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Zukunftsmusik in Blau

Weltweit geht alle 60 Sekunden eine Jeans über eine Ladentheke, jährlich werden rund zwei Milliarden Jeans verkauft. Der durchschnittliche Deutsche hat sieben Jeans im Schrank und trägt sie circa sechs Jahre. Wird die Blaue grüner, atmet die Welt auf – denn an zurückgelegten Kilometern und Ressourcenverbrauch gibt es kaum ein Kleidungsstück, das die Jeans übertrifft. Auch 2019 werden noch allerhand gefährliche Be- und Verarbeitungstechniken angewandt. Toxische, sogar krebserregende Chemikalien und Veredelungsschritte sind nicht nur in Billiglohnländern Teil der Jeansproduktion. Das wird, nein das muss sich ändern, finden style in progress Gesprächspartner zum Thema Denim. Text: Petrina Engelke, Isabel Faiss, Martina Müllner-Seybold, Kay Alexander Plonka, Nicoletta Schaper. Fotos: Marken

TOMMY JEANS NACHHALTIGKEITS- STRATEGIE

Für Frühjahr 2019 wurde die Tommy Jeanskollektion erstmals um Teile aus 100 Prozent recyceltem Denim erweitert. On Top kommen für die neue Herbstkollektion erstmals sogenannte Repurposed Styles hinzu, die zu 90 Prozent aus Lagerbeständen und Materialresten bestehen: Jeans, Rock, Cargo- und Trucker-Jackets. „Wir alle teilen die Verantwortung, Produkte bewusster herzustellen, um dazu beizutragen, die Ressourcen unserer Welt zu schonen“, sagt Daniel Grieder, CEO Tommy Hilfiger Global & PVH Europa. „In unserem Product Innovation Center in Amsterdam setzen wir neue Maßstäbe für die Herstellung von Denimstyles mit Techniken, die den Wasser-, Energie- und Chemikalienverbrauch um bis zu 70 Prozent senken können. Das Center ermöglicht uns auch, mit innovativen Gewebe- und Veredelungstechniken in Echtzeit zu experimentieren, ohne Muster hin- und herschicken zu müssen. Nur wenn wir diese wichtige Diskussion durch Transparenz und den Austausch bewährter Verfahren vorantreiben, können wir auch unsere Branche voranbringen.“

Tommy Hilfigers Product Innovation Center in Amsterdam.

MOS MOSH LASER STATT SANDSTRAHL

„ W ir sind stolze Mitglieder der Better Cotton Initiative und streben an, im ersten Jahr unserer Mitgliedschaft 70 Prozent unseres Baumwollverbrauchs aus nachhaltigem Anbau zu beziehen. Darüber hinaus wenden unsere Denimproduzenten neueste Technologien an, um den Verbrauch von Wasser und Chemikalien zu minimieren, beispielsweise erzeugen sie Vintage-Looks mit Lasertechnologie. Bei Mos Mosh verwenden wir nachhaltige Fasern wie Tencel und recycelte Materialien, beispielsweise aus Polyamid. Für unser NOS-Programm haben wir unsere Bestseller in ein zu 100 Prozent nachhaltiges Produkt umgewandelt.“ Kim Hyldahl,

Gründer und Creative Director Mos Mosh

Kim Hyldahl, Gründer und Creative Director Mos Mosh.

INCOTEX KOOPERATION MIT GIRBAUD

„ F uck Moonwash“, schrie François Girbaud kürzlich publikumswirksam auf einer Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit. Er fühle sich verantwortlich, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Gemeinsam mit der Slowear-Gruppe haben François und Marithé Girbaud die Kollektion Rockin the Fly ins Leben gerufen, ab 2020 im Handel. Roberto Compagno, Präsident und CEO von Incotex-Mutter Slowear: „Ein fortschrittliches Projekt, bei dem Innovation und gegenseitiger Austausch beider Experten im Fokus stehen.“ Das Resultat: 16 Teile in Denim mit KettStretch für maximale vertikale Elastizität und am Beinende kunstharzgebunden, um ein saumfreies Finish zu ermöglichen. Technische Textilien, die mit UV-Strahlen und Ultraschall behandelt wurden und nachhaltige und umweltfreundliche Waschungen, die keinen Behandlungen mit Chlor oder chemischen Mitteln ausgesetzt wurden.

ANARA HANFBLAU

Aus Hanf lassen sich hervorragend Jeans machen. Im Vergleich zu Baumwolle braucht Hanf beim Anbau nur ein Drittel der Wassermenge, bringt den doppelten Ertrag und wächst wie Unkraut: So dicht, dass Bauern auf das Giftspritzen verzichten können. Klingt perfekt, doch weil die Faser robuster als die weiche Baumwolle ist, würde einer reinen Hanfjeans die typische Haptik und Optik fehlen. Deshalb setzt Anara auf eine Mischung aus 54 Prozent Hanf, 44,5 Prozent Biobaumwolle und 1,5 Prozent Spandex. Die kanadisch-australische Marke will die herkömmliche Jeans durch etwas ersetzen, das nicht nur umwelt- und menschenfreundlicher in der Herstellung ist, sondern auch länger hält. So weist Anara auch auf den Slow-Fashion-Effekt ihrer Damen- und Herrenjeans hin: Hanfgewebe ist im Vergleich zu reiner Baumwolle langlebiger und muss dank seiner antibakteriellen Wirkung auch nicht so oft gewaschen werden.

Hanfjeanspioniere aus Australien: Anara.

MASKA WENIGER WASSER, WENIGER PESTIZIDE

„ W ir arbeiten mit Stoffen, die aus einer Mischung aus Hanf und Biobaumwolle bestehen und mit echtem Indigo gefärbt werden. Dieser besondere Denim besticht nicht nur durch seine Optik, sondern auch durch die lange Lebensdauer und ist dank seiner Ähnlichkeit mit Leinen im Sommer angenehm zu tragen. Hanf ist stark und langlebig, wächst schnell und benötigt wenig Wasser und Pestizide. In der Produktion vermeiden wir außerdem umweltbelastende Wasch- und Bleichverfahren und kämen nie auf die Idee, Sandstrahlverfahren für Distressed-Effekte einzusetzen. Solche Verfahren verkürzen die Lebensdauer der Produkte oft um viele Jahre. Recycelte Garne kommen für uns nicht in Frage, weil sie schlechter aussehen und nicht so lange halten – und weil die Qualität an erster Stelle steht, funktioniert das für uns nicht. Unserer Meinung nach sind sie für Heimtextilien geeignet, entsprechen aber nicht den Ansprüchen der Luxusmodeindustrie.“

LIU JO DENIM WEIST DEN WEG

Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit hat sich die italienische Fashionmarke Liu Jo zuerst die Jeans vorgenöpft: „Weil es das Produkt ist, das die DNA unserer Marke am besten verkörpert und das unsere Werte Weiblichkeit, Glamour und Qualität vereint. Aber natürlich auch, weil Jeans bei der Herstellung am meisten Umweltverschmutzung verursachen“, sagt Marco Marchi, Head of Style bei Liu Jo. „Unsere Serie Liu Jo Better Denim wird mit nachhaltigen Techniken hergestellt, überwiegend kommt Denim von unserem Partner Candiani zum Einsatz, die Chitosan verwenden, das ist ein natürliches Polymer aus dem Außenskelett von Krebstieren, das hundertprozentig biologisch abbaubar ist. Außerdem eine spezielle Färbetechnologie, die Candiani Indigo Juice nennt. Sie verhindert, dass das Indigo tief in die Faser eindringt und sie damit schädigt, trotzdem ist das Färbeergebnis brillant. Aber bei Jeans geht es nicht nur um Denim. Wir haben jedes Detail daraufhin untersucht, wie man es grüner machen kann, von den Labels bis zu den Knöpfen, sogar das Nähgarn und die Verpackung.“

Die grünere Jeanslinie Better Denim markiert für Marco Marchi, Head of Style bei Liu Jo, nur den Anfang. Die Erkenntnisse will man Schritt für Schritt auf die gesamte Kollektion anwenden.

Unplugged Denim nennt Five Fellas seine Jeans und will damit eine bewusste Antithese zu Massenpro- dukten sein. Natürlich zollt Gründer Oliver Schultz damit auch seinen Wurzeln als Musiker Tribut.

FIVE FELLAS HERZENSSACHE

„ F ür uns war Nachhaltigkeit von Anfang an Herzenssache, kein PRGag“, sagt Oliver Schultz, Gründer von Five Fellas. Denim von Candiani für alle Modelle, egal ob Fashion oder NOS, ist daher selbstverständlich. „Kern unserer Marke ist außerdem, dass Nachhaltigkeit nicht mehr kostet. Mit VK-Preisen zwischen 100 und 130 Euro bei einer 3,0er-Kalkulation liefern wir ein durch und durch ehrliches Produkt. Das schaffen wir, weil wir die Overhead-Kosten sparen. Statt in teure Apparate investieren wir lieber in Qualität.“ Diese Botschaft liefere Händlern „ein Kommunikationsargument, zu dem der Kunde eigentlich gar nicht nein sagen kann. Niemand sagt nein zu Nachhaltigkeit, niemand sagt nein zu Premiumqualität.“ Nach vielen Jahren Tätigkeit in Modehandel und auf Markenseite war Five Fellas für Oliver Schultz und seine Mitstreiter Ausdruck des Wunsches, es selbst besser zu machen. „Und zum Bessermachen gehört Nachhaltigkeit integral dazu.“

PEPE JEANS IN ALLER KONSEQUENZ

Tru-Blu nennt Pepe Jeans ein neues innovatives Projekt, bei der verschiedene Techniken und Verfahren zum Einsatz kommen, um Jeans nachhaltiger zu machen. Darunter Modelle, die hydrosulfitfrei gefärbt sind und bei denen der Chemikalieneinsatz und der Wasserverbrauch reduziert werden. Weitere Styles sind aus Biobaumwolle, aus Fasern auf Mais- oder Hanfbasis oder aus recycelten Fasern. Teil von Tru-Blu ist die Footwear-Capsule No.22. Die Sneaker sind mit Titandioxid beschichtet, mit dem Ziel, bis zu 80 Prozent der schädlichen Stickoxide zu eliminieren, die bei Einstrahlung von UV-Licht auf den Schuh entstehen.

Weniger Chemi- kalien, reduzierter Wasserverbrauch und alternative Fa- sern aus Hanf oder Mais: die Nachhal- tigkeitsformel von Pepe Jeans.

Über seine Nachhaltigkeitsbemühungen glaubte Alberto Candiani viele Jahre „mit einer Wand zu sprechen“. Jetzt ist das Interesse so groß wie nie.

CANDIANI DENIM „ZIRKULARITÄT IST DER RICHTIGE WEG“

Vor zehn Jahren wollte niemand recycelte Stoffe oder Denim aus Hanf

kaufen, wie sieht’s heute aus?

Alberto Candiani, Inhaber Candiani Denim: Jetzt bewegt sich was. Davor habe ich geglaubt, mit einer Wand zu sprechen, weil sich niemand für nachhaltige Innovationen interessiert hat. Das Thema ist momentan Nummer eins bei vielen Webern und Marken. Leider ist es allzu oft nur Storytelling im Marketing. Baumwolle ist eigentlich nicht das Problem, wenn sie rücksichtsvoll angebaut wird, weil 75 Prozent der angebauten Baumwolle mit Regenwasser auskommt und keine künstliche Bewässerung benötigt. Die Nachhaltigkeitswelle hat hier Informationen verzerrt, die klargestellt werden müssen.

Sie haben 2018 einen Stoff nur aus recycelten Fasern vorgestellt. Was ist das Besondere daran?

Wir haben ein Premiummaterial nur aus Abfällen mit Hilfe von Lening’s Refibra hergestellt. Es besteht zu gleichen Teilen aus Produktionsmüll sowie regeneriertem Lyocell. Der erste Denim, der nicht nur „grüner“, sondern auch besser ist als herkömmlicher. Deshalb haben wir den ITMA Sustainable Innovation Award gewonnen. Gefärbt wird der Stoff mit Indigo und Kitotex, das auf aus Krabbenschalen gewonnenem Chitosan basiert und ziemlich schädliche Chemikalien ersetzt. Dadurch wird Waschwasser eingespart und weniger verschmutzt.

Wie wird die Zukunft des Denimwebens aussehen?

Zirkularität ist der einzig richtige Weg. Re-do, re-cycle, re-use und re-think wird eine große Rolle in naher Zukunft einnehmen. Wir müssen neuen „Re“-Denim ohne Qualitätsverlust entwickeln und dabei unseren CO 2 -Ausstoß minimieren. Ich glaube an das regenerative Konzept, basierend auf natürlichen Fasern, die sich im Anschluss bestenfalls kompostieren lassen.

WUNDERWERK WENIGER WASSER

Wenn es um ressourcenschonende Denimproduktion geht, ist das Düsseldorfer Label Wunderwerk einer der Vorreiter. „Nur der Einsatz von Biobaumwolle reicht nicht aus, um nachhaltig zu sein. Faire Arbeitsbedingungen, der Verzicht auf giftige Substanzen zum Schutz von Mensch und Natur und eine energieeffiziente Produktionsweise sind ausschlaggebend für umweltverträgliche Produkte“, sagt Inhaber Heiko Wunder. Den ohnehin schon niedrigen Wasserverbrauch konnte er seit der Herbst-/Winter-Kollektion 2018 noch einmal deutlich verringern. „Alle Waschungen verbrauchen unter zehn Liter pro Hose. Das ist weniger als ein Zehntel im Vergleich zu konventioneller Herstellung. Jetzt kommen drei Modelle sogar mit nur 0,7 Liter aus“, erklärt Wunder. Viel wichtiger aber: Das Wasser wird nicht mehr verbraucht, sondern Dank der neuen Hightech-Wäscherei seines Produzenten aufbereitet und wiederverwendet. Dadurch bleibt es in einem geschlossen Kreislauf. Auf Chemikalien wie Chlor oder Kaliumpermanganat, die anschließend wieder mit viel Wasser ausgespült werden müssen, verzichtet man bei Wunderwerk von jeher. Statt Lasertechnik, die die Elasthanfasern schädigt und durch die die Ware ihren nötigen Rücksprung und Haltbarkeit verliert, werden Used Effekte mittels Sauerstoffbleiche (Ozon), mechanischer Handarbeit oder Stone-Wash erzielt.

Auf nur mehr 700 Milliliter Wasser pro Waschung und Hose schafft es Wunderwerk.

WRANGLER INDIGOOD – FÄRBEN OHNE WASSER

Wrangler hat den ersten schaumgefärbten Denim als Teil seiner neunteiligen Icons Kollektion auf den Markt gebracht. Diese trägt das Add-on Indigood. Im Fokus steht neben Wasser- und Energieeinsparung der Einsatz von bis zu 30 Prozent recycelter Baumwolle. Die Farbstoffe werden mit Hilfe von Schaum auf Garne übertragen, womit herkömmliche Wasserbehälter und chemische Bäder des Indigofärbens vollständig ersetzt werden. Abwasser wird somit nahezu vollständig vermieden. Im Vergleich zum herkömmlichen Färben wird für den Prozess des Foam-Dyed Denims rund 60 Prozent weniger Energie benötigt, außerdem werden rund 60 Prozent Abfall vermieden. Entwickelt wurde das Verfahren zusammen mit der Texas Tech University. In Wranglers Denimfabriken in Asien und Nordamerika soll die Technologie in größerem Stil zum Einsatz kommen.

Sus tain + Ability – Salvation Army I S L A U F E I S L A U F . R E I S L A U F L A U 2 SUSTAIN + ABILITY SALVATION ARMY FASHIONTECH ARMY Jetzt ist die Zeit des Handelns gekommen: nicht nur mit Mode, sondern auch für die Mode. Weiter wie bisher ist keine Option. Es gilt, jeden Schritt zu hinterfragen, jede Entscheidung auf ihre Umweltaspekte zu prüfen. Konsum und Wachstum in Einklang mit ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit, das sollte nicht länger eine Utopie bleiben. Dabei gilt: Der Weg ist das Ziel. Denn Nachhaltigkeit ist kein Status quo, sondern ein Prozess.

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