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Buch

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gangenheit, der Ballast, der Schmerz. Randvoll mit Erinnerungen, Tagebüchern und Zeichnungen. Aber mittendrin klafft eine gewaltige Leerstelle: Kein Wort findet sich darin über den Missbrauch. Diese Lücke wird Alice Schmid im Laufe des Films allmählich schliessen. Sie wird Worte finden für das schier Unaussprechliche. Im Koffer befindet sich auch ein Akkordeon, das Schmid einst von ihrem Vater geschenkt bekam. Es erzeugt einen ergreifenden Soundtrack, der sich tröstend über die Offenbarung der Vergangenheit legt.

«Ich wollte keinen Täterfilm machen, sondern mich ganz auf mein Erleben, meine Gefühle und Verletzungen konzentrieren. Auch wollte ich keinen didaktischen Film machen, wohl aber ein Teilhaben an meinem persönlichen Weg der Vergangenheitsbewältigung ermöglichen», sagt Alice Schmid, die nicht davor zurückscheut, auch für die erschütternden Folgen des Missbrauchs starke Bilder zu finden: Eine Fonduegabel rührt einsam in einem Caquelon und aus dem Off erzählt Schmid, wie gerne sie in der kalten Jahreszeit dieses Gericht essen würde, dies aber nicht gehe, weil ein Fondue gemacht sei für gemütliche Abende als Paar oder als Familie. Beides blieb ihr wegen dem Übergriff verwehrt.

Alice Schmid möchte andere Betroffene mit «Burning Memories» dazu ermutigen, eigene Rituale zu finden und Hemmungen abzulegen, um den Missbrauch und seine Folgen ebenfalls laut aussprechen zu können. «Ich möchte zeigen, wie befreiend es ist, endlich über diese Erlebnisse zu reden.» Diesem Ziel hat sich auch Schmids Kamerafrau, die Südafrikanerin Karin Slater, verschrieben. Unter der sengenden Wüstensonne ist es ihr gelungen, intensivste Momente der Erkenntnis und der Heilung einzufangen. Antilopen sind zu sehen. Schreckhafte Fluchttiere, ganz auf ihren Überlebensinstinkt zurückgeworfen. Und wenig später Alice Schmid, die neben einem einsamen Stoppschild in der Einöde steht, so als wollte sie sagen: «Schluss mit dem Davonlaufen, jetzt biete ich der Vergangenheit die Stirn!»

«Burning Memories», Regie: Alice Schmid, CH 2020, Schweiz, 80 Min. Läuft ab 28. Oktober im Kino Buch Gabriele von Arnims Bericht von Krankheit und Tod ihres Mannes ist ein Bekenntnis zum Leben und zur Liebe.

Nicht mehr gehen können, nicht mehr sprechen, schreiben, lesen, und doch im Inneren glasklar weiterdenken, ohne aber diese Gedanken mitteilen zu können, weil die wenigen Wörter, die noch gelingen, wie Knallerbsen herausplatzen, unverständliches Gebrabbel. Im eigenen Körper eingekerkert sein, abhängig sein über jede Schamgrenze hinaus. Wie lässt sich so etwas ertragen? Wie bewahrt man dabei seine Würde? Wie ist da noch Liebe möglich?

Gabriele von Arnim erzählt in «Das Leben ist ein vorübergehender Zustand» von solch einem Schicksalsschlag, der ihren Mann und damit nicht weniger sie selbst trifft. In der Jugend Hochleistungsathlet und zeitlebens sportlich aktiv, ist er nach dem ersten Schlaganfall halbseitig gelähmt. Nach dem zweiten, der sein Artikulationszentrum beschädigt, verliert ihr Mann, dessen Lebensinhalt die Mitteilung war, auch noch diese Fähigkeit.

Auf das Drama von Lungenentzündung, Embolie, Luftröhrenschnitt, Thrombose, einem wochenlangen Koma, der Ratlosigkeit der Ärzte und medizinischen Fehlentscheidungen in Klinik und Reha folgt eine zehn Jahre dauernde Leidenszeit. Eine ständige Gratwanderung zwischen Fürsorge und Übergriffigkeit, und die «schwierige und notwendige Übung» der Erzählerin, nicht nur den Kranken nicht zu vernachlässigen, sondern auch sich selbst. Das Privileg der Begüterten mit eigener Privatpflegerin und barrierefreier Wohnung erleichtert zwar manches, aber ändert doch nichts. Die Angst sitzt immer mit am Tisch. Und der alle Hoffnung raubende Satz «Als er krank wurde und krank blieb» zieht sich wie ein Refrain durch den zermürbenden Alltag. Ein Alltag, der zwar nicht ohne Schönes ist – wie etwa der Kreis der Vorlesenden –, aber in dem beide oft zu abgekämpft und mutlos sind, um das Schöne noch wahrzunehmen.

Erst einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes wagt es die Autorin, sich mithilfe ihrer Tagebücher an diese Zeit zu erinnern, sich dem Schmerz erneut zu stellen. Sie tut dies mit einer Offenheit und Ehrlichkeit, die nicht selten erschreckt, aber dem Leiden auch eine berührende Tiefe abgewinnt. Im Laufe des Erzählens wird dabei aus dem Bericht von Sterben und Tod und von der Einsamkeit danach ein Bekenntnis zum Leben und zur Liebe. Am Ende findet die Autorin zurück ins Leben und bewahrt sich ihre Liebe zu ihrem Mann, weil sie nicht mehr bei ihm in der Vergangenheit bleibt, sondern die Erinnerung an ihn in ihr wiedergewonnenes Leben mitnimmt. Davon zu lesen ist ermutigend. CHRISTOPHER ZIMMER

ZVG

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Gabriele von Armin: «Das Leben ist ein vorübergehender Zustand»

Rowohlt 2021 CHF 34.90