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STAATLICHES TIERWOHL? DASS DER WUNSCH NACH „MEHR TIERWOHL“ VON KONSUMENTEN, NGOS UND POLITIK IMMER LAUTER WIRD, IST KAUM ZU ÜBERHÖREN. DABEI IST DIE LANDSCHAFT AN TIERWOHL-LABELS AKTUELL VOR ALLEM DURCH SYSTEME AUF PRIVATRECHTLICHER GRUNDLAGE GEPRÄGT. ABER AUCH STAATLICHE SYSTEME RÜCKEN ZUNEHMEND INS ZENTRUM DER DISKUSSIONEN. LISA JÖCHLINGER
Freiwillige staatliche Labels – Dänemark und Deutschland als Vorreiter Dänemark startete 2017 mit einem staatlichen Tierwohlsiegel, das damals zunächst Schweinefleischprodukte mit erhöhten Tierwohlstandards kennzeichnete. 2018 wurde das System auf Hühnerfleisch ausgeweitet, im September 2019 reichte Dänemark eine weitere Notifizierung für eine freiwillige Tierschutzkennzeichnung bei der EU-Kommission ein, welche die Anwendung des bestehenden Siegels auf Rindfleisch- und Kuhmilchprodukte ausdehnen soll. 2019 zog auch Deutschland nach. Nach der EU-Notifizierung des Gesetzes für ein freiwilliges staatliches Tierwohlkennzeichen wurde dieses im September 2019 vom deutschen Bundeskabinett beschlossen. Dreistufige Kennzeichnung in Deutschland Mit dem deutschen Tierwohllabel werden vorerst nur Schweinefleischprodukte gekennzeichnet. Eine Ausweitung auf weitere Bereiche, wie Geflügel, ist be-
reits in Diskussion. Ziel der Tierwohlkennzeichnung ist die bessere Orientierung für Verbraucher, wie Bundesministerin Julia Klöckner betont: „Wir machen damit mehr Tierwohl von der Geburt bis zur Schlachtung sichtbar.“ Den Tierhaltern sollen dadurch weitere Anreize geboten werden, sich für mehr Tierwohl zu engagieren und schlussendlich bessere Vermarktungschancen durch einen Imagegewinn zu erlangen. Das System charakterisiert sich durch eine dreistufige Kennzeichnung, wobei die Anforderungen pro Stufe ansteigen. Schon die Kriterien zur Erlangung der Eingangsstufe liegen deutlich über dem gesetzlichen Standard. Die zweite Stufe sieht u. a. Anforderungen hinsichtlich eines Auslaufbereichs im Freien vor. Zum Erreichen der dritten Stufe, der „Premiumstufe“, wird deutlich mehr Platz, entsprechende Einstreu und Auslauf für die Tiere vorausgesetzt. Zudem sind Anforderungen zum Transport und der Schlachtung der Tiere verankert. Die Einhaltung der Kriterien wird zumindest zweimal jährlich durch eine unabhängige, vom Bundesamt zugelassene Kontrollstelle überprüft. Mindeststandards in der biologischen Produktion Durch die EU-weite Normung der biologischen Produktion kann sich der Verbraucher aber auch an der Bio-Kennzeichnung orientie-
ren. So sind in der biologischen Produktion der präventive Einsatz chemisch-synthetischer Arzneimittel und die Anbindehaltung verboten. Vergleicht man die Anforderungen der EU-BioVO etwa mit dem staatlichen Tierwohlkennzeichen Deutschlands, kommt die dritte Stufe oftmals an Bio-Standards heran. So ist beispielsweise in der biologischen Schweineproduktion eine Mindestsäugezeit von 40 Tagen vorgesehen, Stufe drei des deutschen Tierwohllabels sieht zumindest 35 Tage Säugung durch die Mutter vor. Das systematische Kupieren der Schwänze ist laut EU-BioVO nicht zulässig, und auch die Stufen zwei und drei im deutschen Tierwohlkennzeichen verbieten die Vorgangsweise. DI Lisa Jöchlinger, BSc, Fachverband der Lebensmittelindustrie, Wien
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esetzliche Vorgaben zur Nutztierhaltung und zum Tierschutz regeln u. a. die Haltung, Fütterung, Säugung und den Transport von Nutztieren. Die Anforderungen wurden über die letzten Jahre bereits zunehmend verschärft. Klar ist, dass ein Label, das „mehr Tierwohl“ verspricht – egal ob privat oder staatlich – die gesetzlichen Vorgaben klar zu übertreffen hat.
Kriterien des staatlichen Tierwohlkennzeichens Deutschlands
volume 43 | 06. 2019 ERNÄHRUNG | NUTRITION