DIE ERNÄHRUNG VOLUME 45 | 03/04.2021

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die ernährung wirtschaft economy

Österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft

Volume 45 | 03/04. 2021

Transforming Food Systems Seite 08

Bombiger Erfolg

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Österreichische Post AG MZ 14Z040109 M SPV Printmedien GmbH, Florianigasse 7/14, 1080 Wien

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volume 45 | 03/04. 2021  ERNÄHRUNG | Nutrition Abstracted in CHemical Abstracts abstracted in scopus


Höchste Qualität von der Saat bis zum Öl

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3 inhalt content

inhalt —

Liebe Leserin, lieber Leser,

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Wirtschaft economy 04 Bombiger Erfolg 08 Transforming Food Systems 11 Mehrwegquoten in Diskussion 16 Genomeditierung: Präzisions­züchtung oder Gentechnik? 22 Lebensmittel auf dem Prüfstand

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Technik technology 26 Sichere Lebensmittel im Fokus 28 Testen, testen, testen 31 CAQ-Software sorgt für Auskunftsfähigkeit im Audit

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Wissenschaft science 32 Mikrobiologie in der Molkerei 35 Das Wesen des Sauerteigs – Milchsäurebakterien und Hefen zur Verbesserung der Brotqualität 38 Agrarkontaminanten in Lebens- und Futtermitteln 42 Was können Front-of-Pack-Labels?

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recht law 46 Nutri-Score® in Österreich – ein Überblick 50 Impressum

diese Sommerausgabe von DIE ERNÄHRUNG widmet sich der Nachhaltigkeit in der Lebensmittel­ herstellung. Nachhaltige Rohstoffe, Produktion und Verpackung stehen etwa bei der Heidi Chocolat AG Niemetz Schwedenbomben ganz oben. Im Interview spricht Gerhard Schaller, Geschäftsführer des Tradi­ tionsunternehmens, über Heraus­ forderungen und Innovationen. Mit dem Übergang zu einem „faire­ ren, gesünderen und umweltfreundli­ cheren europäischen Lebensmittelsys­ tem“ befasst sich Christina Nowak vom Fachverband der Lebensmit­ telindustrie. In ihrem Artikel zeigt sie die politischen und rechtlichen Grundlagen auf. Auch weitere Bei­ träge in dieser Ausgabe thematisieren die Nachhaltigkeit in der Lebensmit­ telkette – von widerstandsfähigen Pflanzensorten über Verpackung und Mehrwegquoten bis hin zur Kenn­ zeichnung. Gerade auch aktuelle Kennzeich­ nungsthemen beleuchten wir aus rechtlicher und wissenschaftlicher Sicht, etwa die französische Lebens­ mittelampel Nutri-Score®. So wid­ met sich ein Beitrag den wissen­ schaftlichen Aspekten sogenannter „Front-of-Pack“-Nährwertlabels und ein weiterer Artikel ordnet die­ se ins geltende Lebensmittelrecht ein. Wir wünschen Ihnen eine in­ teressante Lektüre und einen angenehmen Sommer!

Katharina Koßdorff

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Bombiger Erfolg Die Ernährung sprach mit dem Geschäftsführer der Heidi Chocolat AG Niemetz Schwedenbomben, Mag. Gerhard Schaller, über den Erfolg der Schwedenbombe als Klassiker und süSSe Innovationen, über die Herausforderungen bei der Nachhaltigkeit von Verpackungen und Produktion, über den Standort Österreich und seine Wünsche an eine „süSSe Fee“. Oskar Wawschinek

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ie Ernährung: In der Boxwelt lautet ein ungeschriebenes Gesetz: They never come back. Genau das ist Ihnen aber mit der Schwedenbombe gelungen. Wie haben Sie das geschafft? Gerhard Schaller: Die Schweden­ bomben sind ja eine der beliebtesten Marken Österreichs und wurden von den Vorbesitzern leider nur gemolken. Wir haben bei der Übernahme hohe Beträge in den alten Standort, den neuen Stand­ ort und ins Marketing investiert. Weiters haben wir sowohl in Richtung der Kun­ den als auch der Konsumenten ganz klar kommuniziert, dass die 6er Packung für den Impulsverzehr und die 20er Packung zum Verschenken und Teilen ist. Das war ja nur der Beginn – wie haben Sie die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben? Schaller: Wir haben gemeinsam mit dem Handel die Verfügbarkeit und Vi­ sibilität der Niemetz Schwedenbomben sichergestellt und haben mehr als eine Million Schwedenbomben an die Öster­ reicher verteilt, um die Konsumenten an

den hervorragenden Genuss der Schwe­ denbomben zu erinnern. Außerdem ha­ ben wir unsere Konditorriegel Manja und Swedy an fast jeder Kassa in Öster­ reich platziert. Dieser wahre „Hidden Champion“ ist ja die Nummer 3 in dem extrem umkämpften Riegelmarkt. Wie ist das Unternehmen aufgebaut? Schaller: Wir sind ein kleines schlag­ kräftiges Team, das sehr auf den Kunden fokussiert ist. Worin sehen Sie die Chancen und Bedeutung von Innovationen? Schaller: Innovationen sind gerade in der Süßware sehr wichtig, weil Kon­ sumenten immer wieder etwas Neues ausprobieren wollen. Innovationen sind in der gesamten Warengruppe nicht zu­ letzt aufgrund des zunehmenden Wett­ bewerbs unverzichtbar. Im Wettbewerb mit Eigenmarken und im Kampf um den limitierten Platz im Handel sind einzigartige Innovationen der Marken­ artikelhersteller gefragter denn je. Hinzu kommt, dass die heimischen Verbrau­ cher anspruchsvoll sind und oft nur mit neuen Impulsen zum Kauf angeregt

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werden können und auch immer wieder etwas Neues ausprobieren wollen. Daher sind wir laufend dabei, neue Produkte zu entwickeln. Im Moment sind gerade das Erdbeerbusserl und vor allen Dingen die Schwedenbomben Schaumschnitte im Kühlregal neu im Markt. Beide Produkte werden hervorragend vom Konsumenten akzeptiert und gekauft. Welche Bedeutung haben im Unternehmen Qualitätsmanagement und Zertifizierungen? Schaller: Wir legen einen sehr hohen Fokus auf Qualität und versuchen auch immer, unsere Produkte qualitativ wei­ ter zu entwickeln. Auch auf Zertifizie­ rungen wie IFS legen wir großen Wert, da sowohl Qualität, aber auch Sicher­ heit für Konsumenten und Mitarbeiter eine sehr hohe Priorität für uns haben. Wie haben Sie im Unternehmen die Coronakrise bisher erlebt? Schaller: Anfangs mussten wir ex­ trem schnell reagieren, da wir in der Produktion autarke Teams schaffen mussten, damit wir bei einer eventuellen Quarantäne ein Ersatzteam haben. Wir


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können ja mit unserem Frischeprodukt nicht auf Lager produzieren. Sind für Sie Änderungen bei den Umsätzen bemerkbar? Was hat sich durch Lockdowns und Homeoffice für Ihre Produktrange verändert? Schaller: Als Impulsprodukt hat die Schwedenbombe durch die reduzierte Fre­ quenz massiv gelitten. Als Frischeprodukt blieben die Schwedenbomben auch für Hamsterkäufe ausgeklammert. Im Laufe des Jahres hat sich aber die Situation gebes­ sert und wir konnten im Rahmen einer gu­ ten Zusammenarbeit mit dem Handel viele Aktivitäten umsetzen. Nachdem sich unsere wichtigste Marke Schwedenbomben durch die kurze Haltbarkeit nur bedingt zur Be­ vorratung eignet, konnten wir im Lebens­ mittelhandel nicht unser volles Umsatzpo­ tential ausschöpfen. Wie sehen Sie die Diskussionen um Zucker, Fett und Salz im Zusammenhang mit Übergewicht? Sind aus Ihrer Sicht Regelungen des Staats zielführend? Schaller: Nach der deutlichen Zu­ nahme verschiedener Zivilisations­ krankheiten, wie z.B. Adipositas, in den Industrieländern ist es nicht verwun­ derlich, dass gewisse Nahrungsmittel in den Fokus der Diskussion gerückt sind. Allerdings glauben wir nicht, dass Verbote oder hohe Steuern auf gewisse Produkte die Lösung für manche Fehl­ entwicklungen sind. Eine vernünftige Rolle des Staats beim Thema ausgewo­ gene Ernährung sollte sich auf Infor­ mation und Aufklärung beschränken. Beides kann natürlich schon in frühen Jahren in der Schule beginnen, damit gewissen Entwicklungen bereits früh entgegengesteuert werden kann, und man dann gar nicht erst über Verbo­ te etc. diskutieren muss. So können in Maßen genossene Süßwaren auch in Zukunft ihren Platz in einer ausgewo­ genen Ernährung haben. Welche Trends entwickeln sich aus Ihrer Sicht? Wie reagieren Sie darauf? Schaller: Nachhaltigkeit ist nach wie vor ein großes Thema, das auch uns wichtig ist. So verarbeiten wir etwa ausschließlich Fairtrade-Kakao in unseren Produkten. Andere Zutaten werden, wenn möglich, lokal bezogen. Aber auch beim Thema Verpackung

©  Heidi Chocolat AG

spielt Umweltschutz und Nachhaltig­ keit eine immer größere Rolle. In diesem Bereich tun wir, was wir können, wie eben beispielsweise die Umstellung auf rePet (recyceltes PET), stehen aber wie die gesamte Konsumgüter-Industrie vor großen Herausforderungen, die weder einfach noch kurzfristig lösbar sind. Ein weiterer Trend in der Ernährung und auch im Süßwarenbereich geht in Richtung Qualitätsbewusstsein und Transparenz. Man möchte wissen, wo­ her die Lebensmittel des täglichen Kon­ sums kommen, wie und natürlich auch wo sie produziert werden. Wir freuen uns über dieses verstärkte Qualitätsbe­ wusstsein der Kunden, das sich in den

letzten Jahren gemeinsam mit einer neu­ en Genusskultur entwickelt hat, weil das genau unsere Stärke ist. Seit jeher werden sämtliche Niemetz Produkte in Konditor-Qualität mit einem hohen Anteil an Handarbeit in Österreich pro­ duziert. Die Verbraucher assoziieren mit unseren Produkten Tradition und klassische Handwerkskunst, für viele wecken Schwedenbomben, Manja und Swedy aus dem Hause Niemetz Kind­ heitserinnerungen. Auch wenn Herr und Frau Österreicher hin und wieder beim Essen auch gerne mal etwas Neues ausprobieren, sind sie doch auch Tra­ ditionalisten. So wie Schnitzel und Kai­ serschmarrn seit vielen Jahrzehnten und

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about

Zum Unternehmen — Edmund Niemetz gründete 1890 in Linz eine Konditorei. 1926 erfanden Walter Niemetz und seine Frau die Schwedenbombe, die ihren Namen einem Freund der Familie verdankt, der mithalf, die bis heute charakteris­ tische Form und Rezeptur zu entwi­ ckeln. 1930 wurde die Süßwarenma­ nufaktur Niemetz in Wien gegründet und 1934 die Marke „Schweden­ bombe“ eingetragen. 2013 stand die Schwedenbombe vor dem Aus. Face­ book-Fans starteten eine Aktion. Hei­ di Chocolat hat die Schwedenbomben gerettet und so konnte ein Stück ös­ terreichischer Kultur erhalten werden. Weitere bekannte Produkte sind die Nussriegel Manja und Swedy. 2015 wurde der traditionelle Standort am Rennweg in Wien, der seit 1939 be­ standen hatte, verlassen und eine neue Produktion in Wiener Neudorf aufge­ baut. Rund 200 Mitarbeiter machen etwa 20 Mio. Euro Umsatz im Jahr. länger unverändert geblieben sind, gibt es auch bei den Süßwaren Klassiker wie die Schwedenbomben, bei denen Ver­ änderungen absolut unerwünscht sind. Diesen Wünschen unserer Konsumenten tragen wir selbstverständlich sehr gerne Rechnung.

Hier werden auch Workshops und Führungen angeboten. Im Jahr 2013 übernahm die HEIDI Chocolat Group AG den österreichi­ schen Süßwarenhersteller Niemetz. HEIDI wurde von einem der bekann­ testen Schweizer Chocolatiers gegrün­ det. Mit seinem ganzen Know-how schuf er viele Schokoladen-Komposi­ tionen, die eine starke und lebensfrohe Markenbotschaft transportierten. So wie HEIDI, das kleine Mädchen aus Johanna Spyris Geschichte, das immer die positive Seite des Lebens sah und damit auch dem Schweizer Chocolatier als Inspiration für den Namen des Un­ ternehmens diente. 2018 erreicht HEIDI schon 50 Länder und die Schweizer Firma Schönenberger wird integriert, die Bio-Schokoladekom­ positionen herstellt. 2019 feierte HEIDI sein 25-jähriges Bestehen. www.niemetz.at und www.heidi-chocolate.com/de-at Natürlich sehen wir auch den Trend in Richtung Reduktion des Zucker-Kon­ sums. Wir haben in unserem breiten Portfolio von Haus aus zahlreiche Pro­ dukte, die Konsumenten ansprechen, die darauf Wert legen, ihren Zucker-Kon­ sum in überschaubaren Maßen zu hal­

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ten oder zu reduzieren. So haben wir mit Heidi Dark eine breite Range an dunklen Schokoladen im Programm, die in Geschmackstests hervorragend abschneidet und einen hohen Anteil am klassischen Superfood Kakao aufweist. Unsere Heidi Dark Extreme 85 % hat um ganze 70 % weniger Zucker als klassische Milchschokolade. Seit kurzem haben wir auch eine Heidi Dark Scho­ kolade mit 95 % Kakao-Anteil im Pro­ gramm, deren Zuckeranteil nur mehr minimal ist. Wir werden auch in Zu­ kunft weiter daran arbeiten, unser Sorti­ ment an dunklen Schokoladen zu erwei­ tern. Zucker-Ersatzstoffe sind für uns im Moment kein allzu großes Thema, und der Erfolg bereits am Markt befind­ licher Produkte ist eher überschaubar. Was wir auch nicht verändern werden, sind die Original-Rezepturen unserer Niemetz Produkte. Abgesehen davon, dass Schwedenbomben sowieso deutlich weniger Kalorien haben als Schokolade, wollen wir bei unseren beliebten Klassi­ kern, die seit Jahrzehnten gut funktio­ nieren, auf Kontinuität bei Geschmack und Produktqualität setzen. Nachhaltigkeit rückt immer stärker in den Vordergrund. Stichwort CO2Bilanz: Wie haben Sie das Unternehmen positioniert? Schaller: Unsere lokale Produktion und die damit verbundenen kurzen Trans­ portwege sind schon mal eine gute Vor­ aussetzung für eine vernünftige CO2-Bi­ lanz. Darüber hinaus versuchen wir, in allen Bereichen unseren CO2-Fußab­ druck zu reduzieren. So haben wir bei­ spielsweise sämtliche Plastikverpackung auf rePet umgestellt und arbeiten stän­ dig mit unseren Lieferanten daran, die Umweltverträglichkeit unserer Verpa­ ckungen weiter zu verbessen. Aber auch andere Maßnahmen wie Abfallvermei­ dung, Mülltrennung etc. werden laufend optimiert. Auch bei den Rohwaren ver­ suchen wir, möglichst lokal einzukaufen. So verwenden wir seit Beginn nur Wie­ ner Zucker. Welche Herausforderungen haben Sie dabei im Speziellen erlebt? Schaller: Als kleines Unternehmen können wir natürlich nur überschauba­ re Investitionen in diesem Bereich täti­ gen, aber auch bei den Ressourcen der


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Mitarbeiter für zusätzliche Nachhaltig­ keitsprojekte gibt es Limits. Trotzdem versuchen wir, mit allen uns zur Verfü­ gung stehenden Mitteln unsere Nachhal­ tigkeitsagenda voranzutreiben. Auch bei Plastikverpackungen ist Ihnen kürzlich ein großer Schritt gelungen. War das einfach oder hatten Sie spezielle Probleme zu lösen? Schaller: Die Umstellung auf rePet war ein großes und richtungsweisendes Projekt. Wir haben ja vor der Umstel­ lung auf rePet auch geprüft, ob nicht der Umstieg auf Karton die umweltfreundli­ chere Alternative wäre. Um das heraus­ zufinden, haben wir die Erstellung einer Öko-Bilanz für beide Verpackungen be­ auftragt. Das Ergebnis hat gezeigt, dass rePet in Summe die umweltfreundlichere Lösung ist. Allerdings war die Entwick­ lung der neuen Verpackung sehr lang­ wierig, ein Team von Experten hat mehr als ein Jahr daran gearbeitet. Der Grund ist der direkte Kontakt der Schweden­ bombe mit dem rePet, wobei ich selber überrascht war, dass dies so aufwändig ist. Auch die Suche nach einem passen­ den Hersteller und die Abwicklung der Umstellung war nicht ganz einfach und ist auch mit signifikanten Mehrkosten verbunden, denn interessanterweise kostet das rePet mehr als ein neues Pet. Uns ist aber wichtig, dass wir kein neues Gramm Plastik in Umlauf bringen, und nun liegt es an den Konsumenten, die Verpackung in der gelben Tonne zu ent­ sorgen. Wie wichtig sind für Ihr Unternehmen Herkunft und Regionalität? Wie gehen Sie damit um? Schaller: Für uns als traditionellen österreichischen Hersteller sind Her­ kunft und Regionalität zwei wichtige Faktoren, mit denen wir gegenüber internationalen Mitbewerbern punk­ ten können. So beziehen wir unsere Rohstoffe nur von namhaften, mög­ lichst österreichischen Lieferanten und produzieren unsere Schokoladenpro­ dukte natürlich nur nach höchsten Qualitäts-Standards ausschließlich an unserem Standort in Wr. Neudorf. Wie stehen Sie zur in Österreich angedachten national verpflichtenden Kennzeichnung der Herkunft?

person

Zur Person — Biographie Mag. Gerhard Schaller leitet Heidi Chocolat seit 2014. Davor war er in der Meinl Industrieholding für den globalen Markenaufbau von Julius Meinl mit Fokus auf Asien, den Mittleren Osten und Nordamerika ver­ antwortlich. Weitere Stationen waren eine Firma für Risikokapital und Priva­ te Equity sowie Kraft Foods/Mondelez, wo er von 1996 bis 2011 verschiedens­ te Funktionen vom Brandmanager bis zum Geschäftsführer Gastronomie und Vending innehatte. Studiert hat der ge­ bürtige Pinzgauer Handelswissenschaf­ ten an der WU Wien und schloss da­ nach noch Ausbildungen am Austrian Latin America Institute und zum Cer­ tified Turnaround Expert ab. Verhei­ ratet ist Gerhard Schaller seit 2000 mit Sophie Karmasin, Meinungsforscherin und ehemalige Familienministerin. Sie haben zwei Söhne.

Schaller: Auch wenn Transparenz ein Trend im Lebensmittel-Sektor ist, glauben wir an den mündigen Konsu­ menten und denken, dass eine gewisse Balance zwischen Transparenz bei der Herkunft und einem möglicherweise überbordenden und teuren Regelwerk unbedingt notwendig ist.

©  Heidi Chocolat AG

Schaller: Gleiche und faire Bedin­ gungen für alle Player in Industrie und Handel schaffen. Neue Regelwerke mit Augenmaß einführen. Generell attrak­ tive Standortpolitik mit ausgewogener Steuerbelastung.

Welche Bedeutung hat für Sie der Export? Schaller: Export hat für uns im Mo­ ment leider kaum Bedeutung. Die ex­ trem kurze Haltbarkeit der Schweden­ bomben von nur drei Wochen macht es sehr schwierig, die Produkte mit einer vernünftigen Restlaufzeit vom Werk zu den Konsumenten im Ausland zu brin­ gen. Trotzdem werden wir weiter nach Möglichkeiten Ausschau halten, um unsere großartigen Produkte auch für Konsumenten im Ausland verfügbar zu machen.

Wenn Sie die sprichwörtliche Fee besuchen kommt: Welche drei Wünsche hätten Sie? Schaller: Wenn diese Fee eine „süße“ ist, dann würde ich mir für unser Unter­ nehmen wünschen, dass die Schweden­ bomben länger haltbar wären, ohne die Originalrezeptur ändern zu müssen. Das würde schon viele Probleme lösen. Wei­ ters wünsche ich für unsere Mitarbeiter und ihre Angehörigen, dass sie alle ge­ sund durch die Krise kommen. Nicht zuletzt wünsche ich mir, dass die Schwe­ denbomben, die in wenigen Jahren 100 werden, auch in 100 Jahren noch einer der beliebtesten Süßwarenartikel der ös­ terreichischen KonsumentInnen sind.

Was wünschen Sie sich von der Bundesregierung für den Standort Österreich?

Was ist Ihr Lieblingsgericht? Schaller: Natürlich ein Dessert, und zwar die Schwedenbombentorte!

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TRANSFORMING FOOD SYSTEMS IM RAHMEN DER UMGESTALTUNG DER EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFT FÜR EINE NACHHALTIGERE ZUKUNFT SOLL AUCH DAS EUROPÄISCHE LEBENSMITTELSYSTEM FAIRER, GESÜNDER UND UMWELTFREUNDLICHER WERDEN. Christina Nowak

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as europäische Lebens­ mittelsystem gilt weltweit als Maßstab für sichere, ausreichend verfügbare, nahrhafte und hochwerti­ ge Lebensmittel. Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen EU-Lebensmittelpolitik, deren zentrales Anliegen in der Förderung höchster Standards für Lebensmittelsicher­ heit und einer diesbezüglichen Neuausrich­ tung bestand. Heute weist das europäische Lebensmittelsystem nicht nur ein hohes Niveau an Lebensmittel-, sondern auch an Ernährungssicherheit auf und liefert den Konsumenten eine große Produktvielfalt an Lebensmitteln in höchster Qualität. Um diese Standards auch künftigen Generatio­ nen bieten zu können, strebt die EU-Kom­ mission nach einer erneuten Transforma­ tion: Das europäische Lebensmittelsystem soll zusätzlich zum weltweiten Maßstab für Nachhaltigkeit werden. Ein Vorhaben, das in zahlreiche Politikbereiche diffundiert – von Umwelt, Ernährung und Wirtschaft bis zu Forschung und Entwicklung.

Nachhaltigkeit als übergreifendes Ziel Der geplante Übergang zu einem nach­ haltigen Lebensmittelsystem steht in engem Zusammenhang mit einer der wesentlichen Prioritäten der aktuellen EU-Politik: der Umgestaltung der euro­ päischen Wirtschaft für eine nachhaltige ERNÄHRUNG | Nutrition  volume 45 | 03/04. 2021


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Zukunft.1 Zur Verwirklichung dieses Vorhabens hat die EU-Kommission im Dezember 2019 eine neue EU-Wachs­ tumsstrategie veröffentlicht. Der soge­ nannte europäische „Green Deal“ kon­ zentriert verschiedene Politikbereiche im Streben nach einer klimaneutralen, ressourceneffizienten und wettbewerbs­ fähigen Wirtschaft. Der Entwicklung ei­ nes fairen, gesunden und umweltfreund­ lichen Lebensmittelsystems wird darin, als Kernstück und einem von acht kon­ kreten Handlungsfeldern, die in Folge­ dokumenten konkretisiert werden, be­ sondere Bedeutungen zugemessen. Den konkreten Zielen und Maßnahmen zur Verwirklichung der angestrebten Trans­ formation des Lebensmittelsystems wid­ met sich die EU-„Farm to Fork“-Strate­ gie. Doch auch weitere Aktionsbereiche des europäischen Green Deal werden sich auf das Lebensmittelsystem auswir­

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ken, etwa die allgemeinen Bestrebungen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 sowie die speziellen Agenden des Aktionsplans für die Kreislaufwirt­ schaft 2 und der Biodiversitätsstrate­ gie3. Darüber hinaus sollen innovative Ansätze und naturbasierte Lösungen für den Agrar- und Lebensmittelsektor mittels „Horizon Europe“, dem in Fer­ tigstellung befindlichen EU-Rahmen­ programm für Forschung und Innova­ tion für den Zeitraum 2021 bis 2027, gefördert werden und den Übergang zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beschleunigen. Mit der Frage nach der Zukunftsfähigkeit des europäischen Lebensmittelsystems und der Rolle von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich beschäftigt sich die Initiative „Food 2023“ bereits seit mehreren Jah­ ren.4 Die enge Verknüpfung des Vorhabens mit weiteren Politikbereichen, Strategi­ en und Initiativen reicht auch über die Europäische Union hinaus. Künftige Freihan­

delsabkommen der EU sollen ein Kapitel über nachhaltige Lebensmit­ telsysteme implizieren. Dieses wird ein­ zelne Dimensionen der EU-„Farm to Fork“-Strategie widerspiegeln, indem es die Vertragspartner zur Förderung der Nachhaltigkeit in der Lebensmittelpro­ duktion, -verarbeitung, -vermarktung und beim Lebensmittelkonsum sowie zur Reduzierung von Lebensmittelver­ lusten und -verschwendung und zur Be­ kämpfung des Lebensmittelbetrugs verpflichtet.5 Auch die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SGDs) schlagen sich in den Prio­ ritäten der EU-Kommission nieder.6

Die EU-„Farm to Fork“-Strategie In der am 20. Mai 2020 veröffentlichten „Farm to Fork“-Strategie setzt sich die EU-Kommission zum Ziel, den ökologi­ schen und klimatischen Fußabdruck des Lebensmittelsystems der Union zu verklei­ nern und dessen Resilienz zu stärken, die Ernährungssicherheit angesichts des Klima­ wandels und des Verlusts an biologischer Vielfalt sicherzustellen und den globalen Wandel hin zu einer wettbewerbsgerechten Nachhaltigkeit vom Hof auf den Tisch an­ zuführen und die neuen Chancen, die sich bieten, zu nutzen.7 Zur Verwirklichung dieser Ambitionen will die EU-Kommis­ sion bis 2024 (Legislativ-)Vorschläge zu den 27 Maßnahmen des Aktionsplans der Strategie vorlegen. Die Maßnahmen sol­ len sich in ihrer Gesamtheit an das ganze Lebensmittelsystem – vom Primärerzeu­ ger bis zum Verbraucher, vom Hof bis auf den Tisch – richten. Dieser holistische Ansatz wurde im Grunde bereits vor rund 20 Jahren verfolgt, als das Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit der EU-Kommissi­ on den Anspruch erhob, die gesamte Le­ bensmittelherstellungskette einschließlich der Futtermittelherstellung abzudecken.8 Während im Jahr 2000 von Lebensmit­ telherstellungskette gesprochen wurde, bedient sich die EU-„Farm to Fork“-Stra­ tegie des neuen Begriffs des Lebensmit­ telsystems. Gemäß einer Definition der Ernährungs- und Landwirtschaftsorgani­ sation der Vereinten Nationen umfasst ein Lebensmittelsystem sämtliche Akteure und ihre ineinandergreifenden wertschöpfen­

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den Aktivitäten, die an der Herstellung, der Aggregation, der Verarbeitung, dem Ver­ trieb, dem Verbrauch und der Entsorgung von Lebensmitteln beteiligt sind sowie Teile ihrer breiteren wirtschaftlichen, gesell­ schaftlichen und natürlichen Umwelt.9 An das gesamte System sollen sich insbe­ sondere zwei der Maßnahmen richten: Bis 2023 will die EU-Kommission einen Rechtsrahmen für ein nachhaltiges Lebens­ mittelsystem ausarbeiten, der den Übergang zu mehr Nachhaltigkeit beschleunigen und erleichtern soll. Weiters ist die Ausarbei­ tung eines Notfallplans zur Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und Ernäh­ rungssicherheit geplant, der in Krisenzeiten in Kraft gesetzt werden soll. Damit will die EU-Kommission die Resilienz des europäi­ schen Lebensmittelsystems weiter ausbauen und die Grundlage für eine gemeinsame eu­ ropäische Reaktion auf das Lebensmittel­ system tangierende Krisen schaffen. Die übrigen Maßnahmen aus der Strate­ gie fokussieren jeweils einen bestimmten Bereich des Lebensmittelsystems: Zur Si­ cherstellung einer nachhaltigen Lebens­ mittelerzeugung sollen unter anderem eine Reduzierung des Pestizideinsatzes, die Überarbeitung der Rechtsvorschriften für Futtermittelzusatzstoffe und der Tierschutz­ vorschriften sowie die Präzisierung des An­ wendungsbereichs der Wettbewerbsrege­ lungen im Vertrag über die Arbeitsweisen der EU beitragen. Sowohl in der „EU-Farm to Fork“- als auch in der Biodiversitätsstra­ tegie hat sich die EU-Kommission zum Ziel gesetzt, dass bis zum Jahr 2030 mindestens 25 % der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch bewirtschaftet und die ökologische Aquakultur beträchtlich aus­ gebaut werden sollen. Einen entsprechen­ den Aktionsplan zur Förderung der biolo­ gischen Produktion hat sie im März 2021 veröffentlicht.10 Nachhaltige Verfahren in den Bereichen der Lebensmittelverarbeitung, Groß- und Einzelhandel, Gastronomie und Verpfle­ gungsdienstleistungen sollen insbesondere durch eine Verpflichtung von Unterneh­ men, den Nachhaltigkeitsaspekt in ihre Un­ ternehmensstrategie einzubeziehen sowie durch die Entwicklung eines freiwilligen EU-Kodex und Monitoringrahmens für verantwortungsvolle Unternehmens- und Marketingpraktiken erreicht werden. Da­ rüber hinaus plant die EU-Kommission, u.a. Initiativen zur Förderung der Refor­ mulierung verarbeiteter Lebensmittel zu

setzen und Nährwertprofile festzulegen, mittels derer die Bewerbung von Lebens­ mitteln mit hohem Salz-, Zucker- und/oder Fettgehalt eingeschränkt werden soll. Auch die EU-Rechtsvorschriften über Lebensmit­ telkontaktmaterialien sollen überarbeitet werden. Die EU-„Farm to Fork“-Strategie zielt auch auf einen nachhaltigen Lebensmittel­ verbrauch ab und will die Umstellung der Konsumenten auf eine nachhaltigere Er­ nährung fördern. Dafür sieht die EU-Kom­ mission insbesondere Neuerungen in der Lebensmittelkennzeichnung vor. Bis zum Jahr 2022 wird sie Vorschläge für eine harmonisierte verpflichtende Nährwert­ kennzeichnung auf der Packungsvorder­ seite sowie für eine Ursprungsangabe für bestimmte Erzeugnisse vorlegen. Durch die Bereitstellung zusätzlicher Informationen möchte die EU-Kommission die Verbrau­ cher in die Lage versetzen, eine sachkundige und gesundheitsbewusste Produktwahl zu treffen. Ein weiteres Kernelement auf dem Weg zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem ist die Vermeidung von Lebensmittelverlus­ ten und -verschwendung. In Erfüllung der Zielvorgabe 12.3. für eine nachhaltige Ent­ wicklung der Vereinten Nationen sollen bis 2030 die Lebensmittelabfälle pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene hal­ biert werden. Die EU-Kommission wird bis 2023 verbindliche Ziele zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle in der EU vorschla­ gen. Um auf mangelndem Verbraucher­ verständnis des Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatums beruhende, verfrühte Entsorgungen von Lebensmitteln zu ver­ meiden, sollen auch die EU-Vorschriften über die Datumsangabe überarbeitet wer­ den. Darüber hinaus sind im Rahmen des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft entsprechende Maßnahmen für (Lebens­ mittel-)Verpackungen vorgesehen.

Ausblick: Green Claims Der Transformationsprozess im Rah­ men der EU-„Farm to Fork“-Strategie soll schließlich mit einer Kennzeichnung der Nachhaltigkeitsleistung von Lebens­ mitteln abgerundet werden. Als zeitlich am spätesten angesetzte Maßnahme will die EU-Kommission im Jahr 2024 einen Rechtsrahmen für eine nachhaltige Le­

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bensmittelkennzeichnung vorlegen. Auf diese Weise soll Konsumenten die Wahl nachhaltiger Lebensmittel erleichtert und zusätzlich ein Anreiz für Lebens­ mittelproduzenten gesetzt werden, ihre Nachhaltigkeitsstandards weiter anzu­ heben. Für Aussagen über die Nachhaltigkeitsoder Umweltleistung eines Lebensmittels oder auch eines anderen Produkts, soge­ nannte „Green Claims“, bestehen der­ zeit keine einheitlichen Grundlagen. Die Grenze der Zulässigkeit stellt das allge­ meine Irreführungsverbot im Lebens­ mittel- bzw. Wettbewerbsrecht dar.11 Da die Verantwortlichen selbst entscheiden, welche Bewertungskriterien sie ihren Aussagen zugrunde legen, sind diese we­ der dazu geeignet, zuverlässige Aussa­ gen zu treffen noch die Umweltleistung verschiedener Produkte miteinander zu vergleichen. Vor diesem Hintergrund arbeitet die EU-Kommission bereits seit mehreren Jahren an der Entwicklung einer einheitlichen Methode zur Berech­ nung der Umweltleistung, dem „Product Environmental Footprint“ (PEF). Die Komplexität dieses Vorhabens besteht unter anderem darin, produktgrup­ penspezifische Kriterien miteinander vergleichbar zu machen. Am Beispiel der Nachhaltigkeitskenn­ zeichnung wird nochmals die enge Ver­ knüpfung verschiedener Politikbereiche im gemeinsamen Streben nach Nachhal­ tigkeit deutlich. So hat auch die EU-Bio­ diversitätsstrategie die Förderung von Methoden, Kriterien und Standards zur Messung des ökologischen Fußab­ drucks von Produkten und Organisa­ tionen zum Ziel. Im Rahmen des Akti­ onsplans für die Kreislaufwirtschaft will die EU-Kommission bereits Ende 2021 einen Legislativvorschlag zur Belegung von Umweltaussagen vorlegen und da­ rin Mindestanforderungen für Umweltund Nachhaltigkeitsaussagen definieren. 2024 soll schließlich im Rahmen der EU-„Farm to Fork“-Strategie der er­ wähnte Rechtsrahmen für eine nachhal­ tige Lebensmittelkennzeichnung folgen. Mag. Christina Nowak, BA Fachverband der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Wien Literatur www.ernaehrung-nutrition.at


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Mehrwegquoten in Diskussion Kommentar Zum Abfallwirtschaftsgesetz (AWG) liegt eine Novelle mit einem Kreislaufwirtschaftspaket vor. Inhalt der Novelle sind die Umsetzung der Änderungen der Abfallrichtlinie in der Fassung des Kreislaufwirtschaftspakets 2018 (EU 2018/851), die Umsetzung der Einwegkunststoff-Richtlinie (EU 2019/904) und MaSSnahmen zur Umsetzung des Regierungsprogramms. Besonders intensiv diskutiert wird § 14b zu Mehrwegquoten. Ein Überblick zu Position und Argumenten des Fachverbandes der Lebensmittelindustrie.

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ie österreichische Geträn­ keindustrie begrüßt, un­ terstützt und fördert eine Intensivierung der Kreis­ laufwirtschaft. Es ist je­ doch zu kurz gegriffen, wenn nachhal­ tiges und kreislauffähiges Wirtschaften nur anhand einer Unterscheidung zwi­ schen Einweg und Mehrweg gemessen wird. Nachhaltigkeit und ökologischer Fußabdruck eines Produkts erfordern eine komplexe Bewertung, die seriös nur auf der konkreten Produktebene erfolgen kann und sich nicht in solch plakative Kategorien wie Einweg und Mehrweg zwingen lässt. Eine generelle Bevorzugung von Mehrweg (wie sie im Entwurf mehrfach zu finden ist) verletzt aus dieser Sicht das Sachlichkeitsgebot (an das der Gesetzgeber gebunden ist), zumal keine faktenbasierte Grundlage für diese Bevorzugung erkennbar ist. Es gibt eine Vielzahl von Studien, die be­ legen, dass eine Bewertung nur auf der Ebene des konkreten Produkts inkl. der Transportwege stichhaltig ist. Die Ver­ fassungskonformität von unfundierten

Differenzierungen zur Begünstigung von Mehrweg ist somit nicht gegeben. Auch sollte sich das Verwaltungshan­ deln heutzutage vermehrt an einer Er­ leichterung der bürokratischen Auflagen und einer Verfahrensbeschleunigung ori­ entieren. Eine solche Orientierung ist in der vorliegenden Novelle leider nicht zu erkennen. Bestimmungen wie etwa der Bahntransport von Abfällen (§ 15) oder die Bestellung eines Bevollmächtigten für die Erfüllung von Verpflichtungen nach dem AWG (§ 12b) sind komplex, schwer lesbar und damit weder prakti­ kabel noch vollziehbar. In dieselbe Kategorie fällt auch das Überbürden von Aufgaben des Staats auf private Wirtschaftsbetriebe. So ist die Förderung ökosozialer Betriebe – wobei eine Definition dazu fehlt – (siehe § 29 Abs 4 Z 5, § 36 Z 7) zwar mög­ licherweise ein unterstützenswertes An­ sinnen, jedoch ist es völlig unsachge­ mäß, bestimmten Unternehmen durch zusätzliche finanzielle Beiträge die För­ derung solcher Betriebe aufzuzwingen. Dies hat – wenn schon – der Staat durch

bestimmte Fördertöpfe oder eingehobe­ ne Steuerleistungen vorzunehmen. Selbstverständlich ist es geboten, die erforderliche Umsetzung europäischen Rechts durchzuführen. Es ist jedoch da­ bei generell darauf zu achten, eine Über­ erfüllung (Gold-Plating) zu vermeiden. Diesen Grundsatz lässt der Novellenent­ wurf streckenweise außer Acht.

§ 14b Rahmen­ bedingungen und konkrete Ziele für den Ausbau von Mehrweg­systemen für Getränkeverpackungen Gesetzliche Mehrwegquoten bedeuten einen Markteingriff. Es bleibt unklar, warum eine ökologische Notwendigkeit und Dringlichkeit diesen rechtfertigen soll. Denn Mehrwegquoten in den Rang eines eigenen Umweltziels zu befördern, verkennt die ökologische Realität un­

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terschiedlicher Getränkeverpackungen und das Marktverhalten der Konsumen­ ten. Eine differenzierte Betrachtung der ökologischen Leistungsfähigkeit unter­ schiedlicher Verpackungen für Getränke sollte Grundlage eines derart gestalteten Markteingriffs sein. Bei der Vorgabe für Mehrwegquoten in Prozent der insgesamt angebotenen

Artikel des Sortiments einer Lebens­ mittelfiliale verkennt der Entwurf das unterschiedliche Konsumverhalten der Käufergruppen in Bezug auf Einweg-/ Mehrweg-Verpackungen für bestimmte Getränkeinhalte. Studien und Ökobilanzen belegen, dass Mehrweggetränkeverpackungen öko­ logisch nur auf regionaler Ebene vor­

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teilhaft sein können, wohingegen bei längeren Transportdistanzen moderne Einweggebinde mit entsprechenden Recyclingquoten zweifelsfrei ökologisch im Vorteil sind. Zudem haben Innovationen bei Ein­ weggebinden (z. B. Gewichtsreduktion und vermehrter Einsatz nachwachsen­ der Rohstoffe bis zu 100% wie bei Ge­


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Konsumenten an ausreichenden Pro­ duktschutz und entsprechende Produkt­ haltbarkeiten bleiben, eben um die im Kreislaufpaket vorgesehene Lebensmit­ telverschwendung und den Produktver­ derb zu minimieren. Andererseits beeinflusst das Markt­ verhalten der Konsumenten auch die Angebotsvielfalt der Abfüller und des Lebensmittel-Einzelhandels. In den letzten beiden Jahren konnte dokumen­ tiert werden, dass steigende Nachfrage nach Mehrweggebinden immer eine rasche Steigerung des Angebots be­ wirkt. Ein marktpolitischer Eingriff mit verpflichtenden Mehrwegquoten oder Mehrwegangeboten beeinflusst jedoch dieses Marktgleichgewicht und kann auch aufgrund von unterschiedlicher Nachfragerate, beispielhaft durch an­ steigenden Verderb, ökologisch kontra­ produktiv sein. Anstelle gesetzlich vorgesehener Mehr­ wegquoten könnten weitere gemeinsame Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darauf abzielen, die Nachfrage nach Mehrweggebinden zu för­ dern. Dass solche Anstrengungen Erfolg haben, zeigt die Nachhaltigkeitsagenda der Getränkewirtschaft. In deren Rahmen gesetzte Maßnahmen haben in den letzten Jahren nachweislich zur Stabilisierung der Mehrwegquote geführt (2019: rd. 20%; zum Vergleich das politische Ziel lt. Er­ läuterungen zum AWG Entwurf: 25% in 2025). Die Weiterführung eines geeigne­ ten Monitorings unter Einbeziehung von Sozialpartnern und Stakeholdern – ver­ gleichbar mit den Berechnungen der Nach­ haltigkeitsagenda –, ist sicher geeignet, beurteilen zu können, ob freiwillige Mehr­ wegmaßnahmen der Getränkewirtschaft dieses politische Ziel 25% Mehrweg-Quo­ te bis 2025 erreichen lassen.

tränkeverbundkartons) den ökologi­ schen Fußabdruck der Einweggebinde deutlich reduziert. Auch werden stei­ gende Sammel- und Recyclingquoten durch einsetzende EU-Vorgaben in den nächsten Jahren diese Ökobilanzen der Einweg-Gebinde nochmals deutlich ver­ bessern. Keinesfalls unerwähnt dürfen auch die aktuellen Anforderungen des

Wettbewerbs-, verfassungs- und unionsrechtliche Bedenken zu § 14b Rechts- und Planungssicherheit sind un­ abdingbare Vorrausetzungen für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft. Es gilt jedenfalls zu prüfen, ob die Maßnah­ me einer gesetzlichen Mehrwegquote zweifelsfrei den wettbewerbs-, verfas­

sungs- und unionsrechtlichen Rahmen­ bedingungen entspricht. Es wird dabei auf mögliche Eingriffe in verfassungs­ rechtlich zugesicherte Freiheiten wie Erwerbsfreiheit und unionsrechtliche Grundfreiheiten wie freier Warenver­ kehr und Importhindernisse hingewie­ sen. Für die Zielerreichung „Steigerung des Mehrweganteils bei Getränken“ rei­ chen möglicherweise jene zieladäquaten Maßnahmen aus, die keine übergeord­ neten Freiheiten behindern oder mangels ökologischer Grundlage und Rechtferti­ gung inadäquat und/oder überschießend sind. Das Mehrweggebot für alkoholfreie Erfrischungsgetränke im vorliegenden § 14b Abs 1 lit d) verstößt jedoch klar gegen Unionsrecht. Es ist unvereinbar mit dem Recht des freien Warenverkehrs in Art 34 AEUV (Vertrag über die Ar­ beitsweise der Europäischen Union). Es diskriminiert ausländische Getränke­ hersteller, die wegen des höheren finan­ ziellen und organisatorischen Aufwands für Mehrweggebinde (z. B. wegen der Transportkosten) häufiger auf Einweg­ gebinde zurückgreifen als heimische Hersteller. Durch den Einfluss auf die Wahl der Verpackungsform der Her­ steller ist ein besonders schwerer Ein­ griff gegeben. Die Regelung lässt sich auch nicht mit umweltpolitischen Zie­ len rechtfertigen, weil sie zur Sicherung dieser Ziele weder geeignet noch erfor­ derlich ist. Es ist zum einen nicht nach­ gewiesen, dass Mehrweggebinde immer die ökologisch günstigste Variante sind und zum anderen „funktioniert“ die vorgeschlagene Mehrwegquote nicht ohne eine Rücknahmeverpflichtung. Zu­ letzt gibt es dem Umweltschutz ebenso Rechnung tragende Maßnahmen, die die Wahl zwischen ökologisch gleichwer­ tigen Einweg- und Mehrweggebinden nicht einschränken. Es ist also damit zu rechnen, dass die Europäische Kommission diesen Verstoß rügen wird. Sie hat in ihrer Mitteilung „Getränkeverpackungen, Pfandsysteme und freier Warenverkehr“ (ABl 2009, Nr C 107/1) darauf hingewiesen, dass nationale Bewirtschaftungssysteme für Getränkeverpackungen „den Binnen­ markt fragmentieren“ können, weil sie die Anbieter zwingen, „die Verpackun­ gen an die Anforderungen des jeweiligen Mitgliedstaats anzupassen“. Sie wird

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daher diese Systeme „streng überwa­ chen“ und „verpflichtet sich, auf jegliche Maßnahme zu reagieren, die die Funk­ tionsweise des Binnenmarktes stören könnte“ (ABl 2009, Nr C 107/2f). Ebenso wird mit der genannten Bestim­ mung in die Grundrechte auf Eigen­ tums- und Erwerbsfreiheit der betroffe­ nen Letztvertreiber eingegriffen. Diese Grundrechtseingriffe sind nicht gerecht­ fertigt und deshalb auch verfassungs­ widrig. Die vorgesehenen Mehrwegquo­ ten sind nicht zur Förderung von Umweltschutz­a nliegen geeignet. Mehrweggebinde können nur dann ökologisch günstiger als andere Ver­ packungen sein, wenn bestimmte Vor­ aussetzungen (geringe Transportwege, Erreichen bestimmter Umlaufzahlen etc.) erfüllt sind. Da aber nicht vorge­ sehen ist, dass die angebotenen Mehr­ weggebinde diese Anforderungen auch tatsächlich einhalten müssen, ist nicht sichergestellt, dass durch die Verpflich­ tung zur Erfüllung von Mehrwegquo­ ten tatsächlich Umweltschutzanliegen gefördert werden. Zudem sind andere Maßnahmen denkbar, die einerseits weniger stark in die Eigentums- und Erwerbsfreiheit der Letztvertreiber eingreifen, andererseits aber gleicher­ maßen (oder sogar noch mehr) der Ver­ wirklichung von Umweltschutzanliegen dienen können. Dazu zählen etwa För­ derung von Recycling-Verpackungen, Kampagnen zur Steuerung des Konsu­ mentenverhaltens etc. Schließlich sind die durch die Rege­ lung (allenfalls) erzielten, positiven Auswirkungen auf den Umweltschutz nicht nachweislich so stark, dass sie die intensiven Eingriffe in die Grund­ rechte der Letztvertreiber rechtfertigen könnten. Aus all diesen Gründen sind die Grundrechtseingriffe unverhältnis­ mäßig und die vorgeschlagenen Rege­ lungen daher höchstwahrscheinlich verfassungswidrig. Das auch deshalb, weil die verpflichteten Letztvertreiber (wie der Lebensmitteleinzelhandel) keinen unmittelbaren Einfluss dar­ auf nehmen können, ob bzw. in wel­ cher Qualität und Menge bestimmte Getränke von Getränkeherstellern in Mehrweg-Getränkeverpackungen an­ geboten werden. Ihre Verpflichtung zum Anbieten von bestimmten Quoten

an Getränken in Mehrweg-Verpackun­ gen besteht aber unabhängig von der tatsächlichen Verfügbarkeit solcher Produkte. Weiters sind die vorgeschlagenen Rege­ lungen in vielfacher Hinsicht gleichheits­ widrig, da sie Unterscheidungen enthal­ ten, die sachlich nicht begründbar sind wie z. B. die Zuordnung der einzelnen Getränke zu den jeweiligen Getränkeka­ tegorien. Schließlich ergibt sich eine weitere Ver­ fassungswidrigkeit der vorgeschlagenen Regelungen daraus, dass die Nichtein­ haltung der vorgeschlagenen Mehrweg­ quote mit Verwaltungsstrafe belegt ist. Allerdings sind die vorgeschlagenen Re­ gelungen in vielfacher Hinsicht unklar: welche Getränke welchen Kategorien zuzuordnen sind bzw. ob sie überhaupt von einer Kategorie erfasst sind ebenso wie der Begriff des „Artikels“ selbst. Eine Bestrafung ist aber verfassungs­ rechtlich nur dann zulässig, wenn der Gesetzgeber klar zum Ausdruck bringt, welches Verhalten zulässigerweise ge­ setzt werden muss. Dies ist infolge der Unklarheit der vorgeschlagenen Bestim­ mungen nicht gegeben. Aus verfassungsrechtlichen Gründen und grundsätzlichen Überlegungen ab­ gelehnt werden die Verordnungsermäch­ tigungen in § 14 a. Bei den vorgesehenen Ermächtigungen, mit denen der Verord­ nungsgeber ausgestattet wird, handelt es sich um massive Eingriffsmöglichkeiten in den Wettbewerb, mit denen poten­ zielle Marktverwerfungen einhergehen können. Sie legen weitreichende Ent­ scheidungen in die Hand der jeweils amtierenden Exekutivgewalt, sind un­ bestimmt und damit zu weitreichend, um dem Legalitätsgebot zu entsprechen. Grundsätzliche Entscheidungen in der Abfallwirtschaft müssen weiterhin der parlamentarischen Diskussion und Ent­ scheidung unterliegen.

Position und Forderungen der österreichischen Getränkehersteller Die österreichische Getränkewirtschaft bekennt sich zum Ausbau und zur För­ derung des Mehrwegportfolios und stellt ihre Expertise und Leistungsfä­ higkeit in den Dienst einer Erhöhung

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des Mehrweganteils im österreichischen Markt. Essentiell dabei ist, dass es den Getränkeherstellern „leicht“ gemacht wird, d.h. administrativer, finanzieller und organisatorischer Aufwand so ge­ ring wie möglich gehalten oder noch besser ganz vermieden wird. Mehrwegsysteme sind und werden in Zukunft einen integrativen Bestandteil des Verpackungsmix bilden. Für Geträn­ kehersteller ist der Einsatz von Mehr­ weggebinden seit jeher Bestandteil des Verpackungsmix. Ein Beispiel sind etwa Glasmehrwegflaschen in der Gastrono­ mie. Auch für den Lebensmitteleinzel­ handel wurden und werden immer wie­ der neue Angebote geschaffen, die von Konsumentinnen und Konsumenten gut angenommen werden. Die Getränkeher­ steller stimmen den Verpackungsmix auf die sich laufend weiterentwickelnden Trinkgepflogenheiten ab (unterwegs, in der Gastronomie, zuhause etc.). Die Getränkehersteller sehen daher den Schlüssel im Umgang mit allen Geträn­ keverpackungen darin, den Rückgabe­ kreislauf auf Konsumentenseite für alle Verpackungen – Einweg wie Mehrweg – auf hohem Niveau zu schließen, um diese für die Hersteller zur Wiederver­ wendung zugänglich zu machen. Eine Steigerung des Mehrweganteils kann nur mit einer gemeinsamen An­ strengung aller Marktteilnehmer und mit dem Fokus auf Bedürfnisse und Nachfrageverhalten der Konsumen­ tinnen und Konsumenten erfolgreich umgesetzt werden. Hier sind auch die besonderen Anforderungen am Touris­ musstandort Österreich sowie im Ex­ portbereich einzubeziehen. Es werden daher die Anhebung des Mehrweganteils aus ökologischen, ge­ samtwirtschaftlichen, praktischen und förderungsrechtlichen Gründen auf den Gesamtmarkt bezogen: inklusive aller Vertriebskanäle, das gesamte Getränke­ spektrum direkt als Mehrweg oder umge­ rechnet als Äquivalent und absatzseitig. Unter Voraussetzung der Erfüllung der angeführten Forderungen und Rah­ menbedingungen ist es aus der Sicht der österreichischen Getränkehersteller realistisch, dass der volumensmäßige Mehrweganteil bis zum Jahr 2030 um 25% gesteigert werden kann. Als Ver­ gleichsgrundlage gilt der Mehrwegan­ teil lt. ARGE Nachhaltigkeitsagenda


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aus 2019 in Höhe von 24,5% (mit Fass, Container, Milch und Soda). Grundlage dafür bildet das von der ARGE Nach­ haltigkeitsagenda seit Jahren verfolgte Konzept, das klare Definitionen und Kriterien für Messbarkeit und damit Vergleichsmöglichkeiten über einen län­ gerfristigen Zeitraum bietet. Gleichzeitig wurde in der Diskussion um Getränkeverpackungen das Segment der verpackungsreduzierten Getränke bis­ her außer Acht gelassen. Mit Sirupen, Konzentraten und Trinkwassersprud­ lerlösungen stellt die Getränkeindustrie bereits heute mit einem Fertiggetränke­ volumen von mehreren 100 Mio. Litern signifikante Mengen an verpackungsre­ duzierten Produkten am Markt zur Ver­ fügung. Im Sinne einer zukunftsgerichte­ ten Gesetzgebung gilt es, diese Lösungen mit einzubeziehen und in der Abbildung von Mehrwegquoten zu berücksichti­ gen, um Marktinnovationen und einem sich entwickelnden Konsumentenverhal­ ten auf lange Sicht Raum zu lassen. Das Segment der verpackungsreduzier­ ten Getränke soll deshalb hinkünftig von der ARGE Nachhaltigkeitsagenda mit Blick auf den Gesamtmarkt evalu­ iert werden. Nur diese Gesamtbetrach­ tungsweise des Getränkemarkts kann messbaren Aufschluss über einen ausba­ lancierten, ökologisch und ökonomisch sinnvollen Verpackungsmix geben. Um das gemeinsame Ziel einer Mehr­ wegsteigerung, ausgedrückt als Erhö­ hung des Volumens an Getränken, die in Mehrweggebinden am Markt insgesamt bereitgestellt und auch angenommen werden, zu erreichen, sind umfangrei­ che Vorkehrungen zu treffen. Damit verbunden sind ressourcenintensive Be­ mühungen aller am Prozess Beteiligten (Lebensmittelhandel, Industrie, Zuliefer­ industrie). Ausgehend vom Ziel, ökologisch sinn­ volle Mehrwegangebote im österreichi­ schen Markt insgesamt zu steigern, for­ dern die Getränkehersteller, folgenden 10-Punkteplan umzusetzen: 1. Betrachtung des Gesamtmarkts, also neben Lebensmittelhandel und Gas­ tronomie auch die Berücksichtigung möglichst aller Möglichkeiten der Getränkebedarfsdeckung wie z. B. Drogeriefachhandel, Elektro-, Bau-, Gartenmärkte, Tankstellen.

2. Betrachtung des Gesamtmarkts an Getränken, also keine Segmentie­ rung in Bier und Biermischgetränke, Mineralwasser, Tafelwasser, Soda, Milch, Fruchtsaft, Gemüsesaft, Nek­ tar und alkoholfreie Erfrischungsge­ tränke. 3. Betrachtung des Gesamtmarkts unter Berücksichtigung von ver­ packungsreduzierten Getränken, weil der Gesetzesentwurf nicht den aktuellen Gesamtmarkt und seine zukunftsgerichtete Entwicklung wi­ derspiegelt. Verpackungsreduzierte Getränke wie Sirupe und Trinkwas­ sersprudlersysteme sowie Container/ Konzentrate in der Gastronomie sol­ len dem Gesamtmarkt zugerechnet werden. Zuwächse im Volumen von Fertiggetränken durch verpackungs­ reduzierte Getränke sollen im Mehr­ weganstieg berücksichtigt werden. 4. Betrachtung der Verpackungen nach ihrer tatsächlichen Kreislauffähigkeit (ökologische Eignung): Alle Verpa­ ckungen sollen unter den Gesichts­ punkten einer wirklichen circular economy gesehen werden – es geht um einen ökologisch sinnvollen und marktgerechten Ausbau sowohl von Mehrweg- als auch von Recycling und Einweggebinden. Beide Systeme sollten sich bestmöglich ergänzen, um ganzheitlich positive ökologische Effekte zu erzielen – gemeinsam ge­ tragen von allen Stakeholdern. 5. Verzicht auf verbindliche Mehr­ wegquoten: Anstelle starrer ange­ botsseitiger Quoten fordern wir die kontinuierliche Steigerung des volu­ mensseitigen Mehrweganteils, bezo­ gen auf den Gesamtmarkt. 6. Verzicht auf Sanktionen bei Nicht­ erreichen von in Quoten ausge­ drückten Zielvorgaben: Da im vorgeschlagenen Konzept mehrere Bestimmungen im Zusammenhang mit der Messung des Mehrwegan­ teils unklar sind, soll das Monito­ ring durch die bewährte Erfassung des absatzseitigen Mehrweganteils über den Gesamtmarkt erfolgen. Im Rahmen der ARGE Nachhaltigkeits­ agenda der österreichischen Wirt­ schaft für Getränkeverpackungen wird das seit Jahren praktiziert. 7. Genaue Betrachtung der Kosten­ struktur beim Betrieb von Mehr­

wegsystemen und Deckelung der Kosten: Der Betrieb von Mehr­ wegsystemen zieht eine Reihe von Kosten nach sich wie Manipulati­ onsaufwand am Verkaufspunkt und Programmierungs-/Installations­ auf wand zur Initialisierung und Aktualisierung der Rückgabeauto­ maten. In der Praxis scheitert die Erweiterung des Mehrwegangebots regelmäßig an den exorbitant hohen Kosten für die Aktivierung/Im­ plementierung/Manipulation von Mehrweggebinden. Insbesondere müssen daher die finanziellen Bar­ rieren, die sich der Inverkehrbrin­ gung von Mehrweggebinden in der Praxis in Österreich entgegenstel­ len, so niedrig wie möglich gehal­ ten werden. Als Referenzkosten für Programmierungs-/Installationsauf­ wand zur Initialisierung und Aktu­ alisierung der Rückgabeautomaten können z. B. Kosten aus Deutsch­ land herangezogen werden. 8. Finanzielle Unterstützung der Ge­ tränkehersteller: Die Schaffung neuer sowie die Modernisierung und Erwei­ terung bestehender Produktionska­ pazitäten für Mehrweggebinde stellt eine enorme finanzielle und organisa­ torische Herausforderung dar. Auch entsprechende Vorlaufzeiten sind notwendig, um die Zulieferindustrie hochzufahren (z. B. für Mehrweg­ gebinde, Kisten, Logistiksysteme). Ohne Investitionen in der Geträn­ keindustrie wird die allseits intendier­ te Mehrwegsteigerung daher nicht stattfinden können. Dabei ist es vor allem für kleine und mittlere Betrie­ be ein Hemmnis, das Mehrwegange­ bot überhaupt bereitzustellen oder zu erweitern. Daher müssen die im Regierungsprogramm für die Kreis­ laufwirtschaft bereitgehaltenen sowie die im EU-Aufbau- und Resilienzplan angesprochenen Mittel vorrangig für Investitionsprojekte für die Getränke­ wirtschaft eingesetzt werden. 9. Kein Zwang zu einer einheitlichen Pool-Flasche. 10. Objektive Überprüfung des Fort­ schritts: Die Fortschritte zur Stei­ gerung des Mehrweganteils sollen durch regelmäßiges (z. B. jährliches) Monitoring der ARGE Nachhaltig­ keitsagenda gemessen werden.

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Genomeditierung: Präzisions­ züchtung oder Gentechnik? Die Ernährung sprach mit Univ.-Prof. Mag. Dr. Joseph Strauss, Leiter des Departments für Angewandte Genetik und Zellbiologie und des Instituts für Mikrobielle Genetik an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), über NGT (New Genomic Techniques). Eine neue Studie der EU hat die gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema angeheizt, ohne näher auf die wissenschaftlichen Grundlagen einzugehen. Denn zwischen neuen widerstandsfähigen Sorten, die zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen können, und der strikten Ablehnung von Gentechnik bedarf es noch weiterer Aufklärung. Lesen Sie einen raschen Überblick über die wissenschaftlichen Aspekte. Oskar Wawschinek

D

ie Ernährung: An Ihrem Department beschäftigen sich die Forscherinnen und Forscher mit der molekularen Genetik und Biotechnologie von Pflanzen und Pilzen und damit, wie Pflanzenkrankheiten entstehen. Die neuen Techniken der Genomeditierung – auch „CRISPR“ oder „Genschere“ genannt – eröffnen nun scheinbar neue Möglichkeiten in der Züchtung. Welche sind das? Joseph Strauss: Im Gegensatz zu den klassischen Züchtungstechniken, die mit Zufallsmutagenese, Selektion und Re­ kombination arbeiten, wird bei der Geno­ meditierung mittels CRISPR ganz gezielt eine bestimmte Region in den Chromo­ somen angesteuert und so verändert, wie

man es haben will. Man kann sich das wie ein GPS-System im Auto vorstellen: Sie geben die Adresse ein, die Sie vorher in der Forschung identifiziert haben, und das System lenkt die Genschere mit Hilfe einer RNA an die programmierten geneti­ schen Koordinaten und verändert dort die Buchstaben des genetischen Codes gemäß Ihrer Anleitung. Also ganz ohne Zufalls­ ereignisse und Nebeneffekte, die eine klas­ sische Mutagenese mit sich bringen wür­ de. Das ist eine echte Revolution in der Genetik, die Züchtung nicht nur viel prä­ ziser, sondern auch schneller macht und ganz neue Möglichkeiten für die nachhal­ tige Lebensmittelproduktion eröffnet. Wir haben also in der molekularen Genetik und in der Züchtung ein ganz besonderes

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neues Werkzeug in unseren „Werkzeug­ kasten“ dazubekommen. Dafür ist nicht umsonst vor Kurzem der Nobelpreis an die beiden Hauptentdeckerinnen Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier ver­ geben worden. Was ist das Ziel dieser Forschung und Entwicklungsarbeit? Strauss: Das Ziel ist eindeutig, ganz gezielt und schnell neue Eigenschaf­ ten in bereits gut etablierte Sorten zu bringen, um diese fit für eine nachhal­ tige Land- und Forstwirtschaft in Zei­ ten der Klimakrise und des steigenden Krankheits- und Schädlingsdrucks zu bekommen. Zum Beispiel ist es damit möglich, in eine lokale Weizensorte, die


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gut etabliert, aber sehr anfällig gegen Mehltau ist, rasch und günstig eine na­ türliche Resistenz gegen diesen Pilz hin­ einzubringen. In den vielen Jahrzehnten der klassischen Weizenzüchtung ist das nicht gelungen, denn das Erbmateri­ al des Weizens ist sehr komplex, mehr als 5 Mal so groß wie das menschliche Genom. Aber mit der Genomeditie­ rung kann man eben mehrere Stellen in dieser komplexen Erbsubstanz ge­ zielt ansteuern und so verändern, dass eine natürliche Resistenz gegen diesen Mehltau entsteht. Und damit kann man bei gleicher Ertragssicherheit plötz­ lich große Mengen an Pflanzenschutz­ mittel einsparen! Ein Gewinn für die Konsumentinnen und Konsumenten,

die Produzenten und vor allem für die Natur. Die Entwicklung von Resisten­ zen ist ganz sicher die nachhaltigste Form des Pflanzenschutzes. Wenn ich das mit einem erkrankten Menschen vergleiche, dann ist der Einsatz von Pflanzenschutzmittel vergleichbar mit der Einnahme eines Medikaments – eine Notlösung. Die Züchtung auf Resis­ tenz ist dann so etwas wie bei uns eine Impfung – ein dauerhafter Schutz gegen Infektionen. Das wissen wir gerade jetzt in Covidzeiten am allerbesten – es ist un­ sere einzige Chance, die Pandemie in den Griff zu bekommen, und so ist es in der land- und forstwirtschaftlichen Produkti­ on ebenfalls – die Resistenz-Züchtung ist eine der wichtigsten Bausteine, um Ver­

luste durch Schädlinge und Krankheiten zu verhindern. Resistenz wirkt dauerhaft, ist sicher, umweltfreundlich und billig. Aber Krankheitsresistenz ist natürlich nicht die einzige Eigenschaft, die in Zei­ ten der Klimakrise für die Produktionssi­ cherung essentiell sein wird. Es wird auch darum gehen, Sorten gegenüber Hitze und Trockenheit widerstandsfähiger zu machen oder die Ausnutzung der Nähr­ stoffe zu verbessern, denn wir werden in Zukunft wegen des großen Energiebedarfs bei der Herstellung von synthetischen Düngemitteln sicher mit viel weniger da­ von auskommen müssen. Die Sicherung des Ertrags wird das zentrale Thema der zukünftigen nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft sein. Nicht nur in der

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konventionellen, sondern auch in der Bio­ landwirtschaft. Gerade dort ist wegen des beschränkten Pflanzenschutzmitteleinsat­ zes die Resistenzzüchtung noch wichtiger für die Sortenentwicklung in der Land­ wirtschaft und im Gemüsebau.

nologie in Bausch und Bogen abzulehnen. Aber das ist jetzt eben anders. Jetzt ist die Nachhaltigkeit das große Ziel, Erhaltung von Sortendiversität und Regionalität bei optimierter Stress- und Schädlingsresistenz und Ertragsstärke.

Wenn neuartige genomische Verfahren wie die genannte Genomeditierung die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Erzeugung im Einklang mit den Zielen der EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ fördern können, wie die Kommissarin Stella Kyriakides sagt, warum entstand wieder Aufregung darüber? Strauss: Wenn molekularbiologische Methoden eingesetzt werden, um rasch Impfstoffe wie gegen Covid-19 zu entwi­ ckeln, wird das von der Gesellschaft sehr positiv aufgenommen. Im Bereich von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen (oder Tieren) wird es hingegen strikt abgelehnt.

Die Studie der EU zu NGT (New Genomic Techniques) hat u. a. ergeben: „Mit Pflanzen, die gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger sind, können die NGT zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen. Für diese Erzeugnisse spricht darüber hinaus ein besserer Nährwert, etwa ein gesünderer Fettsäuregehalt, und ein geringerer Bedarf an landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, etwa Pestiziden.“ Wie sehen Sie das? Strauss: Es gibt sehr viele Ideen aus der Forschungsbasis, die auf Umsetzung war­ ten. Kleine regionale Züchtungsfirmen und Start-ups könnten mit dem neuen Werk­ zeugkasten ihre Ideen rasch umsetzen und theoretisch neue Eigenschaften in alten Sorten schnell und günstig etablieren und damit auf den Markt kommen. Aber das wird so lange nicht möglich sein, so lange die Gesetzeslage nicht klar zwischen Geno­ meditierung und Gentechnik unterscheidet. Und bis dahin wäre ein Anbau in Europa undenkbar, ein langwieriges und extrem teures Zulassungsverfahren wäre die Fol­ ge, das sich wieder nur die multinationalen Konzerne leisten können. Und diese Inves­ tition dann auch durch Patente geschützt sehen will. Aber das ist der falsche Weg, denn die Ge­ nomeditierung ist keine Gentechnik, son­ dern ein präzises Mutageneseverfahren. Es ist daher technisch gesehen mit den klassi­ schen Züchtungsmethoden gleichzusetzen, und das sollte sich auch in der Gesetzge­ bung abbilden: Wenn mit der Genomedi­ tierung keine artfremden Sequenzen einge­ bracht werden, sondern nur die arteigene Erbsubstanz gezielt verändert wird, dann sollten diese Produkte einfach wie neue Sor­

Warum ist das Ihrer Meinung nach so? Strauss: Ich denke, dass es hier um die Angst der Konsumentinnen und Kon­ sumenten geht, dass wieder multinatio­ nale Saatgutkonzerne bestimmen, welche Sorten erzeugt und dann auch patentiert werden, und es wieder nicht in Richtung Nachhaltigkeit, sondern weiter in Richtung Industrialisierung der Landwirtschaft ge­ hen könnte. Also „just more of the same“ statt wirkliche Änderungen in Richtung Züchtung für eine nachhaltige Produkti­ on. Das war auch so bei der Entwicklung von GVO-Sorten in den 90er Jahren mit klassischer Gentechnik, da ging es nur um Totalherbizid-resistente Sorten, deren Ein­ satz allein der Industrialisierung dient und im krassen Widerspruch zu Nachhaltigkeit und Regionalität steht. Und daher der be­ rechtigte Widerstand. David gegen Goliath sozusagen, ressourcencenschwache Um­ weltschutz- und Konsumentenorganisatio­ nen gegen milliardenschwere multinationa­ le Konzerne – da hat man sich nicht anders zu helfen gewusst, als die gesamte Tech­

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ten behandelt werden. Es ist wissenschaft­ lich unbestritten, dass von genomeditierten Sorten im Vergleich zu ihren Stamm­sorten keine zusätzlichen Risiken ausgehen. Wir müssen hier der Wissenschaft vertrauen, den objektiven Zahlen vertrauen. Wenn wir der Wissenschaft beim Klimawandel oder in der Bekämpfung der Covidpandemie glauben, und Leugnern des menschenge­ machten Klimawandels vorwerfen, dass sie die Wissenschaft ignorieren, dann dürfen wir aber auch nicht die wissenschaftliche Datenlage zur Genomeditierung negieren. Man kann sich nicht aussuchen, wo man der Wissenschaft glaubt und wo nicht. Was ist der Hintergrund der neuen Regeln für neue Verfahren bei der Gentechnik? Strauss: Im Klartext heißt das: Geno­ meditierte Pflanzen sollten unter das Sor­ tenrecht gestellt werden. Bei der Sorten­ prüfung und beim Zulassungsverfahren, das ja heute schon für jede neue Sorte gilt, sollten die eingeführten Veränderungen im Sinne des gesellschaftlichen Informations­ rechts offengelegt werden. Aber vor allem eines muss bei genomeditierten Pflanzen auch wie bei herkömmlichen Sorten gel­ ten: Es darf auf die eingebrachten Eigen­ schaften und genetischen Veränderungen kein Patentschutz entstehen. Warum ist das wichtig? Weil dadurch die Sorte wie­ der frei ist für weitere Züchtungsvorhaben durch andere Züchterinnen und Züchter, hier wieder andere Eigenschaften entweder klassisch oder mit Hilfe der Genomeditie­ rung einzuführen. Alle diese Weiterent­ wicklungen wären bei einem Patentschutz nur möglich, wenn die Patentinhaber zu­ stimmen und hohe Lizenzgebühren bezahlt werden. Die Erfolge der bisherigen klassi­ schen Züchtung beruhen zum Großteil genau auf dieser züchterischen Freiheit im Sortenrecht, dass eben niemand zustim­ men muss und für weitere Züchtungen keine Lizenzgebühren zu bezahlen sind. Das Einkommen der Züchter ergibt sich wie auch jetzt schon allein durch die Li­


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zenzen bei der Nutzung der Sorten für den Anbau, also bei der Saatgutvermehrung und dem Verkauf an die landwirtschaftli­ chen Betriebe. Und genau dasselbe sollte auch für genomeditierte Pflanzen so gelten. Damit fällt einer der größten und durch­ aus berechtigten Kritikpunkte der Gegner von Gentechnik und Saatgutmonopolisie­ rung weg. Es ist im Interesse der Nachhal­ tigkeit und der Regionalität, dass es hier keine extrem teuren Zulassungshürden und keinen Patentschutz auf genomeditier­ te Pflanzensorten gibt. Die internationale Forschungsgemeinschaft ist sich in diesem Punkt schon ziemlich einig. Was kann da die Wissenschaft tun, was die Politik? Was fehlt Ihrer Meinung nach? Strauss: Wir müssen meiner Mei­ nung nach den gesellschaftlichen Dialog ernsthaft aufnehmen, die alte Gentech­ nik-Diskussion hinter uns lassen, bei der die Wissenschaft geglaubt hat, die Öf­ fentlichkeit nicht ernstnehmen zu müssen und im Besitz der alleinigen Weisheit zu sein, wie man mit GVOs die Welt retten

kann. Und bei der auf der anderen Seite die Konsumenten- und Umweltschut­ zorganisationen mit Frontalopposition reagiert haben. Ohne abzuwägen, ob es nicht auch „gute“ Gentechnik im Sinne der Entwicklung von Sorten für die klima­ fitte und nachhaltige Landwirtschaft geben könnte, wird nach wie vor alles, was mit dieser Technik im Zusammenhang steht, kategorisch abgelehnt. Aber dieser Dog­ matismus muss meiner Meinung nach dringend überdacht werden im Sinne der Chancen für die nachhaltige Herstellung gesunder Nahrungsmittel – möglichst nahe an den Prinzipien des Biolandbaus. Fundamentalismus hat noch nie in der Geschichte zu einem produktiven Mitei­ nander und zu Fortschritt geführt. Man muss also von einer Technologie-zentrier­ ten Bewertung zu einer Produkt-zentrier­ ten Bewertung von neuen Sorten kom­ men. Es ist nicht relevant, wie eine Sorte entstanden ist, sondern was sie kann und was ihre Eigenschaften sind. Wenn sie der Förderung der Nachhaltigkeit und der gesunden Lebensmittelproduktion dient,

dann soll sie zugelassen werden. Wenn die Züchtungsschritte dazu führen, dass die Nachhaltigkeitsziele konterkariert werden, z.B. weil die Sorte mit Hilfe von Genomeditierung totalherbizidresistent gemacht wurde, dann soll die Zulassung verweigert werden. Diese rechtliche Klä­ rung muss möglichst schnell passieren, und dazu muss das Regelwerk angepasst werden. Laut der Studie der EU-Kommis­ sion ist die Struktur unserer GVO-Gesetze nicht in der Lage, mit dem wissenschaft­ lichen Fortschritt der letzten zehn Jahre mitzuhalten, sie ist „not fit for purpose“, wie es im Original dort heißt. Denn nur dann können unsere kleinen Züchtungsfir­ men und Start-ups Investoren überzeugen, in ihre Ideen zu investieren. Denn wenn es keinen Markt in Europa für genome­ ditierte lokale Sorten geben wird, weil die Zulassungen verweigert werden oder sich nur die reichen multinationalen Konzerne das leisten können, dann wird es auch kei­ ne neuen optimierten Sorten geben. Und dann werden wir das Möglichkeitsfenster verpassen, das sich jetzt auftut, und eine

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Zur Person —

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Biographie Univ.-Prof. Mag. Dr. Joseph Strauss leitet das Department für Angewandte Genetik und Zellbio­ logie und das Institut für Mikrobielle Genetik an der Universität für Boden­ kultur Wien (BOKU). Er ist ausgebil­ deter Landwirt, Mikrobiologe und Molekulargenetiker mit Schwerpunkt Pilzforschung. Wissenschafter*innen des Departments forschen an den Themen „Genetische Wachstumskon­ trolle“ und „Wirkstoffproduktion“ in Pflanzen sowie an „molekular­ genetischen Grundlagen von Pilz­

große Chance wird dahin sein, unsere ei­ gene Land- und Forstwirtschaft und un­ seren eigenen Gemüse- und Obstanbau nachhaltiger zu gestalten. Damit sinkt die Eigenversorgung, steigt die Abhängigkeit vom internationalen Markt, in dem diese Produkte sehr wohl zugelassen und pro­ duziert werden. Sie sind es ja jetzt schon, am amerikanischen Kontinent, in Asien, Afrika oder in Osteuropa. Und den Import aus diesen Ländern werden wir auch dann wieder zulassen müssen, so wie heute die GVO-Produkte den europäschen Lebensund Futtermittelmarkt überschwemmen. Wir brauchen uns da keiner Illusion hin­ zugeben, da werden in Zukunft einfach die genomeditierten Produkte dazu kommen und in großem Stil importiert werden.

krankheiten“. Die neuen Methoden der Genomeditierung zur gezielten Veränderung von Pflanzen und Pilzen gehören an diesem Department und in anderen Forschungsgruppen an der BOKU mittlerweile zum Forschungs­ alltag. Die Forschungslabors seines eigenen Teams (https://boku.ac.at/ dagz/imig) befinden sich am Biores­ sourcen-Campus Tulln, wo interdiszi­ plinäre Forschung und Technologie­ entwicklung zum Thema „Sicherung der Lebensgrundlagen und schonende Nutzung biologischer Ressourcen“ betrieben wird (www.boku.ac.at/wis­ senschaftliche-initiativen/birt/). Prof. Strauss leitet dort seit 2014 auch die Forschungsplattform „Bioaktive Mik­ robielle Metaboliten“ (www.bimm-re­ search.at) und ist Projektpartner des seit 2017 bestehenden Kompetenz­ zentrums FFoQSI für Lebens- und Futtermittelqualität, Sicherheit und Innovation (www.ffoqsi.at). Durch seine bahnbrechenden wissenschaft­ lichen Arbeiten im Bereich bioaktive Stoffe aus Pilzen und seine Aktivitäten in verschiedenen Gremien und akade­ mischen Verbänden zählt Prof. Strauss zu den international renommiertesten Experten auf diesem Gebiet.

Wenn wir eine wachsende Weltbevölkerung unter Bedingungen des fortschreitenden Klimawandels ernähren wollen, können wir es uns leisten, nicht alle Möglichkeiten zu nutzen? Strauss: Das Argument der Ernäh­ rung einer wachsenden Weltbevölkerung für die Zulassung genomeditierter Pflan­ zen sehe ich eigentlich eher kritisch. Das wurde schon damals in der GVO-Dis­ kussion als Vorwand verwendet, um eine weitere Industrialisierung der Land­ wirtschaft zu rechtfertigen. Aber solange wir weltweit ungefähr ein Drittel aller unserer mit hohem Arbeits- und Energie­ einsatz produzierten Lebens- und Futter­ mittel nicht verwenden, sondern sie weg­ werfen oder verderben lassen, so lange

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sehe ich den Fokus nicht auf weiterer In­ tensivierung der Produktion, sondern es muss um die bessere Verteilung und Nut­ zung der Produkte gehen. Wir könnten im Klartext also heute schon ein Drittel mehr an Menschen versorgen, als wir es aktuell tun. Und wenn wir noch dazu unsere Ernährungsweise auf mehr pflan­ zenbasierte Produkte umstellen, auch dann wird der weltweite Produktions­ bedarf sinken. Der Fokus muss meiner Meinung nach also neben der erwähnten richtigen Nutzung und Verteilung der Produkte auf der Sicherung der aktuel­ len Produktion liegen. In Zeiten der Kli­ ma- und Biodiversitätskrise sowieso eine riesen Herausforderung – denken wir nur an die stetig zurückgehenden Nie­ derschläge und Extremwetterereignisse in unseren Breiten. Oder an all die neuen Krankheitserreger, die in unseren Regio­ nen heimisch werden, weil sich das Kli­ ma zu ihren Gunsten geändert hat. Das alles stellt uns vor große Probleme der Produktionssicherung. Und hier müssen wir ansetzen. Sie haben selbst gemeinsam mit einem Freund einen Bio-Bauernhof geführt. Sehen Sie für die biologische Landwirtschaft mehr Chancen oder Risken durch die Nutzung moderner Züchtungsmethoden? Strauss: Ja, ich habe ja eine land­ wirtschaftliche Ausbildung genossen und dann nach dem Genetik-Studium noch nicht genau gewusst, ob ich in die Wissenschaft gehen möchte oder nicht. Also haben wir damals, als die Bio-Be­ wegung erst im Begriff war, zum Main­ stream zu werden, am Bauernhof eines Freundes begonnen, Biogemüse zu pro­ duzieren und es selbst zu vermarkten. Ich bin dann doch in die Wissenschaft und ins Ausland gegangen, aber ich habe natürlich zum Biolandbau nach wie vor eine enge Beziehung. Und da­ her bin ich überzeugt, dass genau die­ ser Bereich am allermeisten von den neuen Werkzeugen profitieren wird. Und die internationalen Bioverbände, auch die europäischen, diskutieren die­ ses Thema sehr intensiv. Vor allem in Deutschland und in der Schweiz sowie in Schweden ist eine recht positive Ein­ stellung gegenüber den neuen Chan­ cen, die durch die Genomeditierung für die Biosortenzucht entstanden sind, zu bemerken. In meinen eigenen Diskus­


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sionen und Vorträgen bei den Land­ wirten und Verbänden merke ich das ebenfalls. Wenn man einmal realisiert hat, dass sich zum Beispiel zwei Wei­ zenkörner auf ein und demselben Feld durch die natürliche biologische Muta­ tionsrate stärker voneinander unter­ scheiden als eine genomeditierte Sorte von ihrer Ausgangssorte, dann begreift man auch, dass das eigentlich natürli­ che Biodiversität ist, was wir mit Hilfe der Genomeditierung schaffen. Kleine genetische Unterschiede, die aber darü­ ber entscheiden können, ob der Anbau erfolgreich und nachhaltig sein kann oder eben nicht. Es ist wie anderswo auch: Wissen nimmt die Angst – und daher müssen wir unseren Wissensver­ mittlungsauftrag als Wissenschaftler auch gerade jetzt sehr ernst nehmen. Und man muss vor allem eines kommu­ nizieren: Auch die neuen Züchtungs­ techniken sind keine Heilsbringer! Die eine Methode oder Sorte, die alle Prob­ leme löst, gibt es nicht. Die neue Züch­ tungsmöglichkeit ist nur eines von vielen Werkzeugen und Maßnahmen, die es

braucht, um in Richtung nachhaltiger Produktion von gesunden Lebensmitteln wieder einen Schritt weiter zu kommen. Genomeditierte Sorten werden global nur dann Verbesserungen bringen, wenn sie gemeinsam mit der Erhaltung der na­ türlichen Produktionsgrundlagen und lokaler landwirtschaftlicher Strukturen gedacht werden, wenn Biodiversität und gesunde Böden als Ökosystemleis­ tungen bewertet werden und einen Wert zugesprochen bekommen. Und wenn wir es schaffen, dass Produkte nicht ver­ schwendet, sondern verwendet und fair verteilt werden, und nicht zuletzt, dass der Fleischkonsum weltweit reduziert werden kann. Würden Sie Lebensmittel essen, die mit NGT entstanden sind? Strauss: Wie gesagt, ich plädiere da­ für, die Produkte zu bewerten und nicht ihre Züchtungstechnik. Wenn es nach­ haltig, also möglichst nach den Prinzipi­ en des biologischen Landbaus hergestellt wurde, die Boden- und Biodiversitäts­ schutz schon seit jeher als Grundlage

der Produktion ansehen, dann ist es mir egal, wie es gezüchtet wurde. Ich hoffe, dass ich bald einmal Bio-Weintrauben essen kann, die von einem genomeditier­ ten Weinstock stammen, der natürlicher­ weise mehltauresistent gemacht wurde. Damit würden wir uns alle zusammen den oftmaligen Einsatz von Kupferpräpa­ raten zur Mehltaubehandlung ersparen, der auch im Biolandbau gang und gäbe ist, damit die Ernte nicht verdirbt. Also die Antwort ist klar; ja, natürlich würde ich solche Lebensmittel kaufen! Wenn Sie sich was wünschen dürfen, was wäre das? Strauss: Dass sich die Erkennt­ nis in Wirtschaft und Politik wirklich breit durchsetzt, dass wir schnell und ohne viel Kompromisse die Prinzipien der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirt­ schaft umsetzen müssen und uns im Sinne der Verantwortung für diesen wunderschönen Planeten und unsere Nachkommen nicht durch politisches oder finanzielles Kalkül in kleinliches Hickhack verstricken lassen.

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Lebensmittel auf dem Prüfstand Sicher, sauber, nachhaltig Der Hunger nach umweltfreundlichen – und gleichzeitig sicheren – Verpackungen ist gestiegen. Ob die Lebensmittelbranche auch dieses Bedürfnis stillen kann, und welche Trends sich abzeichnen, klärte der TÜV AUSTRIA Lebensmittelsicherheitstag in Kooperation mit der Lebensmittelversuchsanstalt – heuer als Webtagung. Unter dem Aspekt der Lebensmittelsicherheit beleuchtete die Fachtagung im Juni alle relevanten Bereiche entlang der Produktionskette – vom Verarbeitungsprozess bis zur Verpackung. Julian Drausinger

Verpackungen – nachhaltig und sicher?

© LVA / TÜV Austria

Nachhaltige Lebensmittelverpackungen haben einen möglichst geringen CO2-Fuß­ abdruck. Aber sind moderne, umwelt­ freundliche Verpackungen auch sicher? Das Anforderungsprofil der Verpackung von heute ist komplex. DIn Johanna Fois­ ner (Foisner4FCM) erklärte Details und Anforderungen der EU-Kunststoff-Ver­ ordnung. Einerseits soll sie das Produkt im Sinne der Lebensmittelsicherheit schützen, andererseits möglichst „grün“ sein. Mehr­

weg-Systeme, Verpackungsvermeidung, also die Reduktion der Menge des ver­ wendeten Verpackungsmaterials, oder der Einsatz von recyclingfähigen Materialen bei Verpackungen tragen dazu bei. Dass diese Ansätze bereits erfolgreich umgesetzt wurden, zeigen bekannte Beispiele aus der Praxis, wie Ing. Michael Krainz (OFI Tech­ nologie & Innovation GmbH) ausführte. Ein Hersteller für fleischlose Produkte stell­ te von PET-Verpackungen auf recycling­ fähige, thermoformbare Verpackungen um und erzielte so einen um 80 % reduzierten Kunststoffeinsatz. Ähnliches gelang einem

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Schinken-Hersteller: Der Umstieg brachte eine sehr hohe Recyclingfähigkeit bei ho­ her Mindesthaltbarkeit und geringerem Verpackungsgewicht. Nachhaltigkeit und Sicherheit sind demnach vereinbar.

Lebensmittelsicherheitskultur und Krisenmanagement Ein neues Schlagwort trifft den Lebensmit­ telsektor: „Food Safety Culture“, die zu­ künftig auch gesetzlich gefordert wird und schon jetzt Bestandteil aktueller Standards, wie z. B. des IFS Food (v7), ist. Lebensmit­ telsicherheitskultur fordert Werte, Überzeu­ gungen und Vorgaben, die die Denkweise über und das Verhalten in Bezug auf die Le­ bensmittelsicherheit innerhalb eines Unter­ nehmens beeinflussen. Was dazu zählt und wie Betriebe diese integrieren können, so­ wie die Integration in die Kommunikation und Besprechungskultur des Unternehmens erläuterte Mag.a Katharina Raab-Kashofer. Neue Ansätze im Lebensmittelsicherheits­ management sind gefordert und aktuell damit verbunden Krisenmanagement in Zeiten von COVID-19 in der betrieblichen


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Praxis. Dr. Stefan Hackel (Vivatis Holding AG) zeigte anhand der praktischen Erfah­ rungen im Unternehmen beispielhaft den erfolgreichen Umgang mit der COVID-19 Pandemie. Nach dem Stufenprinzip der Prävention, des Handlings/der Planung und der Nachbereitung, verbunden mit zielge­ richteter interner Kommunikation, wurde ein Maßnahmenplan umgesetzt. Wichtige Erkenntnisse daraus hinsichtlich Beschaf­ fung, Infektionsschutz, Operations und Kommunikation sichern das zukünftige Krisenmanagement weiter ab.

Herkunft und Lebensmittelbetrug Die Kennzeichnung von Lebensmitteln enthält mehr detaillierte Information über die Herkunft von Zutaten. Der ak­ tuelle Status zur Kennzeichnung der Pri­ märzutat lässt aber noch Spielraum zur Auslegung – was Lebensmittelprodu­ zenten und -vertreiber fordert. DI Josef Holzer (LVA GmbH) präsentierte aktu­ elle Entwicklungen auf nationalstaatli­

cher Ebene und klärte Begrifflichkeiten und Kennzeichnungspflichten. In diesem Spannungsfeld nimmt Lebens­ mittelbetrug – food fraud – laufend zu. Dr. Bernd Bodiselitsch (Imprint Analytics GmbH) zeigte anhand von Praxisbeispie­ len analytische Lösungsstrategien zur Si­ cherstellung der Authentizität. Ebenfalls erklärte er Methoden zur Vorbeugung und welche Limitationen es im Nachweis gibt, bzw. welche Interpretationen anhand von Analysenergebnissen möglich sind.

Sustainability: Megatrend Nr. 1 bei Verpackungen Spätestens seit Aufkommen der „Fri­ days-for-Future-Bewegung“ ist klar, dass das Bewusstsein der Konsumenten für Umweltbelange gestiegen ist. Der Ruf nach nachhaltigen Verpackungen aus beispiels­ weise biologisch abbaubaren, wiederver­ wendbaren oder nicht toxischen Mate­ rialien ist laut. Was heißt Nachhaltigkeit eigentlich? Am besten erklären lässt sich das anhand der 3R-Regel „Reduce-Reu­

se-Recycle“, wie FH Prof.in Dr.in Silvia Apprich (FH Campus Wien) ausführte. Reduzieren: Das Verbot von Einweg-Plas­ tik-Wasserflaschen oder der Genuss von Kaffee in faltbarem Papierbecher, ohne Plastikdeckel, verringern den Material­ einsatz und somit den CO2-Fußabdruck. Wiederverwenden: Mehrwegverpackun­ gen sind besser als Einwegverpackungen. Ein Beispiel aus der Praxis sind Abfüllsta­ tionen in Shops. Können die Rohstoffe, die im Verpackungsmaterial enthalten sind, wiederverwertet werden, spricht man von Recycling. Haarpflegeprodukte mit 100 % recyceltem Ocean-Plastik zeigen vor, wie es funktionieren kann. Die neuesten Entwicklungen und Trends der Verpackungsindustrie mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit tragen dem Kreislauf­ wirtschaftspaket der EU sicher Rechnung. Es wird sich zeigen, ob die bis 2030 gefor­ derte Recyclingquote bei Kunststoffverpa­ ckungen von 55 % zur „Mission Possible“ wird. DI Julian Drausinger, Lebensmittelversuchsanstalt, Wien

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24 firmenbericht company report

© Adobe stock – sasun Bughdaryan

Kennzeichnung macht Verpackungen erst intelligent Ob Informationen für einzelne Zwischenschritte in der Produktion und Logistik oder für KassiererInnen oder Endkunden – Kennzeichnungen sorgen dafür, dass Verpackungen zum Kommunikationsmedium und Datenträger werden.

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inter den Kenn­ zeichnungen ste­ cken hochmoder­ ne Systeme, die immer höhere Leistungen be­ wältigen und unterschiedlichs­ te Daten managen und auf­ bringen müssen. Zu den dafür eingesetzten Lösungen zählen neben Tintenstrahl- und La­ serdruckern vor allem Etiket­ tenspender und Druck-Spen­ de-Systeme. Ein großer Teil dieser wichti­ gen Informationen wird mit

hohen Geschwindigkeiten am Band aufgebraucht und ist als peripherer Prozess in der Ver­ packungslinie mit eingebun­ den – die Abläufe müssen also zuverlässig und sicher stattfin­ den, damit es nicht zu Produk­ tionsunterbrechungen kommt. Auch Rückrufe bei fehlerhaften Informationen oder nicht sau­ ber aufgebrauchten Etiketten oder unleserlichen Codes müs­ sen zuverlässig ausgeschlossen werden. Nach dem Druck wird deshalb oftmals die Lesbarkeit

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der Kennzeichnung mit Scan­ nern überprüft, um fehlerhafte Produkte sofort ausschleusen zu können. Keine Kennzeichnung ohne übergeordnete Datenanbindung Die aufzu­ bringenden Daten und In­ formationen werden über Softwareschnittstellen eingespeist und verwaltet. Gesetzlich vorgegebene In­ formationen wie Chargen­ nummern, Informationen

zu Hersteller, Inhalt und Ge­ fahrenhinweise müssen sich dabei den begrenzten Platz mit Marketing­inhalten und Codes für die Logistik teilen. Gleichzeitig sorgt die Digi­ talisierung dafür, dass auch mit kleinen Codes eine gro­ ße Menge an Informationen hinterlegt werden kann. Als Schnittstelle zwischen dem Produkt und der IT-Welt ermöglichen die Kennzeich­ nungen damit die zunehmen­ den Forderungen nach einer


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Vernetzung von Prozessen und der Einbindung von Ver­ packungen in verschiedenste Abläufe. Die Informationen sind als Klartext, als Barcodes und vermehrt auch in QRCodes aufgebracht. Als wich­ tiges Marketinginstrument bieten letztere neue Möglich­ keiten in der Kommunika­ tion mit dem Verbraucher. Chargennummern wiederum gewährleisten, dass Produk­ te, die ein Risiko für Ver­ braucher darstellen könnten, schnell zurückgerufen werden können. Diese Zielstellungen sind ange­ sichts der hohen Anforderun­ gen an die Etiketten gar nicht so leicht zu verwirklichen, müssen sie doch eine hohe Prozesssicherheit und unkom­ plizierte Handhabung gewähr­ leisten. So findet das Etikettie­ ren von Lebensmitteln beim Hersteller unter schwierigen

Bedingungen statt: feuchte und kalte Oberflächen, teilweise be­ reits tiefgekühlt, teilweise heiß abgefüllt und anschließend ge­ kühlt. Je nach Produkt können die Oberflächen fettig, feucht oder unebenmäßig sein. Dafür haben die Anbieter Haftkleber entwickelt, die eine geringe Migration auf­ weisen, d.h. die Etiketten haften sofort auf den unter­ schiedlichen Oberflächen und ermöglichen so die hohen Etikettiergeschwindigkeiten an den Verpackungslinien. Gleichzeitig müssen die Kleb­ stoffe lebensmittelsicher und im Fall von Verschlussetiket­ ten leicht zu öffnen und wie­ derverschließbar sein. Kennzeichnung als Teil des Nachhaltigkeitskonzepts Mit Blick auf den Recycling­ prozess dürfen die Etiketten und Druckfarben ebenfalls

nicht vernachlässigt werden. In den Recyclinganlagen sol­ len sie schließlich nicht für Probleme sorgen, indem sie sich schlecht entfernen las­ sen oder verhindern, dass die Scanner das eigentliche Verpackungsmaterial er­ kennen können. Am besten sollten sie deshalb aus dem gleichen Material wie die Produktverpackung bestehen – das ist besonders wichtig, wenn die Etiketten in Form von Sleeves um die Verpa­ ckungen geschrumpft sind. Daneben gibt es inzwischen auch unsichtbare DigimarcCodes, die sich ausschließ­ lich an bestimmte Maschinen richten. Diese Lösung wurde im Auftrag von Netto-Mar­ ken-Discount entwickelt und mit dem Deutschen Verpa­ ckungspreis 2020 in Gold ausgezeichnet. Durch die ins Verpackungsdesign inte­

grierten Codes können die Produkte anders wie bei kon­ ventionellen Barcodes von jeder Seite gescannt werden. Dadurch werden die Prozesse entlang der gesamten Wert­ schöpfungskette von der Ver­ packungsproduktion, über Logistik und Lagerung, dem Kassier- und Einkaufspro­ zess bis hin zum Recycling der Verpackungen deutlich schneller und einfacher. So kann der Code beispielswei­ se die exakten Informationen über das verwendete Verpa­ ckungsmaterial beinhalten und den Detektions- und Sor­ tierprozess in der Recycling­ anlage effizienter machen. Auf diese Weise trägt die Kennzeichnungstechnik der Zukunft erheblich zur Nach­ haltigkeit von Verpackungen bei und macht sie durch ihre Vielseitigkeit erst zur smarten Verpackung.

Berührungslose Feuchtmessung sorgt für Qualität

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er Feuchtigkeits- und Ölgehalt in Kartof­ felchips und Snacks wirkt sich unmittelbar auf die Produktqualität aus. Der IR3000 NIR von MoistTech gewährleistet die präzise Mes­ sung des Feuchtigkeits- und Ölgehaltes und stellt diese als Prozessparameter für die Steu­ erung zur Verfügung. Die Qualität, Konsistenz, der Geschmack und das Ausse­ hen hängen wesentlich mit der Feuchtigkeit und dem Ölgehalt nach dem Auslauf der Fritteu­ se/des Ofens zusammen und beeinflussen insbesondere die Stabilität und die Haltbarkeit. Wesentlich beim Fertigpro­ dukt ist der Anteil an Feuch­ tigkeit und Öl zum einen, weil Lebensmittel nach Gewicht verkauft werden und zu viel

Feuchtigkeit die Knusprigkeit beeinträchtigt, der Artikel schal schmeckt oder es zu Bakterien und Schimmelbefall beitragen kann. Die kontinuierliche Messung des Feuchtegehaltes ermög­ licht Kosteneinsparung bei der Trocknung, gewährleis­ tet die Produktqualität ohne Ausschuss und verhindert ein Übergaren. Den IR3000 gibt es als Pro­ zesssensor und in einer Labor­ ausführung für Stichproben in der Nähe von Linien oder in den Qualitätskontrolllabors.

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26 technik technology

Sichere Lebensmittel im Fokus Am 15. und 16.04.2021 fand das 7. GLi Symposium für Lebensmittelsicherheit statt – aufgrund der CoronaLage wie viele andere Veranstaltungen auch wieder digital. Da sich aber mittlerweile sowohl Referenten als auch Publikum in der Welt von Zoom & Co. heimisch fühlen, konnten sowohl die Vorträge als auch die Workshops problemlos und unter reger Beteiligung stattfinden. Ein Überblick. Oskar Wawschinek

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ür viele Betriebe ist der IFS als Standard für Lebensmittel­ hersteller mittler­ weile vertraut. Wenn aber eine neue Version erscheint, bedeutet das immer Anpas­ sungsbedarf. Daher widme­ te sich der erste Vortrag der neuen IFS-Version 7 und de­ ren wesentlichen Keyfacts. Als Vortragende wechselten sich DI Wolfgang Leger-Hil­ lebrand, Quality Austria GmbH, DI Maria Panusch­ ka, Hygienicum GmbH, und DI Markus Dürrschmid, Dietz-Consulting e.U., ab. Besonders im Fokus standen Lebensmittelsicherheitskul­ tur und das Lieferantenma­ nagement. Eine der Neuerun­ gen: Statt Audits finden nun Assessments statt, und dabei jedes dritte unangekündigt. Auch die Bewertungsschema­

ta wurden angepasst. Neue Guidelines für Product Fraud und PIA – Product Intergity Assessment – wurden erstellt, die zu berücksichtigen sind. DI Johann Steinwider, AGES, stellte unter dem Titel „EFSA – quo vadis?“ die Entwick­ lungen in Richtung noch mehr Transparenz bei Risi­ kobewertungen in den Berei­ chen Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzengesundheit vor. Die Europäische Behör­ de für Lebensmittelsicherheit in Parma (EFSA) will damit auf das zunehmende Interes­ se von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie NGOs reagieren. Ziel ist auch eine Stärkung der Risikokom­ munikation. Sowohl bei den eingebundenen Experten als auch im Verwaltungsrat wird es Anpassungen geben, die diesem Grundgedanken

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stärkerer Transparenz fol­ gen. Eine neue Datenbank für Studien wird eingerichtet, um schon vor der Antragstel­ lung mögliche Abweichungen erkennen zu können. Denn Daten sind die Basis für die Risikobewertung. Bisher wurden diese aggregiert ver­ öffentlicht, in Zukunft wer­ den auch Einzeldaten ohne Nennung von Marken oder Firmen zugänglich sein. Wie mikrobielle Sicherheit und Stabilität trotz heutiger Marktanforderungen gelin­ gen kann und was das mit dem „low-no-Dilemma“ zu tun hat, stellte Dr. Dieter Elsser-Gravesen, Gründer der Firma ISI Food Protecti­ on ApS aus Dänemark, vor. Lebensmittel sollen heute vielen verschiedenen Aspek­ ten gerecht werden, die aber zum Teil im Widerspruch zu­

einander stehen. Möglichst wenig Salz, keine Konser­ vierungsstoffe und andere stabilisierende Zusätze (Ziel „clean labels“), Frische (mi­ nimal processing) stehen ver­ längerter Haltbarkeit (shelf life) und Schutz vor Verderb (food waste) entgegen. Für die Hersteller wahrlich ein Dilemma oder die sprich­ wörtliche „Quadratur des Kreises“. Es sind in der Folge Lebens­ mittelsicherheit und Haltbar­ keit abzuwägen – das kann im Interesse der Konsumen­ tinnen und Konsumenten nur für die Sicherheit ausgehen. Daher schlug Elsser-Grave­ sen ein 3-Schritte-Modell vor, bestehend aus „Cut-off“Werten, predictive modelling und challenge tests. Schritt 1 geht davon aus, dass über bzw. unter gewissen Grenz­


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© Adobe stock – onemorebox

werten (bei Temperatur, pHund aw-Wert etc.) kein mik­ robielles Wachstum möglich ist. Beim predictive modelling wird auf Basis zweier Web­ sites (combase.cc und fssp. food.dtu.dk) und verschie­ dener Parameter das vor­ aussichtliche Wachstum der Keime berechnet. So kann in Abhängigkeit der logarithmi­ schen Wachstumsraten eine mögliche Gefährdung abge­ schätzt werden. Im dritten Schritt können unter praxis­ gerechten Bedingungen chal­ lenge tests mit Testkeimen durchgeführt werden. Bei der Beurteilung der Halt­ barkeit ist es wichtig, die für den Verderb verantwort­ lichen Mikroorganismen bestimmen zu können, was über die Kombination ver­ schiedener Verfahren gelingt. Im Anschluss kann über chal­

lenge und Haltbarkeits-Tests die Entwicklung abgeschätzt werden. Insgesamt stellte Elsser-Gra­ vesen ein 3-Säulen-Konzept vor, um sichere und haltbare Lebensmittel herstellen zu können. Neben Vermeidung und Reduzierung kann an­ schließend Stabilisierung den Zustand der Lebensmittel bis zum Verbraucher sicher­ stellen. Im Projekt TOPSAFE wurden dabei in Dänemark verschiedene Phagen getestet, die aktiv Keime wie Salmo­ nellen oder Campylobacter reduzieren. Auch sogenannte Schutzkulturen können ver­ hindern, dass unerwünschte Mikroorganismen wachsen, indem sie diese unterdrücken. Den Abschluss der Vortrags­ reihe bildete Mag. Sandra Feiler von Austria Bio Ga­ rantie GmbH, die das Ri­

sikomanagement anhand der neuen Bio-Verordnung VO (EU) 2018/848 vorstell­ te, die ab 1.1.2022 in Kraft tritt. Darin sind verschiedene Ziele und Grundsätze veran­ kert, wie z. B. der Verzicht auf Nanomaterialien bei der Verarbeitung von Bio-Le­ bensmitteln, das Verbot von ionisierender Strahlung so­ wie Förderung regionaler Vertriebskanäle, Verwendung heterogenen pflanzengene­ tischen Materials oder der Erhalt von natürlichen Land­ schaftselementen. Weiters werden Vorsorgemaßnah­ men definiert, die sowohl die Landwirtschaft als auch ver­ arbeitete Produkte betreffen. Risiken können z. B. sein: Vermischen, Vertauschen und Kontamination, Einsatz verbotener Betriebsmittel oder Parallelerzeugung. Auch

die Auslagerung an nicht zertifizierte Unternehmen in Lohnarbeit zählt dazu. Neu ist, dass eine Nachweispflicht des Unternehmers besteht, dass er Vorsorgemaßnahmen definiert und ergriffen hat. Fehlende oder unzureichen­ de Maßnahmen können zu einem Verlust des Bio-Status führen. Den Abschluss des Sympo­ siums bildeten dann fünf Workshops. Die Themenkrei­ se reichten von „Datenfried­ hof Eigenkontrolle“, „IFS“, „Erfolgreiches Personalma­ nagement“ über „Produkte nachhaltig verpacken“ bis zur „Reinigungsvalidierung“. Insgesamt bot das Sympo­ sium ein überaus breit gefä­ chertes Programmangebot zum Thema Lebensmittel­ sicherheit.

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Testen, Testen, Testen! Ausbrüche von viralen Infektionskrankheiten haben in den letzten 100 Jahren mehr als zehn Gesundheitskrisen von epi- oder pandemischer GröSSenordnung ausgelöst1. Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte COVID-19-Pandemie ist neben der Spanischen Grippe von 1918 die bisher tödlichste respiratorische Virus­erkrankung der modernen Zeit. Neben mehr als 3.000.000 Todesfällen und über 130.000.000 nachweislich infizierten Personen sind enorme wirtschaftliche Schäden entstanden, wobei allein in Österreich ein BIP-Minus von 7.5 % im Jahr 2020 verzeichnet wurde2. Max J. Kellner

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in Hauptgrund für die rasante Verbrei­ tung von SARSCoV-2 findet sich unter anderem in der stark unterschiedlichen klinischen Ausprägung von COVID-19, wobei mehr als 60 % aller nachweislich infizierten Per­ sonen keine oder nur milde Krankheitssymptome aufwei­ sen3. Dabei sind gemessene Viruslasten in asymptomati­ schen Personen oftmals in der derselben Größenordnung wie bei symptomatisch er­ krankten Individuen4. Asym­ ptomatische Verbreitung von SARS-CoV-2 ist demnach als zentrale Triebfeder der COVID-19-Pandemie anzu­ sehen5. Neben medizinischen Vorsorgemaßnahmen, wie dem Tragen von Masken und der Immunisierung durch Impfungen, steht vor allem das Testen im Vordergrund der Pandemiebekämpfung. Nur ein erfolgreicher Nach­

weis des Virus, gefolgt von der Isolation der infizierten Person, erlaubt die Unterbre­ chung von Infektionsketten, und demnach die Verbreitung der Krankheit.

Strukturproteine versus Genom, Unterschiede im Testprinzip Zugelassene Testverfahren für SARS-CoV-2 basieren auf zwei unterschiedli­ chen Testprinzipien6. Beim Antigentest wird mittels Antikörper und chromato­ graphischem Trennprinzip der Nachweis von viralen Strukturproteinen erzielt. Unter Strukturproteinen versteht man im allgemei­ nen Proteine, aus denen der Virus zusammengesetzt ist, wie etwa der Hülle oder dem Nukleokaspid, einem

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Trägerprotein, in dem das virale Genome eingewickelt ist. Molekularbiologische Testverfahren wie die Po­ lymerase-Kettenreaktion (PCR) basieren hingegen auf dem gezielten Nach­ weis des viralen Genoms7. Hierbei wird zunächst ein kurzer Abschnitt der vira­ len RNA in DNA umge­ schrieben, und anschlie­ ßend durch den Einsatz von Enzymen milliardenfach vervielfältigt. Das verviel­ fältigte Produkt wird üb­ licherweise mittels einer virusspezifischen Sonde in Echtzeit detektiert, wo­ durch eine genaue Bestim­ mung der ursprünglichen Virusmenge ermöglicht wird. In der Praxis ergibt sich ein wesentlicher Unterschied in der Handhabung und Aus­ sagekraft zwischen Antigenund dem PCR-Test. Der Antigentest benötigt keine

aufwändige Laborausrüs­ tung, da sich die benötigten Komponenten für den Test einfach auf Teststreifen auf­ tragen lassen. Somit ist der Teststreifen selbst das La­ bor, weshalb Systeme dieser Art vor allem in der Pointof-Care (POC) Diagnostik Anwendung finden. Wei­ tere Vorteile des Antigen­ tests liegen in der einfachen Handhabung und Testdauer von weniger als 20 Minu­ ten. Eine Vergleichsstudie der Berliner Charité hat allerdings erhebliche Un­ terschiede in der diagnosti­ schen Sensitivität, also die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses bei vorliegender Virusprobe, bei kommerziellen Antigen­ tests festgestellt7. Die diagnostische PCR be­ nötigt in der Regel eine Laborausstattung und kost­ spielige Geräte für die Echt­ zeitauswertung. Dennoch


29 technik technology

RT-LAMP, eine 20 Jahre alte Technologie Unter den molekularbio­ logischen Methoden fin­ det sich mit RT-LAMP ein Testverfahren, welches vor mehr als 20 Jahren von ja­ panischen Wissenschaftlern entwickelt wurde9. Anders als bei der PCR, basiert RTLAMP auf einem isother­ men Vervielfältigungsprin­ zip. Darunter versteht man einen Reaktionsablauf mit konstanter Temperatur, wo­

RT-LAMP – Praxisbericht Schon Ende 2020 wurde es dem Wewalka Corona Management Team klar, dass eine genaue Methode mit hohem Probendurch­ satz benötigt wird, um das Infektionsgeschehen der COVID-19-Pandemie so gut wie möglich zu beherr­ schen. Im Jänner 2021 sind wir auf das innovative RT-LAMP-Verfahren auf­ merksam geworden. Sehr rasch erkannten wir die Vorteile dieser Methode und entschlossen uns zur Ausrollung im betriebs­ eigenen Labor am Fir­ menstandort Sollenau. Seither werden wöchent­ lich, auch vom ungari­ schen Tochterwerk, hun­

durch einfachste Geräte wie Wasserbäder oder Inkuba­ toren zum Einsatz kommen können. RT-LAMP bietet wesentli­ che Vorteile gegenüber der PCR. Durch den isothermen Reaktionsablauf ist die Re­ aktionszeit stark verkürzt, sodass die Testdauer bei etwa 30 Minuten liegt 10. Das entspricht einem Zeit­ gewinn von bis zu 4 Stun­ den im Vergleich zur her­ kömmlichen diagnostischen PCR8. Die benötigte Grund­ ausstattung von RT-LAMP ist einfach und kostengüns­ tig, wodurch RT-LAMP in mobilen Laboratorien als Point-of-Care-Test einge­ setzt werden kann. Der Reaktionsnachweis mit RT-LAMP erfolgt entweder über Fluoreszenzmessung oder durch einen kolorime­ trischen Farbumschlag der

Reaktion10. Bei der kolori­ metrischen Methode wird der RT-LAMP Reaktion ein Farbstoff zugesetzt, wel­ cher als pH oder Metallin­ dikator in der analytischen Chemie eine wichtige Rolle spielt. Je nach verwendetem Farbstoff schlägt die Re­ aktion bei einem positiven Test-Ergebnis von Violett nach Himmelblau (Metall­ indikator), oder von Pink nach Gelb (pH-Indikator)10. Dieser Farbumschlag ist mit freiem Auge erkennbar, so dass keine kostspieligen Ge­ räte für die Analyse benötigt werden. RT-LAMP schöpft somit aus den Vorteilen von Antigen- und PCR-Tests. RT-LAMP ist ein moleku­ larbiologischer Schnelltest, welcher etwa 10–100-fach sensitiver ist als der Anti­ gentest und durch einfachste Laborgeräte für ortsgebun­

dene und ressourcenlimi­ tierte Anwendungen geeig­ net ist.

RT-LAMP für SARS-CoV-2 RT-LAMP eignet sich be­ sonders für den Nachweis von Viren aus Proben der oberen Atemwege, wie etwa Nasen-/Rachenabstri­ che oder Gurgellösungen. Im Zuge der Pandemie wurde am Vienna BioCen­ ter hierzu ein SARS-CoV-2 Assay entwickelt (VBC RTLAMP), welches auf dem ursprünglichen RT-LAMPTestprinzip basiert und auf SARS-CoV-2-Nachweis aus Gurgelproben optimiert wurde 10: Zum einen wur­ de die Probenaufbereitung stark vereinfacht, sodass le­ diglich ein 5-minütiger Auf­

derte Proben am Standort Sollenau analysiert. Durch RT-LAMP ist es uns möglich geworden, unseren Mitarbeitern den bestmög­ lichen Schutz zu bieten und aktiv Betriebsausfällen vor­ zubeugen. Das sind weitere wichtige Schritte zur Siche­ rung unserer Lieferfähigkeit und unseres Qualitätsver­ sprechens, das wir gegenüber unseren Kunden haben. Da­ rüber hinaus kommen wir als Arbeitgeber der Verantwor­ tung gegenüber unseren Mit­ arbeitern nach. Mag. Hannes Scherbichler, Wewalka GmbH Nfg. KG, Sollenau

© Wewalka

ist die Sensitivität der PCR etwa tausendfach höher als bei Antigentests, weshalb der molekularbiologische Nachweis von SARS-CoV-2 durch PCR als Goldstan­ dard in der medizinischen Virusdiagnostik gilt8.

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© Adobe stock – Natascha

kochungsschritt der Probe in einem speziellen Puffer ausreicht, um Viren zu in­ aktivieren und das aufge­ schlossene Probenmaterial zu stabilisieren. Damit er­ gibt sich in der Praxis eine Zeitersparnis von mehreren Stunden und eine Unabhän­ gigkeit von kostspieligen Aufreinigungssystemen, die in der klinischen PCR-Di­ agnostik Anwendung fin­ den. Weiteres wurde der Assay auf den Einsatz von Gurgelproben mittels ein­ facher kolorimetrischer Analyse optimiert. Hierzu wird Hydroxynapthol­ blau (HNB)-Farbstoff der RT-LAMP-Reaktion bei­ gefügt, welcher bei einem positiven Ergebnis von Vi­ olett auf Himmelblau um­ schlägt. Als Unterstützung bei der Interpretation des

Farbumschlags dient eine eigens entwickelte compu­ tergestützte Bildbearbei­ tungs-Applikation11. D e r S A R S - C o V- 2 - V B C RT-LAMP-Assay wurde in einer gemeinsamen Ko­ operation mit der AGES an hunderten Gurgel- und Nasen-/Rachenabstrich­ proben validiert 11, wobei eine Spezifität von mehr als 99 % und eine Sensitivität von mehr als > 95 % für Proben mit einer infektiö­ sen Viruslast (ca. 1.000 Ko­ pien SARS-CoV-2-Virus pro µl Originalprobe) im Vergleich zu Goldstan­ dard-PCR erzielt wurde12. Somit ist der Einsatz von RT-LAMP für die sichere Identifizierung von infek­ tiösen Personen geeignet. Die Gesamtdauer von der Probenannahme bis zum

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Ergebnis liegt bei etwa 35 Minuten und ist durch den Einsatz von Gurgelproben unabhängig von medizini­ schem Fachpersonal für die Probenabnahme.

RT-LAMP, kommerzieller Status und Zulassung Das am Vienna BioCenter ent­ wickelte RT-LAMP-Verfahren ist mittlerweile als CE-IVD in Deutschland (BfArM) beim Bundesinstitut für Arznei­ mittel und Medizinprodukte (BfArM) für die EU zugelas­ sen13. Zudem bietet das Vien­ na BioCenter in einer gemein­ samen Kooperation mit der Krisenplaner GmbH Schulun­ gen für RT-LAMP an14.

Alternativ zum VBC SARSCoV-2 RT-LAMP-Assay wur­ de am Klinikum Donaustadt ein weiterer SARS-CoV-2 RT-LAMP-Assay entwickelt, welcher als CE-IVD Medi­ zinprodukt von Ingenetix auf den Markt gebracht wurde15. Dieser Assay bedarf ebenso keiner aufwändigen Aufreini­ gung von RNA, ist allerdings auf medizinische Nasen-/Ra­ chenabstriche in Salzlösung angewiesen. Allerdings liegen derzeit keine Daten von einer unabhängig durchgeführten Studie zu diesem Verfahren vor. Max J. Kellner, Research Institute of Molecular Pathology (IMP), Vienna BioCenter, Wien Literatur www.ernaehrung-nutrition.at


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CAQ-SOFTWARE SORGT FÜR AUSKUNFTSFÄHIGKEIT IM AUDIT

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uditoren berei­ ten Unternehmen oftmals schlaflose Nächte. Es sind vor allem die unangekün­ digten Audits durch Regu­ lierungsbehörden, Zertifizie­ rungsstellen oder Kunden, die Kopfzerbrechen bereiten. Hier gibt es keine Möglichkeit, sich in aller Ruhe vorzubereiten: Man weiß ja nie genau, wann es stattfindet. Die Chancen sind dabei recht hoch, dass der Zufall zuschlägt. Denn der FSSC 22000 etwa ent­ hält bereits seit Version 4 die Maßnahme unangekündigter Audits, innerhalb des IFS 7 wird nun jedes dritte Audit als unangekündigtes Audit statt­

finden und die FDA kann ihre Food Safety Audits faktisch stattfinden lassen, ganz wie es ihr beliebt. Um allzeit bereit für ein Audit zu sein, hilft ei­ gentlich nur ein ganzheitlich digitalisiertes Qualitätsma­ nagement. Damit wird aus der Angstvorstellung eines unan­ gekündigten Audits langfristig eine reine Formsache. Qualitätsmanagement mit Software Ob Nachweise über Schulungen, gelenkte Doku­ mente, HACCP-Analysen oder Prozesse: Wer seinen Laden im Griff hat, der braucht das un­ angekündigte Audit nicht zu fürchten. Und kann man dies mit einem Knopfdruck in ei­

ner dedizierten Softwarelösung nicht besser beweisen, als mit dem panischen Suchen nach Dokumenten in Aktenordnern? Eine Software wie CAQ.Net der CAQ AG schafft Abhilfe, indem sie dafür sorgt, dass die Vorga­ ben eines jeden Auditszenarios im Betriebsalltag durchgängig gelebt werden und alle auditre­ levanten Informationen jeder­ zeit zur Verfügung stehen. Ganzheitlich gelebte Audits Die Unterstützung durch die Software im Bereich Auditma­ nagement selbst beginnt hierzu gleich im Anfangsstadium. Bei der Planung von Audits kön­ nen entweder Fragenkataloge für den jeweiligen Zweck indi­

viduell angelegt werden oder man kann auf vorgefertigte Fragenkataloge in der Software zurückgreifen, welche sich an den geltenden Regeltexten ori­ entieren. Mit der Audit-Matrix wird dann der Planungs- und Durchführungsstatus der Au­ dits überwacht. Anhand des ermittelten Bedarfs unterstützt die Software hiernach per As­ sistent bei der Aktualisierung des maßgeschneiderten Audit­ plans. Durch den Einsatz einer Software werden Audits somit zu mehr als nur einem notwen­ digen Übel: Sie werden zu den perfekten Werkzeugen, um jederzeit belastbare Aussagen zum Status quo eines Unterneh­ mens treffen zu können.

Um der Beste zu sein, braucht man die beste Qualität.

Softwarelösungen für die Lebensmittelindustrie volume 45 | 03/04. 2021  ERNÄHRUNG | Nutrition

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Impressum — DIE ERNÄHRUNG Österreichische Zeit­ schrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft ∙ ­N UTRITION Austrian journal for science, law, t­echnology and economy ∙ ­redaktion@ernaehrung-nutriti­ on.at ∙ Offizielles Organ des Fachverbands der Nahrungs- und Genussmittelindustrie Österreichs und des Vereins zur Förderung der österreichischen Lebensmittelwirtschaft (foodalliance) ∙ ­Herausgeber: Fachverband der Lebensmittel­industrie; A-1030 Wien, Zaunergasse 1–3 ∙ Wissenschaftlicher Beirat: General­direktor Univ.-Prof. Dr. iur. et rer. pol. Walter Barfuß, Ao. Univ.-Prof. i. R. DI Dr. nat. techn. Emmerich Berg­h ofer, Dr. M ­ ichael Blass, Hon.-Prof. Dr. Konrad

Brustbauer, Ass.-Prof. DI Dr. nat. techn. Klaus Dürrschmid, Prof. Dr. Christian Hauer, Univ.-Prof. Dr. Ing. Henry Jäger, OR Dr. Leopold Jirovetz, Univ.-Prof. i.R. DI Dr. nat. techn. Wolfgang Kneifel, Univ.-Prof. Dr. Jürgen König, Dr. Andreas Natterer, Ass.Prof. Dr. Peter Paulsen, Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder, LL.M, Univ.-Prof. Dr. Veronika Somoza, Univ.-Doz. Mag. Dr. Manfred Tacker, Univ.-Prof. Dr. med. vet. Martin Wagner Dipl. ECVPH ∙ Chefredakteur: DI Oskar Wawschi­ nek, MAS, MBA ∙ Redaktion Wissenschaft: Ass.-Prof. DI Dr. nat. techn. Klaus Dürrschmid ∙ Redaktion Recht: Mag. Ka­tharina Koßdorff ∙  Verleger: SPV Printmedien Gesellschaft m.b.H.; A-1080 Wien, Florianigasse 7/14;

ERNÄHRUNG | Nutrition  volume 45 | 03/04. 2021

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