Evgenii Moshkov, Sergey Terekhin, Olga Litzenberger
Sergey Terekhin
Dr. Marco Just Quiles
ISBN 978-3-982563-83-1
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwertung ohne eine schriftliche Zustimmung des Verlags und der Autoren verstößt gegen das deutsche Urheberrechtsgesetz und ist strafbar. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung.
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Dieses Projekt wird gefördert durch
Stiftung
mit den Deutschen im Ausland
Heute stellen wir Ihnen die dritte Ausgabe der Schriftenreihe „Weltverbunden“ der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland vor. Mit dieser Publikationsreihe möchten wir Ihnen die deutschen Minderheiten und deutschsprachigen Gemeinschaften in aller Welt, ihre Geschichte, Kultur und Traditionen näherbringen. Die dritte Ausgabe von „Weltverbunden“ informiert über das Kulturerbe der Wolgadeutschen in Argentinien. Detailliert und mit viel anschaulichem Bildmaterial analysieren die Autoren im Stile eines Reiseberichtes, wie sich die Kulturartefakte der wolgadeutschen Einwanderung noch heute im Alltag der ehemaligen Siedlungsgebiete in der Provinz Entre Ríos manifestieren. Durch eine akribische Analyse der lokalen wolgadeutschen Architektur und den wolgadeutschen Kulturgütern werden faszinierenden Verflechtungen zwischen Ost und West sichtbar.
Die von der Stiftung Verbundenheit in Auftrag gegebene Studie wurde von den Autoren und Mitarbeitern des Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR), Prof. Dr. Olga Litzenberger und Prof. Dr. Sergey Terekhin verfasst. Für die Feldforschung in Argentinien konnte die Stiftung Verbundenheit ihr breites Kontaktnetzwerk zur Verfügung stellen. Wir danken den beiden Autoren und dem Geschäftsleiter des BKDR, Waldemar Eisenbraun, für die gute Zusammenarbeit.
Des Weiteren danken wir der Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, Frau Dr. Petra Loibl, MdL und dem Bayrischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales für die finanzielle Unterstützung für die Erstellung und Herausgabe der vorliegenden Studie. Wir wünschen ihnen eine interessante Lektüre mit für Sie neuen Informationen.
Hartmut Koschyk
Parlamentarischer Staatssekretär a.D., Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland
Dr. Marco Just Quiles
Stv. Geschäftsführer und Projektleiter Lateinamerika Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland
Prof. Dr. Olga Litzenberger Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Bayerisches Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR)
Prof. Dr. Sergey Terekhin Bauhistoriker
Bayerisches Kulturzentrum der Deutschen aus Russland
Sandstraße 20 A, 90443 Nürnberg
Tel.: +49911-89219599 I E-Mail: kontakt@bkdr.de I Web: www.bkdr.de
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▲ Los-Lapachos-Straße an einem Frühlingstag. Aldea Protestante. Foto: 2023.
Jedes Museumsexponat und jedes Gebäude sind Hüter des Kulturerbes. Jede Siedlung ist ein Freiluftmuseum. Der Name jeder Ortschaft und fast jedes Wort im lokalen Dialekt klingt wie Musik ... So ist es bei den Wolgadeutschen Argentiniens [aus den Notizen der Autoren]
Die Autoren dieser Arbeit erforschen schon seit einigen Jahrzehnten das deutsche Kulturerbe im Ausland. Archivquellen und Fachliteratur, ebenso die mit diesem umfassenden Thema und seinen Segmenten verbundenen Artefakte – Architektur, kirchliches Leben, Riten, Bräuche und Traditionen – sind uns wohl bekannt; auch ist uns das Operationsbesteck der sie darlegenden Begriffe und Bezeichnungen gut vertraut. Man könnte also den eingefahrenen Weg weiter beschreiten und sich mit jenen Aspekten und Fragen beschäftigen, die noch nicht gänzlich untersucht sind. Aber irgendetwas lässt dem Schreibtischgelehrten keine Ruhe: Immer öfter regen sich im Hinterkopf gewisse Gefühle und Annahmen und fügen sich zu einer neuen Sichtweise und Vorstellung zusammen – und damit zu einem neuen Narrativ.
Die gewohnte Wahrnehmung des Kulturerbes deutscher Aussiedler und das schon lange herausgebildete persönliche Verhältnis zu ihm, ebenso wie unsere wissenschaftlichen Prioritäten als auch unsere Pläne für die Praxis forderten eine Neuausrichtung. Bislang schien uns das die uns interessierende Bevölkerungsgruppe repräsentierende Material fast
unendlich zu sein: hunderte Fotografien und Dokumenten, tausende Kirchen und Bauernhäuser, zehntausende authentische Alltagsgegenstände der in alle Welt verstreuten deutschen Diaspora … Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Russischen Reich begründeten deutschen Kolonien waren die ersten Präzedenzfälle einer Übertragung der deutschen ethnischen Kultur in einen fremden Kulturraum. Ein Jahrhundert später bewiesen deutschen Kolonisten im Verlauf einer nun schon interkontinentalen Migration (nach Sibirien, Turkestan, nach Nord- und Südamerika) die Möglichkeit eines direkten, offensichtlichen und faktisch deformationsfreien Transfers ihrer Kultur, sowohl in ihrer materiellen (Architektur, Handwerk, Alltag) als auch geistigen (Sprache, Bräuche, Riten) Ausprägung. Die Kolonisten schufen in jedem ihrer neuen Siedlungsgebiete, in jeder weiteren endlos weiten und wilden Steppe (und davon gab es überall genug, sei es in den Schwarzerde-Gebieten Europas oder Kasachstans, in der nordamerikanischen Prärie oder der südamerikanischen Pampa) ihre eigene Welt. Gerade darin erwiesen sie unübertreffliche Stärke.
Doch heutzutage zeigt sich eine alarmierende Tendenz: Aufgrund verschiedenster Gründe schmilzt die deut sche Kulturschicht im Ausland in den für sie früher maßgeblichen Ländern und Regionen rasant dahin, sie zerfällt und hört auf, physisch zu existieren. Das Problem liegt nicht nur an der Herrenlosigkeit des in die Fremde geratenen Kulturguts oder dessen sporadischer Finanzierung nach dem Reste-Prinzip („Wenn im Haushalt noch was übrig ist”) – solche Umstände gab es immer und wird es immer geben (in Russland ist zum Beispiel alles Deutsche jetzt wieder „fremdländisch” und in der Ukraine stellt sich ernsthaft die Frage, ob von der deutschen materiellen Kultur überhaupt etwas erhalten bleibt). Und in Nordamerika? Zweifellos leben in den USA und in Kanada sehr viele Menschen mit deutschem „Migrationshintergrund”, deren Großväter und Urgroßväter dort Kirchen und landestypische Bauten errichtet und sich Haus und Hof aufgebaut hatten. Doch aufgrund der dortigen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsbesonderheiten wurde das materielle Erbe der Kategorie „nicht einzigartig, aber typisch” in Nordamerika – vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts – spürbar eingeebnet.
▲ Ziegelei. Aldea San Juan. Foto: 2023.
Doch gibt es ein neues Narrativ: Die Autoren waren im Herbst 2023 in Argentinien, in den zu Ende des 19. Jahrhunderts von Übersiedlern aus dem Wolgagebiet gegründeten deutschen Dörfern in der Provinz Entre Ríos. Wir fuhren hunderte von Kilometern durch die Steppe, gingen über alte Straßen, besuchten Kirchen, Museen und Wohnhäuser und inter viewten herzliche und gegenüber ihrer eigenen Geschichte nicht gleichgültige Menschen. Auf diese Weise konnten wir unsere wissenschaftlichen Hypothesen überprüfen und sie mit realen Beobachtungen aus der Feldforschung abgleichen.
Die erhaltenen Eindrücke erwiesen sich als derartig stark und wichtig, dass es unmöglich ist, sie kurz in ein oder zwei Sätzen zusammenzufassen. Dennoch folgt hier ein Versuch: Es ist nicht übertrieben, die deutschen Siedlungen in Entre Ríos als einzigartig zu bezeichnen. Sie sind weder wie Ausstellungsexponate herauspoliert noch musealisiert (wenn gleich es in vielen Siedlungen große Museen oder kleine Sammlungen gibt – was dort üblich ist und wiederum für sich selbst spricht). Das materielle Erbe stellt die natürliche Lebensumgebung dar: So sind nicht nur Haushaltsgegenstände oder einzelne Bauwerke erhalten geblieben, sondern auch große Abschnitte der ursprünglichen Planung, der spezifischen Bebauung und sogar ganze historische Siedlungen. Ihre Bewohner betreiben Landwirtschaft und Handwerk, sie sind regelmäßige Kirchgänger, sie ehren das Andenken der Verstorbenen und kümmern sich um ihre Friedhöfe, sie kennen und lieben ihre Traditionen und Feste, ihre Lieder und die deutsche Küche, sie lernen Deutsch in Schulen oder Vereinen und bewahren sogar den wolgadeutschen Dialekt. Die Träger dieser traditionellen Kultur führen ein gewöhnliches Leben in ihrem gewohnten Umfeld, sie kapseln sich nicht ab, aber sie vermischen sich auch nicht mit ihrer Umgebung, sondern betrachten sich (und dies schon in der fünften oder sechsten Generation) als Wolgadeutsche. Doch heißt das keineswegs, dass die Deutschen in Entre Ríos in der Vergangenheit verhaftet sind: Kenntnis und Verständnis ihrer Geschichte spenden ihnen in der Gegenwart Kraft und Optimismus.
Sie sind fleißig und auf gut Deutsch anständig, freundlich und verlässlich, sie lieben Ordnung und halten sich an die Regeln. Und man stelle sich vor: Wenn sie das Haus verlassen, schließen sie hinter
sich nicht ab! Darüber hinaus werden hier (das beste Beispiel ist San Juan) Ziegelsteine von Hand nach einer Technologie des 19. Jahrhunderts hergestellt! Unter Anwendung einer allgemein üblichen Klassifikation bieten wir dem Leser eine Übersicht über die verschiedenen (baulichen und historisch-kulturellen) Typen und (archäologische, historische und ethnografische) Klassen wolgadeutscher Kulturerbe-Objekte, die ihren Wert bis in die heutige Zeit bewahrt haben. In den in dieser Publikation gesammelten Skizzen beschäftigen wir uns mit Formen des materiellen Kulturerbes wie der historischen Siedlung, der historischen Kulturlandschaft, mit architektonisch spezifischen Bauwerken und religiösen Denkmälern, mit Friedhöfen, Museumsfonds und Sammlungen. Einzelne Absätze sind dabei dem nichtmateriellen Kulturerbe der Wolgadeutschen gewidmet: Hier geht es um Probleme des Erhalts von Sprache, Kultur und Identität. Forschungsarbeiten zur deutschen Geschichte und Kultur in Südamerika sind recht zahlreich, die Literatur ist sowohl thematisch als auch von den Genres her vielfältig. Bei der Konzeption dieser Publikation planten wir nicht, die von unseren Vorgängern geleistete Arbeit zu rekapitulieren oder zusammenzufassen. Wir bemühten uns, das Leben der Wolgadeutschen in Argentinien durch das Prisma eigener und mitunter subjektiver Eindrücke zu zeigen. Möglicherweise spricht dieser Ansatz breitere Leserkreise an und verschafft diesem einzigartigen Fragment des Weltkulturerbes einen größeren Bekanntheitsgrad. Wir hoffen, dass es uns in der vorliegenden kompakten Arbeit gelungen ist, wenigstens partiell unsere vielfältigen und erstaunlichen Reiseeindrücke von der Bekanntschaft mit dem Kulturerbe der Deutschen Argentiniens und den Gesprächen mit wundervollen Menschen zu vermitteln – jenen Menschen, die uns letztlich zu Erstellung dieser Arbeit inspiriert haben.
Leider können wir hier nicht die Namen all jener aufführen, die auf die eine oder andere Weise dazu beigetragen haben, dass unsere Bekanntschaft mit Argentinien nur die angenehmsten Eindrücke hinterließ. Wir sind allen Menschen dankbar, die uns auf der Reise begleiteten, wertvolle Informationen mit uns teilten und uns halfen, das Kulturerbe der Wolgadeutschen in der Provinz Entre Ríos näher kennenzulernen.
1.„Jenseits des Ozeans, am anderen Ende der Welt …“: Zur Frage der Gründung historischer Siedlungen
▲ Karte des Departements Diamante, Provinz Entre Rios, Argentinien, 1928. Fragment. Sammlung des Museums in Aldea Spatzenkutter.
Wiesen und Wälder von Paraná, Graslandschaften und bewaldete Savanne … erscheinen als neue Wolga mit Berg- und Wiesenseite [Jean-Pierre Blancpain]
Zugegeben, unsere Reisevorbereitungen waren von einer gewissen Skepsis überschattet: Hat sich dort wirklich etwas erhalten, das es wert ist, dafür über den Atlantischen Ozean ans andere Ende der Welt zu fliegen? Unser erster Anlaufpunkt war das in der Sonne wie dem Lächeln seiner Bewohner erstrahlende Dorf Aldea Protestante, das ein für alle Mal unsere Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung und der gewählten Reiseroute zerstreute. Hier verstanden wir erstmals, was der Begriff der „historischen Siedlung” bedeutet, in deren Grenzen sich die von uns gesuchten Kulturerbe-Objekte befinden. In der nächsten, nicht minder gastfreundlichen, ordentlichen und den besten Eindruck hinterlassenden Aldea namens Brasilera (einfühlsame Leser werden wohl gleich erraten, auf welchem Weg die ersten Kolonisten dorthin gekommen waren) machten wir uns Gedanken über die Gründe für Migration und den schwierigen Prozess der Gründung einer Kolonie. Deshalb möchten wir unseren geneigten Lesern zur Einführung einen kurzen Exkurs über die Entstehungsphase der historischen Siedlungen bieten, die alle zum Kulturerbe der Wolgadeutschen Argentiniens gehören.
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Das dritte Viertel des 19. Jahrhunderts war für die Russlanddeutschen eine Zeit neuer Herausforderungen. Eine Kombination aus gesellschaftspolitischen Gründen (die Abschaffung der Selbstverwaltung der Kolonien und der meisten Vorteile des Kolonistenstatus in den Jahren 1871–1874, die Russifizierung der Gesellschaft und die Zunahme antideutscher Stimmungen) und wirtschaftlichen Problemen (vorrangig die von Generation zu Generation zunehmende Landknappheit) veranlasste Kolonisten aus dem Wolgagebiet und anderen europäischen Regionen, sich im asiatischen Teil des
1.„Jenseits des Ozeans, am anderen Ende der Welt …“: Zur Frage der Gründung historischer Siedlungen
Reiches niederzulassen und, was noch einschneidender war, in die Länder der Neuen Welt auszuwandern. Eine der wichtigsten überseeischen Migrationsrouten führte nach Lateinamerika.
Die beiden größten lateinamerikanischen Staaten, Brasilien und Argentinien, litten nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Die Migranten trugen zum Aufbau verschiedener Wirtschaftszweige bei und erhielten im Gegenzug Rechtssicherheit, vielfältige Verdienstmöglichkeiten und eine große Auswahl an Land.
Zunächst gelangten Siedler aus dem Wolgagebiet nach Brasilien (die ersten 3.000 Einwanderer trafen bereits 1873 in der brasilianischen Stadt Porto Alegre ein). Viele von ihnen stießen jedoch auf Probleme. So war es für Nichtkatholiken schwierig, die brasilianische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Solche Ankömmlinge – vor allem Protestanten, die Schwierigkeiten hatten, in Brasilien Fuß zu fassen – zogen bald nach Argentinien weiter, wo neue Einwanderungsregeln die Niederlassung begünstigten. Denn zu dieser Zeit (1876) trat in Argentinien ein Einwanderungs- und Kolonisationsgesetz in Kraft, das nach dem damaligen Präsidenten benannt wurde: die „Ley Avellaneda“ [14]. Es wird vermutet, dass das Gesetz von Avellaneda selbst verfasst wurde, der seine Jura-Dissertation über staatlichen Grund und Boden geschrieben hatte. Ein wichtiges Kapitel des Gesetzes befasste sich mit der Neuaufteilung jener Landesteile, die durch europäische Siedler besiedelt werden sollten.
Doch die Siedler waren vorsichtig. Sie bemühten sich um genossenschaftlich verwaltetes Land in den Lücken zwischen den staatlichen Partidos und baten um die Erlaubnis, sich in der ihnen vertrauten Weise niederlassen zu dürfen. So schlossen Vertreter der Wolgadeutschen 1877 mit der argentinischen Regierung ein spezielles Abkommen (Convenio) über die Ansiedlung. Darin wurden die Bedingungen für die erste Gruppe von Kolonisten (200 Familien) im Detail vereinbart: der Personentransport vom Ankunftshafen zu den für die Ansiedlung vorgesehenen Orten, die Versorgung mit Baumaterial. Zitieren wir einige Passagen des Abkommens:
„Artikel 6: Die Regierung gewährt der Kolonie sechs Meilen Land … wann immer es möglich ist, das Land dort zu erhalten … nach Wahl der Interessenten.
Artikel 10: … Außerdem erhält jede Familie das nötige Holz für den Bau … mit Türen und Fenstern, wenn in ihrem gewählten Gebiet kein Holz vorhanden ist.
Artikel 13, 14: … Da gegenwärtig fünftausend [! – Aut.]
Einwanderer der gleichen Nationalität aus Europa kommen sollen, … erhalten auch sie bis zu vierhundert Hektar Land.“
Dieses Abkommen enthielt grundlegende Bestimmungen, die auch spätere Einwanderergruppen betrafen: Religionsfreiheit, Rechtsschutz und die Möglichkeit, das Land nach eigener Wahl mit Ratenzahlungen über zehn Jahre zu erwerben. Die erste Siedlung war Hinojo, sie wurde 1878 in der Provinz Buenos Aires gegründet. Bald entstanden
Gründerdenkmal. Aldea Brasilera. Foto: 2023.
Dutzende ähnlicher Siedlungen in verschiedenen Provinzen.
Innerhalb eines halben Jahrhunderts wanderten Tausende von Wolgadeutschen nach Argentinien aus. 1927 lebten dort mehr als 75.000 Russlanddeutsche, 1940 waren es 130.000 und heute leben mehr als 800.000 Nachkommen von Wolgadeutschen im Land. [St. Sauveur, S. 31]. Da es keine einheitliche Klassifizierung gibt, ist die Zählung der Siedlungen komplizierter. Hier wird folgendes zweistufiges Kategorisierungsschema verwendet: Die erste Ebene bilden die Aldeas (kleine Siedlungen, Kleindörfer), die als modulare Einheiten konzipiert
waren, die sich im Laufe ihrer Entwicklung zu einer Kolonie – einer größeren Siedlung der nächsten Ebene mit einem einzigen Zentrum – zusammenschließen konnten. Daneben gab und gibt es sehr kleine Siedlungen unterschiedlicher Art bis hin zu Einzelhofsiedlungen, was die statistische Berechnung zusätzlich erschwert.
Die wolgadeutsche Besiedlung des von uns besuchten Gebietes zwischen den Flüssen Paraná und Uruguay begann 1878 mit der Gründung der ehemaligen Kolonie Partido General Alvear. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden bis zu 40 neue Ortschaften auf einem Gebiet von nicht mehr als 230 bis 250 km Durchmesser gegründet und durch Wolgadeutsche besiedelt [Graefe, S. 269]. Die neugegründeten Siedlungen unterschieden sich nicht nur durch die Umstände und Zeitpunkte ihrer Anlage, sondern auch in ihrer Fläche und Einwohnerzahl. Die typische wolgadeutsche katholische Siedlung Santa Anita, die aufgrund der Initiative von Padre Enrique Becher im Jahr 1900 auf Pachtland entstand, wird so beschrieben: „Zuerst bildete man ein Zentrum von zwei Hektar Größe als Kirchen- und Schulplatz. Daran schlossen sich die Gehöfte der Kolonisten an, je einen halben Hektar groß … In der Nähe der Kolonie Santa Anita siedelten sich im Laufe der Jahre viele Russlanddeutsche an. Beträgt die Zahl der Dorfbewohner 1.600, so hat die Pfarre … zehnmal so viele Seelen.“ [Graefe, S. 29]. Aktuell zählt das gepflegte und gemütliche Santa Anita, das sich uns als eine der größeren Siedlungen städtischen Typs präsentierte, 1.200 Einwohner. Wir hatten das Glück, einige von ihnen kennenlernen und dort einen unvergesslichen Tag verbringen zu dürfen.
▲ Ansiedlungsgebiete der Wolgadeutschen in Brasilien und Argentinien. Grafik: 2020. |
2 . Von der Dorfplanung zum Konzept der Kulturlandschaften
Panoramablick auf Aldea Salto. Foto / Grafik: 2023.
Der in der vorstehenden Art geteilte Abschnitt wird als Partido bezeichnet … [La Ley de Inmigración y Colonización Nº 817, Segunda parte, Capítulo II, § 71]
Der lateinische Begriff „genius loci” („Geist des Ortes”) eignet sich ideal zur Beschreibung der einzigartigen Atmosphäre und des authentischen Erscheinungsbilds der historischen Kulturlandschaft der wolgadeutschen Kolonien in Argentinien (als Beispiel seien die malerischen Landschaften um die am Fluss Paraná liegenden Siedlungen genannt) Der genius loci von Entre Ríos ist das Resultat einer erstaunlich harmonischen gegenseitigen Reflexion der natürlichen und der kulturellen Landschaft: Die Grenzen und Unterschiede zwischen ihnen verlieren sich und der „genius” scheint sich förmlich zu materialisieren. Die von uns in diesem Abschnitt gesehenen und beschriebenen, für Russlanddeutsche charakteristischen Siedlungskomplexe und die Besonderheiten ihrer Ortswahl, Planung und Bebauung sind bleibende Träger des historischen Gedächtnisses und werden als räumliche Projektion der wolgadeutschen Kultur wahrgenommen.
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Das als Raute bezeichnete Zeichen # ist heute wohlbekannt. Das gleiche Symbol wurde, als „Doppelkreuz” bezeichnet, schon auf mittelalterlichen Karten verwendet und bedeutete buchstäblich „ein Dorf und acht Felder rundum”. Als Metapher passt es recht gut zu unserem Thema, denn das kar tografische Zeichen verkörpert ein für viele deutsche Dörfer im Ausland typisches Planungsschema: Das Doppelkreuz wurde an den Himmelsrichtungen ausgerichtet, in seiner Mitte befand sich ein Platz mit der Kirche: Die rechtwinklig aufeinander treffenden Straßen führen in allen Himmelsrichtungen aus dem Dorf, sei es auf die Felder, in andere Ortschaften oder in noch nicht erschlossenes Steppenland und damit zu kommenden Generationen … Wenn wir nochmals den Text der „Ley Avellaneda“ [La Ley de Inmigración y Colonización, Nº 817 de 1876] betrachten, so ist der Klarheit und Lakonik ihrer Paragraphen Anerkennung zu zollen, da in diesen eine schlanke, logische und umfassende Konzeption erstellt wird. Das Gesetz umfasste die Auskundschaftung und Aufteilung des für die Urbarmachung geeigneten Landes wie auch die Gründung
2. Von der Dorfplanung zum Konzept der Kulturlandschaften
der Ansiedlungen. Als Grundprinzip gibt es den Partido als modulare Territorialeinheit im Maß von 20 auf 20 Kilometern vor, wobei dieser in 400 gleichgroße Parzellen (Lote) von 1 Quadratkilometer Größe – also einer Fläche von 100 Hektar – aufgeteilt ist. 4 Lotes im geometrischen Zentrum des Moduls waren für das Pueblo („Städtchen” – faktisch der zentrale Teil der Siedlung (Kolonie), wo in einigen Vierteln dichte Bebauung städtischen Typs vorherrscht) reserviert, 76 Randparzellen mit Ackerland trugen die Bezeichnung Ejido. Die übrigen 320 Lotes waren zum Verkauf bestimmt. Jeder Einwanderer konnte dort mit zehnjähriger Ratenzahlung Land im Umfang von ¼ bis 2 Lote (25–200 ha) zur landwirtschaftlichen Nutzung sowie ein Solar genanntes Grundstück (üblicherweise 50 auf 50 Meter = ¼ ha) in den Pueblo-Vierteln erwerben. Im Gesetz
▲ Die modulare Einheit „Partido“ und ihr zentraler Teil „Pueblo“. Grafik: 2020.
▲ Kolonistenversammlung in San Bonifacio, Entre Ríos [Riffel].
war die Straßen- und Wegeführung detailliert vorgegeben, ebenso die Anlage des „Zentrums” (ebenfalls nach dem Prinzip der proportionalen Aufteilung oder der Zusammenlegung von Parzellen). Es wurde davon ausgegangen, dass die Bevölkerung eines Partido etwa 7.000 bis 8.000 Menschen beträgt, von denen das bedingt urbane Pueblo etwa 4.00 0 bis 5.000 beherbergt.
Das Partido ist eine Variante einer harmonisch angelegten „Idealstadt”. Aber auch der praktische Nutzen eines solchen Mega-Rasters als Erschließungsmethode für Brachland ist über alle Zweifel erhaben. Denn zwischen den Zeilen des Gesetzes ist das Hauptinteresse des Staates deutlich herauszulesen: Es geht um die Verwaltungsfreundlichkeit eines in klar kategorisierten konzentrischen Ringen oder Gürteln von einem Zentrum ausgehenden
2 . Von der Dorfplanung zum Konzept der Kulturlandschaften
▲ Siedlung nach klassischem Muster. Gegenwärtiger Zustand. Aldea Valle Maria. Grafik: 2024.
Territoriums. Der Staat sagte sich in etwa: „Jedes Quadrat soll einen an ihm interessierten Besitzer haben, nur dann werden die Grundstücke bestellt, gepflegt und die Steuern bezahlt.”
Die Kampagne zur Vermessung, Verteilung und Besiedlung des riesigen brachliegenden Staatslands wurde nicht in vollem Umfang verwirklicht. Und hätte man dies überhaupt bewerkstelligen können? Im Prinzip schon: In einer Reihe Provinzen – zu denen auch Entre Ríos gehört – wurden hunderte Quadratkilometer in Quadrate aufgeteilt. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man einen Blick auf eine gewöhnliche Google-Karte dieser Gegend wirft. Argentinien steht mit dieser Erfahrung allerdings nicht allein: Überaus ähnliche Gesetzeswerke (Homestead Act, USA, 1862 und Dominion Lands Act, Kanada, 1872) und Planungs- und Besiedlungsmodelle kamen fast zeitgleich in den nordamerikanischen Staaten auf, wo man ebenfalls auf Immigranten als die zur Erschließung riesiger Graslandschaften am besten geeignete Kraft setzte. Für einen Teil der aus Russland umsiedelnden Kolonisten war diese Siedlungsform zudem verständlich und vertraut, da sie sie an ihre früheren Dörfer an der Wolga erinnerte, die ebenfalls aus Dutzenden, wenn nicht hunderten quadratischer Sektoren bestanden: „Die von der Wiesenseite kommenden Marientaler ergriffen die Initiative und begannen mit dem Bau ihres eigenen Dorfes nach dem Vorbild der fernen Wolga” (Aldea Valle María, 1878) [Vitalone, S. 29]. Faktisch war dies eine „Kolonie klassischen Musters” mit klaren Grenzen, einem geometrisch angelegten Straßen- und Wegenetz sowie modularen Blöcken aus Vierteln und Parzellen. Dieses Muster geht geschichtlich auf die Zeiten des Römischen Reichs zurück und wurde im Verlauf der Jahrhunderte öfter als alle anderen bei verschiedensten Kolonisationsprojekten angewandt. Von den deutschen Dörfern in Entre Ríos sind neben Aldea Valle María auf diese Weise auch Aldea Brasilera, Aldea Protestante, Santa Anita und Aldea Spatzenkutter angelegt.
Ein anderer Teil der Einwanderer bemühte sich jedoch mit allen Mitteln, nichtstaatliches Land (mit der
2 . Von der Dorfplanung zum Konzept der Kulturlandschaften
Möglichkeit zur autonomen Verwaltung) zu finden –im Besitz von Kommunen oder großen Unternehmen, beispielsweise Eisenbahngesellschaften – und bat um Erlaubnis, sich dort auf die für sie gewohnte Weise niederlassen zu können: Es kam sogar vor, dass das von den örtlichen Behörden vorgeschlagene monozentrische Planungsschema von den Einwanderern als „Symbol der spanisch-amerikanischen
Machtstruktur” abgelehnt wurde. In diesen Fällen bestanden die Kolonisten auf ihrer Wahl eines linearen Planungsschemas und waren sogar bereit, vorab Grenzziehung und Detailplanung selbst zu übernehmen.
Linear angelegte Dörfer sind in Ansiedlungsarealen auch keine Seltenheit. Normalerweise erstrecken sie sich entlang eines Flussufers oder der Kante eines großen Taleinschnitts. Doch noch öfter „wuchs” die einzige Straße des Dorfes eine Landstraße entlang und erreichte mit der Zeit die Länge
▲ Dorfstraße. Aldea San Juan. Foto: 2023.
einiger Kilometer. Beispiele dafür haben wir ebenfalls in Entre Ríos gesehen: Aldea San Francisco, Aldea Salto, San Juan und Santa Celia. Im Deutschen gibt es für Siedlungen dieses Typs den Begriff „Straßendorf”. Es sind Fälle bekannt, in denen derartige benachbarte Siedlungen zusammenwuchsen, womit die Landkarte eines ganzen Gebietsabschnitts Ähnlichkeit mit einem im Wind zitternden Spinnennetz bekommt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand eine neue Variante dieses Siedlungstyps: Dörfer, die
sich entlang von im Bau befindlichen Bahnlinien erstrecken. Und noch ein weiterer Typ muss erwähnt werden, der in absoluten Zahlen recht häufig auftritt und zugleich funktional sehr vielfältig ist: Gemeint sind Gutshöfe, Gehöfte, Landsitze, Farmen, Haciendas usw. Hier gilt als Grundsatz, dass dies ein Ort ist, an dem nur eine Familie oder Sippe wohnt und wirtschaftet.
3.Architektur und materielle Milieus: Typisches und Einzigartiges
▲ Straßenabschnitt. Urdinarrain. Foto: 2023.
Nun mussten sie ein neues Haus errichten. Es war schwer, aber sie haben es aus ihrer Erinnerung aufgebaut [Aus den Notizen der Autoren]
Als wir vor unserer Argentinienreise alte Schwarzweiß-Fotos und Landkarten studierten, stellten wir uns immer wieder die gleiche Frage: Haben sich in den Siedlungen wohl authentische und für die Wolgadeutschen typische Bauten erhalten? Oder erwarten uns nur ein paar frisch gestrichene Kirchen und dazu vielleicht noch ein nach Postkartenvorlage zum Denkmal herausgeputztes Lebkuchenhaus? Schon an der ersten Station unserer Reiseroute, in Aldea Protestante, zerstreuten sich diese Zweifel: Zwei Hauptstraßen und einige Nebenstraßen erwarteten uns mit Dutzenden echter und eindeutig historischer Häuser. Sicher, nur einige von ihnen waren halbwegs gut erhalten, andere schon sichtbar verfallen oder taktlos renoviert worden. Aber eine solche Dichte und Gesamtheit an historischem Baubestand wie in Entre Ríos lässt sich in anderen „Einwanderungsgebieten” heutzutage wohl kaum mehr finden.
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Noch vor der Reise wollten wir ein interessantes und markantes Haus anhand eines vor einem Vierteljahrhundert in dieser Gegend aufgenommenen Fotos identifizieren. Eine entsprechende Bitte ging an argentinische Kollegen, die mit der Geschichte ihres Landes und seiner Denkmäler gut vertraut sind. Eine Antwort kam schnell: „Wir können vermutlich nicht sagen, was das für ein Gebäude ist und wo es sich befindet. Straßen mit solchen Häusern gibt es hier viele, es ist absolut typisch.” Damals dachten wir uns: „Schon klar, die Leute haben anderes zu tun. Sie haben uns eine Abfuhr gegeben, sei’s drum.” Diese Episode kam uns einige Male auf den Straßen verschiedener Dörfer und Städtchen in Entre Ríos in den Sinn –mit einer gehörigen Portion Selbsttadel für unser Misstrauen gegenüber den Kollegen.
In der Tat stößt man dort recht oft auf derartige Bauten: einstöckige, gering ausgeschmückte Wohnhäuser aus rotem Ziegelstein verschiedener Schattierungen (bemerkenswert ist, dass es in der Region kaum Holzhäuser gibt). Sie können als typisch für die Siedlerarchitektur gelten, wobei es einige planerische Lösungen, Bautechnologien und Schmuckelemente gibt, die auf eine direkte Verwandtschaft mit ihren Prototypen aus der Wolgaregion hinweisen. So fallen z.B. die Holzschnitzereien (Plattenbänder, Trauflatten) oder die charakteristischen Gauben (Lukarnen) an den Flanken des Firstes des Walmdaches sofort ins Auge. Seltener (und eher in Kleinstädten) finden sich einoder zweistöckige Varianten dieses Typs mit verputzten Fassaden und zahlreichen neobarocken
3.Architektur und materielle Milieus: Typisches und Einzigartiges
Schmuckelementen. Diese professionellere Variante zeugt vom Einfluss europäischer (in diesem Falle: spanischer) Vorbilder auf die architektonische Ästhetik der ganzen Region (dies ist der sogenannte Kolonialstil – wobei der Begriff „Kolonie” hier eine andere Bedeutung hat). Es sei darauf hingewiesen, dass die vorgenannten Bauten sich oft von der Straße „abwenden”: An der Hauptfassade finden sich nur die notwendigsten Fenster, der Zugang erfolgt über den Hof. Man sagte uns, dass dies aus Sicherheitsüberlegungen gemacht wurde, doch scheint der Grund eher in den Klimabedingungen zu liegen: Schutz vor Straßenstaub und der glühenden Sonne ist hier in der Tat äußerst wichtig. Das bestätigen auch die Vordächer entlang der Hoffassade, in deren Schatten die Eingänge liegen. Wenn man zudem eine Vorstellung vom Lebenswandel und der Art der Tätigkeit der Bewohner hat, so kann man auch ihre wesentlichen und optimalen Bewegungsvektoren modellieren. Da alle Wirtschaftsbauten im Innern
3.Architektur und materielle Milieus: Typisches und Einzigartiges
des Grundstücks um den Hof lagen, wäre es schlichtweg unpraktisch, wenn man jedes Mal auf die Straße hinaustreten und um das Haus herumgehen müsste, um in den Hof zu gelangen. Viele planerische, funktionale und bauliche Merkmale der Siedlerarchitektur sind der schlichten und nachvollziehbaren Alltagslogik der Kolonisten entwachsen. In dieser Reihe sind neben den Hofgalerien die überwiegend vorkommenden sanft geneigten Pultdächer zu nennen (ein solches Dach würde wahrscheinlich keinen schneereichen Winter in der Wolgaregion überstehen) sowie die Lamellenfensterläden aus Holz oder Metall an der absoluten Mehrheit der Fenster.
Ein direkter Vergleich der Wolgakolonien mit den deutsch-argentinischen Aldeas ist nicht in jeder Hinsicht möglich, da ihre Gründungsdaten mehr als ein Jahrhundert auseinander liegen. Vor allem die Vorstellungen und Gestaltungsnormen haben sich in dieser Zeit stark verändert. Lokale Verwaltungsvorschriften zur Siedlungsplanung, die den klimatischen Besonderheiten Rechnung trugen, haben beispielsweise die Dorfstraßen beeinflusst: Fahrbahn und Bürgersteige sind hier deutlich breiter als an der Wolga und durch einen Graben
Lukarnen. Aldea Protestante, Aldea San Juan. Fotos: 2023.
(genauer: einen Entwässerungsgraben, der in der Regenzeit Wasser sammelt) getrennt. Vor jedem Haus führt ein kleiner Steg über den Graben. Entlang der Bürgersteige steht meist eine Reihe von Bäumen, die die Vorgärten und die Häuser selbst beschatten – und zudem den Straßen schöne Namen verleihen wie „Los Lapachos“ oder „Las Catalpas“. Wir haben zwar keine angetroffen, aber wahrscheinlich gibt es auch „Las Palmas“ … Noch ein weiterer markanter Gebäudetyp verdient Erwähnung: Eckhäuser an Straßenkreuzungen. Für sie ist eine Kombination der Wohnfunktion mit einer anderen Funktion charakteristisch, zum Beispiel dem Handel. Als Merkmal haben sie eine abgeschrägte und durch ein Eingangsportal markante Ecke.
Zusammenfassend sei gesagt, dass die Baupraxis der deutschen Kolonisten in den argentinischen Aldeas ein Phänomen ist, das eindeutig mit den aus den Wolga-Kolonien mitgebrachten Erfahrungen und Traditionen verbunden ist. Umso
▲ Gestaltungsdetails: Entwässerungsgraben, Rasenflächen. Aldea San Juan. Fotos: 2023.
3.Architektur und materielle Milieus: Typisches und Einzigartiges
interessanter ist es, Unterschiede festzustellen und Erklärungen für Ausprägungen zu finden, die während der Übersiedlung und im Verlauf der Adaption an die klimatischen Bedingungen, die Baukultur und die Stilmuster der neuen Region erworben wurden.
In diesem Abschnitt haben wir die Charakteristika des sogenannten Massenwohnungsbaus anhand der Wohnviertel in Dörfern und Kleinstädten gezeigt. Aber es gibt auch andere interessante Gebäudetypen, wie Schulen und natürlich Kirchen, die den Ausgangspunkt jeder Siedlung bilden und im nächsten Abschnitt des Albums dargestellt werden.
▲ Bäuerlicher Hof und Eingangsbereich. Aldea Protestante. Foto: 2023.
4. Deutsche Kirchen –Schmuckstücke des religiösen Erbes
▲ Katholische Kirche der Unbefleckten Empfängnis Mariä (1886, Anbau des Glockenturms 1971). Aldea Valle Maria. Fotos: 2023.
Die deutschen Kirchen Argentiniens sind nicht nur Objekte des Kulturerbes, sondern auch wichtiger Bestandteil des Bildungstourismus auf den geschichtlichen und traditionellen Spuren der Wolgadeutschen. Wenn wir uns auf den Weg in eine uns neue Siedlung machten, so fragten wir immer gründlich nach der genauen Adresse oder sogar den Koordinaten des Treffpunkts, bekamen aber in den meisten Fällen die einfache Antwort: „Treffen wir uns vor der Kirche.” Und jedes Mal führte uns die Straße ohne Abwege auf einen zentralen Platz, wo ein weiteres Wunderwerk der deutschen Siedlerarchitektur stand, vor dem uns bereits eine Gruppe gastfreundlicher und gegenüber der eigenen Kultur nicht gleichgültiger Einwohner erwartete. Die das historische Panorama der Siedlung prägenden lokalen Kirchen hinterlassen unauslöschliche Eindrücke, sie überwältigen durch die Grandiosität ihrer Grundideen, sie zeichnen sich durch elegante Konturen und hinreißende Details aus und führen das ewige Streben von Geist und Verstand zu göttlicher Harmonie vor Augen.
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Man sagt, „Auswandern bedeutet zu sterben und das Leben neu zu beginnen”. Jeder der ersten Kolonisten, der nur das Notwendigste und in Form der Familienbibel noch eine abgewetzte Reliquie mitnehmen konnte, hatte in der alten Heimat nicht nur sein Zuhause und seine Freunde zurückgelassen, sondern auch eine alte Kirche, um die sich das ganze Leben von der Geburt bis zum Tod abgespielt hatte. Nach der Auswanderung musste man mit Allem bei Null anfangen, eine neue Kirche wie auch ein neues Leben aufbauen – und Tag für Tag kämpfen, leiden und dafür im Glauben Halt finden … Mit wem konnte man Erschöpfung und Zweifel teilen, wen konnte man um Beistand und Rat bitten? Wo konnte man Glauben finden und einen Hauch Hoffnung? Die Antwort ist offensichtlich: Die Einwanderer begannen faktisch in jedem Dorf umgehend mit dem Bau einer Kirche. In den großen Ortschaften gibt es heute mehrere – denn je mehr Einwohner es gibt, umso vielfältiger ist ihre Zusammensetzung, auch im konfessionellen Sinne.
4. Deutsche Kirchen –Schmuckstücke des religiösen Erbes
St.-Josef-Kirche
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(1895). Aldea Brasilera. Fotos: 2023.
Für die erste Kolonistengeneration bedeutete die Kirche alles: Sie war Ort von festlichen und traurigen Anlässen, Schule, Hospital und manchmal auch Schutzraum vor Unwetter und anderem Unheil. Aber hauptsächlich ein vertrauter Ort, an dem man wiederum dem Menschen vertraute.
Ohne jetzt alle Kirchen aufzuzählen, die wir auf der Reise gesehen haben und ohne sich in Einzelheiten ihrer Geschichte und heutiger Schwierigkeiten zu ergehen, möchten wir das Wichtigste festhalten: Die Kirche hat bei den Wolgadeutschen Argentiniens weiterhin hohes Ansehen. Die meisten Einwohner sind regelmäßige Kirchgänger – und sie kommen nicht nur zum Gottesdienst, sondern sie nehmen aktiv Anteil am Gemeindeleben, sei es mit Spenden, sei es mit Freiwilligenarbeit. Doch die Kirche ist nicht nur geistiges und kulturelles Zentrum, sie ist auch architektonisches Denkmal und städtebauliche Dominante. Nicht zufällig wurde für den Kirchenbau a priori der jeweils beste Standort ausgewählt, etwa auf dem Hauptplatz oder einem Hügel: Weithin sichtbar und mit melodischem Glockengeläut war die Kirche Bestandteil eines das ganze Umland erfassenden Orientierungs- und Informationssystems.
Drei Kirchenbauten in den Dörfern Santa Anita, Aldea Valle Maria und Aldea Brasilera stechen durch ihre Ausmaße und die fachkundige Ausführung hervor: Sie können der großen und leicht erkennbaren Gruppe von Kultobjekten zugeordnet werden, die von Kolonisten in den verschiedensten geografischen Siedlungsräumen gegen Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts unter Hinzuziehung führender Architekten und Baumeister errichtet wurden. Die tadellose, auf der Dominanz eines oder zweier Glockentürme in der dynamischen Silhouette beruhende Komposition, die aktive Rolle der Eingangsportale und der großen Fenster, die feine Balance und Subordination der übrigen Elemente von Fassade und Interieur, dies im Zusammenspiel mit einer meisterhaften Ausführung der Details von den Wandornamenten bis zu den Glasfenstern – all dies sind ihre Grundmerkmale. Stilistisch sind neogotische Zitate tonangebend, wenn gleich bei den genannten Baudenkmälern auch
▲ Kirchen in Aldea Spatzenkutter (Marienkirche, 1923) und Aldea Salto (Heiligen-Michaels-Kirche, 1913). Fotos: 2023.
Deutsche Kirchen –Schmuckstücke des religiösen Erbes
▲ Evang. Betsaal (1899) mit Sonderglockenturm. Aldea Santa Celia. Foto: 2023.
der schon im vorherigen Textabschnitt erwähnte Einfluss neobarocker Traditionen erkennbar ist.
Auch die anderen von uns gesehenen Kirchen sind ungeachtet ihrer geringeren Ausmaße und ihrer schlichten Ausgestaltung und Ausstattung attraktiv: Sie befinden sich in Aldea Spatzenkutter (mit einer bemerkenswerten musealen Ausstellung im Innern), in Aldea Salto (wo sie mit dem Platz und einem Schulgebäude ein Ensemble bildet), in San Juan (wo man uns nicht nur erlaubte, die Glocke zu läuten, sondern auch zwang, uns Gedanken über die Ergreifung dringender Maßnahmen zum Erhalt der in einem Schrank (!) verst aubenden Kirchenbücher von Anfang des 20. Jahrhunderts zu machen), in Aldea San Francisco (die erste in Entre Ríos errichtete Kirche – sie ist auf dem Einband dieses Buches abgebildet) und in San Antonio (wo es einige markante und sich überhaupt nicht ähnelnde Kirchenbauten gibt). Unter den vorgenannten Kirchen sind einige echte Schmuckstücke. Gute Kenner der Sakralbauten der Wolgadeutschen werden sich besonders für das aus zwei Bauten bestehende Ensemble im Dörfchen Santa Celia begeistern können: Es handelt sich um ein kompaktes, mit seinen weiß verputzten Wänden strahlendes neobarockes Kirchengebäude, das durch einen separat stehenden Sonderglockenturm [Terekhin, S. 172] ergänzt wird –und das aussieht, als wäre es von den Kolonisten im Gepäck aus dem Wolgagebiet mitgebracht worden, wo derartige Glockentürme weit verbreitet waren. Neben ihrer religiösen Funktion als Gotteshäuser sind die Kirchen der Wolgadeutschen in Argentinien zugleich Kulturdenkmäler, die deren Kulturerbe bewahren, vermitteln und popularisieren.
Deutsche Kirchen –Schmuckstücke des religiösen Erbes
▲ Katholische Christus-König-Kirche (1900er-Jahre). Santa Anita. Fotos: 2023.
▲ Katholische Christus-König-Kirche. Santa Anita. Fotos: 2023.
▲ Evangelische Kirchen in Aldea San Antonio und Aldea San Juan. Fotos: 2023.
5 MUSEEN
ALS PHÄNOMEN IM
KULTURRAUM 5.Museen
als Phänomen im Kulturraum der argentinischen Wolgadeutschen
▲ Wagen. Sammlung des Museums in Santa Anita. Foto: 2023.
In der heutigen Welt sind viele Formen der immateriellen Kultur zum Untergang und zur Vergessenheit verdammt, auch stehen Millionen materieller Kulturgegenstände kurz vor dem Verschwinden. Die Erkenntnis dieser Tatsache hat die Wolgadeutschen von Entre Ríos dazu animiert, Herangehensweisen grundlegend zu ändern, was zur Entstehung eines spezifischen Phänomens führte: der Schaffung von sechs musealen Sammlungen in den letzten zehn Jahren. Wir haben uns mit großem Interesse jede von ihnen angesehen, von der kleinen „Heimatstube” bis zu soliden Einrichtungen, die Kulturerbe professionell bewahren und vermitteln. Ihnen allen ist gemein, dass ihre Gründung auf die Initiative von Einheimischen zurückgeht und dass sie durch Gemeinde- oder Kreisbehörden Unterstützung erhalten, während eine staatliche Finanzierung fehlt. Die von uns besuchten Museen sind nicht nur Sammlungen von Objekten, sondern auch Zentren für Bildung und Kommunikation, die mit kreativen Innovationen die Grenzen ihrer Zweckbestimmung erweitern. Aber auch die aktiv in der Rolle von Hütern des Kulturguts auftretenden deutschen Siedlungen selbst erschienen uns wie lebendige Freiluftmuseen.
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Im Folgenden führen wir – in der Reihenfolge ihrer Entstehung – kurze geschichtliche Abrisse der Schaffung und der Besonderheiten der in der Provinz Entre Ríos bestehenden acht wolgadeutschen Museen und ihrer Ausstellungen an. (2012) Campingplatz-Museum „Mi Recuerdo” („Mein Andenken“): Diese Privatsammlung (bestehend vorrangig aus Werkzeugen und landwirtschaftlichen Geräten sowie persönlichen Gegenständen der Familie Riedel) war die erste der Öffentlichkeit zugängliche Kollektion materieller Kulturobjekte der Wolgadeutschen in der Provinz Entre Ríos. Auch wenn es sich heute dabei um die kleinste der von uns besichtigten Sammlungen handelt, verdient sie hier Erwähnung. Die liebevoll zusammengetragenen Exponate werden den Gästen eines Campingplatzes gezeigt, der 2012 in sieben Kilometer Entfernung von Sant a Anita mit privaten Mitteln von Avelino Riedel eröffnet wurde. Seine wolgadeutschen Vorfahren
MUSEEN ALS PHÄNOMEN IM KULTURRAUM
5. Museen als Phänomen im Kulturraum der argentinischen Wolgadeutschen
DER ARGENTINISCHEN WOLGADEUTSCHEN
hatten sich dort im Jahr 1900 niedergelassen. Der 20 Hektar große Campingplatz verfügt nicht nur über Schwimmbecken, einen Minizoo und Bungalows zur Unterbringung von Touristen, sondern auch über eine Vielzahl an ethnografischen Exponaten sowie über eine eigene Kapelle und andere Bauten, die im Stil einer kleinen wolgadeutschen Siedlung angelegt wurden.
(2013) Museum, Archiv und Bibliothek „Kulturerbe der Wolgadeutschen“ in Gualeguaychú befinden sich im nach Jakob Riffel (1893–1958) benannten Versammlungssaal der Vereinigung der Nachkommen von Wolgadeutschen. Dieser lutherische Pastor hatte als erster begonnen, die Geschichte und Ethnologie der Deutschen der Region zu dokumentieren [Riffel, 1928 und 2008]. Die feierliche Eröffnung erfolgte am 10. November 2013, worauf am 6. Juli 2016 die Sammlung durch einen Erlass des Bürgermeisters der Stadt zu den Objekten von „kommunalem Interesse” hinzugefügt wurde. Direktor des Museums ist dessen Gründer, der Verbandsvorsitzende Leandro Hildt. Im Jakob-Riffel-Saal gibt es eine große Anzahl alter Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch Bibeln, Gesangbücher und Sammlungen von Predigten, etwa die des Pastors Johann Friedrich Stark, die bereits an der Wolga Bekanntheit errungen hatten. Zentrale Bedeutung in der Sammlung haben persönliche Dokumente, Tagebücher, Briefe und Fotografien von Kolonisten. Alle Exponate, darunter auch aus Russland mitgebrachte, sind dem Museum von Nachkommen der Einwanderer überlassen worden. Einige der Sammlungsobjekte – wie Küchengeräte, Textilien, Stickereien, Kleidung und Musikinstrumente – stammen aus den ersten Jahren der Ansiedlung in Argentinien. Der protestantische Pastor und Theologieprofessor Dr. René Krüger
Campingplatz-Museum „Mi Recuerdo“ („Mein Andenken“). Santa Anita. Fotos: 2023.
Virtueller Rundgang
„Museum „Hilando Recuerdos” („An Erinnerungen anknüpfen“) in Aldea Valle María (Mariental)“
ist ehrenamtlich ständig für das Museum tätig und hat ihm auch Bücher und andere wertvolle Exponate überlassen*. Die wolgadeutsche Vereinigung von Gualeguaychú hat sich zum Ziel gesetzt, aus dem Jakob-Riffel-Saal ein Lehr- und Forschungszentrum zur Geschichte der Wolgadeutschen zu machen.
(2014) Das Museum „Hilando Recuerdos” („An Erinnerungen anknüpfen“) in Aldea Valle María (Mariental) wurde am 18. Juli 2014 auf Initiative einheimischer Mitglieder der Tanzgruppe „Raíces Alemanas“ und mit Unterstützung der lokalen Behörden gegründet. Das Museum befindet sich in einem angemieteten typischen wolgadeutschen Haus. Die meisten Exponate (Herde, Lampen, Wasserpumpen, Maisdreschmaschinen, alte Rundfunkempfänger, eine Dampflokpfeife, ein Harmonium u.a.) sind Schenkungen Einheimischer. 2019 erwarb die Gemeindeverwaltung ein weiteres Haus in der historischen Ortsmitte, in dem von 1878 bis 2013 die Familien Ortmann und Kranewitter gewohnt hatten. Die Räume wurden unter Erhalt des typischen Grundrisses eines Bauernhauses (Küche mit Ofen, Esszimmer, Schlafzimmer, Schreinerwerkstatt und Schmiede) renoviert. Die feierliche Eröffnung erfolgte am 21. Juli 2023 im Rahmen des 145. Jahrestages der Ankunft der Wolgadeutschen und der Gründung der fünf Mutterkolonien. Die tiefe Religiosität der hier wohnenden Familien spiegelt sich in zwei Deckengemälden wider, die in den 1940er Jahren
* Die Autoren danken Leandro Hildt und Dr. René Krüger für ihre wertvolle Hilfe bei der Erstellung dieser Publikation.
▲ Koffer. Sammlung des Museums, Archiv und Bibliothek in Gualeguaychú. ▲ Museumsbesuch. V.l.n.r. Leandro Hildt, Alicia Hermann, Dr. Olga Litzenberger, Dr. Sergey Terekhin, Dr. René Krüger. Fotos: 2023.
MUSEEN ALS PHÄNOMEN IM KULTURRAUM
5. Museen als Phänomen im Kulturraum der argentinischen Wolgadeutschen
DER ARGENTINISCHEN WOLGADEUTSCHEN
angefertigt worden waren: Sie zeigen das Heilige Herz Jesu und eine den Heiligen Geist symbolisierende Taube. Die Leitung des Museums liegt seit 2016 in den Händen des Direktors der Kulturabteilung der Gemeinde Dario Roberto Wendler, der uns mit Begeisterung über jedes Exponat etwas zu erzählen hatte.
(2016) Beim Gemeindemuseum Santa Anita handelt es sich wohl um die im Umfang bedeutsamste museale Sammlung. Das am 9. Dezember 2016 eröffnete Museum bietet nicht nur mehr als 2.000 Exponate, sondern auch „lebendige” Geschichten. Dank in nationale Tracht gewandeter Einheimischer können die Besucher verschiedene Szenen aus dem Leben der ersten Siedler miterleben (Spiel auf Musikinstrumenten, Stricken, Schulunterricht, Speisezubereitung u.a.) Das Gemeindemuseum mit seiner reichen Sammlung ist an Wochenenden und Feiertagen geöffnet. Fachbesuche außerhalb der Öffnungszeiten können mit Museumsdirektor Hugo Kloster vereinbart werden.
(2017) Das Museum „Unsere deutschen Wurzeln” in Aldea Spatzenkutter lädt ebenfalls zu einer Zeitreise ein. Im Verlauf von fünf Jahren hatte die Verwaltung dieser kleinen Siedlung die Mittel für die Renovierung eines Gebäudes sowie von den Ortsansässigen zukünftige Exponate zusammengetragen. Heute ist dieses Museum eines der besten der Provinz, da es trotz aller Kompaktheit dank seines individuellen Stils eigenes Kolorit hat. Es liegt direkt
▲ Museum „Hilando Recuerdos“ in Aldea Valle Maria. Fotos: 2023.
▲ Museum „Unsere deutschen Wurzeln“ in Aldea Spatzenkutter. Foto: 2023.
Virtueller Rundgang „Museum „Unsere deutschen Wurzeln” in Aldea Spatzenkutter“
in der Ortsmitte an der Straße namens „Alemanes del Wolga”, gleich neben dem Kirchplatz in einem ehemaligen Schulhaus, das 51 Jahre lang leer gestanden hatte und bereits verfiel. In der reichhaltigen Ausstellung finden sich Gemälde, Möbel, landwirtschaftliche Geräte, Musikinstrumente, Kleidung, Geschirr, Truhen und andere Haushaltsgegenstände. Am Eingang stehen Landmaschinen (Pflug, Sämaschine und Egge) und ein eindrucksvoll großer Wagen, der einst von den Wolga-Übersiedlern genutzt wurde. Das Gebäude ist in zwei Räume unterteilt: In einem befindet sich die ständige Ausstellung, der andere wird für Kultur- und geschichtsbezogene Bildungsveranstaltungen (Vorlesungen, traditionelle Feste, Filmvorführungen) genutzt. Das Museum wurde im Rahmen der Feiern zum 139. Jahrestag der Gründung von Aldea Spatzenkutter am 21. Juli 2017 im Beisein von Ehrengästen eröffnet. Ungeachtet der umfassenden Kollektion und einem
▲ Harmonium. Museum „Unsere deutschen Wurzeln“ in Aldea Spatzenkutter. Foto: 2023.
▲ Museum in Santa Anita. Fragmente der Dauerausstellung. Fotos: 2023.
MUSEEN ALS PHÄNOMEN IM KULTURRAUM
5. Museen als Phänomen im Kulturraum der argentinischen Wolgadeutschen
DER ARGENTINISCHEN WOLGADEUTSCHEN
beständigen Interesse bei Touristen verfügt das Museum nicht über ständiges Personal und wird mit Mitteln der Gemeinde und der lediglich 350 ortsansässigen Bewohner unterhalten.
(2018) „Wolga-Museum Pedro A. Sack“ in Aldea Santa Maria: Das Dorf, das heute etwa 250 Einwohner zählt, wurde am 4. Juni 1887 von Wolgadeutschen aus Rötling (Semjonowka) gegründet. 2009 gründeten die Nachkommen der ersten Kolonisten auf Initiative von Jose Luis Sack den gemeinnützigen Verein „Museum der Wolgadeutschen“, dessen Ziel es war, finanzielle Mittel für die Einrichtung eines Museums zu sammeln. Im Laufe mehrerer Jahre haben die Vereinsmitglieder ein typisches Wolgadeutschen-Haus mit Nebengebäuden von Grund auf nachgebaut. Es wurde am 4. November 2018 feierlich eröffnet. Dabei wurde die typische Einrichtung eines Siedlerhauses rekonstruiert, wobei Möbel und Gegenstände aus dem Besitz der ersten Kolonisten und ihrer Nachkommen stammen. (2022) Museum für Padre Enrique Becher in Santa Anita „Casa del Fundador” („Haus des Gründers”): Der spätere katholische Geistliche Heinrich (span. Enrique) Becher wurde 1857 in Morsbach (Nordrhein-Westfalen) geboren. Nach Abschluss eines Missions-Seminars in Holland kam er 1889 nach Argentinien, wo er ab 1891 in der Stadt Crespo für wolgadeutsche Katholiken tätig war. 1900 erwarb er mit einem Darlehen Land zum Zweck der Gründung der neuen landwirtschaftlichen Kolonie Santa Anita. Das Darlehen mussten die Kolonisten im Lauf von acht Jahren aus ihren Ernteerträgen abbezahlen. Das Gedenkmuseum wurde am 19. November 2022 in jenem Gebäude eröffnet, in dem der Padre von 1902 bis zu seinem Tod 1916 in bescheidenen Verhältnissen gewohnt hatte. Das Häuschen besteht lediglich aus zwei winzigen Kammern. Hier fand der Geistliche Ruhe nach der anstrengenden Arbeit auf der Baustelle der ersten Kirche der Kolonie, von hier ging er frühmorgens zum Unterricht in der von ihm geschaffenen Grundschule und von hier aus leitete er den Aufbau eines Schwesternheims für Dienerinnen des Heiligen Geists. Für
▲ „Religiöses Museum Flora Jacob” in Aldea Santa Maria. Foto: 2023.
▲ „Wolga-Museum Pedro A. Sack“ in Aldea Santa Maria. Werbeflyer: 2021. Samowar. Foto: 2023.
seine Gemeindemitglieder war der Padre nicht nur geistiger Vater, sondern auch Agronom, Lehrer und Gründervater ihrer Siedlung. Für seine aufopferungsvolle Fürsorge um ehemalige russische Untertanen verlieh ihm der russische Kaiser Nikolaus II. den Sankt-Stanislaus-Orden. Heimatkundler haben in mühevoller Kleinarbeit die damals übliche Einrichtung des von Anita Jacob de Vasinger der Gemeinde überlassenen Hauses rekonstruiert und Haushaltsgegenstände aus dieser Zeit zusammengetragen. In der Ausstellung befinden sich einige persönliche Objekte sowie Dokumente und Fotos des Paters. Unweit des Museums ehrt seit 1950 im Kirchhof ein Becher-Denkmal als den Gründervater der Siedlung.
(2023) Das „Religiöse Museum Flora Jacob” in Aldea Santa Maria wurde am 4. Juni 2023 feierlich eingeweiht. Der Name des Museums ehrt eine Frau, die den Gemeindemitgliedern Katechismusunterricht gab und ihr Leben der Kirche gewidmet hatte. Eine Initiativgruppe unter der Leitung des Museumsgründers Jose Luis Sack erhielt einen Zuschuss der Provinzregierung, um dieses von den ersten Siedlern 1887 aus Stein und Lehm errichtete Haus zu restaurieren. Auf 150 Quadratmeter Ausstellungsfläche werden religiöse Exponate gezeigt, darunter auch solche, die Einwanderer aus der Wolgaregion mitgebracht hatten. Das Museum wird durch freiwillige Spenden finanziert.
Dank moderner Technologie ist es heute möglich, einer bedeutsamen Zahl von Internetnutzern Zugang zum Kulturerbe zu verschaffen. Die interaktiven Möglichkeiten einer musealen Zusammenarbeit im virtuellen Raum imponierten auch die Verfasser dieses Buches, weshalb wir auf dessen Seiten QRCodes abbilden, mit deren Hilfe die Leser einigen der oben beschriebenen Museen einen Besuch abstatten können. Die virtuellen Rundgänge in diesen Museen wurden vom Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (Nürnberg) angefertigt.
Virtueller Rundgang „Gemeindemuseum Santa Anita“ ▲ Statue. Museum in Aldea Spatzenkutter. Foto: 2023.
Padre-Enrique-Becher-Denkmal. Santa Anita. Foto: 2023.
6. Vom Grabmal zur Erinnerung:
Die Nek ropole als Element des kulturellen Erbes
▲ Grabmal auf dem Friedhof in Aldea San Francisco. Foto: 2023.
Anhand ihrer Friedhöfe, Grabsteine und Grabinschriften kann man über eine Nation und ihre Unwissenheit oder Noblesse urteilen [Joseph Addison]
Der Friedhof in Aldea San Francisco ist die bekannteste Nekropole der Wolgadeutschen – und dies dank der Tätigkeit der legendären „Ammi”: Die Alteingesessenen erzählen, dass Mitte des letzten Jahrhunderts sich eine betagte Deutsche namens AnnaMaria (Ammi) direkt auf dem Friedhof ansiedelte, ganz allein die Gräber pflegte und unermüdlich Mittel für deren Instandhaltung sammelte. Die noch an der Wolga geborene Ammi ehrte auf diese Weise nicht nur das Werk des unbekannten Meisters, der die Grabsteine gehauen hatte, sondern auch das Andenken an die hier bestatteten Dorfbewohner, die sie alle noch selbst gekannt hatte. Nach ihrem Tod wurde die Aktivistin ebenfalls auf diesem Friedhof beigesetzt. Doch die deutschen Bewohner der Nachbarorte glauben bis heute, dass man nach Einbruch der Dunkelheit auf jedem der umliegenden Friedhöfe Ammi begegnen kann –mit ihrer Kupferbüchse in der Hand, in der sie einst Spenden sammelte und noch immer von dem Gedanken beseelt, diesen Teil des Kulturerbes der Wolgadeutschen zu erhalten und zu verschönern.
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in Besuch der „Totenstädte” ist in Argentinien eine unabdingbare Ergänzung zum Besuch der Städte der Lebenden. Wenn jeder Grabstein ein Kunstwerk ist und für Friedhöfe eher der Begriff „Nekropole” passend ist, dann können auch Bestattungsorte wie Freiluftmuseen wahrgenommen werden.
Die Tradition, dass Friedhofsbesuche unabdingbar sind, existiert bei den Deutschen in Argentinien nicht nur deshalb, weil sich hier die konzeptionell für jeden Menschen wichtigen Momente einer philosophischen Alltagsbetrachtung intensivieren, sondern auch, weil man am Beispiel der Grabstätten deren Integration in verschiedene soziale Praktiken studieren kann. Fremdenführer halten es für ihre Pflicht, Friedhofsbesuche in das touristische Basisprogramm einzubauen, um dabei die Vielfalt der bildhauerischen wie architektonischen Lösungen und die Besonderheiten der Gestaltung von Kreuzen und anderer christlicher Symbolik zu präsentieren. Die Einheimischen verstehen sich darauf, beim lauten Vorlesen der Namen schon lange verstorbener Vorfahren über die Geschichte ihres Volkes zu reflektieren – und an den Gräbern stehend stundenlang von den Schicksalen der Verstorbenen zu erzählen. Ein solches Verhältnis zu Friedhöfen als Besichtigungsobjekt lässt sich in anderen Ländern wohl kaum finden. Für Europäer ist dies ebenso erstaunlich wie hochinteressant.
Die prägnanteste und eindrucksvollste Nekropole ist jene von Aldea San Francisco, die dank der anmutigen Gestaltung der Grabsteine und der grazilen Formen ihrer Gruften enorme Popularität gewonnen hat. Wer in der Lage ist, eine Fotokamera in der Hand zu halten, wird hier kaum schlechte Bilder machen: Da gibt es einmalig wunderliche Gruften, filigranes Schnitzwerk, Schmiede- und Gussarbeiten sowie an lebende Menschen gemahnende Engelsfiguren. Der Friedhof des Ortes verwildert nach und nach, doch gerade ihm wird eine wundersame Kraft zugeschrieben: Jeder, der sich – so wie die legendäre Ammi – an seiner Instandsetzung beteiligt, kann auf die Erfüllung seiner Wünsche hoffen …
6. Vom Grabmal zur Erinnerung: Die Nek ropole als Element des kulturellen Erbes
▲ Nekropole in Aldea San Francisco. Fotos: 2023.
Einer anderen Legende zufolge, die allerdings nichts mit der Realität gemein hat, stammt die Tradition der Aufstellung hoher geschmiedeter Grabeinfriedungen aus dem kalten und schneereichen Wolgagebiet, da man dort angeblich so Grabstätten vor Wölfen
Doch man kann am Beispiel der lokalen Nekropolen nicht nur Legenden studieren. Die Friedhöfe der argentinischen Deutschen, die praktisch zeitgleich mit den Siedlungen entstanden (als ältester Friedhof gilt der von Aldea Spatzenkutter, der 1879 angelegt wurde), erfüllen einerseits die Funktion eines kollektiven Gedächtnisses, widerspiegeln andererseits aber auch den gesellschaftlichen Wandel und die sozialen Prozesse in den Gemeinden. So kann beim Verstehen der Kriterien für die soziale und wirtschaftliche Schichtung eine Untersuchung der Prinzipien der Zuteilung der Grabplätze auf dem Friedhof helfen, da sie entsprechend dem gesellschaftlichen Status erfolgte: Die teuersten und honorigsten Parzellen lagen am Haupteingang, während für arme Leute Areale in abgelegenen Friedhofswinkeln vorgesehen waren. Im wolgadeutschen Wertekanon gab es keinerlei Vorgaben für Stil, Formen und bildhauerische Gestaltung der Grabmäler. Sowohl das Vorhandensein eines orts-
6. Vom Grabmal zur Erinnerung: Die Nek ropole als Element des kulturellen Erbes
▲ Friedhofskapellen in Santa Anita. Fotos: 2023.
ansässigen Steinmetzes (der z.B. in Aldea San Francisco die Grabmäler in einem einheitlichen Stil gestaltete) als auch die Wünsche der Verstorbenen und ihrer Verwandtschaft (was sich u.a. in Santa Anita in der Errichtung üppiger Gruften begüterter Familien niederschlug) bestimmten die Eigenheiten der Grabstätten. Von Interesse sind auch die unterschiedlichen Lösungen hinsichtlich der Ausrichtung der Gräber nach den Himmelsrichtungen (in Aldea Protestante). Und während es früher bei den Wolgadeutschen Tradition war, das Kreuz unbedingt am Kopfende der Grabstätte aufzustellen (als Zeichen des Sieges über die Kräfte des Bösen), so war es in späteren Zeiten auch zulässig, es am Fußende unterzubringen (als Stütze vor dem Jüngsten Gericht). Die Friedhöfe in der Gegend sind ordentlich und gepflegt, es gibt Auskunftstafeln oder eigens umzäunte Bereiche, die dem Gedenken an die ersten Ansiedler gewidmet sind (in Aldea Brasilera).
Für die Deutschen in Argentinien sind ihre Friedhofsareale eng mit der Geschichte ihrer Siedlungen verbunden; sie betrachten sie als eine besondere Chronik des Gemeindelebens und seiner Genealogie und bemühen sich, Bedingungen für deren Schutz als Denkmäler und die Revitalisierung von geschlossenen oder vernachlässigten Nekropolen zu schaffen. Eine solche Tradition bremst die Auslöschung des kulturellen Codes im kollektiven Gedächtnis und gewährleistet ihren Trägern eine gewisse „soziale Unsterblichkeit”.
▲ Friedhöfe in Aldea Protestante und Aldea Brasilera. Fotos: 2023.
7.„Die wolgadeutsche Sprachinsel“ oder „Ein Staat – eine Sprache“?
▲ Kirchenbücher der Wolgadeutschen in Argentinien. Foto: 2023.
Wir sollten ernsthaft unsere Prioritäten überdenken, sonst geht die Linguistik als einzige Wissenschaft in die Geschichte ein, die das Verschwinden von 90 Prozent ihres Studienobjekts verpasst hat. [Michael E. Krauss]
Wir hatten uns sorgfältig auf unsere Argentinienreise vorbereitet: Wir erinnerten uns daran, dass es Belgranodeutsch gibt, eine Mischung aus Deutsch und Spanisch. Wir notierten uns die wichtigsten notwendigen Phrasen auf Spanisch – und hofften ansonsten auf Dolmetscher. Aber was waren wir erstaunt, als man mit uns in jeder Siedlung Deutsch sprach – und nicht nur seitens dort unterrichtender Sprachlehrer. Und als wir lebendigen wolgadeutschen Dialekt hörten, so wie ihn unsere eigenen Großmütter gesprochen haben. Und als ein 80jähriger Mann aus San Juan für uns deutsche Lieder sang. Und als uns ältere Leute stundenlang in dem uns verständlichen Dialekt aus ihrem Leben erzählten und dabei vorwurfsvolle Blicke auf ihre schon erwachsenen Kinder warfen, die zwar die Sprache ihrer Eltern noch verstehen, aber selbst nur noch Spanisch sprechen. Doch das großartigste Erlebnis hatten wir in Aldea San Francisco, wohin wir ziemlich weit über staubige, unbefestigte Straßen gefahren waren und wo heute weniger als 80 Menschen leben. Wir fotografierten die dortige Kirchenruine und unterhielten uns dabei auf Deutsch. Drei Jungen im Alter von sechs bis zehn Jahren hörten uns sprechen und kamen hinzu. Wie sich zeigte, konnten sie ebenfalls Deutsch – denn so würden bis heute ihre Omas sprechen! Unser Fazit: Je weiter man sich von den Metropolen entfernt, umso höher ist die Chance, auf eine wolgadeutsche Sprachinsel zu geraten.
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Die UNESCO-Konvention von 2003 erkennt Sprache als elementaren Teil des immateriellen Kulturerbes an. Nach Schätzungen dieser internationalen Organisation sind 800 Sprachen vom Aussterben bedroht – und bis zum Jahr 2200 würden aufgrund der wachsenden Globalisierung nur weniger als die Hälfte der gegenwärtig existenten Sprachen erhalten bleiben*
Im Verlauf ihrer 250-jährigen Geschichte war die Sprache der Wolgadeutschen wie ein Lebewesen immer in Bewegung: Sie entwickelte sich, sie unterlag Veränderungen und äußeren Einflüssen und * https://www.unesco.org/en/culture
befindet sich nun am Rande des Untergangs: Die deutschen Kolonisten haben einen Dialekt nach Argentinien gebracht, der hauptsächlich west- und mitteldeutsche (rheinisch-fränkische und mittelhessische) Wurzeln hat [Rosenberg, Hipperdinger]. Mit dem Moment der Ansiedlung in den deutschen Kolonien Argentiniens begann ein Prozess der Formierung eines einheitlichen Sprachraums. In dem abgegrenzten Siedlungsraum, in dessen Innerem gemeinsame religiöse, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen wirksam waren, kam mit der Zeit eine einheitliche Sprechvariante des Dialekts in Umlauf. Dank der Lektüre neuer deutscher Bücher und Zeitungen reicherte sich der Dialekt nach und nach um neues Vokabular aus der Literatursprache an. Darüber hinaus kam es zu zahlreichen Entlehnungen aus dem Spanischen als der Sprache des Umfeldes. Doch auch von der Wolga mitgebrachte wichtige russische Begriffe gerieten bei den nach Argentinien übergesiedelten Kolonisten nicht in Vergessenheit: „Tschemodan” (Koffer), „Nuschnik” (Toilette), „Kastrul” (Topf), „Bline” (Pfannkuchen), „Kamare“ (Mücke), „Pinschak“ (Blazer, Jacke) und viele mehr kamen derartig fest in Gebrauch, dass sie bis zum heutigen Tag Usus in der Alltagssprache sind [Riffel].
▲ Hier spricht und singt man im Dialekt. Verein „Unser Dorf“. Aldea San Juan. Foto: 2023. | 55
7.„Die wolgadeutsche Sprachinsel“ oder „Ein Staat – eine Sprache“?
„DIE WOLGADEUTSCHE SPRACHINSEL“ ODER „EIN STAAT – EINE SPRACHE“?
▲ Kirchenbücher.
▲ Werbung für einen Deutschsprachkurs. Diese Lehrgänge sind in der Region weit verbreitet und sehr beliebt.
Assimilationsprozesse haben den seine Reinheit verlierenden Dialekt schrittweise zurückgedrängt und bereits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zu deutsch-spanischer Bilingualität geführt, auf die das natürliche Phänomen eines intensiven Verlusts der Muttersprache folgte. Alteingesessene nannten uns als Beispiel ein Verbot des deutschen Sprachunterrichts, als sich deutschsprachige Geistliche entgegen dem Prinzip „ein Staat – eine Sprache” bemühten, den Deutsch-Unterricht zu bewahren. Gegenwärtig ist die junge Generation schon monolingual und der Dialekt wird endgültig vom Spanischen als der Sprache des Umfelds verdrängt. Doch während in den Städten der Prozess der sprachlichen Assimilation bereits komplett abgeschlossen ist, wird auf dem Land der wolgadeutsche Dialekt noch gesprochen.
Linguisten unternehmen verschiedene Initiativen zur Bewahrung des Dialekts. So wurde 2015 als in Argentinien ein Buch im wolgadeutschen Dialekt herausgegeben; es enthält im Verlauf von 40 n gesammelte Witze [Bauer, Krüger]. Die gleichen Autoren betreiben ie mühsame Arbeit der Erstellung eines Wörterbuchs des wolgadeutschen Dialekts. Arndt Schmidt hat ein Programm zur Ausbildung von Deutschlehrern in der Siedlung Santa Maria (Buenos Aires) erstellt und zur Anwendung gebracht, „um der Gefahr einer folgerichtigen Entwicklung von ller Zweisprachigkeit und Bi-Kultur zu erneuter, dann aber spanischer Einsprachigkeit, dem Verlust der wolgadeutschen Mundart und der damit verbundenen Auflösung der hinsel entgegenzuwirken“ [Schmidt, S. 4].
In der gleichen Schlagrichtung hat Anna Ladilowa die Einführung von Hochdeutsch-Unterricht undlage des wolgadeutschen Dialekts vorgeschlagen. Seit mehr als 40 Jahren wird von den deverwaltungen und Schulbehörden in vielen Ortschaften der Provinz Entre Ríos aktiv Deutsch-
▲ Rekonstruktion eines Klassenzimmers aus dem frühen 20. Jh. Museum in Santa Anita. Foto: 2023.
8. Kuchen mit Mate-Tee: Die Wolgadeutschen im Mosaik der argentinischen Identität
▲ Kalebassen für Mate-Tee mit Bombillas aus Aldea Brasilera und Urdinarrain mit Inschrift „Asoc. Desc. de Alemanes del Volga Unser Weg“. Foto: 2023.
„Mama, wir sind doch argentinische Wolgadeutsche?” – „Ja, mein Kind.” „Und die Wolga ist ein deutsches Bundesland? Ich frage nur, weil ich sie auf der Deutschlandkarte nicht finden kann … ” [Aus einem Gespräch zwischen Mutter und Kind]
„Was Geselligkeit und Vergnügen angeht, so ist es darum nicht so gut bestellt wie bei Euch. Aber das gute Geld, das man hier verdienen kann, macht alles andere wett … Speis und Trank sind hier im Alltag besser als bei Euch auf Hochzeiten … Das Leben hier ist so gut, dass man es sich besser nicht wünschen kann … Kurzum, hier fühlt man sich als freier und ungebundener Mensch und muss niemanden um etwas bitten.” [Sbornik, S. 57]
Diese Zeilen aus einem Brief eines von der Wolga ausgewanderten deutschen Kolonisten in die alte Heimat, der in bunten Farben das glückliche Leben nach der Übersiedlung „ans andere Ende der Welt“ ausmalt, lassen uns nicht nur über die Motive der Umsiedlung nachdenken, sondern auch über die heutige Lebenszufriedenheit dieser Nachkommen von Wolgadeutschen. Was betrachten sie als ihre historische Heimat und wie nehmen sie ihre heutige Heimat wahr? Wie eindeutig ist ihre Identität?
Bei unseren Gesprächen mit heutigen Einwohnern der deutschen Siedlungen in der Provinz Entre Ríos stellten wir uns die Aufgabe, mit Hilfe soziologischer Methoden und Ansätzen deren nationale Selbstidentifikation im verworrenen Labyrinth der argentinischen Identität zu verorten. Die von uns Interviewten betonten nicht nur einmal, dass sie „echte Deutsche” seien, die ungeachtet der Tatsache, dass Argentinien „eine in Amerika liegende europäische Großmacht” sei, in ihre historische Heimat Deutschland zurückkehren wollen. Zu unserem Erstaunen konnten nicht alle Befragten die Kolonien an der Wolga benennen, in denen ihre Vorfahren einst gelebt hatten – aber viele wussten, aus welchem Ort in Deutschland ihre Familie stammt. Zwei unserer Befragten erzählten originelle Geschichten, dass sie in ihrer Kindheit und bis ins reife Jugendalter „die Wolga” für ein deutsches Bundesland gehalten hätten, da sie sich nur mit Deutschland und dessen Bevölkerung assoziierten. Keineswegs unerwähnt bleiben darf auch die erstaunliche Verflechtung eindeutig wolgadeutscher und „urdeutscher” Benennungen und Ortsnamen. Als völlig logisch erscheint beispielsweise das Vorhandensein einer „Straße der Wolgadeutschen” und einer „Saratower Straße ” (Avenidas „Alemanes del Volga“ und „Saratov“) in Aldea Spat zenkutter, der „Platz der Einwanderer” in Santa Anita, die Skulptur „Oma Kindsvater” in San Antonio oder auch die zahlreichen Gedenktafeln mit den Namen der ersten Siedler in anderen Dörfern. Andererseits wiesen die Einwohner selbst darauf hin, dass bei Touristen häufig Fragen aufkämen,
weil sie den Bezug zwischen „der Wolga” einerseits und etwa dem Namen des Restaurants „München” oder einer Figurengruppe am Ortseingang von Aldea Brasilera, die in Tracht gewandete bayerische Bauern zeigt, nicht nachvollziehen könnten. „Wir sind Deutsche, echte Deutsche. Aber Wolgadeutsche. Und wir sind die Wolgadeutschen Argentiniens”, sagten unsere Gesprächspartner voller Stolz.
Unsere Gespräche mit den Nachkommen der Wolgadeutschen, die heute – wie alle anderen Argentinier auch – unter einer endlosen Kette wirtschaftlicher Erschütterungen und Krisen zu leiden haben, brachten uns zum Schluss, dass viele von ihnen die Anfangszeit der Ansiedlung ihrer Vorfahren idealisieren. Die Zeit des Entstehens der ersten Kolonien
▲ Die Gastfreundschaft ist unbeschreiblich! Foto: 2023.
8. Kuchen mit Mate-Tee: Die Wolgadeutschen im Mosaik der argentinischen Identität
▲ Von Saratow bis San Francisco: Die unglaubliche Reichweite der Straßenschilder in Entre RÍos. Fotos: 2023.
erscheint ihnen als eine Blütezeit, in der es keinerlei Adaptionsschwierigkeiten zu überwinden gegeben habe. Ohne Ausnahme haben alle von uns befragten Nachkommen von Wolgadeutschen den Beitrag ihres Volkes zur Entwicklung von Städten und Dörfern wie auch zum kulturellen und zivilisatorischen Potential ihrer Region wie auch Argentiniens insgesamt herausgestellt. Einzelne Biografien früher Kolonisten wurden auf Grundlage originaler Tagebücher und Briefe von zeitgenössischen Autoren literarisch und in Romanform beschrieben [Krüger, 2011 und 2018]* .
In der Tat haben die Migrationsströme aus dem russischen Wolgagebiet komplexen Einfluss auf die Entwicklung einiger Provinzen des Landes gehabt. Just zu dieser Zeit bildete sich Argentinien als multikultureller Vielvölkerstaat heraus und formierte
* z.B. die Romane von René Krüger „La dignidad no se negocia” und „Las cartas de Dorothea”, die vom Leben des 1912 nach Argentinien emigrierten und Zeit seines Lebens landloser Arbeiter gebliebenen Wolgadeutschen Fritz Ott (1880, Krasnojar, Wolga – Bovril, 1975) und seiner Ehefrau Dorothea Kloss erzählen.
8. Kuchen mit Mate-Tee: Die Wolgadeutschen im Mosaik der argentinischen Identität
sich dessen Gesellschaftsmosaik, indem sich aus unterschiedlichsten Traditionen, Bräuchen und nationalen Ideen eine gemeinsame nationale Identität zusammenfügte. Laut Volkszählungsdaten von 1914 stellten ausländische Migranten über 30 Prozent der argentinischen Bevölkerung, wobei Emigranten aus dem Russischen Reich unter ihnen die zahlenmäßig viertgrößte Gruppe bildeten; sie umfasste 3 bis 4 Prozent aller Einwanderer (85.000 bis 100.000 Personen) [Cornblit, S. 294, Volkov, S. 239, Al‘vares, S. 14, Putjatova, S. 174, Oelsner]. Die Wolgadeutschen haben definitiv einen bedeutsamen Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft des Landes geleistet; auch spielten sie eine unbestrittene Rolle in der Einwicklung der Landwirtschaft – beispielsweise kultivierten sie hier als erste die aus der Wolgaregion mitgebrachte Luzerne. Unzählige Nachkommen wolgadeutscher Kolonisten arbeiteten später in den
▲ In den wolgadeutschen Orten Argentiniens finden häufig Volksfeste statt. Foto: 2023.
▲ Jubiläumsfeier der Gründung des Dorfes San Antonio. Foto: Leandro Hildt, 2024.
unterschiedlichsten Wirtschaftssektoren. Sie nahmen auch bedeutenden Einfluss auf das Bildungssystem, da sie in Argentinien ein Netz deutscher Schulen schufen.
Die Wolgadeutschen wurden zu einem bedeutsamen Element des komplexen Mosaiks der argentinischen Identität. In ihrer schon fast 150-jährigen Geschichte trugen sie dazu nur ihnen eigene religiöse, kulturelle und linguistische Besonderheiten bei. Viele von ihnen empfinden bis heute, ungeachtet ihrer argentinischen Staatsbürgerschaft, intensiv ihre durch einzigartiges Brauchtum, Kultur und Sprache manifestierte wolgadeutsche ethnische Zugehörigkeit und grenzen sich klar von den „Spaniern” ab – wie sie die restliche Landesbevölkerung nennen. Zugleich trennen die meisten der von uns Befragten nicht zwischen ihrer ethnischen und nationalen Identität („Wir sind argentinische Wolgadeutsche”) oder setzten explizit ihre nationale Identität an erste Stelle („Wir sind Argentinier”).
Gegenwärtig stellen die Nachkommen der nur einige zehntausend ersten wolgadeutschen Kolonisten eine der großen ethnischen Gruppen Argentiniens, da sich einige Millionen Menschen als ihre Nachfahren betrachten. Allerdings haben in der heutigen Zeit die Migrationstendenzen grundlegende Änderungen erfahren. Bei unseren Auf tritten vor mitunter zahlreichem Publikum waren
wir nicht einmal damit konfrontiert, dass man uns selbst nach wissenschaftlichen Vorträgen zu gänzlich anderen Themen – und erst recht in persönlichen Gesprächen – Fragen zur Möglichkeit einer Auswanderung nach Deutschland und den dortigen Aufnahmebedingungen stellte: „Wir sind doch auch Deutsche!” hieß es von allen Seiten. Nach aktuellen Umfragen haben 47 Prozent der Argentinier wenigstens einmal über ein Verlassen ihres Landes nachgedacht.
Die Vorfahren der heutigen Argentinier haben vor gut 150 Jahren ihr Schicksal und ihre Hoffnungen mit diesem Land verbunden, aber jetzt träumen deren Nachfahren von der Emigration, womit sie „dessen Geschichte verraten” [Gálvez, S. 55]. Dabei hatten die ersten Kolonisten in ihren Briefen an die Wolga unterstrichen, „wie viel besser es sich hier lebt als wir es in der Heimat getan haben” [GASO, f. 1, op. 1, d. 8473, l. 70]. Aber gibt es vielleicht doch etwas, das in der Lage wäre, die Identität der Nachkommen der Wolgadeutschen zu bewahren und den Prozess der Umwandlung Argentiniens von einem Einwandererland in ein Auswandererland samt dem gegenwärtig schon besorgniserregenden Abfluss von Humankapital aufhalten könnte? Welche Rolle könnten in diesem Prozess gesellschaftliche Vereinigungen spielen? Darum geht es
9. Wolgadeutsche Vereine: Tendenzen und Entwicklungsperspektiven
▲ Schild am Eingang des deutschen Vereins in Aldea San Juan. Foto: 2023.
Guten Menschen Gesellschaft zu leisten ist die beste Methode, selbst ein guter Mensch zu werden [Miguel de Cervantes]
Vor unserer Argentinienreise lasen oder hörten die Autoren nicht einmal von der unglaublichen Gastfreundschaft und Seelenwärme der dortigen wolgadeutschen Nachkommen – wie auch von ihren feucht-fröhlichen Festessen, farbenfrohen Feiern und Festivitäten, die regelmäßig von lokalen ethnisch-kulturellen Vereinen in dieser oder jener Ortschaft ausgerichtet werden. Das Erlebte übertraf alle Erwartungen! Auf einem solchen Volksfest in der Stadt Urdinarrain tauchten wir, begleitet von Volksmusik und -tänzen, in die Atmosphäre eines üppigen Festivals ein, das durch einen bunten Trachtenumzug, traditionelle kulinarische Spezialitäten und Auftritte von Laiengruppen besonderes Kolorit bekam.
Auf einer anderen Veranstaltung, dem jährlich im September stattfindenden – und von einem Treffen alter Traktoren und Oldtimerautos umrahmten – „Traktorfest” in Aldea Spatzenkutter kann man Kutschfahrten machen, einem Blasmusikorchester lauschen und dazu nach alten Rezepten gebrautes deutsches Traditionsbier verkosten. Und seit 1997 findet jährlich am 8. Dezember in Santa Anita ein „Getreidedresch-Festival” statt: Dem Publikum wird dabei mit altertümlichen, aber dennoch funktionsfähigen Landmaschinen vorgeführt, wie einst ihre Ahnen vor einem Jahrhundert den Boden bearbeiteten. Die von den ortsansässigen Vereinen organisierten Volksfeste haben großen Zulauf und verdienen es zweifellos, als nationale Errungenschaft der argentinischen Wolgadeutschen betrachtet zu werden.
* * *
Ungeachtet der in Expertenkreisen anzutreffenden Meinung, es sei bei den Angehörigen verschiedener Ethnien verlöschendes Interesse an der Gründung national-kultureller Vereinigungen zu erwarten, gibt es in Argentinien überall wolgadeutsche Vereine – in den großen Metropolen wie in Kleinstädten, in Regionalzentren wie auch in kleinen Ortschaften. Sie alle erfüllen die wichtige Aufgabe der Bewahrung der Identität wie auch der ethnokulturellen und sprachlichen Vielfalt und der Unterstützung von Frieden und Einklang zwischen
den Volksgruppen. Die Institutionalisierung der nationalen Bewegung der wolgadeutschen Nachkommen hält dabei gegenwärtig weiter an.
In Crespo, einer Stadt in der Provinz Entre Ríos, befand sich ab 1975 das Zentrum eines ersten großen Zusammenschlusses der Wolgadeutschen, der etwa 20 Organisationen aus den Provinzen Entre Ríos, La Pampa, Chaco und Buenos Aires vereinte: die „Asociación Argentina de Descendientes de Alemanes del Volga“, (AADAV, erster Vorsitzender war von 1975–1979 Víctor Pedro Popp) [Litzenberger, Assoziation]. Die Assoziation gab eine eigene Zeitung namens „El Centario” heraus und kümmerte sich besonders um die Unterstützung kultureller Aktivitäten und den Erhalt wolgadeutscher Traditionen. 2014 wurde sie aufgrund einer Mitgliederentscheidung satzungskonform aufgelöst. Faktisch ihr Rechtsnachfolger wurde die „Argentinische Föderation der Verbände der Nachkommen der Wolgadeutschen” („Federación Argentina de Asociaciones de Descendientes de Alemanes del Volga”, FADADAV*) mit Sitz in Buenos Aires (erste Vorsitzende war Isabelle Kessler, seit 2017 unter Leitung von Mariano Baimler) [Litzenberger, FADADAV]. Gegenwärtig vereint die FADADAV allein in der Provinz Entre Ríos acht Organisationen. Die meisten von ihnen wurden gleich nach Bildung der AADAV gegründet, so etwa der Verein der Nachkommen der Wolgadeutschen von Gualeguaychú (Asociación de Descendientes de Alemanes del Volga de Gualeguaychú), der seit November 1976 besteht (erster Vorsitzender von 1976–1978 war Alberto Huck; seit 2018 unter Leitung von Leandro Hildt) [Litzenberger, Verein]. Zu den frühen Gründungen zählen auch die Vereine in Lucas González (1976) und Aldea Protestante (1977). Etwas später entstanden ähnliche Vereine in María Luisa (1982) und Maciá (1992). Die zuletzt entstandenen Vereine tragen deutsche Namen: „Unser Weg” (Urdinarrain, 1997), „Unser Dorf” (Aldea San Juan, 1997) und „Unsere Grosseltern” (Aldea Brasilera, 1999).
* Offizielle Seite – http://fadadav.org.ar/
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Wolgadeutsche Vereine: Tendenzen und
Entwicklungsperspektiven
Im Jahr 2024 waren in der Provinz Entre Ríos etwa 20 wolgadeutsche Organisationen aktiv. Neben den FADADAV-Mitgliedsvereinen existieren auch unabhängige Vereinigungen: „Unión libre de alemanes de Valle María”, „Grupo Coreográfico Edelweiss” (Crespo), „Colectividad alemana Ramirez”, „ Asociación de Alemanes de Paraná”, „Unión Descendientes de Inmigrantes Alemanes del Volga de Villaguay”, „Asociación de Descendientes de Alemanes de Concordia”, „Asociación de Argentinos de Ascendencia Alemana” (Urdinarrain), „Asociación de Descendientes de Alemanes del Volga de Galar za” (General Galarza), „Asociación Alemana Gewohnheit” (Aldea San Antonio) [Asociaciones].
Viele Organisationen vereinen dabei ihre Mitglieder nicht nur nach dem Wohnortsprinzip, sondern auch nach Interessen. So besteht beispielsweise in Santa Anita die deutsche Ballett-Gruppe „Die Volga Hertzie” und in Paraná die Tanzgruppe „Die Schwalben”. Die meisten Vereine unterhalten auch engen Kontakt zur FAAG** („Federación de Asociaciones Argentino-Germanas”, Buenos Aires), die als Dachverband der zahlreichen deutsch-argentinischen Kulturvereine ohne wolgadeutschen Hintergrund fungiert.
Zum aktuellen Zeitpunkt wurden Vereinigungen in anderen argentinischen Provinzen noch selten von der Forschungsarbeit erfasst [Just Quiles, M.]. Ihre Aktivitäten wie auch die Medienarbeit der ** Offizielle Seite – https://faag.org.ar/
Wolgadeutschen*** verdienen zweifellos Aufmerksamkeit und eine detaillierte Analyse. Unter Berücksichtigung der Organisationsformen, der aktiven Tätigkeit und der langen Geschichte der oben genannten Vereine wie auch einer Analyse der Spezifik der gegenwärtigen Situation prognostizieren wir zwei gegenläufige Tendenzen: Die eine ist ein weiteres Popularitätswachstum der meisten bestehenden und die Eintragung neuer Vereine (z.B. befindet sich in Santa Anita ein Verein in der Gründungsphase). Dieser Schluss beruht auf dem bei unserer Feldforschung konstatierten positiven Verhältnis des größten Teils der Öffentlichkeit gegenüber den Vereinstätigkeiten. Für einzelne Zusammenschlüsse kann aber auch eine Krisentendenz wahrscheinlich werden – verursacht
*** z.B. zählt heute die Facebook-Gruppe „Alemanes del Wolga en Argentina“ (Administratorin Jorgelina Fischer) mehr als 33.000 (!) Mitglieder. Die „Asociación Descendientes de Alemanes del Río Volga“ hat 6.00 0 Mitglieder (lt. Facebook-Statistik), u.a.m.
▲ In einer uns übergebenen „Interessenerklärung anlässlich des Besuchs” hieß es, dass es Pflicht der Gemeinde sei, „das Kulturerbe zu bewahren”. V.l.n.r. José Gareis, Leiter der Abteilung für Kultur und Tourismus, Dr. Olga Litzenberger, Hugo Roberto Ramirez, Gemeindepräsident. Fotos: 2023.
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Wolgadeutsche
Vereine: Tendenzen und Entwicklungsperspektiven
▲ Fassadenfragment des Gebäudes des Wolgadeutschen Vereins. Aldea Protestante. Foto: 2023.
▲ V.l.n.r. Dr. Sergey Terekhin, Dr. Olga Litzenberger, Leandro Hildt, Dr. René Krüger, Evgenii Moshkov im Jakob Riffel-Saal. Gualeguaychú. Foto: 2023.
durch Führungskrisen oder Konkurrenz, Bedeutungsverlust, fehlendes Interesse bei den Einwohnern oder die Einstellung der Aktivitäten (beispielsweise hörte vor einigen Jahren ein Verein in Ramirez auf zu existieren). Zusammenfassend lassen sich die Prognosen und Entwicklungsperspektiven der wolgadeutschen Vereine in folgenden Schlüssen darlegen:
1. In ihrer Rolle als Institutionen der Zivilgesellschaft akkumulieren die von uns untersuchten Vereinigungen enorme kreative Aufbau-Potentiale, wovon wir uns beim Besuch der meisten Siedlungen überzeugen konnten.
2. In der gegenwärtigen Etappe besteht die konzeptionelle Grundlage der Aktivitäten der
untersuchten Vereinigungen in Komponenten des historisch-kulturellen Erbes, in der Bildungsarbeit, dem Gedenken und Begehen von Jahrestagen sowie der Unterstützung und Bewahrung von Brauchtum und Folklore. Bemerkenswert sind beispielsweise die Erfahrungen von Aldea Valle Maria beim Aufstellen von Informationstafeln zur Ortsgeschichte sowie kleinerer Gedenktafeln. In einer Reihe von Siedlungen werden die Bemühungen um den Erhalt der deutschen Sprache mit dem Angebot von Sprachkursen unterstützt.
3. Die Er fahrungen in der Zusammenarbeit dieser Vereinigungen mit den lokalen Verwaltungen umfassen zahlreiche positive Praxisbeispiele (Gründung und Unterhalt von Museen mit
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Wolgadeutsche
Vereine: Tendenzen und Entwicklungsperspektiven
Unterstützung oder durch Mittel der Kommunen, die Organisation von traditionellen Festen u.v.m.).
In vielen Ortschaften wurden wir nicht nur von den Leitern der Kulturvereine und einer beträchtlichen Gruppe Einheimischer warm empfangen, sondern auch von den jeweiligen Gemeindevorstehern, die sich die Zeit nahmen, uns im Laufe des ganzen Tages zu begleiten und auf unsere Fragen einzugehen (Aldea Protestante, Aldea Brasilera, San Juan). Die vorgenommene Analyse erlaubt zu konstatieren, dass die lokalen Verwaltungen einen grundlegenden und harmonisierenden Faktor bei der Unterstützung der volkstümlichen Vereine und einen wesentlichen Faktor bei der Bewahrung des Kulturerbes darstellen. So hieß es in einer uns von der
Gemeinde Aldea Brasilera übergebenen „Interessenerklärung anlässlich des Besuchs” ausdrücklich, dass es Pflicht einer Gemeinde sei, „das Kulturerbe zu bewahren und zu entwickeln” („proteger y promover la cultura“, art. 108, № 10.027).
4. Die wolgadeutschen Vereine haben es mit umfangreichen ethnokulturellen Veranstaltungen geschafft, in die Palette des gesellschaftlichen Lebens ihrer Region einzugehen. Die praktischen Erfahrungen der NGOs von Entre Ríos, wo bereits eingespielte Mechanismen und Konstruktivität in der Zusammenarbeit mit den lokalen Verwaltungsstrukturen bestehen, könnten sich auch in anderen Gebieten mit kompakter wolgadeutscher Bevölkerung als nützlich erweisen.
▲ Jahreskongress der deutschen Landesgruppen und Regionalverbände in Urdinarrain, Entre Ríos. September 2023. Fotos: 2023.
NACHWORT
Unsere dem Kulturerbe der Wolgadeutschen in der Provinz Entre Ríos gewidmeten Reisenotizen finden hier ihr Ende. Der Traum von einem Besuch der deutschen Siedlungen in Argentinien ist Wirklichkeit geworden. Wir hoffen, dass diese kulturhistorischen Skizzen im Stil eines Reisetagebuchs nicht nur für jene von Interesse sind, die unserem Beispiel folgen möchten und bereit sind, dazu einen Ozean zu überqueren und tausende Kilometer zurückzulegen – oder für jene, die die Schönheit der Welt und ihre kulturelle Vielfalt zu schätzen wissen. Wir möchten dazu animieren, unserem Beispiel auch hinsichtlich des Interesses für die Geschichte der Wolgadeutschen als eines „Volkes auf dem Weg” zu folgen – eines Volkes, das nicht umsonst auch als „Pionier der Globalisierung” gilt.
* * *
Das Kulturerbe des argentinischen Wolgadeutschen wurde von uns am Beispiel von Entre Ríos untersucht – das aber nur eine der 23 großen oder auch kleinen, nördlichen oder weit südlich
gelegenen Provinzen Argentiniens ist, von denen jede ihre eigene Kultur und ihre Sehenswürdigkeiten hat. Doch während die Landeshauptstadt Buenos Aires oder die Iguazú-Wasserfälle jedes Jahr Millionen von Menschen anziehen, kann man Entre Ríos kaum als Tourismusregion bezeichnen. Genau deshalb hat man uns sogar in der Provinzhauptstadt Paraná nicht nur einmal verwundert gefragt, wer wir denn seien und was uns hergeführt hat.
Wir waren in 14 Ortschaften der Provinz: in zehn Dörfern und vier Städten, die unmittelbar Bezug zu den Wolgadeutschen haben. Vorrangig besuchten wir fünf Mutterkolonien, die als „Aldeas Madres” bekannt sind und im Departement Diamante nahe beieinander liegen: (1) Aldea Valle María = Marienthal (2010: 2.149 Einw.), (2) Aldea Protestante = Protestantendorf (519 Einw.), (3) Aldea Spatzenkutter = Marienfeld (355 Einw.), (4) Aldea Salto = Köhler (102 Einw.) und (5) Aldea San Francisco = Pfeifer (42 Einw.). Alle diese
▲ Sonnenuntergang. Entre Ríos. Foto: 2023.
Reisen lehrt mehr als alles andere. Mitunter ist ein andernorts verbrachter Tag wertvoller als zehn Jahre zuhause. [Anatole France]
Siedlungen waren als Bestandteile der Kolonie General Alvear gegründet worden, die ihrerseits auf Anordnung der Republikregierung am 20. Januar 1878 geschaffen wurde. Unweit von ihnen befindet sich (6) Aldea Brasilera (895 Einw.), das etwas später von Kolonisten begründet wurde, die sich zunächst in Brasilien niedergelassen hatten. Außerdem waren wir in einer anderen Region der Provinz, dem Departement Gualeguaychú, wo wir die kleinen Siedlungen (7) Santa Celia, (8) San Juan (179 Einw.), (9) San Antonio (1.091 Einw.) besuchten; die letzte Siedlung – (10) Santa Anita (1.187 Einw.) – gehört zum Departement Uruguay. Zudem konnten wir uns Sehenswürdigkeiten wie Kirchen, Museen, Kulturzentren und Friedhöfe in vier Städten ansehen, in denen gegenwärtig ebenfalls Nachkommen der ersten Kolonisten leben: (11) die gemütliche Kleinstadt Urdinarrain (8.580 Einw.), (12) Crespo mit seiner erhalten gebliebenen wolgadeutschen lutherischen Kirche (19.536 Einw.), (13) das über eine Brücke mit dem
Nachbarland Uruguay verbundene Gualeguaychú (80.614 Einw.) und (14) Paraná, das respektable Verwaltungszentrum der Provinz (247.139 Einw.).
Auf der Suche nach Formen des materiellen und immateriellen Kulturerbes der dortigen Wolgadeutschen sind wir fast tausend Kilometer über die staubigen Straßen des „argentinischen Zweistromlands” im Becken der Flüsse Paraná und Uruguay gefahren – wobei uns klar wurde, warum der Provinzname Entre Ríos übersetzt „zwischen den Flüssen” lautet. Jetzt wissen wir, dass Entre Ríos eine lebhafte und markante Provinz ist, die sich durch ihr deutsches Erbe auszeichnet und deren kleine Dörfer geradezu an Kulissen für Historienfilme erinnern. Wir besuchten die Heimat des argentinischen Karnevals, die Beinahe-Großstadt Gualeguaychú, wo eines der aktivsten deutschen Kulturzentren der Region besteht. Und wie genossen wir die Gespräche mit den gastfreundlichen Einheimischen, die schnell mit uns Freundschaft schlossen! Wir unterhielten uns aber nicht nur mit
Deutschen, sondern auch mit indigenen Indianern, wobei wir uns überzeugen konnten, dass in Entre Ríos die Nachkommen europäischer Übersiedler (Spanier, Italiener, Franzosen, Deutsche u.a.) dominieren, die hier in der von Hügeln durchsetzten Ebene landwirtschaftliche Kolonien gegründet hatten. Wir sahen Mühlen und Molkereien, Getreidesilos und Lagerhäuser, wir beobachteten die Rinderherden und verstanden, warum die Wirt schaft von Entre Ríos in Argentinien Platz sechs einnimmt.
Bei unseren Fahrten entlang malerischer Soja- und Maisfelder sahen wir förmlich das andere Ende des Regenbogens. Mit unseren Fotoapparaten schlenderten wir über Dorfstraßen deutscher Siedlungen, durch die es keine geführten Ausflüge gibt. Als wahrheitsgetreue Reflexion unserer Reise und zur Illustration unseres Buches entstanden – vor allem dank des Fotografen Evgenii Moshkov – einmalig „lebendige” Bilder.
Vor kurzem wurde bekannt, dass die historischen Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeinde in Herrnhut/Deutschland, Gracehill/Irland und Bethlehem/USA für den Erhalt des Status von Objekten des UNESCO-Weltkulturerbes nominiert worden sind. Sollten sich nicht auch die Dörfer der Wolgadeutschen in Argentinien um diesen Status bemühen? Sicher, es ist nicht einfach, ihn zu erreichen und die eigene Bedeutung für das Weltkulturerbe zu beweisen. Für den Anfang wäre es unabdingbar, ohne Unterlass dieses Kulturerbe diversifiziert und mit Breitenwirkung zu popularisieren. Wir würden es sehr begrüßen, wenn diese Publikation Argumente im Rahmen einer solchen Kampagne liefern könnte. Und wir möchten unsere Leser animieren, unserer Reiseroute zu folgen, um die einzigartigen KulturerbeObjekte der dortigen Wolgadeutschen mit eigenen Augen zu sehen.
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
1. Al‘vares K. Ch.: Integracija russkojazyčnych immigrantov v argentinskoe obščestvo: nacional‘nye osobennosti i global‘nye tendencii, Avtoreferat k.i.n., Sankt-Petersburg 2005.
2. Asociaciones Argentinas de Lengua Alemana: Un aporte a la Responsabilidad Social. Argentinische Vereinigungen deutschsprachigen Ursprungs: Ein Beitrag zur sozialen Verantwortung Deutsch-Argentinische Industrieund Handelskammer, Publicaciones de la Cámara de Industria y Comercio, Argentino-Alemana Editado por Dr. Klaus-Wilhelm Lege, Volumen 2, Buenos Aires 2007.
3. Bauer, Zully, Krüger, René: Mer händ doch so glacht! Wolgadaitsche Witze, in Argentinie verzählt, Buenos Aires, 2015.
4. Blancpain, Jean-Pierre: Migrations et mémoire germaniques en Amérique latine à l‘époque contemporaine: Contribution à l‘étude de l‘expansion allemande outre-mer, Presses universitaires de Strasbourg, Strasbourg 1994.
5. Cornblit, Oscar: Inmigrantes y empresaRíos en la política argentina, in: Di Tella, Torcuato, Halperín Donghi, Tulio (Hg.), Los fragmentos del poder. De la oligarquía a la poliarquía argentina, Buenos Aires 1969.
6. Gálvez, Lucia: Historias de inmigración: Testimonios de pasión, amor y arraigo en tierra argentina (1850–1950). Biografías y documentos, Buenos Aires 2003.
7. GASO (Gosudarstvennyj archiv Saratovskoj oblasti, Staatliches Archiv des Saratover Gebiets).
8. Graefe, Iris: Zur Volkskunde der Rußlanddeutschen in Argentinien, Verlag A. Schendl, Wien 1971.
9. Hipperdinger, Yolanda: Die Sprache(n) der Wolgadeutschen in Argentinien. Die Kolonisierung des Bezirkes Coronel Suárez, Wien 2005.
10. Just Quiles, Marco: Vereine deutschsprachigen Ursprungs als Partner in der Auswärtigen Kulturpolitik. Perspektiven und Handlungsempfehlungen am Beispiel deutsch-argentinischer Vereinigungen, Stiftung Verbundenheit 2019.
12. Krüger, René: La dignidad no se negocia, Buenos Aires 2011.
13. Krüger, René: Las cartas de Dorothea, Buenos Aires 2018.
14. La Ley de Inmigración y Colonización, Nº 817, de 1876.
15. Ladilova, Anna: Kollektive Identitätskonstruktion in der Migration: Eine Fallstudie zur Sprachkontaktsituation der Wolgadeutschen in Argentinien, Iberolinguistica, Band 1. Hrsg: Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften; 1. Edition, 2013.
16. Litzenberger Olga: Verein der Nachkommen der Wolgadeutschen von Gualeguaychú https://enc.rusdeutsch. eu/articles/6128.
17. Litzenberger, Olga: Argentinische Assoziation der Nachkommen der Wolgadeutschen, https://enc.rusdeutsch. eu/articles/6113.
18. Litzenberger, Olga: Argentinische Föderation der Verbände der Nachkommen der Wolgadeutschen, FADADAV, https://enc.rusdeutsch.eu/articles/6129.
19. Lütge, Wilhelm: Rußlanddeutsche in Argentinien, in: Der Wanderweg der Rußlanddeutschen. Jahrbuch der Hauptstelle für die Sippenkunde des Deutschtums im Ausland (WRD), 4. Jg. 1939, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Berlin 1939, S. 237–251.
20. Oelsner, Veronica: Die Europäische Einwanderung in Argentinien 1810–1914, Politikkonzepte, staatliche Förderung und Auswirkungen auf die argentinische Arbeitswelt, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1431.
21. Putjatova Ė. V.: Rossijskaja trudovaja ėmigracija v Argentine v period Pervoj mirovoj vojny, in: Vestnik Sankt-Peterburgskogo universiteta, 2007, Serija 2, Vypusk 2.
22. Riffel, Jakob: Die Rußlanddeutschen insbesondere die Wolgadeutschen am La Plata (Argentinien, Uruguay und Paraguay), Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum ihrer Einwanderung, herausgegeben im Auftrag seiner Landsleute von Jakob Riffel, Entre Ríos 1928.
23. Riffel, Jakob: Los alemanes de Rusia. En particular, los alemanes del Volga en la Cuenca del Plata (Argentina, Uruguay y Paraguay). Libro conmemorativo con motivo del cincuentenario de su inmigración (1878–1928). Escrito y publicado por encargo de la colectividad por Jakob Riffel, Pastor en Lucas González, Entre Ríos, Edición literaria a cargo de René Krüger, Buenos Aires 2008.
24. Rosenberg, Peter: Deutsche Minderheiten in Lateinamerika, in: Particulae particularum, Festschrift zum 60. Geburtstag von Harald Weydt, Theo Harden und Elke Hentschel (Hg.), Tübingen 1998.
25. Saint Sauveur-Henn, Anne: Die deutsche Migration nach Argentinien (1870–1945), in: Birle, Peter (Hg.): Die Beziehungen zwischen Deutschland und Argentinien, Vervuert: Frankfurt am M.; Madrid; Orlando, FL. 2010, S. 21–52.
26. Sbornik statističeskich svedenij po Saratovskoj gubernii, Saratov 1891, T. 11.
27. Schmidt, Arnd: Kollektive Zweisprachigkeit in einsprachiger Umgebung. Eine wolgadeutsche Sprachinsel in Argentinien, Kiel, Westensee 1997.
28. Terekhin, Sergey: Deutsche Siedlerarchitektur im Ausland, BKDR Verlag, Nürnberg 2020.
29. Vitalone, Cristina: „Alemanes del Volga: Colonia Madre del Sur“, in: Anales LINTA, Buenos Aires 1995, S. 27–37.
30. Volkov A. E.: Pervye sovetskie issledovanija v oblasti sel‘skogo chozjajstva Latinskoj Ameriki, in: Latinskaja Amerika: aktual‘nye problemy geografii, Moskva 1979.
Weltverbunden
Schriftenreihe der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland