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Kino

Vergangenheitsbewältigung in der afrikanischen Wüste

Kino Mit dem Dokumentarfilm «Burning Memories» stellt sich Filmemacherin Alice Schmid dem Missbrauch in ihrer Jugend und will andere Betroffene dazu ermutigen, ebenfalls die Mauern des Schweigens zu durchbrechen.

TEXT MONIKA BETTSCHEN

Der Katzenschlaf war jahrzehntelang ein ständiger Begleiter der Schweizer Filmemacherin Alice Schmid. Will heissen: Ein erholsamer Tiefschlaf war für die Regisseurin von «Sag nein», «Das Mädchen vom Änziloch» oder «Die Kinder vom Napf» kaum möglich. Eine verborgene Kraft schien sie daran zu hindern. Wie bei einer Katze, deren Gehirn selbst im Schlaf auf Empfang ist, damit sie jederzeit bereit ist, die Flucht zu ergreifen. Verzweifelt suchte Alice Schmid verschiedenste Fachleute auf, doch die Schlafstörungen hielten sich hartnäckig.

Bis ein Museumsbesuch in Oslo vor einigen Jahren die Wende brachte, als sie das Gemälde «Die Pubertät» von Edvard Munch betrachtete. Das Bild zeigt ein nacktes Mädchen, das scheu die Hände vor dem Schoss verschränkt. Neben ihr erhebt sich ein Schatten. «Ich erkannte in diesem Moment, warum ich kaum Schlaf fand. Warum ich Schwierigkeiten hatte, eine Liebesbeziehung zu führen. Oder warum ich so oft aus der verletzlichen Kinderperspektive Filme und Bücher über Kinder als Opfer von Gewalt oder Missbrauch machte. Ich erkannte mich selbst in diesem Mädchen wieder, erinnerte mich, was mir ein Schwimmlehrer eines Nachts während einem Lager angetan hatte, als ich sechzehn Jahre jung war. Meine Psyche hatte dieses Trauma fünfzig Jahre lang verdrängt. Bis zum diesem Moment im Museum», sagt Alice Schmid. Wieder zurück aus Oslo keimte in ihr der Wunsch, ihre Geschichte und auch den Missbrauch in einem Film laut auszusprechen, damit das Trauma die Macht über sie verlieren würde. «Nach jener Nacht im Lager war ich verstummt. Eine Berufsberaterin empfahl ein Jahr in Belgien, wo ich in einem Internat für Mädchen aus dem Bürgerkrieg im Kongo landete.» Zuhause im Luzernischen hinterfragte niemand, warum die Tochter damals als anderer Mensch aus dem Schwimmlager zurückkam. Ihre Kindheit war bereits davor überschattet: von den Schlägen der Mutter und von deren Behauptung, das Mädchen habe ein schwarzes Herz. «Ausgerechnet die Kinder aus dem Kongo, die selbst traumatisiert waren, gaben mir meine Stimme zurück. Und sie weckten meine bis heute anhaltende Faszination für den Kontinent.» Alice Schmid drehte Jahre später unter anderem auch Filme über afrikanische Kindersoldaten.

Der grosse Koffer

Und Afrika ist in «Burning Memories» Hauptschauplatz und der Ort, wo sich die Befreiung von tiefsitzender Scham und von Schuldgefühlen vollzieht. Der Film ist eine Dokumentation, die sich im Stil eines Roadmovies Station für Station entfaltet. So sieht man Schmid, wie sie an einem Highway in Südafrika einen grossen Koffer hinter sich herzieht. Der Koffer, das ist die Ver-