BILD: ZVG
Fremd für Deutschsprachige Kontrolle Öffentliche Verkehrsmittel dienen leider oft als Sammelcontainer für alle denkbaren Formen von Feindseligkeit, so auch von Alltagsrassismus. Ich jedenfalls werde mindestens monatlich Zeugin entsprechender Szenen. Sei es, dass ich mitkriege, wie Leute direkt beschimpft werden («Wir sind hier nicht im Busch!»), sei es, dass ich unfreiwillig zur Zuhörerin rassistisch dekorierter Berichte werde («Neulich hat mein Schüler, der Balkanpinsel …»). Ich selbst als jemand, dem man «es» nicht so ansieht, werde zwar kaum zur Zielscheibe solcher Anfeindungen, bin jedoch, gerade weil inkognito unterwegs, besonders geeignet, solche indirekt mitzubekommen. Dass der ÖV ein Ort von Begegnungen auch der unangenehmen Art ist, hat die SBB erkannt und mit einer überraschend guten Kampagne
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pariert: «Unterwegs zu Hause», heisst es da über den Porträts von Leuten verschiedenen Alters, Geschlechts, Einkommens und unterschiedlicher Hautfarbe. Feinsinnig die Botschaft: Mobilität und folglich auch Vielfalt sind der Normalzustand. Doch seit Kurzem mischt sich mir ein bitterer Beigeschmack hinzu beim Anblick der schönen Plakate. Dies wegen einem meiner jüngsten Zug-Erlebnisse: Sonntagmorgen auf der Strecke Basel–Zürich, kaum Leute im Zug und ich bin der einzige Fahrgast im Waggon. Nach einer Weile kommen eine Kontrolleurin und ein Kontrolleur vorbei, die sich nach der Ticketkontrolle drei Abteile vor mir niederlassen und zu plaudern beginnen. Der Zug gleitet durch die sonnige Landschaft und ich dämmere in einen verkaterten Halbschlaf hinüber. Nur ab und an schnappe ich einen Gesprächsfetzen der beiden auf; sie verstehen sich gut, was bestens zu meinem idyllischen Sonntag passt. Doch um Baden herum kehrt die Sache ins Unangenehme, das Wort «Neger» klatscht mir plötzlich gegen das Ohr und ich horche auf: Es scheint um eine Person zu gehen, über die der Kontrolleur sich neulich geärgert hat, die er gar am liebsten angezeigt hätte. Aber das bringe ja nichts. Ich interpretiere, dass es sich um eine rassistische Anfeindung eines Fahrgastes gegenüber einem weiteren, schwarzen Fahrgast gehandelt haben muss, den der Kontrolleur verteidigt ha-
be. Weit gefehlt: Es geht um einen Passagier, einen älteren schwarzen Mann, den der Kontrolleur schon zwei Mal ohne Ticket angetroffen habe: «Und dann war der auch noch schmutzig, richtig gestunken hat der!» Mir stockt der Atem – erst recht, als der Mann zur Illustration in die kolonialistische Reimkiste greift: «Ja ja, du: Die Mohren mit den dreckigen Ohren!» Mir klingelt der Schädel und ich will grad aufstehen und zu ihm rübergehen, als seine Kollegin zu bedenken gibt: «Ja gut, dass er nicht so sauber war, könnte damit zu tun haben, dass er obdachlos ist …» Doch noch ehe der Satz richtig zu mir durchgedrungen ist oder der Mann etwas hätte erwidern können, lenkt sie, offenbar um die kollegiale Eintracht besorgt, wieder ein: «Aber na-nein, wer in der Schweiz sauber sein will, der kann das auch.» Schändlich fällt meine Zivilcourage in sich zusammen. Mein Mund bleibt zugeklebt, noch als der Zug in Zürich einrollt. Ich nehme meinen bekloppten Rollkoffer und ziehe ihn über die Türschwelle, am runden, braunen Gesicht des kleinen Malo vorbei, der unterwegs in der Schweiz angeblich auch «zu Hause» ist.
SHPRESA JASHARI (SHPRESAJASHARI@HOTMAIL.COM) ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING (RAHELEISENRING.CH) SURPRISE 356/15