DIE ERNÄHRUNG VOLUME 45 | 03/04.2021

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daher diese Systeme „streng überwa­ chen“ und „verpflichtet sich, auf jegliche Maßnahme zu reagieren, die die Funk­ tionsweise des Binnenmarktes stören könnte“ (ABl 2009, Nr C 107/2f). Ebenso wird mit der genannten Bestim­ mung in die Grundrechte auf Eigen­ tums- und Erwerbsfreiheit der betroffe­ nen Letztvertreiber eingegriffen. Diese Grundrechtseingriffe sind nicht gerecht­ fertigt und deshalb auch verfassungs­ widrig. Die vorgesehenen Mehrwegquo­ ten sind nicht zur Förderung von Umweltschutz­a nliegen geeignet. Mehrweggebinde können nur dann ökologisch günstiger als andere Ver­ packungen sein, wenn bestimmte Vor­ aussetzungen (geringe Transportwege, Erreichen bestimmter Umlaufzahlen etc.) erfüllt sind. Da aber nicht vorge­ sehen ist, dass die angebotenen Mehr­ weggebinde diese Anforderungen auch tatsächlich einhalten müssen, ist nicht sichergestellt, dass durch die Verpflich­ tung zur Erfüllung von Mehrwegquo­ ten tatsächlich Umweltschutzanliegen gefördert werden. Zudem sind andere Maßnahmen denkbar, die einerseits weniger stark in die Eigentums- und Erwerbsfreiheit der Letztvertreiber eingreifen, andererseits aber gleicher­ maßen (oder sogar noch mehr) der Ver­ wirklichung von Umweltschutzanliegen dienen können. Dazu zählen etwa För­ derung von Recycling-Verpackungen, Kampagnen zur Steuerung des Konsu­ mentenverhaltens etc. Schließlich sind die durch die Rege­ lung (allenfalls) erzielten, positiven Auswirkungen auf den Umweltschutz nicht nachweislich so stark, dass sie die intensiven Eingriffe in die Grund­ rechte der Letztvertreiber rechtfertigen könnten. Aus all diesen Gründen sind die Grundrechtseingriffe unverhältnis­ mäßig und die vorgeschlagenen Rege­ lungen daher höchstwahrscheinlich verfassungswidrig. Das auch deshalb, weil die verpflichteten Letztvertreiber (wie der Lebensmitteleinzelhandel) keinen unmittelbaren Einfluss dar­ auf nehmen können, ob bzw. in wel­ cher Qualität und Menge bestimmte Getränke von Getränkeherstellern in Mehrweg-Getränkeverpackungen an­ geboten werden. Ihre Verpflichtung zum Anbieten von bestimmten Quoten

an Getränken in Mehrweg-Verpackun­ gen besteht aber unabhängig von der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Produkte. Weiters sind die vorgeschlagenen Rege­ lungen in vielfacher Hinsicht gleichheits­ widrig, da sie Unterscheidungen enthal­ ten, die sachlich nicht begründbar sind wie z. B. die Zuordnung der einzelnen Getränke zu den jeweiligen Getränkeka­ tegorien. Schließlich ergibt sich eine weitere Ver­ fassungswidrigkeit der vorgeschlagenen Regelungen daraus, dass die Nichtein­ haltung der vorgeschlagenen Mehrweg­ quote mit Verwaltungsstrafe belegt ist. Allerdings sind die vorgeschlagenen Re­ gelungen in vielfacher Hinsicht unklar: welche Getränke welchen Kategorien zuzuordnen sind bzw. ob sie überhaupt von einer Kategorie erfasst sind ebenso wie der Begriff des „Artikels“ selbst. Eine Bestrafung ist aber verfassungs­ rechtlich nur dann zulässig, wenn der Gesetzgeber klar zum Ausdruck bringt, welches Verhalten zulässigerweise ge­ setzt werden muss. Dies ist infolge der Unklarheit der vorgeschlagenen Bestim­ mungen nicht gegeben. Aus verfassungsrechtlichen Gründen und grundsätzlichen Überlegungen ab­ gelehnt werden die Verordnungsermäch­ tigungen in § 14 a. Bei den vorgesehenen Ermächtigungen, mit denen der Verord­ nungsgeber ausgestattet wird, handelt es sich um massive Eingriffsmöglichkeiten in den Wettbewerb, mit denen poten­ zielle Marktverwerfungen einhergehen können. Sie legen weitreichende Ent­ scheidungen in die Hand der jeweils amtierenden Exekutivgewalt, sind un­ bestimmt und damit zu weitreichend, um dem Legalitätsgebot zu entsprechen. Grundsätzliche Entscheidungen in der Abfallwirtschaft müssen weiterhin der parlamentarischen Diskussion und Ent­ scheidung unterliegen.

Position und Forderungen der österreichischen Getränkehersteller Die österreichische Getränkewirtschaft bekennt sich zum Ausbau und zur För­ derung des Mehrwegportfolios und stellt ihre Expertise und Leistungsfä­ higkeit in den Dienst einer Erhöhung

ERNÄHRUNG | Nutrition  volume 45 | 03/04. 2021

des Mehrweganteils im österreichischen Markt. Essentiell dabei ist, dass es den Getränkeherstellern „leicht“ gemacht wird, d.h. administrativer, finanzieller und organisatorischer Aufwand so ge­ ring wie möglich gehalten oder noch besser ganz vermieden wird. Mehrwegsysteme sind und werden in Zukunft einen integrativen Bestandteil des Verpackungsmix bilden. Für Geträn­ kehersteller ist der Einsatz von Mehr­ weggebinden seit jeher Bestandteil des Verpackungsmix. Ein Beispiel sind etwa Glasmehrwegflaschen in der Gastrono­ mie. Auch für den Lebensmitteleinzel­ handel wurden und werden immer wie­ der neue Angebote geschaffen, die von Konsumentinnen und Konsumenten gut angenommen werden. Die Getränkeher­ steller stimmen den Verpackungsmix auf die sich laufend weiterentwickelnden Trinkgepflogenheiten ab (unterwegs, in der Gastronomie, zuhause etc.). Die Getränkehersteller sehen daher den Schlüssel im Umgang mit allen Geträn­ keverpackungen darin, den Rückgabe­ kreislauf auf Konsumentenseite für alle Verpackungen – Einweg wie Mehrweg – auf hohem Niveau zu schließen, um diese für die Hersteller zur Wiederver­ wendung zugänglich zu machen. Eine Steigerung des Mehrweganteils kann nur mit einer gemeinsamen An­ strengung aller Marktteilnehmer und mit dem Fokus auf Bedürfnisse und Nachfrageverhalten der Konsumen­ tinnen und Konsumenten erfolgreich umgesetzt werden. Hier sind auch die besonderen Anforderungen am Touris­ musstandort Österreich sowie im Ex­ portbereich einzubeziehen. Es werden daher die Anhebung des Mehrweganteils aus ökologischen, ge­ samtwirtschaftlichen, praktischen und förderungsrechtlichen Gründen auf den Gesamtmarkt bezogen: inklusive aller Vertriebskanäle, das gesamte Getränke­ spektrum direkt als Mehrweg oder umge­ rechnet als Äquivalent und absatzseitig. Unter Voraussetzung der Erfüllung der angeführten Forderungen und Rah­ menbedingungen ist es aus der Sicht der österreichischen Getränkehersteller realistisch, dass der volumensmäßige Mehrweganteil bis zum Jahr 2030 um 25% gesteigert werden kann. Als Ver­ gleichsgrundlage gilt der Mehrwegan­ teil lt. ARGE Nachhaltigkeitsagenda


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