von monatlich CHF 30.– abgeschlossen.

oder auf redcross.ch/patenschaft

Warum kann ich nicht ein einziges Kind begünstigen? Beim SRK gibt es sechs verschiedene Projekt-Patenschaften im In- und Ausland, die alle effizient eine bestimmte Sache unterstützen und deshalb gleich mehrere Familien, ganze Dörfer oder Gemeinschaften begünstigen. Eine sogenannte «Einzelpatenschaft» würde immer zu einer Chancenungerechtigkeit führen. Dies sieht auch die ZEWO so, deren Richtlinien untersagen es, Patenschaften für einzelne Personen anzubieten.

Ohne Trinkwasser in der Nähe muss bei Gluthitze kilometerweit Wasser geholt werden oder die Menschen trinken aus Not verschmutztes Wasser

Wie wähle ich eine Patenschaft aus? Häufig haben unsere Patinnen und Paten einen persönlichen Bezug. Zum Beispiel sind sie vielleicht gerade Eltern oder Grosseltern geworden und möchten deshalb die Patenschaft des SRK für «Kinder in Not» unterstützen, um anderen Kindern in Entwicklungsländern eine Zukunft zu ermöglichen. Oder sie haben auf einer Reise erlebt, wie verheerend Wasserknappheit für die Menschen ist, und investieren deshalb einen Franken pro Tag in die Wasserpatenschaft des SRK.

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Überzeugt Dünkirchen (franz. Dunkerque) liegt am Ärmelkanal, im Norden Frankreichs

Arbeit in der Zentralstelle für Kriegsgefangene: Gustave Ador (IKRK-Präsident und Bundesrat), Paul des Gouttes (stehend), Frédéric Barbey, Odette Micheli und ihr Vater, Nationalrat Horace Micheli

Das Rote Kreuz und die Frauen

Die Heldentat von Odette Micheli Frauen haben unzählige Verwundete gepflegt und Henry Dunant in Solferino nachhaltig beeindruckt. Eine besondere Heldin der Geschichte war Odette Micheli, eine Delegierte des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Sie vermochte gar General Eisenhower zu überzeugen. Text: Philippe Bender

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ie Wahl der ersten Frau an die Spitze des SRK (Seite 22) bietet Gelegenheit, die Rolle der Frauen in der humanitären Arbeit hervorzuheben. Schon in der Geburtsstunde des Roten Kreuzes, am 24. Juni 1859 in Solferino, konnte Henry Dunant auf das Engagement von Dutzenden von Frauen zählen. Sie folgten spontan dem Ruf «Tutti fratelli» und versorgten auf dem Schlachtfeld unterschiedslos alle Verwundeten.

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Dem Roten Kreuz gelang es von Anfang an, Millionen von Frauen zu mobilisieren. Der ehemalige Präsident des IKRK, Cor-

Odette Micheli war Delegierte des SRK für Kinderhilfe während dem Zweiten Weltkrieg.

Frauen, die sich rund um den Globus für ein humanitäres Ideal einsetzten, seien ganz unterschiedliche Persönlichkeiten und verwahrten sich zu Recht dagegen, in eine Schablone gepresst zu werden. Ein Beispiel für dieses Engagement ist Odette Micheli.

nelio Sommaruga, sagte einmal, die Frau in der Welt des Roten Kreuzes sei eine Realität mit zahlreichen Facetten. Die

Die Delegierte für Kinderhilfe Sie entstammte einem alten Genfer Geschlecht; ihr Vater Horace war Nationalrat


© Photo Studio Mallevaey

Überzeugt

in die Schweiz war das dringendste Problem die unzureichende, unausgewogene Ernährung: Tausende von Kindern mussten mit 1200 bis 1600 Kalorien am Tag auskommen. Als Notbehelf organisierte die Delegation in Paris in den Jahren 1944 und 1945 fast 700 000 Imbisse. Während und unmittelbar nach dem Krieg wurden in Lagern, Kantinen, Schulen und Krippen über 2200 Tonnen Nahrungsmittel verteilt.

Odette Micheli organisierte die Kinderhilfe des SRK für die Nordzone Frankreichs und Mitglied des IKRK. Im Krieg von 1914– 1918 arbeitete sie zunächst als Freiwillige in der Zentralstelle für Kriegsgefangene. Danach leitete sie im Zweiten Weltkrieg die Delegation der Kinderhilfe in Paris. Diese Delegation in Paris war für die von der Wehrmacht besetzte Nordzone zuständig. Eine weitere Delegation der Kinderhilfe in Toulouse betreute die sogenannte «freie» Südzone, die dem Vichy-Regime unterstellt war. Neben der Organisation von Konvois

Denkwürdige Rettungsaktion Am 6. Juni 1944 landeten die Alliierten in der Normandie. Am 25. August wurde Paris befreit. Darauf folgten im Dezember die Ardennenschlacht und das Vorrücken gegen Deutschland mit dem Zusammenbruch der Westfront im Frühjahr 1945. Doch im Sommer und Herbst 1944 war noch nicht ganz Frankreich befreit. Noch hielten sich feindliche Stützpunkte wie die grossen Atlantikhäfen Lorient, Saint-Nazaire, Dünkirchen und Royan. Die Alliierten begnügten sich damit, diese zu blockieren oder durch Luftangriffe zu zerstören. Odette Micheli verkehrte in militärischen

und politischen Kreisen. Dort erfuhr sie, dass die Amerikaner Dünkirchen bombardieren wollten. Sogleich setzte sie sich mit den französischen Generälen König und Chaban-Delmas, dem künftigen Premierminister, in Verbindung, die sie an den amerikanischen General Redman verwiesen. Gemeinsam baten sie den Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Eisenhower, die Bombardierungen aufzuschieben. Eisenhower liess sich überzeugen und befahl, die Kriegshandlungen einzustellen, bis die Zivilbevölkerung evakuiert war. Zusammen mit dem Französischen Roten Kreuz und dem Schweizer Konsul in Lille, Fred Huber, organisierte Odette Micheli den Transport. Anfang Oktober wurden innerhalb von vier Tagen 18 000 Einwohner, darunter tausende Kinder, ins Landesinnere gebracht. Die Stadt blieb schliesslich verschont, doch die deutsche Besatzung ergab sich erst am 9. Mai 1945. Odette Micheli wurde für ihre Verdienste zur Ehrenbürgerin von Dünkirchen ernannt. Sie starb 1962 im Alter von 64 Jahren.

➥ redcross.ch/geschichte Humanité 3/2011

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konkret Hinter der provisorischen Hütte aus Brettern entsteht das neue, erdbebensichere Zuhause für die 7-köpfige Familie von Marie-Sélide Séan (2. von links)

Ü

bermorgen können wir in unser neues Haus ziehen», sagt Marie-Sélide Séan voller Stolz. Sie zeigt uns die Baustelle, wo ein Team von fünf Bauarbeitern gerade dabei ist, das Metalldach zu montieren und die Fenster einzupassen. Zusammen mit ihrem Mann, zwei Kindern und einem Enkel wird sie das 21 m2 grosse Wohnhaus bewohnen. Ihr früheres Zuhause war beim heftigen Erdbeben vom 12. Januar 2010 komplett eingestürzt.

«Jeden Tag sind wir dankbar für die Hilfe.» Nur dank viel Glück war niemand dabei verletzt worden. Zeit des Schmerzes Marie-Sélide mag nicht über den schlimmsten Tag Haitis sprechen, das spürt man. Es war eine Zeit der Angst und des Schmerzes. Fast ihr ganzes Hab und Gut war unter den Trümmern begraben. Im Dorf gab es Tote und Verletzte. Dazu kam die Ungewissheit um die Verwandten, die in der 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Port-au-Prince wohnten. Wochenlang hörte sie nichts von ihnen.

Die Sorgen waren immens. Heute blickt sie wieder etwas optimistischer in die Zukunft: «In unserem neuen Zuhause werde ich mich sicher fühlen. Es ist viel stabiler als das Alte. Selbst bei einem Erdbeben oder Hurrikan würde es nicht einstürzen.» Häuser des SRK für haitianische Lebensgewohnheiten Vor knapp einem Jahr hat das SRK im Bergdorf Palmiste-à-Vin das erste von insgesamt 600 geplanten Wohnhäusern aufgebaut. Die grosszügigen Spenden der Schweizer Bevölkerung ermöglichen den haitianischen Familien diese sicheren Behausungen. Mittlerweile sind bereits mehr als 400 bewohnt. Guirlène Jean-Louis’ Familie konnte bereits letzten Oktober ihr neues Haus beziehen. «Wir fühlen uns wohl und sicher, jeden Tag sind wir dankbar für die Hilfe, die wir vom Roten Kreuz erhielten», sagt sie und öffnet grosszügig die Tür zum 1-Zimmer-Haus, das die sieben­ köpfige Familie wohnlich eingerichtet hat. Diese Wohnform ist üblich im ländlichen Haiti. Gekocht wird draussen an der Feuerstelle und wichtig ist in diesem Klima die gedeckte Terrasse. Bei der

APROPOS «Ich bin ein Fan» «Gutes tun und darüber sprechen» – nach diesem Motto wird das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) auch in diesem September wieder auf seine humanitäre Arbeit in der Schweiz und im Ausland aufmerksam machen. Mit Inseraten sowie Präsenz im Fernsehen und im Internet wird das SRK aufzeigen, was die konkrete Hilfe bei Bedürftigen bewirkt. Dabei werden gleich jene Menschen zu Wort kommen, deren Lebensbedingungen dank Schweizer Spenden verbessert werden können: Begünstigte aus Haiti, Togo und Laos geben sich als Fans des SRK zu erkennen und erklären, wie sich ihre Situation verbessert hat. ZEWO-zertifizierte Organisationen wie das SRK erhalten bei der SRG und bei den meisten Verlagen Vorzugsbedingungen. Für die Sensibilisierungskampagne werden nicht unnötig Spendengelder ausgegeben.

➥ redcross.ch Humanité 3/2011

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konkret zudem Latrinen und Waschplätze eingerichtet, um die Hygiene und Gesundheit zu verbessern. «Sämtliche Neuerungen wurden im Gespräch mit der Dorfgemeinschaft entwickelt. Die Menschen sind froh für diese Verbesserungen», sagt Olivier Le Gall, der Baudelegierte des SRK in Haiti.

Die Stelzen sorgen dafür, dass auch bei starkem Regenfall kein Wasser ins Haus eindringt Planung eines Wiederaufbaus berücksichtigt das SRK die jeweilige lokale Lebensweise. Die vom SRK erstellten Häuser sind nicht zu übersehen: Wer von der Küstenstadt Léogane die kurvige Strasse nach Palmiste à Vin hinauf fährt, erblickt überall die mit hellem Sperrholz verkleideten Stahlkonstruktionen, die mal einzeln, mal in Gruppen an den Hängen kleben. Die Fertighäuser aus Stahl werden aus

wänden mit Fiberzementplatten verstärkt. Zudem wird noch die gedeckte Veranda angebaut und ein Tank für Regenwasser installiert. Neu werden

Gedrückte Stimmung Bei aller Dankbarkeit, die die Menschen äussern, ist nicht zu übersehen: Die traumatische Erfahrung des Erdbebens, die fehlenden Perspektiven, die wirtschaftlichen Sorgen belasten sie schwer. Die Stimmung ist gedrückt. Selbst Kinder scheinen ungewöhnlich ernst. «Die Situation ist alles andere als einfach», betont denn auch Olivier Le Gall, der seit zehn Monaten für das SRK in Haiti arbeitet. «Die Häuser ermöglichen es den Menschen, vor Wind und Wetter geschützt unter würdigen Umständen zu leben. Das ist sehr wichtig, aber es ist nur ein Anfang. Es bleibt noch sehr viel zu tun.»

➥ redcross.ch/haiti

Die Familien bringen das Baumaterial selber von der zentralen Verteilstelle im Dorf auf ihr eigenes Grundstück. Vietnam geliefert, mit lokal eingekauftem importiertem Holz ergänzt und per Lastwagen zur zentralen Verteilstelle im Dorf geliefert. Wie alle andern Bewohner der weitläufigen Streusiedlung musste auch Marie-Sélides Familie das Baumaterial dort abholen und selber zum eigenen Grundstück bringen. Unterstützt von Nachbarn und Verwandten schleppten sie die insgesamt 900 Kilogramm Stahl und Holz fast zwei Kilometer weit. Jetzt schauen sie interessiert zu, wie das vom SRK geschulte Bauteam in nur drei Tagen das Haus fachgerecht zusammenbaut. Um die Häuser dauerhafter zu machen, werden sie demnächst an den Aussen20

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Olivier Le Gall, der Baudelegierte des SRK (rechts), im Gespräch mit dem Sohn von Guirlène Jean-Louis (links)


kurz & bündig

Google Schweiz packt mit an Im Rahmen eines Freiwilligeneinsatzes haben rund 15 Personen von Google Schweiz das SRK-Secondhand-Warenhaus «La Trouvaille» in der Region Bern während drei Tagen tatkräftig unterstützt.

© Olivier Matthys

➥ latrouvaille-bern.ch

Wohnhäuser für Flutopfer in Pakistan

Jugend-Rotkreuz unterstützt Sommercamp von Swisscor Im zweiwöchigen Sommercamp von Swisscor organisierten 16 Freiwillige des Schweizer Jugend-Rotkreuz das Freizeitprogramm für Kinder aus einem ehemaligen Kriegs- oder Krisengebiet. Die Stiftung Swisscor lädt jedes Jahr solche Kinder in die Schweiz ein. Hier können sie für zwei Wochen ihren Alltag vergessen und erhalten medizinische Versorgung. Dieses Jahr wurden 80 Kinder aus Mazedonien eingeladen. Trotz Sprachbarriere fanden die Jugendlichen des SRK schnell Zugang zu den Kindern und boten ihnen ein unvergessliches und abwechslungsreiches Freizeitprogramm. Sechs Freiwillige des Mazedonischen Jugend-Rotkreuz unterstützten ihre Schweizer Kollegen.

Ein Jahr nach den schweren Fluten in Pakistan engagiert sich das SRK stark im Wiederaufbau zerstörter Dörfer. In der südlichen Provinz Sindh entstehen Wohnhäuser für 700 Familien. Diese beteiligen sich unter der Anleitung von Fachleuten selber an den Bauarbeiten. Wie wir bereits berichtet haben, konnten die von den Fluten vertriebenen Menschen erst im Februar in ihre Dörfer im Bezirk Dadu zurückkehren. Sowohl hier im Süden wie auch in der im Norden Pakistans gelege-

nen Region von Charsadda versorgt das Rote Kreuz die Obdachlosen weiterhin mit Nahrungsmitteln. Aber auch Massnahmen zur Gesundheitsvorsorge sind nötig. Gemeinsam mit ausgebildeten Freiwilligen des Pakistanischen Roten Halbmondes bietet das SRK der Bevölkerung Gesundheitsdienste an. Sauberes Trinkwasser und Aufklärung über Hygiene sind besonders wichtig zur Vermeidung von Krankheiten.

➥ redcross.ch/pakistan

Das Rote Kreuz am Comptoir Suisse Vom 16.–25. September präsentiert sich das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) am Comptoir Suisse in Lausanne. Besuchen Sie unseren Stand an einer der grössten Messen in der Schweiz. Es erwarten Sie viele Aktivitäten und Attraktionen. Erleben Sie die Rettungshunde von REDOG, Erste-HilfeVorführungen der Samariter, ein Zeichenwettbewerb für Kinder und betreten Sie ein echtes Nothilfezelt. Die Messe hat täglich von 10.00–19.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist am Eröffnungstag gratis. Wir freuen uns

auf Ihren Besuch im Bereich Gesundheitsförderung. Auf Wiedersehen in Lausanne!

➥ comptoir.ch

Mitarbeitende der Credit Suisse engagieren sich weiterhin Sie helfen bei den Hausaufgaben, sortieren Pakete bei der Aktion 2 5 Weihnachten und zeigen grosse Solidarität bei Grosskatastrophen. Die Credit Suisse und ihre Mitarbeitenden engagieren sich seit Jahren für die Gesellschaft und für soziale Anliegen. Deshalb ist die Bank seit 2008 offizieller Partner des SRK im Bereich Corporate Volunteering (Freiwilligenarbeit). Zahra Dar-

vishi ist bei der Credit Suisse für diesen Bereich verantwortlich: «Wir freuen uns über die spannende und erfolgreiche Partnerschaft mit dem SRK, die es uns ermöglicht, gemeinsam neue Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Das grosse Interesse unserer Mitarbeitenden motiviert uns, auch 2011 mit dem SRK zusammenzuarbeiten und weitere Programme zu realisieren.» Humanité 3/2011

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Seit Langem fasziniert von den sieben Rotkreuz-Grundsätzen, verpflichtet sich die Präsidentin diesen Grundwerten aus Überzeugung

Annemarie Huber-Hotz

Smarte, organisierte Strategin Die neue Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) hat am 1. Juli 2011 ihr Amt angetreten. Annemarie Huber-Hotz ist die erste Frau in diesem Amt. Das war sie auch schon als Bundeskanzlerin. Sie kann auf wertvolle Erfahrungen aus dem Berufs- und Familienleben zurückgreifen. Text: Tanja Pauli   Bilder: Sandro Huber

W

ie so manche Frau hat Annemarie Huber-Hotz viele Rollen zu erfüllen. Sie wechselt diese fliessend und scheinbar so einfach wie Schuhe. Auf ihre neue Rolle als Präsidentin des SRK freut sie sich besonders: «Es war schon immer mein Wunsch, einmal für das Rote Kreuz zu arbeiten. Für mich war und ist es DIE humanitäre Organisation der Welt.» Mit Annemarie HuberHotz hat das SRK erstmals in seiner fast 150-jährigen Geschichte eine Frau an der 22

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Spitze. In dieser Funktion ist die 63-Jährige zugleich auch Vizepräsidentin der Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesell-

«Es war schon immer mein Wunsch, für das Rote Kreuz zu arbeiten.» schaften. Sie ist es sich gewohnt, als erste Frau in ein prestigeträchtiges Amt gewählt zu werden, vielen Mitarbeitenden vorzuste-

hen und grosse Verantwortung zu tragen. Denn als erste Bundeskanzlerin der Schweiz hat sie von 1999 an acht Jahre auf höchster Ebene den Bundesrat bei der Geschäftsführung unterstützt. Und dies in bewegten Zeiten erfolgreich. Umso sympathischer wirken ihr Auftreten und ihre bescheidene, offene Art. Ob das am berühmten Spagat zwischen Karriere- und Familienfrau liegt, den sie scheinbar mühelos beherrschte, in einer Zeit, die dafür noch nicht einmal reif war?


erlebt Fortschrittliche Rollenverteilung Zusammen mit ihrem Mann hat Annemarie Huber-Hotz drei Adoptivkinder grossgezogen. Die Rollenverteilung der Familie Huber-Hotz war für die 80er-Jahre untypisch: Er kümmerte sich tagsüber um Haushalt und Kinder, sie entlastete ihn nach ihrem Feierabend. So fand die Führungsfrau einen gesunden Ausgleich zum Büroalltag. Auch eine gegenseitige Nachbarschaftshilfe hat dazu beigetragen, die intensiven Jahre mit Kindern zu organisieren. Annemarie Huber-Hotz weiss aber, dass nicht alle Eltern auf ein privates Umfeld zurückgreifen können. Deshalb findet sie den Entlastungsdienst für Eltern ein wichtiges Angebot des SRK. Den jungen Müttern, die Beruf und Familie verbinden wollen, rät sie: «Wenn man es wirklich will: nicht aufgeben. Auch wenn es manchmal hart ist. Man lernt dazu und dann geht es nach den ersten Etappen immer leichter.» Schon ihre Eltern haben Beruf und Familienleben verbunden und zusammen einen Müllereibetrieb geführt. Eine Mühle, wie man sie aus alten Zeiten kennt, neben einem Bach mit einem wasserbetriebenen

Mühlrad. Mühlen mahlen langsam, aber in ihrem Leben ging es rasch vorwärts. Während der Studienzeit in Genf war sie bereits nahe dran am Roten Kreuz. 1978 trat sie im Bundeshaus eine Stelle an als Mitarbeiterin des Generalsekretärs der Bundesversammlung. Nicht ahnend, dass der Regierungssitz der Schweiz für fast dreissig Jahre ihr Arbeitsplatz bleiben würde. Sie arbeitete sich hoch bis zur Generalsekretärin der Bundesversammlung. Der Rest ist auch ein Stück Schweizer Geschichte. 2007 entschied sie sich, nicht mehr zur Wiederwahl als Bundeskanzlerin anzutreten. Dies war auch das Jahr, in dem sie sich zur Wahl stellte für den Rotkreuz-Rat, um die strategische Ausrichtung des SRK mitzubestimmen. Facettenreicher Alltag Als Präsidentin des SRK wird sie nun noch stärker in alle Bereich des SRK eingebunden. Unter anderem sind ihr die über 50 000 Freiwilligen des SRK ein besonderes Anliegen. Bis vor Kurzem präsidierte sie die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft und kennt den Wert der Freiwilligenarbeit auch aus eigener

Annemarie Huber-Hotz leitet den Rotkreuz-Rat, dessen neun Mitglieder die Strategie festlegen für das gesamte SRK

APROPOS Kurzbiografie Annemarie Huber-Hotz wurde am 16. August 1948 in Baar/ZG geboren. Sie studierte Soziologie, Ethnologie und Politikwissenschaften in Bern, Uppsala (Schweden) und Genf. Sie nahm u.a. Einsitz in folgenden Gremien: Schweiz. Vereinigung für politische Wissenschaft, Schweiz. Vereinigung für Zukunftsforschung, Schweiz. Akademie für Geisteswissenschaften, Schweiz. Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften, Schweiz. Gemeinnützige Gesellschaft, Schweizer Berghilferat. Aktuell ist sie im Fachhochschulrat der Fachhochschule Zentralschweiz, Präsidentin des Stiftungsrates Schweizerischer Bankenombudsman und der Preiskommission der Dr. J.E. Brandenberg-Stiftung sowie Stiftungsrätin bei der Doron-Stiftung und der Kuoni-Hugentobler-Stiftung. Nebst der Muttersprache Deutsch spricht sie Englisch, Französisch und Schwedisch. Mit ihrem Mann lebt sie in Bern.

Erfahrung: «Es war mir immer wichtig, nebst Beruf und Familie noch etwas zu tun. Und man kann so ein breites Netzwerk spannen», meint sie zusammenfassend zu ihren bisherigen und aktuellen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Auch wird sie sich künftig vermehrt selber überzeugen, was das SRK in 28 Ländern an Entwicklungszusammenarbeit leistet. Was entgegnet sie jenen, die behaupten, Arbeit in den Entwicklungsländern sei ein Tropfen auf den heissen Stein? «Dann muss man erst recht anfangen. Jeder Tropfen auf den heissen Stein ist wertvoll und das Rote Kreuz lässt gleich mehrere Tropfen auf mehrere heisse Steine fallen.» Das Leben von Annemarie Huber-Hotz war früher schon facettenreich und ist es heute erst recht. Denn seit September 2010 hat Annemarie Huber-Hotz noch eine wichtige Rolle mehr zu spielen: Sie ist Grossmutter geworden und übernimmt nun auch einen Tag pro Woche die Verantwortung für ihre Enkelin.

➥ redcross.ch/organisation Humanité 3/2011

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© SRK/CRS

Jetzt Pa t WeRdeN e !

Mit einer Wasserpatenschaft unterstützen Sie Kinder wie Nian in den ärmsten Regionen der Welt. Mit einer Patenschaft helfen Sie nachhaltig. Ihre regelmässigen Beiträge fliessen in langfristige Projekte. Sie ermöglichen beispielsweise eine Wasserversorgung in Notstandsgebieten oder einen Brunnen in Mali. Wenn Sie eine Patenschaft abschliessen möchten, senden Sie untenstehenden Talon ausgefüllt an: Schweizerisches Rotes Kreuz, Rainmattstrasse 10, Postfach, 3001 Bern oder schliessen Sie unter www.redcross.ch/wasser eine Patenschaft ab.

Ja, ich möchte gerne eine Wasser-Patenschaft übernehmen und überweise monatlich Fr. 30.–. Bitte senden Sie mir Einzahlungsscheine. Ich bin noch nicht sicher, senden Sie mir bitte Unterlagen. Vorname/Name Strasse/Nr. PLZ/Ort Tel. E-Mail Unterschrift

Geburtsdatum



engagiert

S

ie könnte meine Tochter sein», war der erste Gedanke von Joséphine Flüeler, als sie ihrer neuen Klientin im Frühling das erste Mal begegnete. Sandra Hadorn hingegen konnte kaum glauben, dass die attraktive, energiegeladene Joséphine Flüeler bereits 71 Jahre zählt. Trotz des Altersunterschieds von 28 Jahren haben die zwei Frauen viel gemeinsam. Sie haben beide das Leben von der unberechenbaren Seite kennengelernt. Das Leben fordert heraus Nach der Geburt ihres Sohnes vor 22 Jahren hatte Sandra Hadorn erfahren, dass sie an einer angeborenen Muskelkrankheit leidet, die zwar langsam, aber kontinuierlich fortschreitet. «Mit einem Kind war es für mich keine Option, in eine Depression zu versinken», sagt sie mit Bestimmtheit. «Ich habe mir immer Etappenziele gesetzt, für mich und meinen Sohn.» Zwanzig Jahre lang trug sie ein Stützkorsett. Vor drei Jahren hat sie sich stattdessen für einen Rollstuhl entschieden, was ihr die Ärztin ursprünglich schon bei der Diagnose geraten hatte. Die heute 43-Jährige ist kreativ und flexibel geblieben in ihrer Lebensgestaltung. Um ihre Familie zu entlasten, fragte sie beim SRK Aargau an, ob jemand sie beim Kleidereinkauf begleiten würde. Allein hat sie nicht die Kraft, den Roll-

«Mich hat erstaunt, wie rasch das Rote Kreuz helfen kann.» stuhl selber durch die engen Regale zu steuern. Die Antwort klang vielversprechend: Man wüsste eine Person, die sei ganz genau die Richtige dafür. Sandra Hadorn erinnert sich, wie erfreut sie damals war: «Mich hat erstaunt, dass das Rote Kreuz so rasch helfen kann. Ich rief als Privatperson dort an und es funktionierte ohne mühsames administratives Prozedere!» Es fiel ihr nicht leicht, um Hilfe zu bitten. Bereut hat sie es nie: «Im Gegenteil - wenn ich das früher gewusst hätte!» Für Sandra Hadorn entpuppte sich ihre freiwillige Begleiterin als «Volltreffer». Die positive Lebenseinstellung und die erfrischend direkte Art von Joséphine Flüeler beeindruckten sie bereits beim ers26

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ten Kennenlernen so sehr, dass sie ihren Mann per SMS wissen liess: «Die Frau ist der Wahnsinn!» Zusammen besuchen die beiden Frauen nun alle paar Wochen ein Shoppingcenter und sind innert Kürze ein eingespieltes Team geworden. Sandra Hadorn kann im Rollstuhl keine Kleider anprobieren. Deshalb versucht sie, mit dem Messband das Passende zu finden. «Joséphine berät mich und hat einen her-

vorragenden Kleidergeschmack. Ich bin da eher konservativ und was mir fehlt, ergänzt sie», schwärmt Sandra Hadorn. «Und sie geht offen auf alle Leute zu und besteht unmissverständlich darauf, dass sich die Verkäuferinnen mit uns noch ein bisschen mehr Mühe geben», sagt sie augenzwinkernd und meint damit die direkte, temperamentvolle Art ihrer freiwilligen Begleiterin, welche sie schätzt und bewundert.


engagiert über sich selber und erzählt aus ihrem Leben: «Ich war Geschäftsfrau in der Kosmetikbranche bis zu meiner Pensionierung. Mein Leben war immer sehr hektisch.» Aber auch tragisch. Sie musste den Tod ihrer Tochter verkraften und auch ihren Mann verlor sie früh.

«Als Freiwillige des Besuchsdienstes will ich eine schöne Zeit verbringen mit den Leuten. Und die habe ich immer.» Schicksalsschläge, die man bei einer so starken, fröhlichen Frau kaum vermuten würde. «Ich fiel in ein Loch, aus dem ich mich selber wieder befreien musste. Ich wollte etwas tun und habe für mich das passende Engagement gefunden. Früher fiel mir nicht auf, dass viele in meinem Umfeld fast ausschliesslich mit sich sel-

ber beschäftigt sind. Ich war ja selber drin in dieser Glamourwelt. Alles drehte sich ums Äussere und es ging hauptsächlich darum einander auszustechen. Plötzlich hat mich das alles genervt. Es war Zeit für eine Neuorientierung.» Ihre Bekannten bewundern sie für ihre Freiwilligenarbeit. Sie geniesst es, dass sie mit Sandra Hadorn über Gott und die Welt diskutieren kann. Beide Frauen finden, dass zu oft über oberflächliche Probleme gejammert wird. Sie sind sich einig, dass jeder Mensch sein eigenes Rezept finden muss, für sein Leben – allen Widrigkeiten zum Trotz. «Es geht um die Qualität im Leben, nicht um die Quantität», meint Sandra Hadorn und liefert mit dieser Aussage die Grundlage für eine weitere tiefgründige Diskussion mit ihrer neuen Freundin.

➥ redcross.ch/entlastung

Ob über das aktuelle Weltgeschehen, Mode oder das eigene Befinden: an Gesprächsstoff mangelt es Sandra Hadorn (links) mit Joséphine Flüeler nie Das Leben prägt Joséphine Flüeler selber meint, dass sie im Alter geduldiger geworden sei. Aber respektloses Benehmen – ganz besonders gegenüber Behinderten – duldet sie nicht. Was Joséphine Flüeler sich vorgenommen hat, wird umgesetzt. Sie will mit ihren Klientinnen eine schöne Zeit verbringen. Und gemäss eigener Aussage hat sie die immer. «Eigentlich habe ich keinen Hang zu sozialen Tätigkeiten», sagt sie

Mit ihrer Begleiterin fühlt sie sich weder hilflos noch abhängig – der natürliche Umgang macht es aus Humanité 3/2011

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Schenken Sie doppelte Freude Weitere

2012

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SRK-Kalender 2012 für die «Opfer vergessener Katastrophen» Der mehrfach ausgezeichnete Luzerner Fotograf Fabian Biasio hat sich auf eine Reise von Karthoum nach Bentiu im Südsudan begeben und atemberaubend schöne Bilder für den SRK-Kalender 2012 mitgebracht. Der Kalender ist dem Thema Gesundheitsförderung gewidmet. Jede Seite präsentiert eine Facette des Themas, jedes Bild begleitet eine Geschichte, die zeigt, wie das Rote Kreuz hilft. Mit dem Kauf eines Kalenders spenden Sie Fr. 25.— an Opfer vergessener Katastrophen. Danke. (Auslieferung des Kalenders Anfang November 2011)

In den Medien folgt eine Katastrophe auf die nächste. Das Elend von heute ist morgen schon vergessen. Das Rote Kreuz arbeitet da, wo keiner hinschaut und kaum einer hinkommt. Zum Beispiel im Südsudan. Dort stirbt jedes fünfte Kind vor dem 5. Altersjahr, die Müttersterblichkeit ist 400-mal höher als in der Schweiz. Durch die Weiterbildung traditioneller Hebammen und den Bau von Gesundheitszentren hilft das SRK die Kindersterblichkeit zu senken. Mehr Informationen: www.redcross.ch/ vergessene-katastrophen

Geschenkideen: «Wasser schenkt Leben» Fr. 25.–

Original SIGG-Flasche, 0,6 l aus Aluminium mit exklusivem SRK-Design. Vom Kaufpreis fliessen 10 Franken in Wasserprojekte des SRK.

Knuddel Teddy Fr. 30.–

Unterstützen Sie Menschen in der Schweiz, die auf Hilfe angewiesen sind. 10 Franken vom Kaufpreis kommen bedürftigen Menschen im Inland zugute! SRK-Shop Hotline: Tel. 031 387 71 11 Alle Geschenkartikel des SRK finden Sie in unserem Internet-Shop:

www.redcross.ch/geschenkideen

Ich bestelle gegen Rechnung: St. SRK-Kalender 2012 à Fr. 51.–*

St. SIGG-Flasche à Fr. 25.–*

St. Teddy à Fr. 30.–*

*Zuzüglich Verpackung/Porto Fr. 8.–, Lieferfrist ca. 7 Arbeitstage (Auslieferung Kalender Anfang November), Lieferung solange Vorrat.

Name

Vorname

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PLZ/Ort

Telefon E-Mail Talon einsenden an: Schweizerisches Rotes Kreuz, Rainmattstrasse 10, 3001 Bern


Kreuz & quer

rezept Griess-Nocken mit Kohlrabi-Basilikum-Sauce Für 4 Personen

Die Gäste schätzen das Ambiente und die motivierten Mitarbeiter des Fomaz – hier Abas Mohamed

Restaurant Fomaz, Altdorf

Heisshunger auf Neues Für Abas Mohamed aus Somalia ist das Restaurant Fomaz in Altdorf (UR) der Schlüssel zum Glück: Das einjährige Gastronomie-Praktikum, das er dort absolvieren kann, macht ihm Mut auf eine hoffnungsvolle Zukunft. Text: Isabel Rutschmann  Bild: Angel Sanchez

A

bas Mohamed hat zwar gerade eine anstrengende Mittagsschicht als Praktikant in der Küche des Restaurants Fomaz hinter sich. Trotzdem zieht sich ein strahlendes Lachen über das ganze Gesicht des 24-Jährigen. «Bevor ich die Arbeit hier anfangen konnte, war ich mutlos und traurig. Jetzt bin ich glücklich, denn ich bekomme eine Chance in der Arbeitswelt», sagt er. Wie für Abas Mohamed werden im Fomaz noch für fünf weitere junge Menschen jedes Jahr die Weichen für die Zukunft gestellt. Das Restaurant ist ein Integrationsprojekt des Schweizerischen Roten Kreuzes und bietet anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen Ausbildungsplätze in der Gastronomie an. Die Auszubildenden sammeln in den Bereichen Service, Buffet, Office und Küche praktische Erfahrung und erhalten am Nachmittag Theorieunterricht. Abas Mohamed hat während der ersten drei Monate seiner Ausbildung erste Praxiserfahrungen im Service gesammelt, jetzt lernt er die Arbeiten in der Küche kennen. Für ihn ist mittlerweile klar, dass

er nach dem Praktikum eine Kochlehre in Angriff nehmen möchte: «Die Arbeit in der Küche gefällt mir sehr. Zu Hause koche ich oftmals die Gerichte nach, die wir am Mittag für die Gäste zubereitet haben.» Er ist zuversichtlich, dass er nach dem Praktikum eine Lehrstelle oder eine Arbeitsstelle in der Gastronomie finden wird: «Nach diesem Jahr habe ich eine gute Grundlage und bin sehr motiviert, zu arbeiten.» Stammgäste des Fomaz wie Madeleine Burri und ihre Arbeitskolleginnen aus dem nahe gelegenen Alters- und Pflegeheim Rosenberg kommen gerne hier essen und loben die Leistung des Personals: «Die Menüs sind abwechslungsreich, der Service ist aufmerksam und das Ambiente ist familiär. Man spürt, dass die Leute hier gerne arbeiten.» Das nebenstehende vegetarische Gericht wurde diesen Sommer im Fomaz serviert. Geradezu begeistert hat uns die harmonische Kombination von Kohlrabi und Basilikum in der Sauce.

Zutaten Griess-Nocken: 4 dl Milch, 2 EL Butter, ¼ TL Salz, 150 g Hartweizengriess, 3 Eier, 5 EL geriebener Sbrinz, Salz, Pfeffer, 1 Prise Muskatnuss Kohlrabi-Basilikum-Sauce: 1 Zwiebel, 150 g geschälter Kohlrabi, 1 EL Butter, je 1,5 dl Gemüsebouillon und Rahm, 1 Bund Basilikum, Salz, Pfeffer Zubereitung Griess-Nocken: Milch, Butter und Salz aufkochen. Griess unter Rühren einrieseln lassen. Bei kleiner Hitze 5 Min. köcheln. Leicht auskühlen lassen. Eier verquirlen und mit dem Sprinz darunter mischen und würzen. Mit 2 Esslöffeln Nocken formen und portionenweise in knapp siedendem Salzwasser garen, bis die Nocken an die Oberfläche steigen. Herausnehmen und warm stellen. Sauce: Zwiebel hacken und Kohlrabi in kleine Würfel schneiden. Beides in Butter andämpfen und mit der Bouillon und dem Rahm ablöschen. Zugedeckt weich kochen. Basilikum-Blätter beigeben und pürieren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Etwas Sauce in tiefe Teller geben. Die Nocken darauf anrichten und mit Basilikum garnieren.

APROPOS Fomaz – Heisshunger Das Wort «Fomaz» kommt aus dem Rätoromanischen und bedeutet übersetzt «Heisshunger». Mit diesem Namen spielt das Restaurant einerseits auf das Speiseangebot an, andererseits steht der Ausdruck symbolisch für den Wunsch der Auszubildenden auf neue Herausforderungen und eine zuversichtliche Zukunft. Rätoromanisch ist typisch schweizerisch und doch vielen sehr fremd – diese Gegensätze will das Fomaz verbinden.

➥ magazin-humanite.ch/rezepte Humanité 3/2011

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kreuz & quer

HUMANITé 2/2011 Lösungswort des letzten Kreuzworträtsels: trinkwasser Wir gratulieren den Gewinnerinnen und Gewinnern: Esther Demuth, Rapperswil Jean-Louis Girardin, Genf Jean-Michel Mérier, Ecublens Ursula Rosin, Grosshöchstetten Käthi Schaad, Grenchen Übrige Lösungen der letzten Ausgabe:

Für Humanité zeichnet «Karma» alias Marco Ratschiller. Er ist Cartoonist und Chefredaktor des Satire-Magazins Nebelspalter.

Labyrinth Vom Start bis ans Ziel wird der Weg mit feinen Linien markiert. Den gefundenen Weg ausfüllen – und schon erscheint das Bild.

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Die Lösung zum Sudoku, zum Wortsuchspiel und zum Labyrinth finden Sie jeweils in der nächsten Ausgabe oder im Internet.

➥ magazin-humanite.ch (C) Conceptis Puzzles

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kreuz & quer

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Sudoku 3 7 8 4 1 7 5 1 4 5 3 2 6 5 7 8 1 4 6 5 3 1 5 4 6 3 1 8 6 4 9 2 Conceptis Puzzles

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Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3 x 3-Blöcke nur einmal vorkommen.

gewinnen

Wortsuchspiel Für weitere Artikel des SRK:

➥ redcross.ch/shop

Finden Sie die 20 Wörter horizontal, vertikal und diagonal. Die Buchstaben können für mehrere Wörter gelten.

Wir verlosen unter allen korrekt eingeschickten Lösungswörter des Kreuzworträtsels fünf SIGG-Design-Flaschen «Wasser schenkt Leben». Die robuste Flasche aus Alu fasst 0,6 l und ist ideal auf Wanderungen oder beim Sport. Senden Sie das Lösungswort und Ihre Adresse in einem E-Mail an crosswords@redcross.ch oder auf einer Postkarte an: Schweizerisches Rotes Kreuz Magazin «Humanité» Postfach, 3001 Bern Einsendeschluss: 30. September 2011 Humanité 3/2011

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Fahrdienst, Notruf, Besuchsund Entlastungsdienste – das SRK unterstßtzt in der Schweiz jede Generation. Unsere Hilfe braucht Ihre Spende. Postkonto 30-9700-0


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