style in progress 4/2019 – Deutsche Ausgabe

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BERLIN

PREMIUM

1+1=11

Markt und Messen sind im Umbruch. style in progress hat Premium Chefin Anita Tillmann zu digitalen Formaten, Besucherfrequenz und dem Thema Nachhaltigkeit befragt. Interview: Kay Alexander Plonka. Foto: Boris Kralj

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urch die strategische Partnerschaft mit dem US-amerikanischen Wholesale-Netzwerk Joor hat die Premium Group nun auch eine digitale Plattform im Portfolio. Welche Vorteile bietet das den Besuchern und Ausstellern aus Europa? Mit Joor haben wir unser digitales Komplementär gefunden, um gemeinsam den Markt voranzutreiben und Brands und Einkäufern aus unserem Netzwerk den vereinfachten Eintritt in den US-Markt zu ermöglichen. Uns ist klar, dass nur Face-to-Face auf der Fläche die Brand-Identity vermittelt, verstanden und anschließend vom Handel entsprechend umgesetzt werden kann. Joor optimiert Orderabläufe und sorgt für Kosten- und Zeitersparnis. Key-Looks von der Messe können in der Onlineplattform eins zu eins gespiegelt werden. Nahezu alle großen internationalen Agenten nutzen die Plattform, wodurch unsere Aussteller die Möglichkeit haben, neue Märkte zu erschließen. Globale Netzwerke – online wie offline – waren nie wichtiger als während der momentanen gravierenden Markttransformation. Wie kann Berlin als Messestandort nach rückläufiger Besucherfrequenz wieder mehr Anziehungskraft auf nationale und internationale Einkäufer ausüben? Grundsätzlich ist das kein Berlin typisches Problem, ganz im Gegenteil. Anhand von zwei Beispielen kann man die rückläufige Besucherfrequenz ganz gut erläutern: Erstens ist das Umsatzvolumen heute auf insgesamt weniger Akteure im Retail verteilt. Das durchschnittliche Ordervolumen von Onlineplayern wie Zalando oder Net-A-Porter ist um ein Vielfaches höher, als das, was man früher mit vielen einzelnen Boutiquen und Stores erzielen konnte. Zweitens reisen die Einkaufsabteilungen der Departmentstores in viel kleineren Teams, um Kosten zu sparen. Zudem kann die Stadt Berlin im Vergleich zu anderen europäischen Messestandorten, wo in jeder Saison siebenstellige Beträge von der öffentlichen Hand zur Unterstützung bereitgestellt werden, nicht mithalten. Die Zugkraft wird nur über unsere Angebote und das Markenportfolio gesteigert. Wir als Messeveranstalter investieren jährlich sehr hohe Budgets ins Buyers Management. Dazu beschäftigen wir ganzjährig ein Team, das persönliche Kontakte zu den Einkäufern pflegt, auf- und ausbaut sowie Märkte und Sortimente analysiert und Stores besucht. Darüber hinaus ist die Mithilfe der Aussteller erforderlich, indem sie jeden Wunsch- und Bestandskunden aktiv einladen. Schwer nachvollziehbar ist nach wie vor, dass viele Händler ihr Verkaufspersonal immer noch nicht oder nicht mehr mit auf die Messen nehmen. Wie sollen denn Brandstorys auf den Flächen transportiert und über Marken, Macher oder Mode gesprochen werden, wenn Menschen nicht die Chance bekommen, das alles selber hautnah erleben zu dürfen? Marken und Messen geben sich Saison für Saison wirklich alle Mühe und wir bedauern sehr, dass der Handel diese Chance nicht im großen Stil nutzt, sein Personal zu schulen und zu motivieren. Das Nachhaltigkeitsbewusstsein hat sich rasant entwickelt. Von Primark bis Prada hat plötzlich jeder ein nachhaltiges Konzept. Wie muss verantwortungsbewusster Umgang mit Menschen und Ressourcen aussehen, wenn man es mit dem Thema Sustainability wirklich ernst meint? Jeder einzelne kann etwas tun, um unsere unmittelbare Welt positiv zu beeinflussen – vom Weglassen der Plastikverpa-

Marken live erleben, sich austauschen und vernetzen: Premium Gründerin Anita Tillmann sieht die Rolle einer Messe heute differenzierter.

ckung bis hin zur Reiseplanung. Der Stand der Dinge ist erschreckend. Es ist fünf nach zwölf. Jeder der sich objektiv informiert, muss handeln, so gut er kann. Das Thema Responsible und Sustainable Future und der Ruf der Jugend kommt uns allen zu Gute. FFF ist die größte Jugendbewegung seit Ende der 1960er-Jahre. Wir versuchen seit einigen Saisons Plastik zu vermeiden. Es werden nur nachhaltige Deko-Elemente verwendet. Darüber hinaus bieten wir Ausstellern die Möglichkeit, ihre Stände bis zur nächsten Saison einzulagern, um sie erneut verwenden zu können, auch wenn dadurch mehr Kosten für uns entstehen. Wir versuchen mit gutem Beispiel im Alltag voranzugehen, sowohl in unserem Office als auch auf den Messen. Angefangen hat das 2007 mit einer Green Area, wo wir Symposien und Think Tanks mit Gästen wie Kathrin Hamnett, Adriano Goldschmid, Francois Girbaud und der Politikerin Renate Künast veranstaltet haben. Unter der Schirmherrschaft von Pharell Williams haben wir 2013 gemeinsam mit Parley for the Oceans ein großes Forum organisiert, bei dem u. a. Bionic Yarn vorgestellt wurde, das danach bei G-Star und Adidas zum Einsatz kam. Unter dem Motto 1+1=11 connecten wir heute nicht nur Brands und Retailer, sondern auch die Brands untereinander. Wir fördern den Austausch, damit große und kleine Marken handlungsfähig sind. Dabei geht es um Themen wie Infrastruktur, Kontakte und Knowledge. Und neben neuen Marken präsentieren sich viele altbekannte Player wie Gant oder Liu Jo, die den Schritt hin zu mehr Sustainability gewagt und sich neu aufgestellt haben, indem sie innerhalb ihrer Strukturen viel geändert oder sogar schon vollständig umgestellt haben. Wir wollen immer mehr Marken in diese Richtung bewegen und deshalb ist es uns wichtig, viel Content zu dem Thema an den drei Messetagen anzubieten. Auf der Premium wird es wieder Think Tanks geben, bei denen schon letzte Saison Brands wie Ecoalf, Boyish Jeans oder auch Armedangels aktuelle Themen diskutiert haben. Auf der Seek haben wir mittlerweile über 80 Brands, die sich zu dem Thema sehr erfolgreich präsentieren, und die Zahl wächst. style in progress

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