DIE ERNÄHRUNG VOLUME 41 | 05 2017

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BRÜSSEL – IN VIELFALT VEREINT! Kleine Kulturkunde der EU-Interessenvertreter HELMUT MARTELL

I

©  FOTOLIA – M.STUDIO

ch fand es schon immer amüsant, in Brüssel die unterschiedliche Rhetorik der nationalen Interessenvertreter zu beobachten. Nachstehend einige subjektive Impressionen aus Brüsseler Jahren.

Italienische Kollegen, von der Ausbildung oft avvocati, sind meist von der Logik und der zwingenden Folgerichtigkeit ihrer Argumente fasziniert. Ich nenne diesen Stil ciceronisch, weil er an Cicero und seinem Werk „De Oratore“ (Über den Redner) sowie den klassischen Gerichtsreden geschult ist. Ihre advokatorischen Tricks sind nicht die Schlussfolgerungen, sondern ihre mittelmeerisch leichte Nonchalance bei der Wahl von Prämissen. Akzeptiert man erst diese Voraussetzungen, ist alles daraus Folgende von kristallener Klarheit. Wie bei Michelangelos David, dem nichts weggenommen oder hinzugefügt werden kann, ohne das gesamte Kunstwerk zu profanieren. Wenngleich die oratorische Spielart bei genauerem Hinsehen nicht immer aus Carrara-Marmor bestehen muss. Ma fanno sempre bella figura. Die französischen Kollegen, die oft einen verwaltungswissenschaftlichen Hintergrund aufweisen, sind durch Schule und Kultur meist durch die große Literatur geprägt. À ces belles paroles lauschen sie en­ thusiasmés dem Wohl­ laut ihrer discours nach. Nicht immer frei von dialektischen Kapriolen, sind sie doch immer ein eleganter Beweis des gallischen Esprits, um den sie die ganze Welt beneidet. Da würde lineare Logik das Kunstwerk mitunter stören. Aber sie steuern oft entscheidende neue Ideen für eine Lösung bei, was man indes erst bei der Lektüre der prosaischen Sitzungsprotokolle herausfindet.

ERNÄHRUNG | NUTRITION  volume 41 | 05. 2017

Und die Briten? – Schotten oder Engländer? wäre hier die hamletsche Frage. Daher zur Zeit nur eine nostalgische Zwischenbemerkung: Sie sind immer strict to the point, wenn nicht gerade der Eurostar ausfiel, meist witzig in der Einleitung und dann tough in their claims. Maggie’s Magic. Small talk folgt dann an der Bar. In den Verhandlungen: Raised eyebrows und kritische Skepsis, die sich nur von harten Fakten überzeugen lässt. Trotz ihrer großen Debattenfähigkeit – die nicht nur in den Commons, sondern schon in den debate clubs an den Hochschulen geübt wird – sind sie von der Gesinnung her eigentlich die typischen Anti-Rhetoriker: Man spricht nicht der Blumen wegen, sondern um Beete anzulegen. Die Brits werden uns wirklich fehlen. Golly gosh! Sanft und liebenswürdig sind die dänischen Kolleginnen und Kollegen: Immer freundlich lächelnd und dabei so verletzlich erscheinend. Der Inbegriff von Nichtaggressivität. Dabei übersieht man leicht ihr Wikingerblut: Sie haben immerhin Hamburg gegründet! Nie neigen sie zu langen Statements oder gar zu Grundsatzerklärungen, sondern beschränken sich in Verhandlungen meist auf Mikro-Einwürfe oder Snapshot-Nachfragen wie ja auch die Kopenhagener Meerjungfrau ziemlich klein ist: A moment of abstraction and you missed the point! In Brüssel scheinen sie immer gern zu sein, aber irgendwie immer nur auf Besuch, wie in einer Art Sommerfrische bei entfernten Verwandten. Vermutlich gehören sie zu den am wenigsten kolonienbildenden Auslandkolonien. Obwohl sie hyggelig sind und den Danebrog so sehr schätzen. Misst man sie aber am Erfolg, gehören sie absolut zur Spitzengruppe.


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