FOTO: DANIEL SPEHR
10 JAHRE ENGAGIERTE AUFKLÄRUNG Stadtführungen stehen meistens für Sightseeing und Tourismus. Unsere «Expert*innen der Strasse» machen daraus gesellschaftliche Bildungsarbeit.
Aktuell geben 13 Stadtführer*innen – drei weitere sind in Ausbildung – auf ihren Touren einen authentischen Einblick in ihr Leben, welches von Armut und sozialer Ausgrenzung geprägt ist. Anhand ihrer Biografien erzählen ehemalige obdachlose und armutserfahrene Personen über ihre Lebensbrüche, mangelnde Chancen in ihren Herkunftsfamilien und ihre vorgezeichneten Wege in die Armut. Sie berichten von ihrem Leben am Rand der Gesellschaft und zeigen, dass Not und Armut kein Einzelschicksal sind. Hierfür führen sie die Besuchergruppen in ihr öffentliches Wohn- und Esszimmer in den Tageshäusern und Gassenküchen oder erzählen von ihrer privaten Notschlafstelle unter Bäumen und Brücken. Und sie ermöglichen einen Einblick in die Arbeit von insgesamt rund 60 Organisationen, welche Betroffene unterstützen. Alle Stadtführer*innen kennen ein Leben in Einsamkeit mit Existenzängsten, Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, Sucht oder psychischen Erkrankungen. Gemeinsam haben die Stadtführer*innen eine Mission: Sie wollen auf ihren Touren Vorurteile abbauen und kämpfen für ihre Würde und Anerkennung. Sie sprechen für rund 1,2 Millionen Armutsbetroffene und -gefährdete in der Schweiz und machen Armut öffentlich – denn viele Betroffene ziehen sich zurück, die Scham macht sie unsichtbar.
Stimmen der Armut erstmals in der Schweiz Am Anfang stand eine Idee: Die vielen Verkäufer*innen des SurpriseMagazins waren bereits bekannt als Gesichter der Armut – neu sollten betroffene Personen auch zur Stimme der Armut werden. Nach intensiver Recherche und Planung starten im April 2013 die ersten Sozialen Stadtrundgänge der Schweiz mit drei Stadtführern in Basel. Erstmals stehen Betroffene als Experten für Armut und Ausgrenzung im Zentrum und geben den Besucher*innen einen hautnahen Einblick in ihre Lebensrealitäten – gemeinsam besuchen sie die Gassenküche, das Tageshaus für Obdachlose oder die private Notschlafstelle am Bahnhof.
2014 2013
Ein Rückblick auf zehn Jahre individuelle und intensive Sozialbegleitung zeigt: Positive Veränderungen sind möglich. Einen eigenen Lohn zu erwirtschaften, eine neue Wohnung oder unbürokratische Unterstützung im schwierigen Alltag sind die Voraussetzungen für neue Lebensperspektiven. Die eigene Biografie in eine Erzählung über Armut zu verpacken ist Arbeit an der eigenen Persönlichkeit – und ein therapeutischer Prozess. Während ihrer Ausbildung werden die Stadtführer*innen von Armutsbetroffenen zu Armutsexpert*innen. Grossartiger Start in Zürich
Seit dem Start vor zehn Jahren haben fast 130 000 Besucher*innen die aktuell 20 Touren besucht und konnten für die Hintergründe von Armut und die gesellschaftlichen Folgen sensibilisiert werden. Die Feedbacks zeigen, dass die Besucher*innen dankbar für den Perspektivenwechsel sind und die direkte Begegnung hilft, Gräben und Vorurteile zu überwinden. 20
Mit gleich sechs Stadtführer*innen und sieben neuen Touren startet das Sozialangebot in Zürich. Während ihrer rund einjährigen Ausbildung entwickelten die neuen «Expert*innen der Strasse» gemeinsam mit den Angebotsleitungen ihre persönlichen Tour-Texte und die Routen der Stadtführungen – immer entlang der individuellen Lebensgeschichte. Dadurch ist jeder Rundgang authentisch und setzt unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Surprise 561/23