Surprise 614 / 25

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Strassenmagazin Nr. 614 28. Nov. bis 11. Dez. 2025

davon gehen CHF 4.–an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Adventskalender

Feiern Sie mit!

Erzählungen und Gedanken aus der Surprise-Welt – Tag für Tag.

Türchen öffnen

Unsere Dezemberhefte werden wieder zum Adventskalender –hier kommt Teil 1. Schon die Arbeit an diesem Heft hat viele Türchen geöffnet: So haben wir uns bei der Heftausgabe in Bern nach Wünschen umgehört (S. 23) oder die Vielstimmigkeit des Surprise Chors eingefangen (S. 9). Das alles in den paar Minuten zwischen Verkaufen und Singen. Oder während KrankenkassenAnpassungen – auch dafür ist bei uns im November Hochsaison, weil die Sozialarbeiter*innen die Verkäufer*innen dabei nach Bedarf unterstützen (und Bedarf ist da).

Wir sassen auch mit der Verkäuferin Tsion Yohans und dem Tigrinya-Dolmetscher an einem Tisch, um ein Festtags-Rezept aufzuschreiben. Als ich mir gerade überlegte, wie oft der Übersetzer wohl in die Situation kommt, Zutatenlisten zu übersetzen (statt Elternabende oder Asylanhörungen), fragte er interessiert nach: «Keine Tomaten?» (nein, keine Tomaten: S. 13).

Sogar ein bisschen spartenübergreifend waren wir unterwegs,

indem wir unseren Verkäufer-Kolumnisten Nicolas Gabriel fragten, ob er einen Liedtext schreiben würde. Und den Musiker

Michael Wernli, ob er diesen vertonen würde. Beide sagten ja, siehe S. 19.

Wir öffnen Ihnen Türchen zu einem Dialog zwischen Kerzen von Karin Pacozzi (S. 7), zu kindlichen (und bibelfesten)

Gedanken von Daniel Dettling darüber, wem die Weihnachtsgeschenke gehören (S. 15), in die Punk­Vergangenheit von Stephan Pörtner (S. 27) und in ganz neuartige Familienkonstellationen, die mit Seynab Ali Isses Schweizer Mama zu tun haben (S. 5).

All das können Sie sich an die Wand hängen!

Lochen Sie einfach den Rand bei der Markierung und hängen Sie das Heft an einen Nagel.

Illustration

Kerstin Wichmann lebt als Zeichnerin in Hamburg. Sie studierte

Illustration an der FH Münster und der HAW Hamburg. Sie zeichnet für verschiedene Magazine. Letztes Jahr veröffentlichte sie ihr

Comic-Debüt in einem Schweizer Verlag.

5 Seynab Ali Isse «Doppelte Geschenke!»

7 Jannice Vierkötter Jedes Heft zählt

7 Karin Pacozzi Kerzenschein

9 Stimmen aus dem Chor Wie wir feiern

13 Tsion Yohans Dorho

15 Daniel Dettling «Das sind ja die Geburtstagsgeschenke eines anderen»

19 Nicolas Gabriel, Michael Wernli Einst da stand ich im Wind

FREI Redaktorin hier lochen

21 Bastelseite Weihnachtsgrüsse für alle

23 Regionalstelle Die Berner Wunschliste

25 Kreuzworträtsel

Rätseln und gewinnen

27 Stephan Pörtner Nichts wie weg!

29 Leser*innen Schicken Sie einen Festtagsgruss! Impressum Surprise abonnieren

30 SurPlus Positive Firmen

DIANA

«Doppelte Geschenke!»

«Wir haben keine Weihnachten. Das heisst nicht, dass ich nicht hingehe, wenn mich jemand einlädt, oder dass man mit mir nicht auch feiern kann. Aber meine wichtigsten Feiertage sind Eid alFitr und Eid al-Adha. Eid al-Fitr ist das Fastenbrechen am Ende des Ramadans, man nennt es auch Zuckerfest. Und etwa vier Monate später folgt das, was von der Wichtigkeit her ungefähr der christlichen Weihnacht entspricht: Eid al-Adha, das Opferfest. Das ist der höchste islamische Feiertag, der Höhepunkt der Pilgerfahrt nach Mekka. Das ist das grosse Fest bei uns. Wie Weihnachten. Und das Zuckerfest entspricht etwa Ostern, so als Vergleich. Es ist das kleinere der beiden wichtigen Feste. Dieses Jahr haben wir beides schon gehabt, Eid al-Fitr Ende März und Eid al-Adha Anfang Juni.

Zu Eid al-Adha trifft man die Familie, die Freunde, man isst, trinkt, macht Geschenke, neue Kleider, neue Schuhe … Wir besuchen uns gegenseitig, und in Zürich treffen sich alle in einer grossen Halle. Man betet, kommt zusammen, vom Morgen bis am Abend, drei Tage lang.

Obwohl wir im Dezember kein Fest haben, kommen bei mir und meiner Familie zu Weihnachten Freund*innen vorbei, sie bringen Geschenke mit und wir machen umgekehrt auch welche. Ich feiere also schon mit, ich habe einfach keine Dekoration. Ich lebe hier, und die Kinder sind damit aufgewachsen. Dass wir einer anderen Religion angehören, ist kein Thema. Wir sind nicht so konservativ, und Religion ist im Grunde überall gleich. Ich habe meine Feiertage, andere haben andere, wir pflegen das alles: Ich sehe es als ein Geben und Nehmen.

Am 24. Dezember kommen alle meine Kinder zu mir und wir essen und kochen zusammen. Den 25. Dezember verbrachten wir immer mit der Schweizer Mama. Ich nenne sie so, ich kenne sie seit fünfzehn Jahren. Kennengelernt haben wir uns in Effretikon, wo ich gewohnt habe und immer noch ab und zu Surprise verkaufe. Die Schweizer Mama hat keine eigenen Kinder. Ich bin ihr Kind. Und für meine Kinder ist sie die Grossmama. Und die Kleinsten sind ihre Urenkel. Mama kam also am 25. Dezember zu uns oder wir gingen zu ihr. Das Hauptgericht machte immer sie, ich brachte Beilagen mit. Wir feierten alle zusammen, Mama, ich, die

Kinder, Enkel und Urenkel. Seit Corona ist Mama leider etwas ängstlich geworden, aber wir sehen uns trotzdem immer noch. Meine jüngste Tochter Khadija bekommt diesen Monat noch mehr Geschenke. Sie hat am 4. Dezember Geburtstag. Deshalb: doppelte Geschenke! Von Freund*innen, von der Schweizer Mama und auch von Surprise-Freund*innen. Sie fragt mich das ganze Jahr lang, jeden Monat: Wann habe ich Geburtstag? Sie lebt mit einer kognitiven Beeinträchtigung. In der Schule haben sie ihr einen sprechenden Kalender auf ihrem Handy eingerichtet. Da kann sie auf einen Knopf drücken und das Tagesprogramm abhören.

‹Heute Schwimmen› zum Beispiel. Das macht sie jeden Morgen, sich den Kalender anhören. Die Technologie macht vieles einfacher. Immer gibt es neue Geräte. Khadija hat auch einen Lesestift, der den Text vorliest, wenn man über die Schrift fährt. Sie hatte einen in der Schule, und ich habe bei der IV nachgefragt, ob das ein Hilfsmittel sei, das wir auch bezahlt bekommen würden. Aber ich muss ihn selber kaufen. Ich habe ihn schon bestellt, er ist teuer, 500 Franken. Aber er macht sie selbständiger. Immerhin ein nützliches Geschenk!

Khadija feiert dieses Jahr ihren 18. Geburtstag, und sie will zehn Kinder einladen. Bisher hat sie immer zuhause gefeiert und in der Schule. Nun sagt sie, sie sei jetzt volljährig. Und deshalb muss man anders feiern als vorher. Sie will zu McDonald’s mit ihren Freund*innen. Das machen wir nun also zum 18. Geburtstag, nachher nicht mehr. Für mich ist das auch ein bisschen lustig und wir haben extra Geld dafür auf die Seite gelegt. Meine Tochter ist in einer Lehre, und wenn sie 18 ist, bekommt sie ihre IV-Rente direkt. Dann hat sie ihr eigenes Geld. Letztes Jahr hatte ich mir grosse Sorgen darüber gemacht, was sie nach der Schulzeit machen könnte, aber jetzt hat sich eine gute Lösung gefunden. Sie arbeitet in einer Wäscherei. Am Anfang war es schwierig, weil sie gross ist und man sie leicht überschätzt. Jetzt hat sie sich gut eingelebt und ist sehr zufrieden, dass sie dort ist.»

SEYNAB ALI ISSE 54, verkauft Surprise in Winterthur und Witikon. Das Beste, was sie je geschenkt bekam: eine teure warme Jacke.

Fokus Surp rise

Jedes Heft zählt

Wenn Sie das Surprise regelmässig lesen, haben Sie es wohl schon mitbekommen: Nachdem der Absatz lange gestiegen war, verkaufen wir seit vier Jahren jeweils etwas weniger Surprise-Hefte. Das bedeutet zuallererst weniger Einkommen für unsere Verkäufer*innen, aber auch weniger Mittel für unseren Verein, um die Heftproduktion und unsere weiteren Angebote zu finanzieren.

Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig, was es zu einer grossen Herausforderung macht, die Verkaufszahlen zu stabilisieren. Unsere Redaktion liefert kontinuierlich spannende Texte, eindrückliche Bilder und informative Grafiken, die das Heft lesenswert halten, wofür wir übrigens gerade dieses Jahr wieder zwei «European Publishing Awards» entgegennehmen durften. Das alleine reicht aber leider nicht aus, um eine Trendumkehr beim Absatz zu bewirken.

Schon seit 2022 setzen wir auf TWINT, um die immer grössere Zahl an Menschen abzuholen, die ohne Bargeld unterwegs sind – mittlerweile kann das Magazin bei fast allen regelmässigen Verkäufer*innen so bezahlt werden. Ausserdem arbeiten wir intensiv daran, mehr Verkäufer*innen aufzunehmen und neue Standplätze zu erschliessen.

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Und um den Verkäufer*innen und dem Magazin zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, greifen wir auch zu etwas klassischeren Marketing-Massnahmen. Etwa mit auffälligen SurpriseEinkaufswägeli, mit denen die Verkäufer*innen die Hefte auch besser transportieren können, oder mit einer Online-Werbekampagne. Manche Treiber des Absatzrückgangs bleiben aber eine grosse Herausforderung – allen voran, dass sich immer mehr Informations- und Unterhaltungsangebote in die digitale Sphäre und damit auch weg von der Strasse verlagern.

Für das laufende Jahr sieht es momentan erneut nach einem Absatzrückgang aus. Allerdings läuft das Weihnachtsgeschäft gerade erst an, welches erfahrungsgemäss gute Ver-

Kerzenschein

Es unterhalten sich drei Kerzen. Die eine ist rot, die andere blau, die dritte gelb. Die Blaue sagt: «Jetzt stehen wir hier auf dem Weihnachtsbaum. Meine blaue Schwester war letztes Jahr dran.»

Da sagt Rot: «Wenn sie uns abbrennen, war’s das!»

Darauf meint Gelb: «Genau, und –»

Darauf Gelb: «Ja genau, und mich braucht’s ja sonst meistens nur zum Mischen, damit es dann auch mal Grün gibt.»

Darauf meint Blau empört: «Was soll nun das? Du gehst völlig am Thema vorbei. Wir sind Kerzen und keine Farben.»

Spricht Rot: «Genau, wir philosophieren über das Feiern, über Weihnachten,

kaufszahlen beschert. Wir bleiben zuversichtlich, dass wir mit unserem Einsatz und der Überzeugung von der Idee des Strassenmagazins auch diese Herausforderungen meistern – und unsere Verkäufer*innen sich so weiterhin ein eigenes Einkommen erarbeiten können.

Danke, dass Sie uns mit dem Kauf dieses Hefts bereits unterstützt haben. Wenn Sie uns zusätzlich zur Seite stehen möchten, sind wir für eine Spende mit dem beigelegten Einzahlungsschein dankbar. Oder Sie kaufen ein zweites Surprise und verschenken es an liebe Freund*innen oder Familienmitglieder – vielleicht gewinnen Sie ja so für uns neue Leser*innen, damit wir gemeinsam der Armut und Ausgrenzung in der Schweiz entgegenwirken.

JANNICE VIERKÖTTER, Co-Geschäftsleiterin Verein Surprise

Blau fällt ihr ins Wort: «Ach, und wenn schon. In meiner Schachtel hat es noch viele blaue Kerzen. Dieses Jahr wird Weihnachten mein grosser Tag. Ich kann Licht und Wärme spenden, von Hoffnung ganz zu schweigen.»

Rot meint: «Da hast du recht. Unser Kerzenschein wird den Menschen an Weihnachten Freude bereiten und am Heiligen Abend für gute Stimmung sorgen.»

Gelb fragt: «Habt ihr denn keine Angst vor dem Sterben? Wenn wir alle abgebrannt werden?»

Blau erwidert: «Mal ja, mal nein. Wir tun nun vielleicht ein bisschen abgeklärt, doch jedes Leben hat ein Ende.»

Rot: «Und in jedem Leben gibt es eine Lebensaufgabe. Unsere ist es, zu scheinen. Wer alles kann schon von sich behaupten, seine Lebensaufgabe erfüllt zu haben?»

über Engel, Glanz und Wärme. Über die Schatten, die wir an die Wände werfen.»

Darauf Gelb: «Du meinst, auch über den Glauben an Gott, über die Geschichten in der Bibel. Über das Unsterblichsein in welcher Form auch immer.»

Blau : «Das hast du nun schön gesagt. Es gibt so viele Themen, vom Frieden über die Liebe bis hin zu Wundern.»

Nun sagen alle drei zusammen, fast wie im Märchen: «Und wenn nicht alles gestorben ist, dann lebt Weihnachten bis in alle Ewigkeit.»

KARIN PACOZZI, 59, verkauft Surprise zurzeit sporadisch. Sie findet es beim fiktionalen Schreiben spannend zu sehen, wie die Figuren ihr Eigenleben entwickeln.

Wie wir feiern

Der Surprise Strassenchor trifft sich wöchentlich in Basel. Hier muss man keine Noten lesen können, keine musikalische Leistung erbringen. Auf ganz unterschiedliche Weise vom Leben herausgeforderte Menschen finden hier ungezwungen zusammen, Singen macht bekanntlich glücklich. Begleitet von der musikalischen Leiterin Rhea Hindermann, Angebotsleiterin Paloma Selma und Sozialarbeiter Marko Gioco erklimmt die divers aufgestellte Gruppe erstaunliche musikalische Höhen. Im Schnitt spielt der Chor jährlich fünfzehn Auftritte. Und manchmal feiern die Teilnehmer*innen auch miteinander, Geburtstage und kleine Erfolge. Am Rande einer Probe hat die Redaktion die Sänger*innen nach ihren Vorstellungen vom guten Feiern und ihren Plänen für die bevorstehenden Festtage befragt.

Augusto Brito, 75 Jahre alt, ursprünglich von den Kapverdischen Inseln, singt seit 2022 im Surprise Strassenchor. «Ich bin seit rund vierzig Jahren hier in Basel mit meiner Familie. Ich habe zwei erwachsene Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Meine Tochter hat auch schon Kinder, ich habe also auch eine Enkelin und einen Enkel. Familienfeste wie Weihnachten feiern wir alle zusammen. Es gibt etwas Besonderes zu essen. Aber nicht die berühmten portugiesischen oder kapverdischen Gerichte wie Bacalhau zum Beispiel, Stockfisch, oder Cachupa, ein Eintopf aus

Mais, Bohnen, Süsskartoffeln und Fleisch. Dazu braucht man viel Zeit, zwei bis drei Stunden Vorbereitung oder mehr – an Weihnachten machen wir eher etwas Einfaches, schon mit Fleisch, aber weniger aufwendig. Den Baum hole ich – der wird geschmückt, ganz wie im Rest von Europa. Und Silvester gehen wir manchmal an Feste, wenn denn jemand aus der Community eines ausrichtet – es gibt einige Menschen von den Kapverden in Basel.»

Cristina Marti, 51 Jahre alt, singt Sopran und Alt. «Feiern bedeutet für mich, grosse Freude auszudrücken. Das können Ereignisse sein, Geburtstage oder wenn man ein Ziel erreicht hat, das man lang angestrebt hat. Auch ein Wiedersehen nach langer Zeit. Feiern bedeutet für mich auch, miteinander anzustossen, zu tanzen, gut zu essen, gute Gespräche zu führen –einfach zusammenkommen, lachen und die Zeit miteinander geniessen! Weihnachten hat für mich eine grosse Bedeutung, aber ich finde, es wird zu sehr vermarktet in unserer Gesellschaft. Ich finde es schön, in den Wald zu gehen und dort ein Feuer zu machen. Und die Weihnachtsgeschichte nochmals zu hören, und vielleicht sogar dazu zu beten, weil es ja ein christlicher Anlass ist. Ich bin katholisch aufgewachsen, aber ich bin heute spirituell-geistig unterwegs, ohne äusserliche Riten und Kulte. Ich denke, die Verbindung nach oben besteht im Herzen und von Geist zu Geist.»

Johanna Buri, 64 Jahre alt, und Markus Christen, 71 Jahre

Johanna: «Wichtig ist: das Zusammensein und der Baum. Meine Schwester hat jahrelang Bäume verkauft mit meinem Schwager. Beide leben nicht mehr. Meine Nichte hatte den Verkauf übernommen. Doch sie ist vorletztes Jahr ebenfalls von uns gegangen. Jetzt macht jemand anderes weiter, aber ich gehe noch dort den Baum kaufen. Es sind schöne nordische Bäume. Und es ist mir schon wichtig, dass an Heiligabend eine Tanne zuhause steht. Ich schmücke sie gerne unter anderem mit altem Schmuck.»

Markus: «Johanna ist sehr familiengeprägt. Und das ist jetzt alles weggebrochen. Das ist dieses Jahr völlig neu.»

Johanna: «Mein Sohn Pascal feiert mit uns. Als meine Mutter noch gelebt hat – sie ist 2004 gestorben –, sind wir immer nach Italien gefahren, wo sie gelebt hat. Sie ist in den 1990er-Jahren in die Toskana ausgewandert. Dort sah es aus wie im Heiligen Land, mit den Steinen und den Schäfchen. Wir haben immer die Einheimischen besucht. Besuche sind dort wichtig. In Basel haben wir auch mal mit meinem Vater gefeiert, als er noch lebte, und mit seiner Frau Madeleine. Sie ist erst letztes Jahr mit fast

hundert Jahren verstorben. Von meinem Sohn Pascal bekommen wir immer Weizenkorn-Kerzen geschenkt, er arbeitet ja dort in der Holzwerkstatt. Daran habe ich Freude. Ich habe oft Kerzen brennen, obwohl ich mal einen Wohnungsbrand hatte. Das hält mich nicht davon ab. Dieses Jahr schaue ich, dass ich den Tag vor Heiligabend frei habe, dann kann ich vorbereiten und schmücken. Das mache ich gerne, aber ich brauche Zeit. Ich mag es ruhig. Und wenn es eine schöne Mette gäbe, würde ich dort auch hingehen, aber es ist ja alles überlaufen oder weit weg.»

Markus: «In meiner Jugendzeit, in der Zeit, in der ich im Heim war, da war Weihnachten natürlich extrem religiös geprägt. Es gab zwar einen grossen Baum, zimmerhoch, von der Armengemeinde. Aber jedes Jahr das gleiche Geschenk: eine Dose Ovomaltine, umwickelt mit ein paar Socken, und vielleicht noch einen Waschlappen. Und das war’s. Und später, in der Zeit, in der ich als Einzelmaske durchs Leben gegangen bin, also bevor ich Johanna kannte, hat Weihnachten für mich keine Rolle gespielt. Es ist mir einfach egal gewesen. Dann habe ich mich ein bisschen umgewöhnen müssen. Aber so lange wie wir jetzt zusammen sind, ist mir das offensichtlich nicht so schlecht gelungen.»

Johanna: «Ich habe noch wunderschöne alte Schallplatten, aus den 40er-Jahren, glaube ich, mit alten deutschen Weihnachtsliedern. Aber den Plattenspieler, den müsste man mal reparieren lassen und eine neue Nadel haben, darum kümmere ich mich nächstes Jahr, wenn ich pensioniert bin. Dann habe ich Zeit. Ich freue mich darauf, in letzter Zeit gehe ich nicht mehr so gern zur Arbeit, da hat sich alles eher in eine schlechte Richtung entwickelt. Ich möchte gern damit abschliessen. Und Neujahrswünsche, tja, da habe ich viele. Die ganze Weltpolitik natürlich, ich weiss auch nicht. Da stimmt einfach etwas nicht, der Dialog ist nicht mehr möglich, und das finde ich schlecht. Das macht mir Angst. Wir lassen uns zu sehr manipulieren.»

Markus: «Wenn so viel protestiert wird wie derzeit, muss man sich dann nicht irgendwann auch mal fragen: Wirkt das nicht kontraproduktiv? Ich meine, hier in der Stadt nervt es jetzt schon, wenn du jeden Samstag weisst, dass du einen anderen Weg nehmen musst, weil wieder eine Demo unterwegs ist, das geht den Leuten an die Substanz. Und wenn sie dann noch im rechtspolitischen Spektrum unterwegs sind, dann giesst denen das natürlich Wasser auf die Mühlen.»

Johanna: «Früher waren wir an Neujahr viel in Italien. Da ist man einfach andere Menschen besuchen gegangen. Das ist ganz anders da. Man macht ein Feuer draussen. Es gibt Musik und Tanz. Das ist wunderschön. Man singt und tanzt, man wird eingeladen. Meine Mutter hat oft Leute vom Strassentheater und

wir uns irgendwie immer wiedersehen. Das Essen ist dabei gar nicht so wichtig, es gibt schon gute Sachen, aber nichts Kompliziertes. Nun sind meine Kinder schon älter, 32 und 28. Der Ältere ist am Heiligabend neu bei seiner Schwiegerfamilie, das sind Italiener*innen, da wird mehr Wert auf das eigentliche Datum gelegt. Im Senegal haben wir früher auch Tabaski gefeiert, das ist der senegalesische Begriff für das islamische Opferfest. Im Süden vom Senegal feiert man diese Anlässe zusammen. Die, die christlich sind, kommen zu den Muslimen und umgekehrt. Ich habe den Senegal nach wie vor sehr gern und habe auch immer noch gute Kolleg*innen. Mein Ex-Mann pendelt seit seiner Pensionierung hin und her, die Kinder haben einen guten Kontakt zu ihm und sind auch schon x-mal im Senegal gewesen. In der heutigen Zeit muss man es schätzen, dass die Jungen Freude haben, wenn sie die Alten besuchen. Es ist nicht selbstverständlich, dass meine Söhne gern zu mir heimkommen. Sie könnten auch sagen, sie haben anderes vor.»

Kim Gallagher, 42 Jahre alt, ist noch ganz neu im Strassenchor.

«Ich feiere Weihnachten und Geburtstage gross. Ostern eher nicht so, jetzt, wo meine Tochter erwachsen ist. Sie wird im Januar 22 Jahre alt und lebt derzeit im Ausland. Manchmal videotelefonieren wir. Weihnachten feiere ich mit meiner Mutter und ihrem Partner, dessen Tochter mit Mann und deren Kind werden auch dabei sein. Vielleicht kommt auch noch ein Onkel. Es gibt dann Essen, wir machen Geschenke auf und tragen einander auch was vor. Ich habe einen Chäschiechli-Song gedichtet, auf die Melodie von «Im Wald, da steht ein Männlein». Ich gehe nämlich regelmässig Flyer verteilen, jeweils bis zu 1100 Stück. Da brauche ich viele Proteine. Ich gehe also nicht ohne Chäschiechli meine Flyer verteilen – davon handelt der Songtext. Ich kaufe morgen meinen neuen Einkaufswagen, der kann bis zu 50 kg Last tragen. Der alte ist mir nämlich kaputtgegangen. Ich muss aber aufpassen, weil ich schon mal einen Tennisarm hatte. Dieses Jahr habe ich 3200 Flyer verteilt. Silvester feiere ich eher ungern, das ist mir zu kalt. Feuerwerk geniesse ich am 1. August, das reicht.»

Tatjana Kondratenko, 38 Jahre alt, stammt aus der Ukraine und lebt in Baselland. «Weihnachten ist für uns ein Familienfest. Ich feiere es mit meinem Mann und unseren vier Kindern. Sie sind 1, 3, 6 und 11 Jahre alt. Traditionell essen wir Ente mit Kartoffeln und Salat, es gibt

Musiker*innen beherbergt, Italiener*innen und andere. Die sind dann meistens von Sizilien hochgekommen und haben bei ihr übernachtet. Dann haben wir zusammen Wildsau gegessen, frisch geschossen vom Jäger und eine Woche eingelegt in Wein. Hier in Basel schauen wir uns das Feuerwerk an. Meistens auf dem Münsterplatz – wenn es trocken ist.»

Angelika Barry, 67 Jahre alt, nennt sich selbst lachend «eine alte Tante».

«Wir feiern vor allen Dingen das Zusammensein von Menschen, Familienmitgliedern, Freunden. Ich lade gerne Leute ein, damit man zusammensitzt, sich unterhält, diskutiert und einfach das Leben geniesst. Religion ist dabei eher im Hintergrund. Ich war lange mit einem Muslim verheiratet, für ihn spielte Weihnachten keine Rolle, und so war ich mit den Kindern früher immer bei meinen Eltern. Weihnachten ist für mich wirklich ein Familienfest. Wir sind auch schon mal zu einer meiner Schwestern gefahren und haben ein paar Tage dort verbracht. Wir sind als Familie zwar in alle Windrichtungen verteilt, aber wir schauen, dass

noch etwas Süsses zum Nachtisch. Geschenke für die Kinder gibt es auch. Wir dekorieren die Wohnung, auch ein Baum wird geschmückt. Wir sind orthodoxe Christ*innen, feiern aber am 24. Dezember, wie im Westen. Früher feierten wir am 7. Januar, 2017 aber hat die Ukraine den Kalender gewechselt, kurze Zeit gab es beide Feiertage parallel, seit 2023 feiern auch die Kirchen nach dem neujulianischen Kalender Weihnachten im Dezember. Ich glaube an Gott, aber hier gehe ich nicht zur Kirche. Im Haus haben wir eine kleine Ecke mit Ikonen. Manchmal entzünde ich dort eine Kerze. Meine Eltern leben in der Ukraine, ein paar Stunden südlich von Kyjiw. Wir telefonieren sehr oft, manchmal täglich. Früher in der Ukraine haben wir Neujahr gefeiert – mit einem Essen, Anstossen um Mitternacht und dann auf die Strasse gehen, das Feuerwerk oder Konzerte sehen, mit vielen Leuten mitten in Kyjiw. Nun kann ich – wie auch manche meiner Kinder – das Feuerwerk leider nicht mehr aushalten, es klingt zu sehr wie der Krieg.»

Aufgezeichnet von SARA WINTER SAYILIR

Arbeitende Kinder

KINO

Zutaten für 4 Personen

– 1 grosses Poulet

– 1 kg rote Zwiebeln

– 5 Esslöffel scharfe Gewürzmischung (Berbere) aus dem eritreischäthiopischen Laden

– 3 Esslöffel Öl

(z.B. Sonnenblumen- oder Olivenöl)

– 3 Esslöffel Ingwer und Knoblauch: frisch und kleingehackt

– 4 Esslöffel Gewürzbutter (*Tesmi), erhältlich im eritreisch-äthiopischen Laden.

*Tesmi Zutaten

– 1 Teelöffel Bockshornkleesamen

– 1 Teelöffel Kardamomsamen

– 350 gr Butter

– ¼ rote Zwiebel, gehackt

– 3 gepresste Knoblauchzehen

– ½ Teelöffel Kurkuma

Dorho

Poulet nach eritreischer Art

Zubereitung

In Eritrea geht man bei der Zubereitung eines Poulets ein bisschen anders vor als in der Schweiz: Man kauft auf dem Markt ein lebendes Huhn und schlachtet es zuhause. Das muss eine männliche Person machen, ein Mann oder Junge. Dann legt man es in heisses Wasser, um die Federn rupfen zu können. Mit einer Flamme brennt man nachher die restlichen Federresten von der Haut ab. Danach haben wir ein nacktes Poulet, das nun ausgenommen wird.

Nun teilen wir das Poulet in zwölf Stücke und waschen es nochmals in heissem Wasser. (Ab diesem Zeitpunkt können die Schweizer*innen mit ihrem fertig vorbereiteten Poulet aus dem Grossverteiler in die Zubereitung einsteigen und es ebenfalls in zwölf Stücke teilen.) Dann legen wir die Pouletstücke in kaltes Zitronenwasser (zubereitet mit ca. zwei Zitronen), waschen sie nochmals und lassen sie eine Weile darin liegen.

Sauce zubereiten: Die Gewürzbutter (*Tesmi) erwärmen, mit der Gewürzmischung (Berbere) mischen. Öl beigeben. Dann

1 kg rote Zwiebeln kleinschneiden und beigeben, ebenso den Ingwer und Knoblauch.

Pouletstücke in die Sauce legen. Kochen, bis das Fleisch gar ist (mit der Gabel testen).

Dann zwölf Eier hartkochen. Die Schale entfernen und die Eier mit einer Gabel rundherum einstechen, damit sie die Sauce aufsaugen können. In den gleichen Topf legen. Zusammen mit

Injera servieren – das ist ein weiches eritreisches Fladenbrot aus Teffmehl. Alternativ (und hierzulande vielleicht der Einfachheit halber) kann man dazu auch Reis servieren.

*Tesmi zubereiten

Bockshornkleesamen in einer Bratpfanne rösten, bis sie hellbraun sind. Zusammen mit den Kardamomsamen in der Gewürzmühle grob mahlen. Butter bei niedriger Temperatur schmelzen. Alle Zutaten beigeben und 15 bis 20 Minuten bei niedriger Hitze rühren. Vom Herd nehmen, abkühlen lassen, und in eine Schale sieben.

Hintergrund

«Die Zubereitung von Dorho ist eine Prüfung für junge Frauen, die noch nicht verheiratet sind. Wenn eine Frau es nicht gut hinkriegt, ist sie für die Ehe noch nicht geeignet. Das Rezept wird als Weisheit gehandhabt, die die Mutter an die Tochter weitergibt. Das Kostbarste am Rezept ist die Sauce.

Dorho steht grundsätzlich für hohe Wertschätzung. Wenn eine Familie einen Gast hat, muss ein Poulet geschlachtet werden. Kein Lamm, kein Kalb, keine Ziege. Ein Poulet muss es sein, das ist eine Ehre und bedeutet, dass einem der Gast viel wert ist. Dass das Huhn in zwölf Stücke geteilt werden muss, ist Tradition, den Grund kenne ich nicht genau. Ebenso müssen es zwölf Eier sein, das ist wichtig.

Dorho wird an allen Festtagen zubereitet, an Hochzeiten, Taufen, anderen Festen. Man isst es mit der Familie, mit Freunden. Dazu gibt es ein bierähnliches Getränk namens Sewa. Auch das findet man in eritreisch­äthiopischen Läden. Es wird in Flaschen verkauft und kalt getrunken – ein erfrischendes Getränk mit leichtem Alkoholgehalt, es schmeckt leicht süsslich.»

TSION YOHANS, 59, verkauft Surprise in Zürich u.a. am Central. Sie führte in Eritrea und Äthiopien ein eigenes Cateringunternehmen.

«Das

sind ja die Geburtstagsgeschenke eines anderen»

«Ich feiere nur ganz wenige Sachen. Nicht mal meinen eigenen Geburtstag. Das hat keinen speziellen Grund –ich gönne mir irgendwas Gutes und dann war es das. Aber Weihnachten und Silvester, die feiere ich. Weihnachten feiert man meiner Meinung nach am besten im kleinen Familienkreis mit feinem Essen. Oder aber auch allein. Das kann von Waldweihnachten bis zum Baum in der Stube alles sein. Hauptsache, schön ruhig.

Ich bin katholisch aufgewachsen, aber kein Kirchengänger. Ich hab mich schon im Kindergarten mit Weihnachten auseinandergesetzt. Wo ich so meine Geschenke gesehen habe, die ich mir gewünscht hatte, hab ich plötzlich gedacht, dass ich ja im Prinzip die Geburtstagsgeschenke eines anderen, nämlich Jesus’, bekomme. Und vier Monate später feierten wir plötzlich, dass er gestorben ist! Das habe ich damals ganz seltsam gefunden. Aus diesen ersten Überlegungen heraus hat sich später ein echtes Interesse am Glauben entwickelt. Ich glaube, es ist nicht zwingend, die Bibel gelesen zu haben, um sich mit Glaubensfragen zu beschäftigen. Gott versteht man auch, wenn man sich ernsthaft mit den Menschen um sich herum auseinandersetzt. Ich habe die Bibel beispielsweise erst mit vierzig gelesen. Es ist ein gutes Buch, aber man muss nicht mit allem einverstanden sein.

Waldweihnachten ist etwas ganz Besonderes – man geht mit anderen Menschen in den Wald, riecht an den Bäumen, macht ein Feuer, mit Tee und Gegrilltem, und singt gemeinsam Lieder. Ich singe gern. Ich war lange Zeit im Surprise Strassenchor. Ich spiele auch Keyboard, Panflöte, und habe mal Trompete gelernt.

An Silvester beginnt das neue Jahr. Man kann das, was einem im alten Jahr nicht so gutgetan hat, hinter sich lassen. Und darauf hoffen, dass es nun besser wird. Ich hab aber schon lange keine guten Vorsätze mehr gefasst.

Ich bin eher ein ruhiger Mensch. Ich erlebe derzeit viel Spannungen mit Menschen im kollegialen Umfeld. Ich beschäftige mich in letzter Zeit viel mit Narzissmus und lerne da einiges. Es ist recht schwierig, mit den anderen einen guten Umgang zu finden, vor allem mit anderen Männern. Die denken, es gäbe nur einen religiösen Glauben auf der Welt, nämlich ihren eigenen. Und sie zeigen mir das – ich brauche das aber gar nicht. Du musst andere Menschen leben lassen, wie sie leben wollen. Damit haben viele ein Problem. Ich bin vor allem unter Armutsbetroffenen unterwegs, und da erlebe ich das extrem. Es ist schwer zu beschreiben, man muss das selbst erleben –oder: besser nicht.

Manchmal bin ich im Soup&Chill, einer sozialen Einrichtung in Basel. Ich musste dort erst lernen, wie man mit wem umgehen muss, ohne Probleme zu bekommen. Das war anstrengend. Jetzt funktioniert das aber ganz gut. Mit manchen aber wird es nie gehen. Ich setze mich in der Regel hin und möchte meine Ruhe, damit können die meisten gut leben.

Wer mir aber auf den Keks geht, kann ich auch mal anschnauzen. Ich bin ein sehr direkter Mensch. Und ich möchte Klarheit, wissen, woran man ist. Das weiss jeder auch immer bei mir.

Das letzte Mal richtig gefeiert habe ich vor zwei Jahren, tatsächlich doch meinen eigenen Geburtstag, auch im Soup&Chill – da habe ich zwei Flaschen Wein spendiert. Das war gut.»

DANIEL DETTLING, 53, Surprise Stadtführer in Ausbildung, isst gern Fondue und mag die Schweiz sowie Kaffee. Sein grösstes Laster ist das Rauchen. Er glaubt an Gott, die Liebe und an sich selbst.

auf–hören …

Hochschule der Künste Bern
Haute école des arts de Berne

Einst da stand ich im Wind

Einst da stand ich im Wind

Einst da stand ich im Wind

Text: Nicolas Gabriel

Melodie: Michael Wernli

Hören Sie rein! surprise.ngo/ einst-da-stand-ich-im-wind

Hintergründe im Podcast: Simon Berginz spricht mit Nicolas Gabriel und Michael Wernli. surprise.ngo/talk

NICOLAS GABRIEL, 61, verkauft Surprise und feilt, beim Warten auf Kundschaft, an Worten herum. MICHAEL WERNLI, schreibt Songs, macht Musikkabarett und unterrichtet Musik.

Sie brauchen: Fingermalfarbe Weiss, Kugelschreiber, Filzstifte, farbige BlankoKarten (einfache oder Doppel-Karten)

1. Bemalen Sie Ihre Hand (oder die der bastelnden Kinder) mit weisser Fingermalfarbe und drücken Sie je einen Handabdruck auf eine Karte. Tun Sie das so viele Male, wie Sie Verwandte, Freunde und Bekannte haben. Lassen Sie die Karten trocknen.

2. Malen Sie jedem Finger ein Gesicht mit Kugelschreiber / Filzstiften. Verpassen Sie jedem einen eigenen

Charakter und lassen Sie sich von Ihren Familienfeiern inspirieren: Vielleicht ist der Daumen eingepennt, während ein verträumter kleiner Finger in die Schneeflocken hinausschaut. (Malen Sie auch diese hin.) Zeige- und Mittelfinger bilden ein eng umschlungenes Paar (nur falls so etwas zu Ihrer Realität gehört – zu viel Kitsch vermeiden). Aus dem Zeigefinger machen Sie Ihr Lieblingshaustier. Oder Sie passen die Darstellungen an die jeweiligen Empfänger*innen an. Nach Bedarf mit Sprechblasen versehen.

3. Nehmen Sie nun weitere farbige Filzstifte. Verzieren Sie die Hand punktuell mit Lichterketten, Weihnachtsschmuck oder Tannenzweigen. Künstlerischer Tipp: Glanzlichter auf den Glühbirnen / Weihnachtskugeln anbringen, das wirkt professionell.

4. Verschicken Sie die Karten an alle, die Sie kennen. Es sind nicht nur kostengünstige Unikate, sondern auch nahezu biometrische Weihnachtsgrüsse.

Die Berner Wunschliste 9

Ein Novembermorgen in der Surprise-Regionalstelle im Berner Breitenrainquartier. Durch das Schaufenster fallen dezente Sonnenstrahlen. Immer wieder öffnet sich die Türe, ein Hallo in die Runde. Surprise-Verkäufer*innen gehen ein und aus, sie sind hier, um Exemplare des Strassenmagazins zu kaufen oder um mit der Sozialarbeiterin eine Frage wegen der Krankenkasse zu klären. Ab und an lässt sich ein Verkäufer an der Kaffeemaschine einen Kaffee heraus, dazwischen das klingelnde Telefon. Manche haben Zeit und plaudern hier und da, andere haben es pressant und sind schnell wieder weg. Wir haben uns umgehört, was sich die Menschen hier gerade am dringendsten wünschen.

Pascale Pohl verkauft Surprise beim Coop Steinhölzli in Köniz.

«Ich wünsche mir Verständnis und Offenheit. Dass man einander zuhört. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, aber dem Gegenüber zuhören – das wäre schön. Und Zeit wünsche ich mir. Um mich meinem Kunstschaffen widmen zu können.»

Roman Magri arbeitet in der Berner Surprise-Regionalstelle als Sozialarbeiter.

«Ich glaube daran, dass Menschen die Fähigkeit haben, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Dass sie solidarisch sein können und wissen, was im Leben wichtig ist. Doch sie sind zunehmend abgelenkt – die allgemeine Reizüberflutung, der Stress, die Medien. Ich wünsche mir darum, dass die Menschen sich von den strukturellen Zwängen, die sie irreleiten, befreien können, um zu sich selbst und einer solidarischen Gesellschaft zurückzufinden.»

Welday Tefade verkauft Surprise im Spiegel bei Bern.

«Ich wünsche mir Liebe und eine Welt ohne Krieg. Und allen Menschen wünsche ich Gesundheit. Gesund zu bleiben, ist das Wichtigste.»

Aday (Name geändert) möchte anonym bleiben – ein Mann mit Bart, so könne man ihn nennen – er verkauft Surprise irgendwo in der Region Bern.

«Ich wünsche mir: Frieden, Wohlstand, Gleichheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Ehrlichkeit, eine Arbeit für alle Menschen. Dass alle Menschen optimistisch und hoffnungsvoll leben können. Liebe für alle Menschen, egal, welche Religion sie haben, egal, welche Sprache sie sprechen, welche Hautfarbe, welches Geschlecht sie haben. Und ich wünsche mir, dass sich alle Menschen an das Gesetz und die Regeln halten, sonst enden wir im Chaos. Ah, und an erster Stelle steht eigentlich Gesundheit für alle Menschen.»

Asmerom Tesfay verkauft Surprise bei der Migros in Ostermundigen.

«Ich wünsche mir und meiner Familie Gesundheit. Ausserdem wünsche ich mir eine Arbeit, vielleicht in der Hauswirtschaft, als Küchenhilfe oder in einem Warenlager. Und dann wünsche ich mir, dass die Kriege enden. Nicht nur in Äthiopien herrscht Krieg, sondern auch in der Ukraine und an so vielen Orten auf der Welt. Ich wünsche mir, dass die Menschen frei leben können, dass sie arbeiten und ein normales Leben führen können – in Sicherheit und in Frieden. Mein Sohn, er ist acht Jahre alt, ist Stürmer beim FC Ostermundigen und möchte Fussballprofi werden. Das wird viel Arbeit, aber ich wünsche ihm, dass er das schafft.»

Haile Tadese verkauft Surprise beim Coop in Zollikofen.

«Ich wünsche mir, dass ich eine gute Arbeit in der Reinigung finde. Und dass sich meine familiären Probleme lösen.»

Erhard Linse kümmert sich in der Berner Surprise-Regionalstelle um die Pflanzen. «Ich wünsche mir – nicht ganz ernst gemeint natürlich – einen warmen Winter, dann muss ich die Pflanzen nicht hereinholen, die Chrysanthemen, den Feigenbaum oder die Tomatenstaude. Ich wünsche mir auch weniger Hektik in der Welt. Ich weiss, dass sich im Sudan gerade eine Katastrophe abspielt, die wahrscheinlich noch schlimmer werden wird. Über die politischen Hintergründe weiss ich jedoch wenig, da ich mich ein bisschen von den Nachrichten zurückgezogen habe – nicht aus mangelndem Interesse, sondern weil ich den permanenten Informationsfluss anstrengend finde. Es fällt mir schwer, weiterhin an Ideale wie Frieden und Gesundheit zu glauben. Ich wünsche mir, dass alle Menschen in menschenwürdigen Verhältnissen leben können und

dass reichen Leuten bewusst wird, welche Verantwortung sie tragen, auch für die Gesellschaft. Ich wünsche mir mehr Bewusstsein für die Natur, dafür, wo wir leben und was für ein Schatz das ist, von dem wir Teil sind. Es sind fromme Wünsche, ich weiss.»

Sara Steiner arbeitet in der Berner Regionalstelle als Sozialarbeiterin.

«Ich wünsche mir ein Ende des Genozids in Gaza und im Sudan. Und sonst? Ich habe keine Wünsche, ich habe alles. Ah, ausser: ein Paar vegane High-Top-Sneaker.

Aber was wirklich wichtig ist: mehr Klassenbewusstsein und Klassenkampf. No one is free until we all are free. Niemand ist frei, bis wir alle frei sind. Dass wir die Tiere endlich in Ruhe lassen. Go vegan. Weniger Autos in den Städten. Dass alle Leute Surprise kaufen, mindestens zwei Exemplare pro Ausgabe. Anständigen Kaffee in Bergbeizen, und Hafermilch. Mehr Graffiti.»

Hidat Ukbazghi verkauft Surprise bei der Migros am Breitenrainplatz. «Nicht nur hier, sondern für die ganze Welt wünsche ich mir Zufriedenheit und Schönheit. Ich wünsche mir, dass die Kriege enden und alle Menschen zusammenleben können. Allen kranken Menschen wünsche ich, dass sie gesund werden. Und fürs neue Jahr wünsche ich mir, dass es besser wird als das Jahr 2025. Denn die Inflation macht alles teurer. Ich wünsche mir, dass sich das wieder ändert.»

Iyob Kiflemariam verkauft

Surprise in Ittigen.

«Ich schliesse mich den Wünschen von Hidat an. Salam ist das Wichtigste: Frieden. Ich wünsche mir, dass alle Menschen friedlich zusammenleben können und dass sie nicht im Krieg sterben müs-

sen, vor allem nicht Kinder und Zivilist*innen. Sie sollen nicht vor Gewalt flüchten müssen, nicht hungern oder krank werden. Ich wünsche mir, dass sich die Inflation abschwächt und Essen und alles andere wieder günstiger wird. Ich wünsche mir, dass alle Menschen eine Arbeit haben und keine Probleme oder Stress. Ich wünsche mir, dass alle Geschäfte – auch das Surprise-Hefte verkaufen – wieder besser laufen. Dass die Menschen von Herzen lachen können und ein gutes Herz haben, das wünsche ich mir auch.»

Gebremaryam Teklemaryam verkauft

Surprise in Hünibach bei Thun. «Für die Weihnachtszeit wünsche ich mir Schnee. Und ein weihnachtliches Surprise-Cover – das würde mir und auch den Leuten gefallen. Meinen Stammkund*innen wünsche ich glückliche und schöne Weihnachten.»

Emma (Name geändert) möchte anonym bleiben und verkauft

Surprise irgendwo in der Region Bern. «Meine Wünsche sind ganz allgemein: Ich wünsche mir, gesund zu bleiben und weiterhin arbeiten zu können. Ich sehe ja, dass es Menschen nicht guttut, wenn sie nicht mehr arbeiten können und zuhause sitzen. Und ich wünsche mir, dass Surprise noch lange existieren kann. Wenn es das ‹20 Minuten› nicht mehr gedruckt gibt, können wir ja vielleicht davon profitieren. Wir sind bald die einzige Zeitung auf der Strasse.»

Aufgezeichnet von LEA STUBER Mitarbeit (Übersetzung) NEGUSSIE WELDAI

LEA STUBER arbeitet als Surprise­Redaktorin.

NEGUSSIE WELDAI ist Mitarbeiter des Berner Teams Koordination Strassenverkauf und Soziale Arbeit und arbeitet als Surprise­Verkäufer im Bahnhof Bern.

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Rätseln und gewinnen

Surprise verlost tolle Preise wie Gutscheine, Bücher und vieles mehr. Finden Sie das Lösungswort und tragen es unter surprise.ngo/ weihnachtsraetsel614 ein. Alternativ schicken Sie es zusammen mit Ihrer Post- und Email-Adresse an Surprise, Münzgasse 16, 4051 Basel (Betreff «Rätsel 614»). Tipp: Das gesuchte Wort kommt in einem der Texte dieser Ausgabe vor. Einsendeschluss ist der 10. Januar 2026. Wir wünschen viel Spass beim Rätseln und viel Glück!

Lösungswort eintragen: surprise.ngo/ weihnachtsraetsel614

Die Gewinner*innen werden ausgelost und schriftlich benachrichtigt. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Ihre Adressdaten werden nicht an Dritte weitergegeben und ausschliesslich von Surprise für Marketingzwecke verwendet.

Erdzeitalter früh. Narkosemittel unser Planet schro ansteigend nicht weit entfernt

Einfriedung Gehege

schubsen, schieben Filmlichtempfindlichkeit

Abk.: Numerus clausus Nähfaden Mz männl. Fürwort

Knabbergebäck Keimzelle

Vorn. v. Sängerin Piaf †

eingedickter Fruchtsaft USFilmtrophäe allesfressendes Nagetier

Verkaufshäuschen

bemannte Raumstation geometr Körper

Meerriese der nord. Sage weibl. Zauberwesen Mz. leicht knallendes Geräusch

lachsartiger Fisch

das Unsterbliche schweiz Urheberrechtsgesell.

Sitzstreik (engl., 2 W.)

Entwicklungsabschnitt

Vorn. v. Filmstar Sarandon

Form von körperl. Aktivität

Vorn. v. Leander † Fremdwortteil: entsprechend

Notizpapier

peinl. Verlegenheit engl.: einige

männl. Rind

Mönchsrepublik (Griech.) auf jeden Fall

Unbehagen

Reiter im zarist. Russland mehr als reichlich Spass, Scherz

Sichtschutz

Basler Honiggebäck engl. Pferderennbahn

dt Schauspieler (Mario) Radau, Lärm

schweiz Olympiasiegerin (Triathl.)

EUMünzen Vorn. v. Autor Gorki †

best Artikel (4. Fall) Spitzensportler (engl.)

unentschieden beim Schach ital. Tonbez. für das A

Lebensbeschreibungen Warengestell

Elternteil

PC-Hilfsmittel Mz Absperrung aus Stäben

Auktionspreise Abk.: Schweiz. Samariterbund

alte Bez. für Kantone poet.: Quelle

dt . Sängerin † 2002 (Hildeg.) zu den Akten: ad ... frz.: Köpfe jenes hier hohe Trumpfkarte (Jass)

Gerede Ursprungslabel erster Hohepriester (AT) engl.: rennen weil

Autokz Kanton Luzern getrock. Weinbeeren

Schicksal, Vorsehung

Tierkrankheit adlige Frau Schnellzug doppelgesichtiger röm. Gott

blamieren: sich in die ... setzen raetsel.ch

Nichts wie weg!

In meiner Kindheit war Weihnachten eine fragile Angelegenheit, die meist in irgendeiner Form von Streit endete. Was nicht allzu schwer vorauszusehen war, mochten sich doch die zu dieser Gelegenheit zusammenkommenden Menschen nicht besonders, angefangen bei meinen Eltern, die wiederum mit der Restverwandtschaft ein bestenfalls schwieriges Verhältnis pflegten. Nun gut, es gab Geschenke, und als Kind geht man davon aus, dass alles so ist, wie es sein muss. Doch jährlich wuchs das Unbehagen. Es begab sich aber zu der Zeit, dass eine Jugendbewegung durch das Land fegte und mich in ihren Bann zog. In deren erstem Jahr erschien ich durchnässt und lädiert zum Weihnachtsfest, da ich im Zuge einer Weihnachtsdemo um das geschlossene Autonome Jugendzentrum ordentlich mit Tränengas eingenebelt worden war und mich nur mittels Flucht durch die um diese Jahreszeit recht kühle Sihl der Verhaftung entziehen konnte.

Es folgten Radikalisierung, Schulabbruch, Auszug, die Ablehnung jeglicher bürgerlichen Sitten und Gebräuche, die veraltet waren und ohnehin bald von einer neuen Gesellschaftsordnung hinweggefegt würden. Spoiler Alert: Es kam anders. Ich wurde Mitglied einer Punkband; dass ich gespielt hätte, wäre zu viel gesagt. Der Gitarrist war ein begnadeter BullshitArtist, der zuvor einer Neonazigruppe angehört hatte, später noch Stalinist, Tennislehrer und schliesslich erfolgreicher Wellness-Guru werden sollte. Um den zwanzigsten Dezember herum berichtete er, dass zwei Zürcher Bands aus unserem Umfeld über die Feiertage in Holland mit einer Anarcho-Punkband auf Tour sein würden und uns die Gelegenheit böten, Weihnachten stilvoll zu ignorieren, indem wir ebenfalls nach Holland reisten.

Zugticktes für Jugendliche waren damals günstig beim Studentenreisedienst erhältlich, noch günstiger, wenn man einen falschen Namen an den Briefkasten im Nachbarhaus klebte, das Ticket dorthin bestellte und herausfischte, wie der Gitarrist, nennen wir ihn Tom, es machte. Ich kaufte meins regulär, meine kriminelle wie allgemein meine Energie war schon damals eher tief. Ebenfalls dabei war Bob, der auch anders heisst. Er spielte in einer Band, die nie auftreten konnte, weil immer jemand von der Besetzung nicht zum Konzert erschien.

Am Morgen des dreiundzwanzigsten bestiegen wir also den Zug, die Schaffner kontrollierten unsere Ausweise, ob wir wirklich unter achtzehn waren, verglichen die Namen nicht mit denen auf den Tickets, was den Schwindel meines Mitreisenden hätte auffliegen lassen. Wie man damals die Zeit im Zug totschlug, weiss ich nicht mehr, mit Rauchen wahrscheinlich. Vom Bahnhof gings mehr oder weniger direkt in das Konzertlokal, in dem an der Theke Haschisch gekauft werden konnte, was wir pflichtbewusst taten. Den Backstage-Bereich fanden wir nicht, aber weil wir an den Auftritten der mit mässigem Interesse verfolgten Schweizer Vorbands zuvorderst standen, wurden wir bemerkt und man fand sich.

«Was macht ihr denn hier?»

«Wir sind wegen euch gekommen.»

«Das ist ja toll, bleibt ihr länger in Amsterdam?»

«Das kommt drauf an.»

«Wo wohnt ihr denn?»

«Na, bei euch.»

«Ach so. Hm. Also wir sind alle bei der holländischen Band einquartiert, wir sind schon recht viele und nach den Weihnachtstagen geht die Tour weiter.»

«Kein Problem, wir kommen einfach mit.»

«Oh, ich weiss nicht, ob sie damit einverstanden sind.»

Doch Tom wäre kein Bullshit-Artist gewesen, wenn er es nicht irgendwie geschafft hätte, uns in das besetzte Haus zu bringen, das die Band bewohnte. Die damals schon munter voranschreitende Deindustrialisierung Europas versorgte die Subkultur mit leerstehenden Fabrikhallen, in denen Kulturzentren eingerichtet wurden. In diesem Fall mit einer dazugehörigen Besitzervilla, die einigen Platz bot. Allerdings lag sie ausserhalb der Stadt, in einem gottverlassenen Kaff.

Dass wir mit offenen Armen empfangen wurden, wäre zu viel gesagt, doch umfassten die ungeschriebenen Gesetze der Punk-Solidarität eben auch jenes der Gastfreundschaft gegenüber durchreisenden Taugenichtsen und Tagedieben, also wurden wir toleriert. Die Anarcho-Punkband und ihr Umfeld waren seriöse Menschen mit einer politischen Haltung. Sie ignorierten

uns geflissentlich, die Zürcher taten es ihnen gleich, mit Ausnahme des einen Gitarristen, der mit Tom in derselben WG lebte und auch eher am Unterschied zwischen altem und neuem Genever, dem nationalen Wacholderschnaps, interessiert war als am Diskurs über die Rolle disharmonischer Tonfolgen im revolutionären Kontext.

Bob, der eine durchaus attraktive düstere Verletzlichkeit ausstrahlte, wurde umgehend in ein Bett geschleppt, Tom schnappte sich einen anderen bequemen Schlafplatz, ich fand unter der Kellertreppe eine Matratze, die selbst von den Hunden gemieden wurde.

Zu essen gab es kaum etwas. Ausser von Bier ernährten wir uns von Toastbrot und Gouda-Käse, der mit einer Art Hobel abgeschabt wurde. Zwischen Brot und Käse kam eine Schicht Senf. Die Zutaten erstanden wir in einem weit entfernten kleinen Laden, was uns Gelegenheit bot, durch das Dorf zu latschen und den Leuten in die Häuser zu schauen. Die Holländer haben keine Vorhänge, ebenso wenig wie Kneipen oder Gaststätten, zumindest in diesem Dorf.

Wie wir es schafften, in den Tourbus zu gelangen, weiss ich nicht mehr, woran ich mich erinnere ist, dass es kalt war, saukalt. Die Konzerte fanden in oben erwähnten umgenutzten Industriegebäuden statt, die schlecht beheizbar waren und immer etwas abseits des Zentrums lagen. Während die Bands Soundcheck machten, irrten wir durch die Gegend auf der Suche nach Verpflegung.

Übernachtet wurde in den als Wohntrakt genutzten oberen Stockwerken, wo es nie besonders wohnlich war. Die holländische Band war sich diese Art von Tour gewohnt, sie absolvierte sie mit eiserner Disziplin, sie tut es bis zum heutigen Tage.

Eines der Konzerte fand in Eindhoven statt. Da wir halfen, die Anlage reinzuschleppen, wurden wir als Teil der Crew wahrgenommen und mit Getränkebons ausgestattet. Wie immer vom Hunger getrieben fragte ich lange vor dem Konzert an der Bar, ob es Sandwiches gäbe. Die gab es nicht, also bestellte ich das Grundnahrungsmittel Bier. Als ich der Person den Getränkebon entgegenstreckte, änderte sich ihr Ausdruck. Natürlich gäbe es etwas zu essen, wir sollten mitkommen.

Sie führte uns in ein oberes Stockwerk, wo ein für unsere Verhältnisse üppiges Buffet aufgebaut war: Toastbrot, Goudakäse, Senf! Sogar ein paar Radieschen gab es. Hocherfreut griffen wir zu, und als wir das halbe Buffet abgeräumt hatten, kam die holländische Band herein. Das Essen war für die Musiker*innen bestimmt gewesen. Da wir über dieselben Bons verfügten, war es zu einer Verwechslung gekommen. Wir machten, dass wir weiterkamen.

Nach den Konzerten waren alle verschwunden, das Zentrum schloss und der einzige Schlafplatz war der Bus, von dem wir wussten, wie er aufzukriegen war. Die Nacht war eisig, am nächsten Morgen erschien der Fahrer und informierte uns, dass auf der Weiterfahrt kein Platz mehr für uns sei. Ich trage es ihm nicht nach, ich würde mit Tom, Bob und meinem damaligen Ich keinen Wahlkreis, geschweige denn eine Unterkunft teilen wollen.

Irgendwie fanden wir den Bahnhof, bestiegen einen Zug, liessen an den Grenzen die obligaten Körperkontrollen über uns ergehen und kamen rechtzeitig zu irgendwelchen als Gegenveranstaltungen zu Neujahrsfeiern getarnten Neujahrsfeiern wieder in Zürich an. Erschöpft, hungrig, erkältet, ungewaschen und verkatert. Nicht, dass wir eine besonders gute Zeit gehabt hätten, aber etwas war nie aufgekommen: Weihnachtsstimmung. Ich hatte etwas gelernt.

Seither ignoriere ich die Feiertage, indem ich verreise. Allerdings an ruhige Orte mit Heizung und ausreichender Verpflegung, denn auch ich bin inzwischen weitgehendst verbürgerlicht. Ausser an Weihnachten.

STEPHAN PÖRTNER war seither nie mehr in den Niederlanden, nicht einmal an Ostern.

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Tony Oursler, Fantasmino , 2017, Collection of Tony Oursler, Image Courtesy of Tony Oursler.
Photo by Andrea Guermani

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