Magazin Humanité 3/2014: Kostbares Gut für die Ärmsten

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Humanité 3 | 2014

Gesundheit in Bangladesch

Kostbares Gut für die Ärmsten

SRK-Mediensensibilisierungstraining chili

Für Sicherheit im Netz 1. Genfer Konvention

Triumph der Menschlichkeit Unwetter in Südosteuropa

Den Menschen den Lebensmut zurückgeben


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Impressum Humanité 3/2014 August 2014 ISSN 1664-1159

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BLicK zuRücK – 1. Genfer Konvention triumph der Menschlichkeit

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zuR sache – SRK-Mediensensibilisierungskurs chili Für sicherheit im Netz

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eRLeBt – Sektion Lugano vom SRK Tessin Lehrreiche Jahre bei der neuen Nonna

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peRsöNLich – Vladimir Cmiljanovic, CEO Piqur «strategisch denken, um vielen zu helfen»

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eiNBLicK – Unwetter Südosteuropa Den Menschen den Lebensmut zurückgeben

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voR oRt – Vietnam ernstfall im Mekong-Delta

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KReuz & QueR curry in der Mittagsglut Rätsel/cartoon

Titelbild und Rückseite: Remo Nägeli Herausgeber: Schweizerisches Rotes Kreuz, Rainmattstrasse 10, Postfach, 3001 Bern Telefon 031 387 71 11, info@redcross.ch, www.redcross.ch Spenden: Postkonto 30-9700-0 Beratung für Legate: Telefon 031 387 72 83 Adressänderungen: E-Mail an pf.service@redcross.ch oder Telefon 031 387 74 64 Redaktionsadresse: Schweizerisches Rotes Kreuz, Redaktion Humanité, Postfach, 3001 Bern, humanite@redcross.ch, www.magazin-humanite.ch Redaktion: Tanja Reusser (Redaktionsleitung), Urs Frieden (Gesundheit und Integration), Annette Frommer (Gesundheit und Integration), Andreas Häner (Public Fundraising), Daniela Mathis (Internationale Zusammenarbeit), Isabelle Roos (Corporate Partnerships), Isabel Rutschmann (Kommunikation), Katharina Schindler (Internationale Zusammenarbeit) Mitarbeitende dieser Ausgabe: Myriam Fojtu, Markus Mader, Marco Ratschiller, Alja Sieber Abo-Kosten: Das Abonnement kostet CHF 6.– pro Jahr und ist für SRK-Gönnerinnen und SRK-Gönner im Beitrag enthalten. Erscheinungsweise: vier Mal jährlich Sprachen: deutsch, französisch und italienisch Gesamtauflage: 126 900 Bildrechte aller Fotos ohne Hinweis: Schweizerisches Rotes Kreuz Übersetzungen: Übersetzungsdienst SRK Layout, Lektorat und Druck: Vogt-Schild Druck AG, Derendingen Nächste Ausgabe: Dezember 2014

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neutral Drucksache No. 01-14-249088 – www.myclimate.org

© myclimate – The Climate Protection Partnership

Für Humanité wird ausschliesslich Recyclingpapier verwendet, das aus 100 % Altpapier hergestellt wurde. Dies schont Ressourcen und somit die Umwelt.

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RepoRt – Gesundheit in Bangladesch Kostbares Gut für die Ärmsten Land der Gegensätze


© Roland Blattner

eDIToRIAL

Türen öffnen für die Ärmsten Liebe Leserin, lieber Leser Wer über längere Zeit Schmerzen hat, beginnt sich berechtigterweise quälende Sorgen zu machen. Umso mehr, wenn sich die Symptome verschlimmern. Glücklicherweise handelt es sich häufig um ein bekanntes, behandelbares Leiden. Mit einer Diagnose, einem Ratschlag und vielleicht einem Medikament verlassen wir im Idealfall die Hausarztpraxis. Wir realisieren besonders dann: Gesundheit ist unser kostbarstes Gut! Schon immer gab es Heilkundige, in jedem Volk und zu jeder Zeit. Man geht sogar davon aus, dass es der erste Beruf der Menschheit war. Dennoch gibt es laut der WHO weltweit mindestens 1,3 Milliarden Menschen ohne Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Ihr Recht auf bestmögliche Gesundheit ist stark eingeschränkt. Im 21. Jahrhundert, wo die Spitzenmedizin wahre Wunder vollbringt, sind noch immer Millionen Menschen von Krankheiten bedroht, die leicht zu vermeiden und zu behandeln wären. Wie Shilpi Rani (Reportage ab Seite 4), die an Ruhr litt – einer Durchfallerkrankung, die auf verschmutztes Trinkwasser zurückgeht. Eine typische Krankheit der Armut, die rasch zur tödlichen Gefahr werden kann, wenn es kein Gesundheitszentrum in der Nähe gibt. Oder wenn die Behandlung für die Ärmsten unerschwinglich ist. Lesen Sie auf den folgenden Seiten, wie sich das SRK für eine «Gesundheitsversorgung für alle» einsetzt. Spenden Sie für Menschen wie Shilpi Rani in Bangladesch, öffnen Sie Türen zu Gesundheitszentren. Ich danke Ihnen! Mit herzlichem Dank und freundlichen Grüssen

Markus Mader Direktor des Schweizerischen Roten Kreuzes

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RepoRT

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Gesundheit in Bangladesch

Kostbares Gut für die Ärmsten Gesundheit ist das kostbarste Gut eines Menschen. Der zugang zu medizinischer versorgung ein Grundrecht. in den abgelegenen Dörfern von Bangladesch jedoch ist es schlecht gestellt um die medizinische Grundversorgung. shilpi Rani (links im Bild) musste zu lange leiden, weil sie nicht wusste, wo sie Rat holen kann und aus angst vor hohen Kosten. Das sRK unterstützt benachteiligte Familien, ihr Recht auf Behandlung wahrzunehmen, und bildet das Gesundheitspersonal weiter. Jetzt kann shilpi Rani wieder für ihre Familie sorgen, denn ihr gesundheitliches Leiden ist an sich leicht medizinisch behandelbar. TEXT: KaTharina SchindlEr

BildEr: rEmo nägEli

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RepoRT

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hilpi Rani überquert schon zum dritten Mal an diesem Morgen mit dem Wasserkrug den grossen Schulhausplatz. Die Sonne brennt erbarmungslos herunter. Doch die Dreissigjährige kennt nichts Anderes. Während etwas weniger arme Familien ihre eigene Wasserpumpe haben, muss sie das Wasser stets beim Schulhaus holen. Wenigstens weiss sie, dass der Brunnen nicht mit dem im Boden natürlich vorkommenden Arsen verseucht ist – wie so viele andere in Bangladesch. Denn das Rote Kreuz hat ihn getestet und für unbedenklich erklärt. Shilpi Rani wohnt mit ihrem Mann und den drei Kindern in einem einfachen Strohhaus ganz am Rand des Dorfes Yusufpur. Es ist Mitte Mai, die heisseste

Familienalltag bei Shilpi Rani – sie macht den Abwasch, während Tochter Shuki den Vorplatz säubert

Zeit des Jahres. In zwei Wochen beginnt die Mangoernte. Kurz darauf dann der Monsun. Die Fischerfamilie kommt nur dank dem Nebenerwerb des Vaters als Rikschafahrer über die Runden. Land hat sie keines, sie gehört zu den Ärmsten im Dorf. Nur der Damm, der vor zwei Jahren gebaut wurde, trennt ihr Strohhaus vom Ganges, der die Grenze zu Indien bildet. «Wenn früher beim Monsun das Wasser über die Ufer trat, waren wir immer die Ersten, deren Haus weggeschwemmt wurde», sagt Shilpi Rani. Diese Gefahr sei nun glücklicherweise gebannt. Ohnehin habe sich Vieles gebessert, in letzter Zeit.

Der rettende Wendepunkt im Leben Vor einem Jahr noch war die dreifache Mutter krank und schwach. Sie litt seit Monaten an Ruhr, einer äusserst schmerzhaften Entzündung des Dickdarms mit Fieber und blutigem Durchfall, die tödlich verlaufen kann. Ihr Jüngster war erst ein 6

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paar Monate alt, und weil sie beim Stillen zu wenig Milch hatte, war auch er geschwächt. Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Medizinische Hilfe hatte sie – von Impfkampagnen in der Kindheit ab-

sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte. gesehen – in ihrem ganzen Leben noch nie erhalten. Auch bei den Geburten der Tochter Shuki (11) und der beiden Söhne Subroto (7) und Surja (1) war jeweils nur eine alte Tante zugegen gewesen, die etwas Bescheid wusste. In der schwierigen Zeit von Shilpi Ranis Krankheit kam der Besuch von Jahangier Alam gerade richtig. Der freiwillige Mitarbeiter der SRK-Partnerorganisation Dascoh besuchte im ganzen Dorf die ärmeren Familien und klärte sie über Gesundheitsrisiken auf und über ihr Recht auf medizinische Behandlung. Er war es,

der Shilpi Rani ermunterte, in die Dorfklinik zu gehen. Zuerst war sie zu schüchtern und glaubte, sie sei zu arm, niemand würde sie behandeln. Doch sie erhielt kostenlos Medikamente und es ging ihr rasch viel besser. «Es war ein Wendepunkt in meinem Leben. Jetzt bin ich wieder bei Kräften und kann meine Familie versorgen», sagt sie. «Ich rate auch den andern Frauen im Dorf, unbedingt ins Gesundheitszentrum zu gehen, wenn sie oder ihre Kinder krank sind.» Im Rajshahi-Distrikt im Norden von Bangladesch stärkt das SRK zusammen mit Dascoh die Gesundheitsversorgung auf dem Land. Zwar gibt es dort in praktisch allen Dörfern kleine staatliche Kliniken. Doch meist sind sie schlecht geführt, manchmal auch in baufälligem Zustand. Im Dorf Yusufpur blieb die Klinik oft wochenlang geschlossen. Der Medikamentenschrank war meist leer, andere Hilfsmittel wie ein Blutdruckmessgerät, ein Fieberthermometer oder eine Waage fehlten gänzlich. Kein Wunder, dass die Dorfbewohner lieber bei traditionellen Heilern Hilfe suchten oder bei Krankheiten einfach auf ein Wunder hofften.

erfreuliche Fortschritte Unterdessen hat sich einiges geändert. Dorfgruppen wurden mobilisiert, in einer Gemeinschaftsaktion renovierten sie die Klinik und strichen die Wände frisch an. Im Warteraum hängen nun anschauliche Plakate zu Schwangerschaftsrisiken und Hygieneregeln.


RepoRT Als Rikschafahrer lässt sich auf dem Land nur ein Zustupf verdienen, die Familie Rani lebt hauptsächlich vom Fischfang

Das Wartezimmer des Gesundheitszentrums ist oft überfüllt, heute haben Shilpi Rani und ihre drei Kinder jedoch hinten rechts Sitzplätze gefunden

Vor allem aber wird das Gesundheitspersonal geschult, das nur über eine dreimonatige Grundausbildung verfügt. Im Rahmen des SRK-Programmes besuchen die Klinikangestellten Kurse zu wichtigen Gesundheitsthemen – von Mutter-Kind-Vorsorge über ausgewogene Ernährung bis zu Hygiene und Familienplanung. Auch lernen sie, Krankheitssymptome zu deuten und die richtigen Medikamente abzugeben. Zuvor hatten sie einfach bei jedem Leiden Antibiotika verschrieben – mit verheerenden Auswirkungen auf die Bildung von Resistenzen. «Die meisten der jungen Berufsleute sind sehr motiviert. Sie möchten gute Arbeit leisten und sind dankbar, dass wir sie dabei unterstützen», sagt die Ärztin Shaila Habib, die an der Entwicklung der Kursmodule beteiligt war und sie teilweise leitet. «Innert weniger Monate konnten wir erfreuliche Fortschritte erzielen.»

Vermeiden statt kurieren Im Nachbardorf Mongli macht sich die 20-jährige Shima Khatun auf den Weg in die Klinik. Auch hier hat das SRK die medizinischen Dienstleistungen verbessert. Die junge Mutter will die Nachkontrolle ihres dreijährigen Sohnes Tonmoy, der kürzlich Bronchitis hatte, mit dem Besuch einer Aufklärungslektion kombinieren. Im Warteraum sind schon viele Frauen und Kinder versammelt. Die Mitarbeiterin der Klinik erklärt mit Informationstafeln, wie sich Durchfall vermeiden lässt und was zu tun ist, falls doch jemand daran erkrankt. Shima Khatun hat selber lange an chronischem Durchfall gelitten, bis sie den Weg in die renovierte Klinik fand und dort behandelt wurde. Heute lernt sie, dass sie mit Kuhdung künftig besser aufpassen muss. Das Naturprodukt verwenden die Menschen in Bangladesch traditionell zum Isolieren der Häuser aber auch zum Heizen und Kochen. Meist wird er von

Shima Khatun mit Sohn Tonmoy und Ehemann vor dem Zuhause – im Gesundheitszentrum hat man ihr erklärt, wie sie sich vor Infektionskrankheiten schützen kann

Frauen und Kindern mit blossen Händen auf den Feldern eingesammelt und später getrocknet.«Ich weiss jetzt, wie wichtig es ist, vor dem Kochen und Essen die Hände zu waschen. Ich dachte immer, Seife ist Luxus für die Reichen. Doch nun ist mir klar, wie wertvoll sie ist für die Gesundheit meiner ganzen Familie.» Nach dem gleichen Modell wie in Yusufpur und Mongli verbessert das SRK in rund 232 Kliniken von Rajshahi die medizinischen Dienstleistungen und stärkt die Dörfer bei der Verbesserung der Gesundheit. 1,5 Millionen Menschen erhalten dadurch Zugang zu verbesserter medizinischer Grundversorgung. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf benachteiligte Familien gelegt, damit auch sie von den Fortschritten profitieren.

1,5 Millionen Menschen erhalten zugang zu verbesserter medizinischer Grundversorgung. Mit diesem Engagement unterstützt das SRK ein ambitiöses Vorhaben der Regierung. Sie baut in ganz Bangladesch pro 6000 Einwohner eine Dorfklinik und will so die grossen gesundheitlichen Probleme wie hohe Kinder- und Müttersterblichkeit bekämpfen. Bereits wurden im ganzen Land Tausende Kliniken errichtet. Doch damit sie überhaupt funktionieren und die Qualität stimmt, ist das Gesundheitsministerium auf die Unterstützung von Hilfswerken angewiesen.

redcross.ch/bangladesch Humanité 3/2014

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RepoRT

In Dhaka gibt es Hoffnung auf Arbeit, daher wird jeder Meter als Lebensraum genutzt

Bangladesch

Land der Gegensätze trotz fruchtbaren Böden ist Bangladesch eines der ärmsten Länder der Welt und hat im verhältnis zur Landfläche die grösste Bevölkerung. Wenig bekannte Fakten über das Land der Gegensätze, das versucht mit unterstützung von hilfsorganisationen für die Menschen nachhaltig bessere Lebensbedingungen zu schaffen. TEXT: KaTharina SchindlEr

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BildEr: rEmo nägEli

angladesch ist eines der ärmsten Länder der Welt – und mit 1000 Einwohnern pro Quadratkilometer dichter besiedelt als jeder andere Flächenstaat. Im Schwemmkegel der grossen Himalayaflüsse gelegen, sind die Böden sehr fruchtbar. Alles grünt und blüht. Es gibt Wasser in Hülle und Fülle – doch dieses Glück ist zugleich auch ein Fluch. Denn jedes Jahr zur Monsunzeit treten die Flüsse über die Ufer. Ganze Landstriche werden überschwemmt, Häuser mitgerissen, Ernten zerstört. Dauernde Unsi8

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cherheit prägt die Menschen. Sie ist einer der Gründe, weshalb so viele ihre Dörfer verlassen, um in der Stadt ihr Glück zu suchen. Jedes Jahr drängen Zehn-

1000 Menschen pro Quadratkilometer – kaum ein Land ist dichter besiedelt als Bangladesch. tausende Menschen neu in die Hauptstadt Dhaka, die längst zu einem chaotischen Moloch geworden ist. Während sie 1990 noch 6,5 Millionen Einwohner

zählte, sind es heute rund 15 Millionen – wovon die Hälfte in Slums lebt.

prekäres Leben im Slum Einen der Slums, in dem sich das SRK künftig zugunsten von Kindern in Not engagieren will, haben wir auf unserer Reise besucht. Er liegt direkt am Bahngleis neben einer Hauptverkehrsachse. Die Hütten sind notdürftig errichtet aus Plastik, Holz und Stroh. Eine einzige Wasserstelle versorgt die rund 100 Familien, dazu auch nur eine stin-


RepoRT kende Latrine. Ich staune, mit welch freundlicher Offenheit uns die Menschen begegnen, wie sie sich trotz misslichster Bedingungen sauber kleiden und ihren Stolz bewahren. «Ich bin seit letztem Jahr hier, weil ich in meinem Dorf keine Familie mehr hatte, die sich um mich kümmert und weil der Fluss mir mein Haus raubte», sagt die 60-jährige Saba. Die junge Mutter Liza erzählt, dass ihr Baby gleich hier, eine Armlänge vom Gleis entfernt, zur Welt gekommen sei. Scharen von Kindern spielen dort, wo es Platz hat: auf den Gleisen. Alle 15 Minuten fährt ein Zug vorbei, dann springen sie zur Seite. Immer wieder kommt es zu Unfällen. Viele Eltern sind tagsüber weg. Die Väter verdingen sich als Rikschafahrer. Die Mütter arbeiten schlecht bezahlt als Putzfrauen oder in einer der zahllosen Textilfabriken, deren unwürdige Arbeitsbedingungen erst allmählich ins Bewusstsein der Konsumenten in den westlichen Industrieländern gelangen.

Vermeintliche Idylle Oberflächlich betrachtet, erscheint die Fahrt über Land im Gegensatz zum Slum geradezu idyllisch. Grosse Felder in unterschiedlichem Grün, Mangobäume, deren Äste sich unter der Last der Früchte beugen, kleine Dörfer aus einfachen Lehm- und Strohhäusern. Die Männer bringen gerade die Ernte ein, Ochsen ziehen urtümliche Wagen, und überall hat es Frauen in bunten Saris, die die Armut elegant verhüllen. Was nicht sofort ersichtlich ist: Auch hier lebt mehr als die Hälfte der Menschen in bitterer Armut. Ihr Alltag ist ein ewiger Kampf ums Überleben. Die Männer arbeiten für einen Franken pro Tag auf den Feldern der Grossgrundbesitzer. Die Gesundheitsversorgung ist rudimentär, wer krank wird, bleibt oft ohne jede Hilfe. Drei Viertel der Geburten erfolgen zu Hause, jedes 20. Kind stirbt im ersten Lebensjahr. Die Tradition in dem vorwiegend muslimischen Land lässt den Frauen wenig Spielraum. Ein Drittel der Jugendlichen heiratet, bevor sie 15-jährig sind. Die vielen Teenager-Schwangerschaften belasten die gesundheitliche Situation in den Dörfern.

Stark sinkende Geburtenrate

Aufwachsen im Stadtslum – selbstgebaute Hütten reihen sich ohne Zwischenräume entlang der Bahngeleise

Reisstroh für das Vieh – vermeintliche Idylle, auch auf dem Land ist die Armut gross

Doch es gibt auch positive Entwicklungen in dem Land, das sich erst 1971 die Unabhängigkeit von Pakistan erkämpfte. Während 1980 jede Frau im Durchschnitt 6 Kinder hatte, sind es heute noch 2,5. Die Lebenserwartung beträgt 69 Jahre. Die Kindersterblichkeit ging deutlich zurück und auch die Bildungsrate steigt – wobei noch immer nur die Hälfte der Bevölkerung lesen und schreiben kann. Die Bemühungen der Regierung, im ganzen Land die medizinische Grundversorgung zu verbessern (Reportage Seite 6), gehören ebenfalls zu den positiven Trends. Das SRK unterstützt sie mit einem umfassenden Gesundheitsprogramm und engagiert sich zudem auch in anderen wichtigen Bereichen, wie der Katastrophenvorsorge in besonders gefährdeten Regionen, der Verbesserung der hygienischen Verhältnisse auf dem Land und dem sorgfältigen Umgang mit der wertvollen Ressource Wasser.

redcross.ch/bangladesch

KoMMeNtaR

SArAH MeIer Die Europameisterin 2011 im Eiskunstlaufen arbeitet seit ihrem Rücktritt vom Spitzensport als Journalistin. Die 30-Jährige engagiert sich als Botschafterin für das SRK.

Als ich die Anfrage vom SRK für eine Reise nach Bangladesch bekam, zögerte ich keine Sekunde mit meiner Zusage. Ins SRK hatte ich Vertrauen, es hat einen guten Ruf. Es war denn auch sehr eindrücklich für mich, da ich noch nie Menschen begegnet bin, die unter solch prekären Umständen leben. Wie die Arbeit vor Ort zusammen mit der Regierung und der lokalen Organisation Dascoh umgesetzt werden, habe

ich auf der Reise erfahren. Ich konnte mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass das gespendete Geld wirklich an den richtigen Ort fliesst. Besonders beeindruckt war ich von der freundlichen Art der Leute. Obwohl die Menschen in Bangladesch sehr arm sind, sind sie gut organisiert und dankbar für das, was sie haben. Wenn man die fehlenden sanitären Anlagen und Hygiene-Mittel bedenkt, bewundert man erst recht, wie schön sie sich kleiden und unter widrigen Umständen pflegen. Sie haben einen grossen Stolz, wollten von mir wissen, wie mir ihr Land gefalle und mir alles zeigen. Besonders berührt hat mich Shilpis Schicksal, da sie in meinem Alter ist. Die Familie wohnt zu fünft in einer unvorstellbar kleinen Hütte. Bei diesem Anblick habe ich mich machtlos gefühlt. Dank der Dorfklinik ist Shilpi jetzt wenigstens gesund und kann für ihre Kinder sorgen. Ich würde mich sofort wieder für ein Projekt wie dieses einsetzen, auch wenn ich dabei nur einen ganz kleinen Teil dazu beitragen kann, dass einigen Menschen geholfen wird.

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Patientenverfügung SRK Damit Ihr Wille zählt.

Mit der Patientenverfügung SRK halten Sie fest, welche medizinische Behandlung Sie im Falle Ihrer Urteilsunfähigkeit wünschen oder ablehnen. Alle Informationen zum Angebot finden Sie unter www.patientenverfuegung-srk.ch Für eine persönliche Beratung kontaktieren Sie uns über die Gratisnummer 0800 99 88 44 Montag bis Donnerstag (8:00 – 12:00 Uhr)


Blutspende im zug ■ 5000 neue Blutspenderinnen und Blutspender sind das Ziel. Deshalb startete die Sommer-Kampagne der regionalen Blutspendedienste«Blut spenden – das machen wir». Als Höhepunkt der Kampagne wurde der Salonwagen«Le Salon de Luxe»in einen Blutspendezug umfunktioniert. Die Aktion «Jetzt sind Sie am Zug» wurde von der Blutspende SRK Schweiz in Zusammenarbeit mit SBB Charter umgesetzt. An fünf Bahnhöfen in der Schweiz konnten sich Interessierte vom 10.–14. Juni informieren oder gleich im Bahnwaggon Blut spenden. Zusammen mit der SRK-Lokomotive «Humanité» war der Blutspendezug ein echter Blickfang und bedeutender Botschafter für die lebenswichtige Blutspende. Ob das Ziel erreicht wurde und Wissenswertes erfahren Sie hier:

wir-spenden-blut.ch

© Pixelfarm

KU R z & b ü N D I G

entdecken sie ihre heldenhaften seiten ■ Entdecken Sie die Heldin oder den Helden in Ihnen. Beantworten Sie acht Fragen und finden Sie heraus, welcher Heldentyp Sie sind und wie Sie Ihre Fähigkeiten für die Freiwilligenarbeit beim SRK einsetzen könnten. Helfen Sie anderen Menschen als Heldin oder Held des Alltags, in welcher Rolle auch

immer. Starten Sie hier den schnellen Online-Test:

redcrossheroes.ch

redcross.ch/publikationen

«Freiwilligkeit und Vielfalt im Zeichen der Menschlichkeit»: Das Buch des SRK über praktische und wissenschaftliche Faktoren der Freiwilligenarbeit und der Freiwilligen.

sRK-einsatz in tibet geht zu ende ■ Das SRK ist das einzige ausländische Hilfswerk, das sich seit 26 Jahren ohne Unterbruch in Tibet engagierte. Nun geht dieses Engagement zu Ende. Zwei Delegierte haben in den letzten Jahren das Büro in Shigatse geleitet und zusammen mit 12 lokalen Angestellten das Gesundheitsprogramm umgesetzt und weiterentwickelt. Kernstück des Programmes war die Sensibilisierung der Menschen sowie die Schulung von Rotkreuz-Freiwilligen und Gesundheitspersonal. Dieses Wissen bleibt auch nach dem Ausstieg des SRK in der Region erhalten. Allein 2013 erhielten 5000 Menschen neu Zugang zu Trinkwasser.

Die ganzjährige Versorgung mit Trinkwasser ist in dieser kargen Region, die bis zu 5500 Meter über Meer liegt, eine grosse Herausforderung. Jedes Jahr konnte Hunderten blinden Menschen der Katarakt operiert werden und sie gewannen dadurch das Augenlicht zurück. Augenärzte wurden ausgebildet und reisten mit ihren Teams bis in sehr abgelegene Regionen. Der Ausstieg aus dem Tibet erfolgt vorzeitig. Das SRK hatte vor, sich weiterhin in der Region zu engagieren, doch wurden die Verträge von chinesischer Seite nicht mehr verlängert.

tunnels verschönert ■ Das SRK betreut im Auftrag des Kantons Uri Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge. Acht Asylbewerber aus dem Durchgangszentrum des SRK in Altdorf stellten sich im Frühsommer für eine harte Arbeit freiwillig zur Verfügung. Männer aus Tibet, Eritrea und Syrien unterstützten mit ihrem Einsatz die historische Dampfbahn Furka-Bergstrecke. Unter fachkundiger Anleitung verkleideten sie Tunnelportale aus Beton mit Natursteinquader. Ein nachhaltiger Arbeitseinsatz zu Gunsten des Landschaftsschutzes, den die Dampfbahn Furka-Bergstrecke zu schätzen weiss, da sie auf Freiwilligenarbeit angewiesen ist. Humanité 3/2014

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bLIcK zURücK

Delegiertenkonferenz 1864 präsidiert von General Dufour (Mitte) – Dunant hat sich selber mittels Fotomontage im Zentrum des Fotos eingebracht, da er ohne offiziellen Status nicht teilnehmen durfte

apRopos Die WichtiGsteN eReiGNisse voR 150 JahReN: 1863, 17. Februar: Gründung des IKRK durch die fünf Genfer Henry Dunant, General Dufour, Gustave Moynier, Louis Appia und Théodore Maunoir. 1863, 26.–29. Oktober: In Genf findet eine Internationale Konferenz statt (14 Staaten anwesend). Im Abschlussdokument wird die Aufforderung zur Gründung von Hilfsgesellschaften durch die Staaten festgehalten. Dieses Dokument gilt als Grundlage für die völkerrechtlichen Bestimmungen, über welche 1864 abgestimmt wurde.

triumph der Menschlichkeit Die Beharrlichkeit henry Dunants und schlussendlich auch seiner vier Genfer Mitstreiter hatte zur Folge, dass mit der Gründung des iKRK und der«Konvention zur verbesserung des Loses der im Felddienst verwundeten soldaten» in einer von Kriegen geplagten epoche ein umdenken von grosser Bedeutung statt-

1864, 17. März: Gründung der Genfer Sektion des Roten Kreuzes durch die fünf Genfer. Der erste Präsident war General Dufour.

gefunden hat. Die 1. Genfer Konvention wurde unterzeichnet.

1864, 8.–22. August: Diplomatische Konferenz in Genf, einberufen durch den Bundesrat. 12 Staaten unterzeichnen die 1. Genfer Konvention zum Schutz der verwundeten Soldaten auf dem Felde.

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1866, 17. Juli: Gründung des Schweizerischen Roten Kreuzes auf Anregung von Bundesrat Dubs und den Herren Moynier und Dufour.

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1. Genfer Konvention

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TEXT: myriam FojTu

unant war ein Idealist. Die Neutralität der Helfenden, der verwundeten oder erkrankten Militärs auf dem Felde war 1863 für seine Genfer Mitstreiter schwierig vorstellbar. Die Zeit war nicht reif für diese Idee, doch Henry Dunant vertrat sie so enthusiastisch, dass er das scheinbar Unmögliche möglich machte. Die Erfahrungen während

dem Deutsch-Dänischen Krieg, dem ersten Einsatz als Delegierte des Roten Kreuzes durch den Schweizer Louis Appia und dem niederländischen Offizier van de Velde im Februar 1864, verliehen der Idee der Neutralität der Helfenden zusätzlich Aufschwung. Die Armbinde, mit Rotem Kreuz auf weissem Grund, kennzeichnete erstmals Helfer


bLIcK zURücK auf dem Schlachtfeld und gewährte ihnen somit einen speziellen Schutz.

KoMMeNtaR DIDIER BuRKHALTER Bundespräsident

Im Saal Alabama des Rathauses von Genf verabschiedeten die Delegierten aus 12 Staaten die erste Genfer Konvention. Es war die tiefe Überzeugung Dunants, die diesen Triumph der Menschlichkeit seinen Anfang nehmen liess. Der Gedanke von der Hilfe für verletzte und erkrankte Soldaten ohne Unterschied – tutti fratelli – hatte weitreichende Wirkung. Seine Visionen sind nicht nur in offiziellen Papieren aus der Epoche vermerkt, sondern wurden auch von vielen Poeten und Autoren aufgenommen. So auch von der Schweizerin Eveline Hasler in ihrem Roman: «Der Zeitreisende. Visionen des Henry Dunant», aus dem folgendes Zitat stammt und auf Dunants beharrlichen Charakter hindeutet:

«Der Weg entrümpelt sich im Gehen. aber man muss ihn gehen!»

©MICR, Alain Germond

Unterzeichnet wird die 1. Genfer Konvention 1864 von folgenden Staaten: Baden, Belgien, Dänemark, Frankreich, Hessen, Italien, den Niederlanden, Portugal, Preussen, Spanien, der Schweiz und Württemberg. Die an der Konferenz anwesenden Staaten Sachsen, Grossbritannien, Schweden-Norwegen und die USA entschieden, die Konvention später zu unterzeichnen. Von der Konferenz entschuldigen liessen sich Brasilien, Griechenland, Mexiko und die Türkei.

Original der 1. Genfer Konvention von 1864 im rotkreuz-Museum in Genf

© EDA

Im Rathaus von Genf wurde Geschichte geschrieben

FüR MehR MeNschLichKeit Wirkungsvolle Instrumente müssen geschaffen werden, um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu stärken. 150 Jahre nach der Annahme der ersten Genfer Konvention nehmen die Schweiz und das IKRK diese dringende Herausforderung in Angriff. «Es ist ein Triumph der Menschlichkeit, eine schöne Blüte edlen Strebens, mitten hineingepflanzt in das Gebiet des wilden Krieges». So beschrieb der Bundesrat im September 1864 die Genfer Konvention zur Linderung des Loses der im Felddienst verwundeten Soldaten. Als neutraler und kriegsverschonter Staat könne die Schweiz ihren «völkerrechtlichen Verpflichtungen, zum Wohle der anderen Staaten mitzutragen, nicht schöner genügen, als wenn sie sich der Verwundeten annimmt», schrieb er weiter in seiner Botschaft an die Bundesversammlung. Geleitet von diesen Motiven berief der Bundesrat vor 150 Jahren auf Anregung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) die diplomatische Konferenz ein, die den Grundstein des humanitären Völkerrechts legte. Zugleich schuf er damit ein wesentliches Merkmal und eine identitätsstiftende Konstante der schweizerischen Aussenpolitik, die unser Selbstverständnis auch heute noch prägen. Die Schweiz hat seither wie kein anderes Land zur Förderung des humanitären Völkerrechts beigetragen. Sie war

15 Jahre später waren es schon fast 30 Staaten, welche die 1. Genfer Konvention unterzeichnet haben; neben vielen europäischen Staaten auch Argentinien, Chile, die Türkei und der Iran. Die Idee der Menschlichkeit im Krieg begann universellen Charakter zu bekommen. Die Grundgedanken Dunants waren die freiwillige Hilfe für Opfer von bewaffneten Konflikten durch die Schaffung von permanenten Hilfsgesellschaften, die Neutralität der Helfenden auf dem Schlachtfeld, unterschieds-

Gastgeberin der wichtigsten diplomatischen Konferenzen für die Entwicklung des Rechts und ist Depositarstaat der vier Genfer Konventionen von 1949 sowie der drei Zusatzprotokolle von 1977 und 2005. Diese Texte umfassen Regeln für den Schutz von allen Personen, die nicht oder nicht mehr an den Feindseligkeiten teilnehmen. Jede Misshandlung eines Kriegsgefangenen, jeder Angriff auf Ambulanzfahrzeuge und jeder Gewaltakt gegen Zivilpersonen erinnert uns aber, dass die Texte allzu oft verletzt werden. Darum setzt sich die Schweiz heute insbesondere für die bessere Anwendung der Regeln ein. Denn die Hauptursache des unerträglichen Leids der Kriegsopfer ist nicht das Fehlen geeigneter Bestimmungen, sondern deren weitverbreitete Missachtung. Seit 2012 leitet die Schweiz gemeinsam mit dem IKRK Konsultationen mit allen Staaten über die Schaffung wirkungsvoller Instrumente zur besseren Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Sie macht sich dafür stark, dass ein Forum gegründet wird, in dem die Staaten gemeinsame Schritte zur Linderung des Loses der Kriegsopfer beschliessen können. Sie sollen insbesondere regelmässig berichten, wie sie ihre Pflichten erfüllen. Dies wird es erlauben, die globalen Herausforderungen zu bestimmen und anzupacken, um endlich eine Trendwende bei der Einhaltung des humanitären Völkerrechts herbeizuführen. Als Recht, das in der Extremsituation des Kriegs gilt, hat das humanitäre Völkerrecht häufig einen schweren Stand. Das enorme Leid, das bewaffnete Konflikte überall auf der Welt verursachen, führt uns dies täglich vor Augen. Genau wie vor 150 Jahren hält es die Schweiz darum auch heute für ihre Pflicht, sich der Opfer von Kriegen anzunehmen.

lose Hilfe für verwundete und kranke Soldaten sowie die Einschränkung der Mittel und Methoden des Krieges und somit der Erhaltung der menschlichen Würde im Krieg. Auf diesen Grundsätzen der Menschlichkeit basieren bis heute internationale Verträge. So zum Beispiel die Konvention gegen Völkermord, die Verbote von biologischen und chemischen Waffen sowie Antipersonenminen und Streumunition, um nur einige zu nennen.

redcross.ch/1863 Humanité 3/2014

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zUR SAcHe

Mit dem Teamspiel Fröbelturm erlebt die Klasse, wie ein Netzwerk funktioniert

sRK-Mediensensibilisierungstraining chili

Für sicherheit im Netz ergänzend zum chili-Konfliktraining, bietet das SRK im Kanton Schwyz auch ein Mediensensibilisierungstraining. Fachleute sind sich einig, dass aufklärungsarbeit im umgang mit digitalen Medien speziell für Jugendliche dringend notwendig ist. Der ansatz des sRK ist spielerisch und einprägsam. TEXT: Tanja rEuSSEr

«

A

lle anderen haben ein Smartphone, nur ich nicht!» Das beliebteste Argument eines Jugendlichen ist in diesem Fall keineswegs übertrieben. Der 13-jährige Jan* ist tatsächlich der Einzige seiner Klasse mit einem «alten» Handy. Die Verhandlungen mit den Eltern laufen. Jan ist optimistisch. Als Beispiel einer Landregion ist die 7. Klasse vom Schulhaus Stumpenmatt in Muotathal nicht repräsentativ für die ganze Schweiz. Besonders in städtischen *Name geändert

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BildEr: roland BlaTTnEr

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Gebieten sind Kinder, die ein Smartphone schneller bedienen und besser kennen als ihre Eltern, meist jünger als 13. Und dabei geht es weniger ums «cool sein», sondern

dere Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter. Gerne auch mit Fotos, die man sich zuschickt oder veröffentlicht.

Unkontrolliert in die Welt

Wer kein smartphone hat, wird unabsichtlich ausgegrenzt. mehr ums «dabei sein». Ein Jugendlicher ohne Smartphone wird kaum gehänselt, aber unabsichtlich ausgegrenzt. Denn die klasseninterne Kommunikation läuft über Gruppenchats in WhatsApp oder über an-

Um die Jugendlichen für die Gefahren der schnellen, öffentlichen Kommunikation zu sensibilisieren, sind die 13- bis 14-Jährigen genau im richtigen Alter. Darüber sind sich alle einig, die das Mediensensibilisierungstraining chili vom SRK als notwendig und nützlich erachten: Die Kriminialprävention der Polizei, die Schullei-


zUR SAcHe Wie Missverständnisse entstehen und sich wie ein Lauffeuer ausbreiten, demonstriert Irena Zweifel mit dem Farbenspiel

muss wissen, dass die Polizei auf seiner Seite steht. Aus Scham würden sich viele nicht melden und psychisch enorm leiden, das wolle er unbedingt verhindern, betont Bernhard Reichmuth. «Um klar zu machen, wie ernst es mir ist, gebe ich den Jugendlichen meine Handynummer. Sie dürfen mich jederzeit anrufen, nur nicht anonym.» Er klopft auf die Brusttasche der Uniform, wo sein Smartphone steckt. Auch Stefan Probst, Schulleiter der StumIrena Zweifel zeigt die wichtigsten Regeln für SocialMedia-Aktivitäten

tung, der Klassenlehrer und die Jugendlichen selber. Das SRK Kanton Schwyz leistet Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Vreni Kamber, die Geschäftsleiterin des Kantonalverbands steht voller Überzeugung hinter der neuen Dienstleistung: «Wir vom SRK wollen für Menschen jeden Alters da sein. In diesem Bereich können wir uns wirksam einbringen und die Jugendlichen schützen.» Auch Bernhard Reichmuth von der Kantonspolizei Schwyz sieht das so. Er ist Leiter der Kriminialprävention für «Digitale Medien»

und lobt die Zusammenarbeit mit dem SRK im Kanton Schwyz. Bereits wenn die Kinder in der Unterstufe sind, klärt er seitens Polizei die Eltern darüber auf, welche Fallen im Internet lauern. «Häufig macht man sich im Bereich der digitalen Medien aus Unwissenheit strafbar. Weder die Eltern noch die Schüler kennen die Grenzen gut genug.» Das SRK sei glaubwürdig und ergänze die Präventionsarbeit der Polizei optimal, die sich auch an potenzielle Opfer richtet. Denn wer Opfer von Cyber-Mobbing oder Erpressung wird,

Mit den chili-trainings ergänzt das sRK die präventionsarbeit der polizei. penmatt, würde den Mediensensibilisierungstag chili gerne jedes Jahr in der 7. Klasse durchführen. Auch weil er schon eine negative Erfahrung machen musste, mit einem Vorfall an der Schule, der bis nach Winterthur reichte. «Viele Eltern dieser Generation wissen gar nicht, was es alles gibt im Social-Media-Bereich», meint er.

es gibt kein zurück SRK-Kursleiterin Irena Zweifel weiss es. Oder glaubt es zu wissen, wie sie mit einem Schmunzeln gesteht. Die 47-JähriHumanité 3/2014

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zUR SAcHe Wollen Jugendliche schützen: Vreni Kamber und Daniela Forni vom SRK Kanton Schwyz, Schulleiter Stefan Probst sowie Bernhard Reichmuth, Kantonspolizei Schwyz

KuRz BeFRaGt IRENA ZWEIFEL Die 47-Jährige hat Ausbildungen in Konfliktmediation SRK, für systemisch-lösungsorientiertes Coaching und als Organisatorin SGO.

Wie eNtstaND DeR chiliMeDieNseNsiBiLisieRuNGsKuRs? Das Bedürfnis wurde von einer Schule geäussert, an der wir jedes Jahr das chiliKonflikttraining durchführen. Als dieses Training für die Gewaltprävention entwickelt wurde, war ich federführend für das Konzept. Die beiden Angebote ergänzen sich. Es ist aber gut möglich, nur den einen Kurs durchzuführen. WaNN ist es siNNvoLL aLs schuLe eiN chili-tRaiNiNG DuRchzuFühReN? Das Konflikttraining eignet sich für alle Altersstufen, schon ab dem Kindergarten. Damit wir für die Mediensensibilisierung über alle Themen sprechen können, empfehlen wir diesen für die Oberstufe. Auch wenn es keine Probleme gibt, sind beide Kurse sinnvoll. Prävention ist immer besser als Intervention. Was KöNNeN eLteRN tuN, WeNN sie GLauBeN ihR KiND sei haNDysüchtiG? Sprechen Sie mit dem Kind. Schildern Sie, was Sie beobachtet haben und hören Sie sich die Meinung des Kindes dazu an. Fragen Sie, welche Lösungsvorschläge es geben könnte oder machen Sie selber welche. Einigen Sie sich und sorgen Sie dafür, dass die neuen Regeln eingehalten werden. Realistische Konsequenzen sollten Sie auch schon vorher festlegen.

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ge ist Mutter von Jugendlichen im Teenageralter und nutzt mehr oder weniger sämtliche Funktionen auf ihrem Smartphone, auch Facebook. Ihr ist bewusst, wie schnell die Entwicklung in diesem Bereich ist. Täglich eine neue Funktion, die sich virusartig verbreitet, wieder eine andere App, die angesagt ist. «Deshalb sind die Grundregeln wichtig, die für alle Handlungen gelten, egal mit welchem Programm. Eine totale Kontrolle der Eltern ist ab dem Teenageralter sowieso unrealistisch», meint die Konflikttrainerin des SRK. Als solche hat sie das Mediensensibilisierungstraining des SRK mitkonzipiert, so wie sie es jetzt mit der 7. Klasse in Muotathal durchführt. Sie legt den Jugendlichen Vermeidungsstrategien ans Herz. Oder besser gesagt, lässt sie spielerisch erfahren, wie es ist wenn solche nicht angewendet werden. Das Kurskonzept funktioniert mit wenig Theorie, dafür mit Humor, Verständnis, spielerischen Elementen und aktivem Mitdenken. Mit dem abwechslungsreichen Programm und ihrer gewinnenden Art holt Irena Zweifel die eher Schüchternen aus der Reserve und fesselt die temperamentvollen Schüler.

erleben und erkennen Teamarbeiten, wie der Fröbelturm (Bild Seite 14), veranschaulichen den Netzwerkgedanken. Im Farbenspiel erfahren die Schülerinnen und Schüler wie die Gerüchteküche überbrodeln kann, wie Einwegkommunikation in die Sackgasse führt und wie es ist, wenn eine Falschinformation unwiderruflich abgeschickt wurde. Trotz allem Gelächter und Spass – die Lektion sitzt. Das hat auch eine

Evaluation der Fachhochschule Nordwestschweiz gezeigt: «Die Wirksamkeit der chili-Tainings wurde nachgewiesen», bestätigt Daniela Forni, die Projektleiterin für chili im Kanton Schwyz. Ein Aspekt stimmt die 7.-Klässler indes besonders nachdenklich: «Mitgegangen, mitgehangen, mitgefangen», erklärt Irena Zweifel und macht den Jugendlichen bewusst, dass sie zu Täter werden, wenn sie nicht helfen. Das gilt auch für die passive Teilnahme in einer Social-Media-Gruppe. Zum Beispiel, wer einen Chat mitver-

alle teilnehmenden einer Gruppe machen sich mitschuldig bei Fehlverhalten von einzelnen. folgt, in dem Personen gemobbt oder verleumdet werden. Auch wer keinen bösartigen Kommentar abgibt, macht sich mitschuldig. Das ist auch dann nicht harmlos, wenn es sich wie bei WhatsApp um eine nicht öffentliche Gruppe handelt. Irena Zweifel lernt heute ebenso dazu. Als der Begriff Snapchat fällt, fragt sie sofort nach. «Eine App, mit der man Fotos schicken kann, die auf dem Empfängerhandy nur wenige Sekunden angezeigt werden und sich nicht abspeichern lassen», erklärt ein Schüler, während die übrigen allesamt sachkundig nicken. Sehr verbreitet sei das neuerdings. Instant-Kommunikation ohne Worte, mit der trügerischen Sicherheit, dass alles nur für den Moment ist. Schnell wie noch nie, mit neuen Gefahren für experimentierfreudige Kinder. Denn es soll längst ein Programm geben, mit dem sich die Sekundenbilder für immer speichern lassen.

srk-schwyz.ch


eRLebT

sektion Lugano vom sRK tessin

Lehrreiche Jahre bei der neuen Nonna Das sRK in Lugano vermittelt jungen studentinnen und studenten Wohnraum bei älteren personen. in den Generationen-WGs wird viel voneinander gelernt und gerne gelacht – und oft entstehen langjährige Freundschaften. vor allem ist diese Form des zusammenlebens eine grosse entlastung für die angehörigen der seniorinnen und senioren. TEXT: annETTE FrommEr

BildEr: TrES camEnzind

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eRLebT

H

erzliches, warmes Lachen dringt aus der Küche. Zwei ausdrucksstarke Frauen stehen am Herd, die Pasta dampft, beide lachen Tränen. So sei es immer, wenn sie zusammen sind, wenn sie kochen, spazieren gehen oder auf der Terrasse im sechsten Stock sitzen und den Blick auf den Lago di Lugano geniessen, sagt Me-

«zusammen mit Meriam bin ich viel zufriedener.» riam Benhamza, die deutlich jüngere von beiden. «Wir sind mediterrane Typen», erklärt sie.«Wir lachen gerne, reden viel, sind sehr offen und erzählen uns alles.» Zweieinhalb Jahre wohnte sie bei der Rentnerin Maria Migliarese. Das Projekt Solida-

Einen Grund zusammen zu lachen gibt es immer, auch wenn die kulinarischen Vorlieben verschieden sind

Die letzten zweieinhalb Jahre waren für Studentin Meriam Benhamza als auch für Maria Migliarese eine unvergesslich schöne Zeit

riETÀ des Roten Kreuzes in Lugano hat sie zusammengebracht. SolidariETÀ – Solidarität zwischen Generationen – vermittelt alleinlebenden Seniorinnen und Senioren, die Gesellschaft wollen, junge Studentinnen und Studenten, die günstigen Wohnraum suchen. Was auf den ersten Blick rein pragmatisch tönt, ist eine grosse Entlastung und Freude für alle Beteiligten. Fragt man die 77-jährige Maria Migliarese, was für sie die schönste Erfahrung durch SolidariETÀ sei, erhellt sich ihr Gesicht. «Alles», sagt die Witwe lachend. «Zusammen mit Meriam bin ich viel zufriedener. Ich fühle mich sicher und meine vier Kinder haben auch weniger Sorgen wegen mir. Meriam fragt mich, wie es mir geht, ich fühle mich nicht mehr einsam.» Vor 50 Jahren kam die gebürtige Italie18

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nerin in die Deutschschweiz. Nach der Pensionierung ihres Mannes zogen sie nach Lugano, kauften eine Wohnung am See. Er nutzte das Ergotherapie-Angebot des SRK. Nach seinem Tod interessierte sich Maria Migliarese für den Besuchsdienst. So kam sie in Kontakt mit SolidariETÀ.

eine zweite Familie Meriam Benhamza, die im Oktober ihr Studium in Financial Communication an der Universität Lugano abgeschlossen hat, war von Anfang an offen für diese Art des Zusammenlebens. Als sie in die Schweiz kam, war ihr klar, dass sie in einer WG wohnen möchte. Warum nicht gleich mit einer Frau, die sie vielleicht an ihre Grossmutter erinnert? 300 Franken bezahlen die Studentinnen und Stu-

denten für ein Zimmer. «Das war natürlich auch ein Grund, wenn auch nicht das Hauptargument, warum ich mich beworben habe.» Für die junge Marokkanerin war Maria Migliarese in der Studienzeit wie eine zweite Familie. «Wir gingen zusammen in die Ferien, ich besuchte ihre Familie in Kalabrien und lernte italienisch kochen.»Und sagt mit einem Augenzwinkern über ihre Freundin: «Nur Maria mag meine Küche nicht, besonders die Gewürze sind ihr zu stark und scharf. Sie ist nicht so experimentierfreudig. Aber ich verstehe das, sie ist Italienerin.» Ende Mai kehrte die 28-Jährige zu ihrer Familie nach Casablanca zurück. Ein halbes Jahr lang suchte sie eine Stelle in der Schweiz, fand aber aufgrund ihrer Bewilligung keine Arbeit. Maria Migliarese fällt der Abschied schwer – auch weil erst im Herbst neue Studentinnen und Studenten nach Lugano kommen. Bis dahin muss sie alleine in ihrer heimelig eingerichteten Wohnung leben. Die Zeit überbrückt sie mit einer Reise zu ihrer Familie in Kalabrien. «Und bald werde ich Meriam in Marokko besuchen», versichert sie.

Seit beginn dabei Seit vier Jahren existiert SolidariETÀ in Lugano. Als Inspiration dienten Generationenwohngemeinschaften in Grossstädten wie Paris oder Barcelona. SolidariETÀ basiert auf dem Modell von Mailand. Doch im Gegensatz zu Mailand hat das SRK in Lugano Schwierigkeiten, Seniorinnen und Senioren für das Projekt zu begeistern. Zu gross


eRLebT bewegten Vergangenheit erzählt: Ihren Mann, ebenfalls aus Amsterdam, heiratete sie in London. «Von da zogen wir direkt nach Indonesien. Mein Mann kam aus einer Kolonialfamilie.» Sieben Kinder hat sie mit ihm grossgezogen. Als sich zu Beginn der 1950er-Jahre Indonesien endgültig von der Kolonialmacht Niederlande befreien konnte, verliess Familie Wennubst das Land und zog in die Schweiz.

Frage der Sicherheit

ist die Angst der Familien, dass es Schwierigkeiten mit der jungen Person geben könnte. Doch wenn sie sich entschlossen haben mitzumachen, sind sie überzeugt. So wie Caterina Wennubst. Seit dem Beginn von SolidariETÀ vermietet sie in Lugaggia oberhalb von Lugano mehrere Zimmer an Studentinnen und Studenten. Auf die Möglichkeit hingewiesen wurde Caterina Wennubst durch ihre älteste Tochter, die als Freiwillige beim SRK arbeitet. Nun leben zwei Studenten bei

«ich freue mich über die Gesellschaft von jungen Menschen.» der 84-Jährigen: Darya Basova und Salvatore Buttitta. Die gebürtige Holländerin freut sich über die Gesellschaft der jungen Menschen. «Doch dass die Studenten ihr eigenes Leben haben und nicht den ganzen Tag zu Hause sind, passt mir auch gut. Gerade eben hat Darya den Bus nach Lugano genommen, sie gibt in der Stadt Klavierstunden», erklärt sie die Abwesenheit der Moskauerin. Die 23-Jährige studiert am Konservatorium. Im Wohnzimmer des grossen Hauses steht ein Klavier, auf welchem die Musikstudentin täglich übt. Bilder aus fernen Ländern schmücken die Wände, asiatische Statuen stehen auf Kommoden. Caterina Wennubst spricht neben Holländisch und Italienisch auch Deutsch, Englisch, Französisch und etwas Malaiisch. Ihre Augen funkeln, wenn sie von ihrer

Der grosse Garten ist Caterina Wennubsts Leidenschaft. «Am Abend grasen hier manchmal Rehe, auch Hasen habe ich schon gesehen.» Leider besuchen nicht nur angenehme Fremde das abgelegene Haus. Auch Diebe waren schon da. «Doch mein Enkel Fabrizio schlug sie in die Flucht.» Dass die alte Dame mit Studenten wohnt, ist auch eine Frage der Sicherheit, denn sie ist selber viel unterwegs. «Ich glaube, Darya ist auch froh, wenn ich manchmal weg bin. Dann kann sie ungestört Klavier üben», schmunzelt sie. Mit der russischen Studentin verbindet sie schon nach kurzer Zeit eine schöne Freundschaft. Sie sitzen in der Küche, schlendern durch den Garten oder Caterina Wennubst lauscht den Klavierklängen. Die junge Studentin möchte noch ein, zwei Jahre länger bei Caterina Wennubst wohnen. Und das bestimmt nicht deshalb, weil die elegante Seniorin ein Klavier im Wohnzimmer stehen hat.

crocerossaticino.ch/sezione-delluganese

KuRz BeFRaGt SIMonA SALZBorn Die 55-jährige Tessinerin ist Initiantin und Verantwortliche von SolidariETÀ der Sektion Lugano des Roten Kreuzes. Zudem ist die freiwillige SRK-Mitarbeiterin auch zuständig für alle Freiwilligen des Roten Kreuzes Lugano.

aN WeN Richtet sich soLiDaRietÀ? Mit SolidariETÀ sprechen wir ältere Menschen an, die alleine leben, über mindestens ein freies Zimmer verfügen und Gesellschaft suchen. Zudem ist es wichtig, dass sie bei guter Gesundheit sind – die Studentinnen und Studenten sollen keine Pflege leisten müssen. Bewerben dürfen sich Studentinnen und Studenten, die älter als 20 Jahre sind und aus einem anderen Kanton oder dem Ausland stammen. Für das Zimmer bezahlen sie monatlich 300 Franken. WeLche eRFahRuNGeN haBeN sie GeMacht? Wenn es harmoniert, ist es für alle Beteiligten toll und für die Angehörigen eine Entlastung. Es funktioniert. Weil wir die Personen sorgfältig auswählen. Wir fragen beispielsweise die Studierenden, ob sie rauchen, abends ausgehen, ob sie Haustiere mögen. Das Interesse der jungen Generation ist gross. Schwieriger ist es, Seniorinnen und Senioren zu finden. Ältere Menschen wagen weniger Neues. Man gewöhnt sich an die Einsamkeit. Das Beispiel von Maria und Meriam zeigt aber, wie bereichernd der Alltag für beide ist. Ich freue mich, wenn solche Freundschaften entstehen. Wo GiBt es soLiDaRietÀ soNst Noch? In der Schweiz hat das Rote Kreuz in Freiburg unser Projekt kopiert, es heisst «wohnen/helfen». Im Gegensatz zu SolidariETÀ bezahlen die Studentinnen und Studenten dort nur eine einmalige Vermittlungsgebühr. Als Gegenleistung müssen sie kleine Arbeiten verrichten. GenerationenWGs sind sicher auch in anderen grossen Städten der Schweiz möglich. Wir geben unsere Erfahrungen gerne weiter.

Caterina Wennubst beherbergt eine Studentin und einen Studenten in ihrem Haus Humanité 3/2014

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American Red Cross /Talia Frenkel

Setzen Sie ein Zeichen für die nächste Generation.

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peRSöNLIcH vladimir cmiljanovic, ceo piqur

«strategisch denken, um vielen zu helfen» Vladimir Cmiljanovic kam vor 15 Jahren als Profi-Handballspieler in die Schweiz. Während der sportkarriere studierte der gebürtige serbe chemie. Jetzt ist der 35-Jährige ceo von piqur, einer jungen Firma, die eine neuartige therapie gegen Krebs entwickelt, für die bereits klinische Studien laufen. Vladimir Cmiljanovic erklärt im Interview, weshalb er für die Betroffenen der überschwemmungen in der Balkanregion dem sRK spendet. inTErviEw: Tanja rEuSSEr

© Universität Basel

klug und pragmatisch vorgehen, Welche informationen erhaldamit möglichst viele schwer beten Sie nun, 6 Wochen nach troffene Menschen Hilfe erhalten der Unwetterkatastrophe? Es sieht aus wie nach einem Tsuin der Balkanregion. Egal in welnami. Niemand hat ein solches chem Land sie leben. Die Schäden Ausmass schon erlebt und schon sind enorm, Millionen reichen gar nicht vorausgesehen. Mein nicht. Die Betroffenen haben fast Vater war an einer Hochzeit in Seralle keine Versicherung welche bien, an der auch Amerikaner und die Schäden deckt. Deshalb sind Schweizer teilnahmen. Als der Bus Spendengelder so wichtig. mit der Hochzeitsgesellschaft in betroffenes Gebiet fuhr, haben ihr Ziel ist ein Mittel gegen auch die eher Hartgesottenen geKrebs und Sie motivieren weint, weil die Verzweiflung der Menschen in Ihrem berufliVladimir Cmiljanovic ist mit einer Baslerin verheiratet und Menschen dermassen offensichtchen Umfeld, ebenfalls dem Vater von zwei Kindern – auch daher nimmt er seine Energie lich war. Viele sind psychisch am SRK zu spenden. Was treibt als Ceo von Piqur Menschen von seinen Ideen zu überzeugen Ende, weil zerstört wurde, was sie Sie an? So wurde ich erzogen, das ist ein Teil von in den letzten 20 Jahren mit vielen EntbehJa, und unabhängig von mir und ohne mir. Ein wirksames Mittel gegen Krebs zu rungen mühsam aufgebaut haben. mein Wissen auch meine Frau (lacht). Mir ist wichtig, dass kontrolliert wird, wie Spenentwickeln – besonders für junge MenWurden Sie damals, während dem dengelder eingesetzt werden. Das SRK als schen – ist schon lange ein Traum von mir. neutrales Schweizer Hilfswerk nimmt dieAuch aus persönlicher Betroffenheit. Aber Dauerregen, schon durch Verwandte se Kontrollfunktion wahr. Ich vertraue dafür die Menschen in der Balkanregion eninformiert? rauf. Ich glaube, dass das Rote Kreuz eine gagiere ich mich nicht nur, weil ich Serbe Mein Vater hat durch Familienangehörige davon erfahren und hat es mir erzählt. gute Übersicht hat und weiss, wo es am bin. Natürlich bin ich emotional verbunDie meisten meiner Verwandten leben in dringendsten Unterstützung braucht. den, aber ich würde auch spenden wenn Belgrad. Die Hauptstadt konnte gerettet in einem anderen Land nach einer Katastrophe Menschen in einer ausweglosen Siwerden, weil Tausende von Freiwilligen Das SRK kann nicht versprechen, ihre sich zusammengetan haben, um Schutztuation sind. Ich finde es ist in jedem Fall Spende nur in Serbien einzusetzen, wälle aufzubauen. Es hat mich berührt, unsere Aufgabe, sofern man die Möglichjedoch in den betroffenen Gebieten. als ich gehört habe, wie solidarisch sich keit dazu hat. Ich denke, die anderen Länist das für Sie in Ordnung? die Menschen verhalten haben. Zugleich Natürlich kann ich nachvollziehen, dass der vergessen nicht, wer ihnen beisteht. war ich auch schockiert, als ich Bilder der Südosteuropäer, die hier leben, sich Man sollte sich gegenseitig stützen, auch Überschwemmungen in den Medien sah. wünschen, dass genau die Region ihweil es für kein Land eine Garantie gibt, rer Familie berücksichtigt wird. Aber für die es vor Naturkatastrophen bewahrt. mich macht das wenig Sinn. Ich bin der Sie haben ans SRK für die Betroffenen ➔ Lesen Sie auf den Folgeseiten, wie sich Meinung, man muss strategisch denken, das SRK engagiert. in Südosteuropa gespendet, warum? Humanité 3/2014

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eINbLIcK

Regina Wenk und Übersetzerin Emina Babovic Gojacic bei den Abklärungen – rechts ist sichtbar, wie hoch das Wasser stand

unwetter südosteuropa

Den Menschen den Lebensmut zurückgeben Nach den schweren überschwemmungen von Mitte Mai hat in Bosnien und serbien das grosse aufräumen begonnen. viele Menschen haben alles verloren, sie stehen vor dem Nichts und sind auf hilfe angewiesen. Die ingenieurin Regina Wenk ist für das sRK nach Bosnien gereist, um die Nothilfe zu unterstützen und den Wiederaufbau zu planen. TEXT: KaTharina SchindlEr

R

egina Wenk ist erschüttert vom Ausmass der Schäden – und auch von der Verzweiflung der Menschen. Zusammen mit dem lokalen SRK-Team hat sie im Norden von Bosnien viele Dörfer besucht. «Wir haben alle Informationen von Gemeinden, Sozialinstitutionen und dem lokalen Roten Kreuz zusammengetragen und auch mit den Betroffenen 22

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gesprochen. So konnten wir einen Überblick gewinnen über die Zerstörungen und über die Bedürfnisse der Menschen. Diese Informationen dienen nun als Grundlage für die weitere Hilfe des SRK in der Region», erläutert die 48-jährige Ingenieurin und Spezialistin für Baustatik. Sie wurde unter anderem vom SRK in Kursen auf ihre Aufgabe im Katastro-

phengebiet vorbereitet und ist auch Mitglied der Rettungskette Schweiz.

zum zweiten Mal alles verloren Im Dorf Kopanice begegnete sie zufällig Ane Zuparic. Die über 70-Jährige stand vor dem kleinen Bauernhof, den sie mit ihrem Mann bis zur Katastrophe bewohnt hatte. Doch nun war alles zerstört:«Nur ein Huhn


eINbLIcK lief noch über den mit Schlamm bedeckten Innenhof, das ist das einzige, was ihnen geblieben ist», berichtet Regina Wenk.«Schon während dem Krieg wurden sie von ihrem Hof vertrieben. Als sie vor über 20 Jahren zurückkehrten, mussten sie bei Null anfangen. Nun stehen sie wieder vor dem Nichts», stellt die Rotkreuz-Helferin fest. Das Schicksal von Ane Zuparic steht für viele andere. Immer wieder traf Regina Wenk Menschen, die sich nach dem Krieg schrittweise wieder eine Existenz aufgebaut hatten – und nun ist erneut alles weg, das Haus, die Zukunft, die Hoffnung. In einer so verzweifelten Situation sei es besonders wichtig, dass das Rote Kreuz Hilfe leiste und die Menschen unsere Solidarität spürten: «Sonst verlieren sie den Lebensmut», so Regina Wenk.

praktisch niemand ist versichert Während ein Teil der Häuser durch unzählige Erdrutsche komplett zerstört wurde, haben viele andere durch die langanhaltende, stehende Nässe zwar massiven Schaden erlitten, können aber mit viel Aufwand und Geduld getrocknet und renoviert werden. Ein riesiges Problem ist, dass in Bosnien – anders als bei uns – praktisch niemand eine Versicherung hat, die einen Teil des materiellen Schadens deckt. Die Menschen wissen nicht wie es weitergeht. «Vor allem alleinstehende und mittellose Menschen, die schon vor der Katastrophe zu den Benachteiligten gehörten, sind dringend auf Hilfe angewiesen. Sie brauchen unsere Unterstützung, um die Häuser noch vor dem harten Winter wieder instand zu stellen», betont Regina Wenk. Bis zum Winterbeginn will das SRK möglichst viele Wohnungen renovieren hel-

Ihr ganzes Hab und Gut versank im dreckigen Wasser – die 70-jährige Bäuerin Ane Zuparic ist verzweifelt

fen. Es konzentriert sich auf die Region im Norden des Landes, in der es sich schon seit mehreren Jahren mit einem Programm zugunsten benachteiligter Familien und älterer Menschen engagierte. Bereits hat es Entfeuchter, Hochdruckreiniger, Schaufeln, Hacken, Besen und Schutzkleidung für die Aufräumarbeiten zur Verfügung gestellt. Es unterstützt die Renovation von Wohnungen, die durch die Wasserschäden unbewohnbar geworden sind. Doch auch Gärten und Felder wurden vom Schlamm begraben, die Ernte ist weg. Viele Tiere sind in den Fluten verendet. Da Selbstversorgung aus dem eigenen Hof üblich ist, werden viele Familien in den nächsten Monaten zu wenig zu essen haben. Bis zum Frühjahr will das SRK deshalb Lebensmittel an Betroffene abgeben und sie gleichzeitig bei der Rehabilitation der Gärten unterstützen.

© Amer Kapetanović

Rasche Nothilfe

Nur am verdreckten Teppich lässt sich erahnen, dass dies ein Wohnraum war

Das SRK hat unmittelbar nach den schweren Unwettern in Bosnien mit der Nothilfe begonnen. Unterstützt von Freiwilligen des lokalen Roten Kreuzes hat das sechsköpfige SRK-Team 17 000 Lebensmittelkonserven, 250 kg Wasserreinigungstabletten, sowie grosse Mengen Desinfektionsmittel, Reinigungsmaterial, Schaufeln, Decken, Matratzen und Gummistiefel verteilt. Zudem lieferte es 400 Entfeuchtungsmaschinen, mit deren Hilfe Häuser getrocknet werden können. Weil das SRK seit Jahren in der Region

arbeitet und viele Kontakte hat, konnte es rasch auf die Notlage reagieren.

Rotkreuz-engagement in Serbien Auch in Serbien engagiert sich das SRK bei der Rehabilitation und beim Wiederaufbau. Dabei arbeitet es eng mit dem Österreichischen Roten Kreuz zusammen, das in dem Land gut vernetzt ist. Seit Anfang Juli ist eine SRK-Delegierte vor Ort und unterstützt die Vorbereitung des Wiederaufbaus. Wie bei Grosskatastrophen üblich, hat die Internationale Rotkreuzföderation auch bei der Flutkatastrophe in Südosteuropa die Rotkreuzhilfe koordiniert. Im Sinne einer Arbeitsteilung innerhalb der Rotkreuzbewegung hat sich das SRK entschlossen, in Serbien erst beim Wiederaufbau Unterstützung zu leisten, da praktisch von Beginn weg bereits acht andere nationale Rotkreuzorganisationen Nothilfe leisteten.

redcross.ch/ueberschwemmungensuedosteuropa

apRopos Das SRK bedankt sich bei allen Spenderinnen und Spendern für die grosse Solidarität. Insbesondere dankt es für die finanzielle Unterstützung von Coop und Migros sowie weiteren Unternehmen, Behörden und Stiftungen. Das SRK wird auch Gelder der Glückskette und des Österreichischen Roten Kreuzes einsetzen, um den Betroffenen in Bosnien und Herzegowina sowie Serbien rasch zu helfen.

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Vo R o R T

eine evakuierung durch rettungsteams des roten Kreuzes könnte im ernstfall Menschenleben retten

vietnam

ernstfall im Mekong-Delta in etwa fünfzig Jahren könnte das Mekong-Delta südvietnams laut Modellrechnungen siebzig Zentimeter unter Wasser stehen. Schon jetzt kämpfen viele Dörfer mit Überflutungen. Das Rote Kreuz unterstützt sie mit flutsicheren Häusern und fördert die Katastrophenvorsorge. TEXT: PETEr jaEggi

E

BildEr: roland Schmid

s ist keine gute Nachricht, die an diesem Vormittag den Direktor der Primarschule in Dat Mui erreicht. «Ein Damm ist gebrochen! Eine Flutwelle bedroht das Schulhaus!» Der Anruf des örtlichen Volkskomitees versetzt 600 Kinder und das Lehrpersonal am südlichsten Zipfel Vietnams in Aufregung. Es geht um Menschenleben. Der Schulleiter, ausgerüstet mit einem Megafon samt eingebauter Sirene, führt lautstark Regie. Ziel: möglichst schnell ins oberste Stockwerk! Kinder rennen die Treppen hoch, Lehrer tragen 24

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Schulbücher und Trinkwasser nach oben, einer bringt «Papa Ho» in Sicherheit, die Gipsbüste des Staatsgründers Ho Chi Min. Zwar ist der Dammbruch nur eine Simu-

Das sRK fördert in vietnam die Katastrophenbereitschaft. lation, die Evakuation eine Übung, mit der das Schweizerische Rote Kreuz die Katastrophenbereitschaft fördert. Doch die Lage ist ernst. Das Mekong-Delta ist ein fragiler Organismus: weit verzweig-

te Flussarme, Tausende von Kanälen, bis zum Horizont Aquakulturen, Erdteiche, nur getrennt durch dünne Dämme, auf denen schmale Strassen und Pfade verlaufen. Die Gezeiten regulieren die Bewässerung. Aus der Vogelschau hat man den Eindruck, die ganze südvietnamesische Landschaft bestehe nur aus Wasser.

Menschen werden zu Umweltflüchtlingen Am Ufer im Schlamm steht der Fischer und Tagelöhner Nguyen Van Cuong und zeigt


Vo R o R T Zu nah am Wasser und auf Schlamm gebaut – doch wohin sollen Menschen ziehen, die vom Fischfang leben?

Schulkinder lernen, nicht in Panik auszubrechen und sich im obersten Stockwerk in Sicherheit zu bringen

aufs Wasser. Dort stand einst sein Haus, in dem er zwölf Jahre lang mit seiner Familie lebte. Er hatte es aus Holz und Palmblättern selber gebaut. «Die Flut stieg immer höher, schliesslich drang das Wasser ins Haus. Es wurde unmöglich, zu bleiben», erzählt Nguyen Van Cuong. Er und seine Familie wurden zu Umweltflüchtlingen. Hart sei es gewesen, dieses Stück Heimat aufzugeben. Beim Abschied sammelte er noch ein paar Holzpflöcke des versinkenden Hauses ein, die nun am neuen Ort seinen kleinen Schweinestall umzäunen. Nguyen Van Cuong gehört zu jenen fast 50 Prozent der Menschen im Mekong-Delta, die unter oder nahe der Armutsgrenze leben. «Die Ärmsten sind die Verletzlichsten, wenn die Natur verrückt spielt», sagt Umweltexperte Ton That Khanh. Sie besitzen keine stabilen Häuser, deshalb sind sie besonders verwundbar gegenüber Taifunen. Die meisten sind zudem von der Fischerei abhängig und wohnen direkt am Wasser – was sie noch verletzlicher macht. In Ca Mau, der südlichsten Provinz Vietnams, gibt es während der Regenzeit von Oktober bis

Januar viele tropische Stürme. Dann können die Fischer nicht aufs Meer und verdienen nichts. Viele Familien leiden deshalb an Hunger. Neben dem einstigen Zuhause von Nguyen Van Cuong sind im Mekong-Delta weitere Zehntausende Häuser im Wasser versunken. In den letzten zwei Jahrzehnten

siedelte der Staat mit internationaler Hilfe über eine Million Menschen um. Auch das Schweizerische Rote Kreuz half mit. Es hat 1300 einfache, flut- und sturmresistente Häuser errichtet. Auch jenes von Nguyen Van Cuong. Er wohnt jetzt wenige Bootsminuten vom alten Ort entfernt. Der Staat schenkte jeder betroffenen Familie 270 Quadratmeter Land. Der sturmsichere Rotkreuz-Neubau misst etwa 25 Quadratmeter, die Familien können ihn durch eigene, einfache Anbauten ergänzen und so den Wohnraum erweitern. Um Platz für die grossflächige Krevettenzucht zu schaffen, wurden in der Region riesige Flächen von Mangrovenwäldern abgeholzt – mit verheerenden Folgen. Mangroven brechen grosse Wellen und schützen vor Fluten, die Erosionen verursachen. Sie halten Sedimente auf und

nguyen Van Cuong (2. v. l.) und seine Familie – erleichtert, dass sie durch das SrK einen Ersatz für das frühere Zuhause erhalten haben Humanité 3/2014

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Vo R o R T sorgen dafür, dass das Land meerwärts wächst. Der Umwelt- und Agrarwissenschaftler Professor Duong Van Ni von der Universität in Can Tho: «An der Südspitze Vietnams wuchs früher das Land jedes Jahr um 15 bis 20 Meter in Richtung Meer, jetzt aber geschieht das Umgekehrte: Das Festland wird durch Erosionen zerstört.» Der Staat investiert derzeit viel Geld in die Wiederaufforstung. «Ein sehr schwieriges Unterfangen», sagt Professor Ni, «denn die Bevölkerung wächst. Man müsste die Leute umsiedeln.» Der Professor schaut besorgt in die Zukunft: «In etwa fünfzig Jahren könnte laut Umweltministerium und verschiedenen Forschungsinstituten die Hälfte des Mekong-Deltas siebzig Zentimeter unter Wasser stehen.» Dies entspricht fast der halben Fläche der Schweiz.

apRopos 50 JahRe iM eiNsatz FüR Die veRLetzLichsteN In keinem anderen Land ausserhalb der Schweiz engagiert sich das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) länger als in Vietnam: 50 Jahre ohne Unterbruch. Schon während des Vietnamkrieges leistete das SRK humanitäre Nothilfe und entsandte Kriegs-Chirurgen. Nach Kriegsende 1975 baute das SRK vor allem die medizinische Grundversorgung auf dem Land wieder auf, später auch soziale Einrichtungen wie Spitäler und Waisenhäuser. Dort wurden viele Opfer des als Kriegswaffe eingesetzten Giftes «Agent Orange» betreut, das zu schweren gesundheitlichen Schäden mit Spätfolgen führte. Weil es in Vietnam immer wieder Taifune und Überschwemmungen gibt, leistet das SRK seit den 1990er-Jahren regelmässig Nothilfe. Es unterstützte z. B. Dorfgemeinschaften beim Wiederaufbau von insgesamt 3500 sturm- und flutsicheren Häusern. Immer wichtiger wurde die Katastrophenvorsorge. Zusammen mit dem Vietnamesischen Roten Kreuz vermindert das SRK Katastrophenrisiken in zwei südlichen Provinzen. Es werden Gefahrenkarten erstellt, Evakuierungspläne erarbeitet und Erste-Hilfe-Kurse durchgeführt. Durch bauliche Massnahmen werden Schulen, Kliniken und wichtige lokale Verkehrswege vor Überschwemmungen und Stürmen geschützt.

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während der Regenzeit abgelassen, was zu Überschwemmungen beitrage. «Wenn es so weitergeht, müssen dereinst möglicherweise weitere sechs Millionen Menschen umgesiedelt werden», sagt Michael Annear, der früher Katastrophenhilfsprogramme in Asien und Afrika leitete und heute in Vietnam die Internationale Föderation der Rotkreuzgesellschaften vertritt. Es sei deshalb enorm wichtig, in Katastrophenvorsorge zu investieren. Rotkreuzgesellschaften haben die Kosten verglichen und festgestellt,«dass man mit jedem investierten Franken das Fünfbis Zehnfache an Kosten sparen konnte, wenn man in die Prävention investierte», sagt Micheal Annear. Oft seien es einfache Massnahmen, die viel bringen, wie eines der sturm- und flutsicheren Häuser, die das SRK erstellt hat

Die zerbrechliche Reisschüssel Das Mekong-Delta ist die Reisschüssel Vietnams. Jährlich werden hier rund 42 Millionen Tonnen Reis produziert. Auch 40 weitere Länder rund um den Globus essen Reis aus dem Mekong-Delta. «Und vergessen Sie nicht: Der Anstieg des Wasserspiegels geschieht nicht nur hier», sagt der Umweltwissenschaftler. Das Mekong-Delta und vier weitere grosse Deltas liefern 80 Prozent der weltweiten Reisproduktion. Der Anstieg des Meeresspiegels beeinflusst also direkt die globale Nahrungsmittelsicherheit.» Neben der Klimaerwärmung ist laut dem Professor die Waldvernichtung der Hauptgrund für die zunehmenden Naturkatastrophen. In 20 Jahren seien fast zwei Drittel der Wälder im oberen Teil des Mekong abgeholzt worden. «Wasser, das zuvor von den Wäldern aufgehalten wurde, kann nun ungehindert von allen Seiten in den Mekong fliessen und lässt den Wasserspiegel steigen.» Zudem schwemmt der Regen in den entwaldeten Zonen die Erde weg, was grosse Mengen an Sedimenten erzeugt, die das Flussbett erhöhen. Auch der Bau vieler Strassen und unzählige Teiche und Erdwälle rundherum schränken den natürlichen Fliessraum ein. Sorgen bereiten Professor Duong Van Ni auch die chinesischen Staudämme im Oberlauf des Mekongs. Während der Trockenzeit, wenn Vietnam dringend Wasser benötige, werde es gestaut und dann

Befürwortet mehr Katastrophenvorsorge: Michael Annear von der IFrC

der Bau einer Brücke, über die die Menschen bei einer Überschwemmung rechtzeitig fliehen können oder stabile Bauten als sichere Zufluchtsorte bei einem Taifun. Die Evakuationsübung in der Primarschule

es lohnt sich, in die Katastrophenprävention zu investieren. von Dat Mui endet mit Gesang. Fröhliches Liedersingen soll beruhigen. Die meisten Kinder, die ihren Schulweg mit dem Boot zurücklegen müssen, können nicht schwimmen. Beunruhigend auch die Aussage des ehemaligen Dorfvorstehers: «In einigen Jahren werden vielleicht auch die neu gebauten Häuser überflutet sein, weil der Wasserspiegel stetig steigt. Jedes Jahr müssen die Schutzdämme erhöht werden.» In Dat Mui und an vielen anderen Orten des Deltas ist der simulierte Dammbruch ein durchaus möglicher Ernstfall.

redcross.ch/vietnam


KU R z & b ü N D I G Ratgeber für den Notfall tra ft ex e it llh M tfa No

■ Möchten Sie im Notfall richtig handeln und lebensrettende Massnahmen treffen? Das neue Buch «Erste Hilfe leisten – sicher hancareum deln» motiviert dazu, sich mit Erster Hilfe zu beschäftigen und hilft Beschwerden einzuordnen sowie Notfallsituationen zu meistern. Sie erhalten zusätzlich interessante Informationen zu Krankheitsbildern und Symptomen, die keine Notfallsituation darstellen. So handeln Sie wenn nötig schnell oder wissen, wann es nicht eilt. Mit dem herausnehmbaren Notfallheft haben Sie auch unterwegs die einzelnen Handlungsschritte in akuten Situationen griffbereit. Der Schweizerische Samariterbund, die Lebensrettungs-Gesellschaft und die Rega haben zusammen mit SAC und Alpine Rettung Schweiz das neue Hilfsmittel publiziert. Es kann beim Careum-Verlag Zürich für 39 Franken auf Deutsch bestellt werden. Für 2015 ist eine franzöische und eine italienische Version geplant. Erste Hilfe leisten sicher handeln

Verlag

careum.ch

Wortlose Botschaft ■ Der Informationsstand über Zahngesundheit ist nicht bei allen Menschen in der Schweiz auf gleich hohem Niveau. Mit einem Video sensibilisiert das SRK auf humorvolle Art zum Thema Zahnpflege. Ganz ohne Worte, denn die Präventionsbotschaften sollen unabhängig der Sprache verstanden werden und Spass machen. Das Video wurde über diverse Social-Media-Kanäle übers Internet verbreitet.

redcross.ch/zahngesundheit

in der samariter-Lebensschule ■ 130 Jugendleiterinnen und Jugendleiter des Schweizerischen Samariterbundes (SSB) haben an einem intensiven Weiterbildungslager in Landquart teilgenommen. Während vier Tagen wartete ein anspruchsvolles Programm auf die motivierten Teilnehmenden. Kommunikation, Umgang mit Konfliktsituationen, Grundregeln der Führung und didaktisches

Grundwissen waren die Themenfelder. Eine Weiterbildung fürs Leben, die nicht nur für das Engagement in den Help Samariter-Jugendgruppen nützlich ist. Herzliches Dankeschön an die beiden Sponsoren Coca-Cola HBC Schweiz und PPO Services AG, die mit erfrischenden Getränken und Früchten zum Wohl der Kursteilnehmenden beigetragen haben.

pelikan neu für sRK-tonersammelaktion ■ Das Schweizerische Rote Kreuz bietet seit 2003 das kostenlose Recycling von gebrauchten Tonerkartuschen und Tintenpatronen für Firmen, Gemeinden und Institutionen an. Nebst dem bewährten Partner Alteco Informatik AG, ist neu seit April 2014 die Firma Pelikan Abnehmer des Leergutes. Das SRK freut sich sehr, das traditionsreiche und renommierte Unternehmen an seiner Seite zu wissen. Im Pelikan Recyclingzentrum werden leere Tonermodule und Inkjet-Patronen auf Wiederverwendbarkeit geprüft und dem Produktionskreislauf wieder zugeführt. Damit trägt Pelikan nachhaltig dazu bei, Müllberge zu minimieren und Ressourcen zu nutzen. Für die gesammelten Toner überweist Pelikan dem SRK eine Spende. Rund 4000 Betriebe nutzen den Service und unterstützen damit das SRK. Wenn Sie in einem Betrieb arbeiten, der noch nicht mitmacht, erfahren Sie hier wie es funktioniert:

jeder-toner-zaehlt.ch

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Gemeinsam für eine gute Sache. Die Mitarbeitenden der Credit Suisse engagieren sich für gemeinnützige Projekte. So unterstützen Credit Suisse Mitarbeitende beispielsweise das SRK-Integrationsprojekt «mitten unter uns» und bringen dabei fremdsprachigen Kindern die deutsche Sprache und Schweizer Kultur näher. 2013 engagierten sich fast 5000 Mitarbeitende der Credit Suisse für die Gemeinschaft. Erfahren Sie mehr über unsere Corporate Volunteering Aktivitäten. credit-suisse.com/volunteering


KReUz & qUeR Bangladesch

curry in der Mittagsglut Die Küche von Bangladesch ähnelt jener von indien. Wunderbar gewürzte currygerichte mit Gemüse, Linsen, oft auch mit Fleisch oder Fisch werden zusammen mit dem Grundnahrungsmittel Reis aufgetischt. TEXT: KaTharina SchindlEr

Bild: rEmo nägEli

Rezept KüRBis-zucchiNi-cuRRy Mit BasMatiReis Rezept für 4 Personen

Auf dem einzigen Küchengerät im Haus zerschneidet und zerkleinert Shima Katun alle Gewürze

D

ie Fahrt nach Mongli im Norden von Bangladesch führt durch kleine Dörfer und weite Felder. Es ist Erntezeit, für die Frauen und Männer harte Arbeit. Viele schultern die grossen Getreidebündel und tragen sie wankend nach Hause. Andere beladen damit eine Rikscha oder einen klapprigen Wagen, der von zwei Ochsen gezogen wird. Als wir im Dorf Mongli eintreffen, bereitet Shima Khatum (s. Seite 7) das Mittagessen

Dünne Zweige zum Anfeuern des Lehmofens, trockenen Kuhdung und Holz für die Glut

vor. Mit einem grossen Messer zerkleinert die junge Mutter einen leuchtend orangenen Kürbis. Die Stücke müssen klein sein, dann dauert es weniger lang, bis sie

in Bangladesch isst man mit der rechten, gewaschenen hand. weich gekocht sind. Das braucht weniger Holz oder Kuhdung, der hier als preisgünstiges Brennmaterial zum Kochen verwendet wird. Mit geschickten Griffen schält sie die Zwiebeln und zerdrückt ein paar Chili-Schoten mit einem Stein. Zusammen mit weiteren Gewürzen wirft sie alles in den Topf und lässt es lange draussen auf dem Lehmofen kochen. Zusammen mit ihrem Mann und Sohn Tonmoy isst Shima Katun draussen im Schatten der Bäume auf dem Boden. Im Haus hat es kaum Platz und die Hitze ist noch weniger erträglich. Gegessen wird mit der rechten, gewaschenen Hand. Deshalb werden die Gerichte nur leicht warm serviert – heiss genug ist es ohnehin.

1 Tasse Basmatireis 3 EL Butterschmalz oder Ghee 2 Zwiebeln, klein geschnitten 1 grüne Chilischote in feinen Streifen 1 TL Koriander, gemahlen 1 TL Zimt 1 TL Kurkuma 1 TL Kreuzkümmel 2 Schnitze Kürbisfleisch und 2–3 Zucchini in Würfel geschnitten 250 ml Gemüsebouillon 250 ml Kokosmilch aus der Dose 1 TL Essig Salz und Pfeffer 1 Bund Koriandergrün, grob gehackt zubereitung Basmatireis gemäss Packungsangabe zubereiten. Für den Curry Schmalz oder Ghee in einem grossen Topf erhitzen und die Zwiebeln darin glasig dünsten. Chilistreifen sowie sämtliche Gewürze zufügen und anrösten bis es duftet. Zucchiniwürfel und Kürbiswürfel zugeben und weitere 3 Minuten braten. Mit Bouillon ablöschen und Essig, Salz sowie Pfeffer zugeben. Aufkochen lassen und etwa 15 Minuten leicht köcheln lassen. Kokosmilch beigeben und etwas einkochen lassen, bis eine etwas sämige Konsistenz erreicht ist. Nach Belieben mit frischem Koriander bestreuen.

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KReUz & qUeR huMaNitÉ 2/2014 Lösungswort des letzten Kreuzworträtsels: WIeDeRAUFbAU Wir gratulieren den Gewinnerinnen und Gewinnern: Heidi Kaiser, Suhr Käthy Schär, Oberbuchsiten Willi Scheidegger, Wila Katharina Tschumi, Allschwil Monika Vittur, Winterthur

übrige Lösungen der letzten Ausgabe:

Für Humanité zeichnet «Karma» alias Marco ratschiller. er ist Cartoonist und Chefredaktor des Satire-Magazins nebelspalter.

Labyrinth

Vom Start bis ans Ziel wird der Weg mit feinen Linien markiert. Den gefundenen Weg ausfüllen – und schon erscheint das Bild.

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Die Lösung zum Sudoku, zum Bilderrätsel und zum Labyrinth finden Sie jeweils in der nächsten Ausgabe oder im Internet.

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magazin-humanite.ch


KReUz & qUeR sudoku

Kreuzworträtsel

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2

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Teilnahmebedingungen für den Wettbewerb: Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Die Barauszahlung und der Rechtsweg sind ausgeschlossen.

Die exklusive SrK-Trinkflasche von SIGG gibt es bis am 30.9.2014 zum Sommerpreis von 20 Franken. Davon fliessen 5 Franken in Trinkwasserprojekte des SRK. ➔ redcross.ch/shop

3 5

7 1

3 1 8

2 4 5 06010029341

Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3 x 3-Blöcke nur einmal vorkommen.

Bilderrätsel

© Remo Nägeli

Sommeraktion

9 6

2 1 6 3 1 6 4 9 9 8 Conceptis Puzzles

GeWiNNeN

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Finden Sie die 10 Fehler im unteren Bild!

Wettbewerb Unter allen korrekt eingeschickten Lösungswörtern des Kreuzworträtsels verlosen wir fünf praktische SIGG-Trinkflaschen 0,6 l. Senden Sie das Lösungswort und Ihre Adresse in einem E-Mail an crosswords@redcross.ch oder auf einer Postkarte an: Schweizerisches Rotes Kreuz Magazin «Humanité» postfach 3001 bern Einsendeschluss: 10. Oktober 2014

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Alle Menschen haben das Recht auf eine medizinische Grundversorgung. Das SRK setzt sich dort ein, wo benachteiligte an behandelbaren Krankheiten leiden.

Unsere Hilfe braucht Ihre Spende. postkonto 30-9700-0


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