Surprise 528/22

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«Bülach STADT» steht auf langen grünen Fahnen, falls jemand die Orientierung verloren hat und sich in einem Dorf oder einer anderen Stadt wähnt. Nur wer mit dem Auto kommt, sieht das Anschlagbrett für die Veranstaltungen und Vereine. Ein Papperlapapp-PapaSamstag findet statt. Freund*innen der Live-Musik können zwischen einem Fado-, einem Americana- und einem Klassikabend auswählen. Eine Woche später ist im Nachbardorf Flohmarkt. An den Tischen des Grossverteiler­ restaurants werden die Menüs eines nahegelegenen Imbissstandes verzehrt und per Selfie festgehalten. Die Vorbeigehenden wünschen guten Appetit, man kennt sich.

Tour de Suisse

Pörtner in Bülach Surprise-Standorte: Einkaufszentrum Sonnenhof Einwohner*innen: 22617 Sozialhilfequote in Prozent: 2,0 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 29,0 Auszeichnung: Bülach gilt wegen der zahlreichen Läden für nach­ haltigen und sozialverträglichen Konsum als «Fair Trade Town».

Der Bahnhof Bülach hat etwas Verworrenes. Er liegt zwischen den Geleisen, ­Strassen führen verkehrsgartenartig um Kurven und ziehen Kreise. Gefahren wird grundsätzlich schnell, die Velostation trägt den Namen «Reissverschluss», ­dahinter liegen verwunschene Gärten und eine Scheune, auf deren Wand Titel alter Comicmagazine gemalt sind. Ein verwittertes Bänklein zwischen Unter­ führungseinfahrt und Bahnhofsring bietet Aussicht auf einen Lindenbaum, eine Kirchturmspitze und einen Wohnblock. Ein durchaus reizvolles Arrangement. Der Weg zum Einkaufszentrum Sonnenhof führt vorbei an einem Restaurant ­namens Yin-Yang. Etwas gar gross und mächtig wirkt das Gebäude der Bank, ­deren Ruf gelitten hat in den letzten Monaten, ach was, Jahren. Sie bildet mit Surprise 528/22

­ etallbänken die Begrenzung eines M ­Einkaufszentrumsvorplatzes, der irgendwie fehlgeplant wirkt. Einzig ein kleines Kind mit einem Stoffelefanten unter dem Arm findet Gefallen daran und überquert ihn immer wieder auf nur ihm bekannten Wegen. «286 m2 Ladenfläche warten auf Ihre Idee», steht an der Fassade. Ideen gibt es wahrscheinlich genug, nur scheitern sie an der Wirtschaftlichkeit. Die Surprise-Verkäuferin sitzt am Eingang, warm eingepackt, am Morgen war es noch kühl. Die Einkaufswägelchen stehen unter einem gläsernen ­Giebeldach, am Velounterstand wurde ein Hakensystem montiert, das kon­ sequent ungenutzt bleibt. Ganz im Gegensatz zu den gegenüberliegenden Tischchen der Konditorei. Die Kirchenglocken läuten mitten am Nachmittag, eine ­Beerdigung wahrscheinlich.

Einer dieser neuen, mit kleinen breiten Reifen versehenen Elektroroller fährt über den Platz. Der junge Mann darauf ist sich sicher, dass es sich dabei um ein cooles Fahrzeug handelt. Das Werturteil der Gesellschaft steht indessen noch aus. Gut möglich, dass diese Fahrzeuge bald der Kategorie «affig» zugeteilt ­werden und in Vergessenheit geraten oder aber in jene der Dinge vorstossen, von denen wir uns fragen, wie wir ohne sie zurechtkamen. Letztes ist definitiv der Fall bei Rollkoffern, die von ebenfalls jungen Männern über das Pflaster ­gezogen werden und beträchtlichen Lärm verursachen. Allerdings haben sich diese aufgrund ihrer Funktionalität, nicht ihrer Ästhetik verbreitet. Vor dem Sonnenhof fahren die Postautos ins Umland. Das Geschäft zumachen musste Kleider Keller, während Brunner’s Bodywear weiter oben an der Bahnhofstrasse noch die Stellung hält.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist. 25


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