Heiraten Zwei allein vor dem Altar Vera Balschun und Andreas Alt haben getan, was man für selbstverständlich halten könnte: Sie haben ihren Hochzeitstag als Paar genossen. Aber im Nachhinein stellte sich heraus, dass das eine Provokation war. Denn sie haben heimlich geheiratet. VON DIANA FREI (TEXT) UND LUC-FRANÇOIS GEORGI (BILDER)
Am Montag, 9. Mai 2011, lagen Vera Balschun und Andreas Alt auf ihrem Bett in einem Hotel im Bryce Canyon im Südwesten Utahs, USA. Draussen schneite es, das Wetter war garstig. Sie waren in der Mitte einer einmonatigen Amerikareise angelangt, beide hatten kurz vor Abreise noch ihren Job gewechselt, und jetzt: Endlich raus aus dem Alltagsstress. Am Mittwoch würden sie in Las Vegas ankommen, und während sie so dalagen, sagten sie: Las Vegas – wollen wir da gleich heiraten? «Und wenn wir schon niemandem sagen, dass wir heiraten, dann doch gleich am Freitag, dem 13. Das fanden wir lustig», sagt Vera Balschun-Alt. Es war eine spontane Entscheidung und die Heirat somit eine heimliche. Als sie in Zürich abflogen, hätten beide nicht damit gerechnet, dass der weitere Verlauf des USA-Trips zu Flitterwochen werden sollte. Drüben, in der Special Memory Wedding Chapel, wo die berühmten Elvis-Hochzeiten stattfinden, fast 10 000 Kilometer von den Verwandten und Freunden entfernt, hat sich Andreas Alt keine Gedanken darüber gemacht, wie die Eltern reagieren würden: «Das habe ich mich erst danach gefragt. Am Anfang war ich wirklich der Meinung, sie würden cool reagieren: ‹Ja mein Gott, Las Vegas – kultig!›» Ganz so kultig fanden es die Verwandten dann allerdings doch nicht, aber das begann Andreas Alt erst zu ahnen, als er auf der hiesigen Seite des grossen Teichs angekommen war. Zurück auf dem Boden der Realität. Polizisten als Trauzeugen Die Idee war spontan, aber die entscheidende Frage war längst gestellt. Er, 37, hat sie, 42, schon vor drei Jahren gefragt, ob sie seine Frau werden möchte. Sie hat «Ja» gesagt, und dann hat man das Thema vor sich hergeschoben. Das Wie stimmte nicht, das Wo nicht, und auf ein grosses Fest hatten sie auch keine Lust. In Las Vegas stimmten dann plötzlich die Rahmenbedingungen. «Die Distanz zur Familie, die man physisch hatte, die hatte man auch im Kopf. Drüben war einfach Euphorie da», sagt Vera Balschun-Alt. Möglich, dass es eine Flucht vor Konventionen war. Aber nicht alle, die heimlich heiraten wollen, setzen sich ins Ausland ab. So heuerten zwei Heiratswillige an einem Dienstagvormittag im Juni in der Zürcher Altstadt kurzerhand zwei Stadtpolizisten als Trauzeugen an, weil sie niemandem von der Hochzeit erzählen wollten. Diese Lösung ist durchaus legitim. Die Trauzeugen müssen volljährig sein, die Sprache der Trauung verstehen und lediglich bezeugen, dass die Eheleute «Ja» gesagt haben. Etwa 150 bis 200 von jährlich 2400 Trauungen fänden mit dem Brautpaar und zwei Trauzeugen allein statt, schätzt der Leiter des Zivilstandsamtes der Stadt Zürich, Roland Peterhans. Solange nicht gerade Polizisten als Trauzeugen auftauchen, ist es für den Zivilstandsbeamten aber schwer zu beurteilen, ob es sich um eine heimliche Hochzeit handelt: «Wenn eine Hochzeitsgesellschaft nur aus vier Leuten besteht, kann das alles heissen. Wir wissen nicht, ob das Paar vielleicht drei Ta-
ge später noch im grossen Rahmen kirchlich heiratet und die zivile Trauung einfach nicht so wichtig ist.» Heimlich zu heiraten, ist in der Schweiz erst seit dem Jahr 2000 möglich, da eine Ehevorbereitung bis dahin auf der Gemeinde ausgehängt werden musste. Ursprünglich zum Zweck, dass man Einspruch erheben konnte, wenn ein Ehehindernis vorlag. Solche Einsprüche fanden aber nie statt und waren sowieso hinfällig, da ein Hindernis von Amtes wegen festgestellt würde. Eine Hochzeit geht die Öffentlichkeit also seit elf Jahren offiziell nichts mehr an. Die beste Freundin, die den Anspruch hat, Trauzeugin zu sein, und die Eltern, die gerne ein bisschen einbezogen würden in Liebesglück und Zweisamkeit des Nachwuchses, gibt es aber natürlich noch immer. Andreas Alt findet: «Man befriedigt mit einer Feier schon auch die Eitelkeiten der Verwandtschaft. Jeder stellt sich eine grosse Hochzeit vor, spezielle Räumlichkeiten, spezielles Essen, spezielle Spiele. Ob das Brautpaar das alles so schön findet, sei dahingestellt.» Im Brautkleid durch die Spielhalle «Ich würde sagen, dass gut ein Drittel unserer Brautpaare zunächst ohne das Wissen der Familie und Freunde heiratet», sagt Petra Dörr, Wedding Director in Las Vegas, die die Hochzeit der Balschun-Alts organisiert hat. Sie ist Deutsche und begann vor neun Jahren, in Las Vegas Hochzeiten zu planen, Hochzeitspaare zu betreuen und die Zeremonien zu übersetzen. Unterdessen führt sie als «Minister», also als Standesbeamtin und Vertreterin der Kirchgemeinde zugleich, Hochzeiten durch. Vera Balschun wurde am Freitag, dem 13., frühmorgens im Hotel abgeholt, zum Coiffeur und zur Kosmetikerin gefahren und dann zurückgebracht, wo der Bräutigam schon im Smoking auf sie wartete. «In Smoking und Brautkleid liefen wir durch die Spielhalle des Hotels, und alle begannen uns da schon zu gratulieren», sagt Vera Balschun-Alt. Bei 40 Grad Celsius heiratete sie ihren jahrelangen Verlobten. Das Paar empfinde seine Verbindung als so speziell, dass es diesen Moment für sich haben wolle und nun hier allein vor dem Traualtar stehe, sagte die Ministerin in ihrer Rede. Vera Balschun: «Ich hätte nie gedacht, dass ich so nervös würde. Weil wir ja allein waren. Und ich hatte auch für einen kurzen Moment das Gefühl: Oje. Es wäre wahrscheinlich schöner gewesen, wenn wenigstens die Familie hätte dabei sein können.» Der Fotograf machte Hochzeitsfotos, wie man sie kennt: das Paar vor der Kapelle, in
«Man befriedigt mit einer Feier auch die Eitelkeiten der Verwandtschaft.»
SURPRISE 262/11
der Kapelle, das Brautkleid sitzt perfekt, die Special Memory Wedding Chapel sieht aus wie in einem Kleinmädchentraum. Nur sind die Bankreihen im Hintergrund leer. Andreas Alt: «Dass wir zwei das sehr intim gefeiert haben, fand ich befreiend. Wir waren locker, freudig.» Nach der Trauung gingen sie nach «Venedig» Mittag essen – ins amerikanische Themenhotel mit Canal Grande, auf dem die Gondoliere italienische Lieder singen. «Danach gab es Champagner in Paris, und wir sind noch ein bisschen durch die Stadt der Liebe spaziert. Das bietet
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