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SCHMERZEN TEIL 2

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FÜR SIE DA

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SCHMERZEN BEI QUERSCHNITTLÄHMUNG TEIL 2

Multimodale Schmerztherapie

In der letzten Ausgabe berichteten wir über die multimodale Schmerzdiagnostik. In diesem Heft möchten wir Ihnen die therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung von Schmerzen detaillierter erläutern.

Von Dr. med. Gunther Landmann

In der Therapie chronischer Schmerzen erweisen sich interdisziplinäre und multimodale Therapien im Vergleich zu einseitigen Therapieformen seit langem als überlegen. Die Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie (DMGP) empfiehlt, auch Schmerzen bei Querschnittlähmung mit Hilfe einer interdisziplinären Therapie zu behandeln. Fachpersonen aus Pflege, Medizin, Psychologie und Physiotherapie sowie bei Bedarf aus weiteren Bereichen (Ergotherapie oder Sozialarbeit) sollten hierbei eng zusammenarbeiten. Eine Übersicht zu Inhalten der multimodalen Schmerztherapie zeigt Abbildung 1.

Physiotherapie

Muskuloskelettale Schmerzen wie zum Beispiel Schulterschmerzen werden auf physiotherapeutischer Ebene in erster Linie mit aktiven Übungen zur Kräftigung behandelt. Unterstützend können manualtherapeutische Techniken angewendet werden. Bei Schmerzen der inneren Organe, sogenannte viszerale Schmerzen, können Weichteiltechniken und Osteopathie Abhilfe schaffen. In der Behandlung von Spastiken und spastikbezogenen Schmerzen kommen die Konzepte nach Bobath oder Vojta zum Einsatz, aber auch die funktionelle Elektrostimulation, Bewegungstrainer wie Motomed oder Motionmaker sowie die Hippotherapie haben einen hohen Stellenwert. Auch die Verbesserung der Körperhaltung, des muskulären Gleichgewichts und der Transfertechnik wirken sich positiv aus. Nicht zu unterschätzen ist die Sitzposition im Rollstuhl. Sie beeinflusst die Schmerzarten und sollte frühzeitig überprüft werden.

Virtual Reality

Bei einer kompletten Querschnittlähmung fehlen dem Gehirn aufgrund der unterbrochenen Nervenbahnen Informationen. Die betroffenen Hirnareale verändern ihre Aktivität, was Schmerzen auslösen kann. Innovative Therapieformen nutzen neuste Technik und adressieren diese Hirnregionen. Eine Videoprojektion (Abbildung 2) täuscht dem Patienten vor, zu gehen. Diese Illusion wirkt auf die veränderten Hirnareale, was Schmerzen mindern kann.

Psychotherapie

Die Möglichkeiten von schmerzpsychologischen Therapien sind vielfältig. In Einzelsitzungen können die kognitive Verhaltenstherapie, Techniken zur Verarbeitung von Querschnittlähmung und Schmerzen (und anderer Belastungsfaktoren), Hypnose, Entspannungsverfahren, Achtsamkeitsübungen, sowie das Stärken psychosozialer Ressourcen zur Anwendung kommen. Demgegenüber bieten Gruppentherapien den Vorteil, dass sich die Mitglieder untereinander austauschen und motivieren.

Medizinische/ärztliche Massnahmen

– Medikamente bei neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen sowie Spastik – Internistische bzw. urologische

Massnahmen bei viszeralen Schmerzen – Orthopädische Massnahmen bei muskuloskelettalen Schmerzen

Interventionelle Schmerztherapie

– Interventionelle Schmerztherapie wie

Facettengelenk bzw. Nervenwurzelverfahren – Baclofenpumpe bei Spastik – Operative Behandlung struktureller

Veränderungen des muskuloskelettalen

Systems bzw. des Rückenmarks

Mulitmodale Schmerztherapie

– Interdisziplinäre Integration medizinischer, psychotherapeutischer, physiotherapeutischer und gegebenenfalls auch anderer Verfahren

Physiotherapie

– Graduierte Kräftigungsübungen, Ausdauertraining – Manualtherapeutische Techniken – Osteopathie – Rollstuhlanpassung – Bei Spastik: Bobath-/Vojita-Techniken, Verbesserung der posturalen Kontrolle, des muskulären

Gleichgewichts und der Transfertechniken

Schmerzpsychologie

– Kognitive Verhaltenstherapie – Verarbeitung von Querschnittlähmung und

Schmerzen sowie anderer Belastungsfaktoren – Schmerzbewältigungsgruppen – Hypnose, Achtsamkeit, Entspannungsverfahren – Stärken psychosozialer Ressourcen – Soziale und systemische Aspekte

Abbildung 1

Die Möglichkeiten der multimodalen, interdisziplinären Schmerztherapie

Häufig werden hier psychologische mit medizinischen und physiotherapeutischen Elementen kombiniert. Ein entsprechendes Angebot besteht mit der «Schmerzgruppe für Rollstuhlfahrer» am Zentrum für Schmerzmedizin in Nottwil.

Medikamente

Nozizeptive Schmerzen, sprich Schmerzen, die nicht vom Nervengewebe ausgehen, können mit Analgetika, nichtsteroidalen Antirheumatika und auch Opioiden behandelt werden. Bei einer Langzeittherapie ist es wichtig, die Wirkung der Medikamente sowie allfällige Nebenwirkungen regelmässig zu überprüfen.

Entstehen Schmerzen durch eine Spastik, sollte die Behandlung der Spastik im Fokus der Therapie stehen. Nichtsteroidale Antirheumatika sowie Antispastika wie Baclofen, Tizanidin und weitere unterstützen diese Behandlung. Schmerzen, die durch Verstopfung hervorgerufen werden, lassen sich durch Medikamente, die den Stuhlgang verbessern, mindern.

Nervenschmerzen, sogenannte neuropathische Schmerzen, werden mit antineuropathischen Medikamenten behandelt. Diese Medikamente wirken an Nerven und Nervenbahnen, indem sie die Weiterleitung schmerzhaft empfundener Nervensignale unterbinden. Solche unkontrollierten Nervensignale können zum Beispiel von bestimmten Ionenkanälen ausgehen, die während der Nervenregeneration entstehen. Medikamente, die ursprünglich gegen Epilepsie (Antiepileptika) sowie gegen Depression (Antidepressiva) eingesetzt werden, besitzen eine solche hemmende Wirkung.

Bei neuropathischen Schmerzen hängt die Medikation von der Diagnose ab. So macht es einen Unterschied, ob die Ursache der Schmerzen auf oder unterhalb des Lähmungsniveaus liegt. Hier spricht man von einer peripheren beziehungsweise zentralen Schmerzursache.

Peripher verursachte Schmerzen können mit dem Antidepressivum Duloxetin behandelt werden, insbesondere bei gleichzeitiger Depression. Schmerzpflaster wie

Abbildung 2

Therapiesetting des «virtuellen Gehens». Es sind mehrere Sitzungen von 10 bis 25 Minuten an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen erforderlich.

Lidocain und CapsaicinPflaster blockieren die Nervenenden direkt an der Haut und sind bei lokalen Schmerzen geeignet.

Für die Therapie zentral verursachter neuropathischer Schmerzen zeigen Antiepileptika wie Gabapentin und Pregabalin sowie das Opioid Tramadol gute Wirkung. Antidepressiva wie zum Beispiel Amitriptylin sind geeignet, vor allem wenn zusätzlich eine Depression vorliegt. Das Antiepileptikum Lamotrigin empfiehlt sich bei inkompletter Querschnittlähmung mit einhergehender Überempfindlichkeit.

Cannabinoide eignen sich nach aktueller Datenlage nicht zur Therapie neuropathischer Schmerzen. Für andere Opioide wie Oxycodon ist die Datenlage unzureichend, kann aber in Kombination mit einem Antiepileptikum versucht werden. Opioide können Verstopfungen auslösen, weshalb auf eine entsprechende Darmregulation geachtet werden muss. Alternativ sind Medikamente mit dem zusätzlichen Wirkstoff Naloxon zu wählen, welche diese Nebenwirkung abschwächen.

Interventionelle Therapien

In manchen Fällen ergeben sich klinische Hinweise darauf, dass konkrete anatomische Strukturen für die Entstehung/Aufrechterhaltung neuropathischer Schmerzen verantwortlich sind. Diese können dann mit sogenannten diagnostischen Blockaden unter Röntgen oder Ultraschallkontrolle gezielt betäubt werden, womit der klinische Verdacht erhärtet oder ausgeräumt wird. Wenn sich die diagnostischen Infiltrationen als positiv, also wirksam, erweisen, gibt es therapeutische Ansätze wie beispielsweise die Therapie mit elektrischer Stimulation, um einen längerfristigen Effekt zu erreichen. Typische Lokalisationen für die Entstehung neuropathischer Schmerzen sind zum Beispiel periphere Nerven oder die Nervenwurzeln, also Stellen, an denen die Spinalnerven des Rückenmarks die Wirbelsäule verlassen.

Bei Spastik besteht die Möglichkeit, sich eine Medikamentenpumpe unter die Haut einzusetzen, welche Baclofen ans Rückenmark abgibt. Dieses Verfahren empfiehlt sich, wenn Physiotherapie und Medikamente die Spastik nur unzureichend reduzieren.

Sprechen die oben ausgeführten Therapieformen nicht an, kann nach einer gründlichen Evaluation eines erfahrenen Schmerzteams der Einsatz eines Rückenmarkstimulators (schmerzlindernde elektrische Stimulation des Rückenmarkes) erwogen werden. Eine eher einfache nichtinvasive Methode stellt die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) dar. Ein Magnetfeld wirkt über mehrere Minuten an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen auf die betroffenen Nerven schmerzlindernd.

Insgesamt ist es unerlässlich, die oben genannten Therapieoptionen im Team zu besprechen und abzustimmen, um eine optimale Behandlung zu ermöglichen.

Kontakt gunther.landmann@paraplegie.ch

Autoren: Dr. med. Gunther Landmann, MSc, Leitender Arzt Neurologie; Dr. med. Tim Reck, MSc, Leitender Arzt konservative und interventionelle Schmerzmedizin; Karina Ottiger-Böttger, MAS, Leiterin Schmerzphysiotherapie; Julia Kaufmann, Psychologin, Zentrum für Schmerzmedizin, Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Nottwil

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