Nr. 7 Saison 23/24 – Planets

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17.30 UHR

PLANETS

10. 4. 2024

19. 30 UHR

STADTCASINO

BASEL

PROGRAMM-MAGAZIN NR. 7

SAISON 23/24

Sinfonieorchester Basel Basler Madrigalisten Time for Three, Violinen und Kontrabass Krzysztof Urbański, Leitung

CHF 5
ENTDECKERPROGRAMM

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ÜBERSICHT DER SYMBOLE

Diese Institution verfügt über eine Höranlage

Nummerierte Rollstuhlplätze im Vorverkauf erhältlich Entdeckerprogramm

Das Sinfonieorchester Basel verwendet geschlechtergerechte Formulierungen und weist Autor*innen bei der Vergabe von Textaufträgen im Vorfeld darauf hin. Es steht den Autor*innen jedoch frei, ihre Texte individuell zu gestalten.

INHALT PROGRAMM 7 ENTDECKERPROGRAMM 8 KEVIN PUTS Contact 10 PORTRÄT Krzysztof Urbański, Leitung 12 GYÖRGY LIGETI Atmosphères 14 INTERVIEW Nick Kendall, Time for Three 18 GUSTAV HOLST The Planets 22 PORTRÄT Basler Madrigalisten 28 FAMILIENGESCHICHTEN von Sigfried Schibli 30 ORCHESTERFAMILIEN Benedikt Schobel & Alasdair Kent 32 LEXIKON DES ORCHESTERS von Benjamin Herzog 36 IN ENGLISH by Bart de Vries 38 VEREIN ‹FREUNDESKREIS SINFONIEORCHESTER BASEL› 39 IM FOKUS 41 DEMNÄCHST 42

PLANETS

Liebes Konzertpublikum

Dass Himmelskörper Sphärenharmonien erzeugen können, darüber dachten bereits die alten Griechen nach. Seither wurden die Berührungspunkte zwischen Weltraum und Musik mehrfach verarbeitet: Gustav Mahler wollte, dass das Universum in seiner 8. Sinfonie «zu tönen und zu klingen beginnt», Paul Hindemith schrieb die Oper Die Harmonie der Welt, und Gustav Holst vertonte die Eigenschaften der Planeten in seiner Orchestersuite The Planets. Vor allem Holsts Musik zum kriegerischen Mars wurde seither in verschiedenen Filmen verwendet, darunter Gladiator und Star Wars. Ebenfalls nach Hollywood schaffte es György Ligetis Atmosphères, das vor allem durch den Film 2001: Odyssee im Weltraum berühmt wurde. Beide Werke stehen beim nächsten Sinfoniekonzert ‹Planets› auf dem Programm.

Neben Ligetis 100. Geburtstag feiern wir im Stadtcasino Basel die Rückkehr von Dirigent Krzysztof Urbański sowie die Schweizer Erstaufführung von Contact , einem Konzert für Soloinstrumente und Orchester des Amerikaners Kevin Puts. Zu Gast ist das amerikanische Streichtrio Time for Three, kurz Tf3, das mit dem Refrain von Contact vielleicht sogar Botschaften von der Erde in den Weltraum sendet …

Wir freuen uns auf ein galaktisches Konzert und grüssen Sie herzlich.

Hans-Georg Hofmann Ivor Bolton Künstlerischer Direktor Chefdirigent

SINFONIEKONZERT

VORVERKAUF, PREISE UND INFOS

VORVERKAUF

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Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel

+41 (0)61 206 99 96

ticket@biderundtanner.ch

Billettkasse Stadtcasino Basel

Steinenberg 14 / Tourist Info

4051 Basel

+41 (0)61 226 36 00

tickets@stadtcasino-basel.ch

Sinfonieorchester Basel

+41 (0)61 272 25 25

ticket@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch

ZUGÄNGLICHKEIT

Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.

PREISE

CHF 105/85/70/55/35

ERMÄSSIGUNGEN

• Junge Menschen in Ausbildung: 50 %

• AHV/IV: CHF 5

• KulturLegi: 50 %

• Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5

• Begleitpersonen von Menschen, die für den Konzertbesuch eine Begleitung beanspruchen, haben freien Eintritt.

Die Anmeldung erfolgt über das Orchesterbüro.

GEHÖRSCHUTZ

Gehörschutz ist an der Abendkasse sowie am Welcome Desk im Foyer des Stadtcasinos Basel erhältlich.

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VORVERKAUF
Nicolas ‹Nick› Kendall (Violine, Vocals), Charles Yang (Violine, Vocals) und Ranaan Meyer (Kontrabass, Vocals) bilden das Trio ‹Time for Three› (Tf3). © Shervin Lainez

PLANETS

Mi, 10. April 2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel, Musiksaal

Sinfonieorchester Basel Basler Madrigalisten Time for Three, Violinen und Kontrabass

Krzysztof Urbański, Leitung

Entdeckerprogramm mit Benjamin François, Dr. Heidy Zimmermann, Stefan Zehnder und Time for Three → S. 8

Kevin Puts (*1972)

Contact (2022), Europäische Erstaufführung

I. The Call

II. Codes

III. Contact

IV. Convivium

PAUSE

György Ligeti (1923–2006)

Atmosphères (1961)

Gustav Holst (1874–1934)

The Planets (1916)

I. Mars, der Kriegsbringer

II. Venus, die Friedensbringerin

III. Merkur, der geflügelte Bote

IV. Jupiter, der Bringer der Fröhlichkeit

V. Saturn, der Bringer des Alters

VI. Uranus, der Magier

VII. Neptun, der Mystiker

ca. 28’

ca. 9’

ca. 51’

PROGRAMM 7
Konzertende: ca. 21.40 Uhr
HÖR’ REIN

PLANETS

Mi, 10. April 2024, 17.30 Uhr

Stadtcasino Basel, Hans Huber-Saal

PODIUMSGESPRÄCH

Dr. Heidy Zimmermann, Paul Sacher Stiftung

Stefan Zehnder, Epic Moment

Benjamin François, Moderation

MUSIKALISCHES INTERLUDE

Time for Three (Tf3):

Nicolas ‹Nick› Kendall, Violine und Gesang

Charles Yang, Violine und Gesang

Ranaan Meyer, Kontrabass und Gesang

PODIUMSGESPRÄCH

Time for Three (Tf3)

Benjamin François, Moderation

Wie klingt das Universum? Mit einer vielfältigen Besetzung an Gästen aus der Musikwelt und aus anderen Bereichen möchten wir dieser Frage auf die Spur kommen. Ob in der Gaming-Szene oder im Konzertsaal spielten galaktische Elemente wie Planeten oder Sternen bereits grosse Rollen. Dr. Heidy Zimmer mann ist an der Paul Sacher Stiftung u.a. Kuratorin des Nachlasses von György Ligeti, dessen Orchesterwerk Atmosphères im Weltraumfilm 2001: A Space Odyssey verwendet wurde. Auch im jüngsten Auftragswerk Contact des Ensembles Time for Three (Tf3) geht es um überirdische Verbindungen. Stefan Zehnder bringt schliesslich unterschiedliche Videospiele mit ins Stadtcasino Basel, deren Titelmelodien von Gustav Holsts The Planets inspiriert wurden.

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ENTDECKERPROGRAMM © Wikimedia Commons

Afterwork meets Classic –Klassik, Drinks und Relax

Gustav Holst

CASUAL CLASSIC

11. 4. 2024

19. 30 UHR

STADTCASINO BASEL

The Planets (1916)

Sinfonieorchester Basel Basler Madrigalisten Krzysztof Urbański, Leitung

Anschliessend Live-Musik im Konzertfoyer

Time for Three, Violinen, und Kontrabass

www.sinfonieorchesterbasel.ch

KEVIN PUTS ÜBER CONTACT

Im April 2017 hörte ich zum ersten Mal einen Live-Auftritt des Streichtrios Time for Three im Joe’s Pub in New York City. Die Gruppe – Nick Kendall und Charles Yang, Geiger, und Ranaan Meyer, Kontrabassist – hatte mich gefragt, ob ich ein Konzert für sie schreiben könne, und als ich sie an diesem Abend spielen, singen, improvisieren und ihre eigenen Arrangements und Kompositionen aufführen hörte, war ich sowohl begeistert von ihrer ansteckenden Energie und Freude als auch ziemlich eingeschüchtert von der Idee einer Komposition für dieses Trio. Unsere musikalischen Vorlieben schienen so ähnlich zu sein, dass ich ihnen vorschlug: «Vielleicht solltet Ihr Euer eigenes Konzert schreiben!»

Eines der Stücke, die das Trio an diesem Abend im Joe’s Pub spielte, war ein Original namens Vertigo, von dem die Jungs mir später erzählten, dass sie es unterwegs in einem Hotelzimmer geschrieben hatten. In dem Lied spielen alle drei ihre Instrumente und singen auch. Ich dachte über die Möglichkeit nach, das Konzert mit einem wortlosen Refrain zu beginnen, den das Trio a cappella singt. Ich schrieb eine Akkordfolge, die sich von einer einzigen Note aus entfaltet und durch einfache, schwebende Harmonien fortschreitet. Die Bläser des Orchesters antworten mit der gleichen Musik, während das Trio dekorative, improvisatorische Gesten

hinzufügt. Dieser 1. Satz (The Call) endet mit demselben Gefühl der Infragestellung, mit dem er begann.

Bedrohliche Unisoni, die vom gesamten Orchester gespielt werden, brechen die Stimmung auf erschreckende Weise auf und treiben die Solisten an, die mit synkopischen Rhythmen und virtuosen Arpeggios vorwärtsdrängen. Die Energie in diesem 2. Satz (Codes) ist unerbittlich und bezieht ihre harmonische Würze oft aus der Tonleiter, welche die Obertonreihe bildet, und aus der Kombination von Dreiklängen aus unterschiedlichen Tonarten. In einem weiteren Kontrast dazu ist die Orchestermusik, die den 3. Satz (Contact) eröffnet, kalt und kahl. Ich hatte das Bild eines verlassenen Schiffes vor Augen, das träge in den Weiten des Weltraums treibt. Die Solisten unterbrechen dies mit einer ruhigen, sanft rollenden Meditation und laden schliesslich eine Solo-Oboe und eine Solo-Klarinette zu einem lyrischen Kontrapunkt hoch oben ein. Schliesslich erinnern die Solisten an den strengen Beginn des Satzes, dessen Rhythmen sie in eine unbegleitete Phrase von Zärtlichkeit und Sehnsucht verwandeln. Um es milde auszudrücken: Die Zeit der Covid-19-Pandemie war eine grosse Herausforderung. Aber die Absage der für den Sommer 2020 geplanten ersten Aufführungen von Contact ermöglichte es uns, noch lange nach meiner Fertig-

ZUM WERK 10
KEVIN PUTS Contact

stellung gemeinsam an dem Konzert weiterzuarbeiten. Obwohl mein ursprünglicher Titel einfach ‹Triple Concerto› lautete, waren wir uns alle einig, dass es um mehr geht als um abstrakten musi kalischen Ausdruck, dass eine Geschichte erzählt wird. Könnte der Refrain zu Beginn des Konzerts eine Botschaft sein, die in den Weltraum geschickt wird, ein Ruf an intelligentes Leben über grosse Entfernungen hinweg, der Hinweise auf unsere DNA, auf unsere Natur als Erdenmenschen enthält? Könnten die Morsecode-ähnlichen Rhythmen des Scherzos auf Funkübertragungen, Wellensignale usw. hindeuten? Und könnte der 3. Satz (ursprünglich einfach ‹Ballade› genannt) den Moment des Kontakts selbst darstellen?

Immer noch auf der Suche nach einem Finale für das Konzert, lernte ich durch einen glücklichen Zufall das wunderbare Gankino Horo (Gankas Tanz) kennen, eine traditionelle bulgarische Melodie, die von mindestens zwölf jun-

gen Cellist*innen unisono bei einem Cello-Konzert meines Sohnes Ben mitreissend gespielt wurde. Zu Hause begann ich, es auf dem Klavier zu spielen, und allmählich schlich sich meine eigene kompositorische Stimme ein. Ich fühlte mich an Bartóks eindringliche Rumänische Volkstänze erinnert und daran, wie der Komponist sein eigenes musikalisches Empfinden mit uralten Volksmelodien verschmolz. Und so machte ich mich daran, eine Art Fantasie über diese Melodie zu komponieren, deren asymmetrische rhythmische Qualitäten ein passendes Gegengewicht zu den drei voran gegangenen Sätzen bilden.

Das Wort ‹Kontakt› hat in diesen Jahren der Isolation eine neue Bedeutung gewonnen. Ich hoffe, dass dieses Konzert als Ausdruck der Sehnsucht nach diesem grundlegenden menschlichen Bedürfnis gehört werden kann. Ich bin Time for Three zutiefst dankbar für ihr Vertrauen in meine Arbeit und für die unermüdliche Zusammenarbeit, die es uns ermöglicht hat, dieses Schaufenster für ihre immensen Talente zu entwickeln.

Contact

BESETZUNG

2 Violinen solo, Kontrabass solo, 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Klavier, Streicher

ENTSTEHUNG

2017–2022

URAUFFÜHRUNG

März 2022 mit dem Florida Orchestra und Time for Three

DAUER

ca. 28 Minuten

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KEVIN PUTS ZUM WERK
© David White

KRZYSZTOF

Leitung

KRZYSZTOF URBAŃSKI

Zu den Höhepunkten der Saison 2023/24 von Krzysztof Urbański gehören Debüts mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai und dem Atlanta Symphony Orchestra. Im Herbst 2023 konzertiert er mit der Dresdner Philharmonie (im Kulturpalast und auf ei ner Europatournee) und mit dem Orchestra della Svizzera italiana. Ausserdem kehrt er zurück zu den Münchner Philharmoni kern, dem hr-Sinfonieorchester, den Wiener Symphonikern, der Philharmonia Zürich, dem Dallas Symphony Orchestra und dem Sinfonieorchester Basel.

Als Gastdirigent trat Urbański unter anderem mit den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem London Symphony Orchestra, dem Philharmonia Orchestra London, dem TonhalleOrchester Zürich, dem Orchestre de Paris, dem Hong Kong Philharmonic Orchestra, dem Chicago Symphony, dem New York Philharmonic, dem Los Angeles Philharmonic und dem San Francisco Symphony Orchestra auf.

Krzysztof Urbański war von 2011 bis 2021 Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestra sowie von 2010 bis 2017 Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Trondheim Symfoniorkester. Im Jahr 2017 wurde er zu dessen Ehren-

gastdirigenten ernannt. Er war Erster Gastdirigent des Tokyo Symphony Orchestra (2012–2016) und Erster Gastdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters (2015–2021). Im November 2022 wurde er zum Ersten Gastdirigenten des Orchestra della Svizzera italiana ernannt. Ab der Spielzeit 2024/25 wird Urbański neuer Chefdirigent des Berner Symphonieorchesters.

Mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester nahm er Alben mit Werken von Lutosławski, Dvořáks 9. Sinfonie, Strawinskys Le sacre du printemps, Schostakowitschs 5. Sinfonie und mit Werken von Richard Strauss auf, alle bei Alpha Classics. Zu seiner Diskografie gehören auch Chopins kleine Stücke für Klavier und Orchester mit Jan Lisiecki und dem NDR Elbphilharmonie Orchester bei der Deutschen Grammophon, die mit einem Echo Klassik ausgezeichnet wurden, sowie Martinůs Cellokonzert Nr. 1 mit Sol Gabetta und den Berliner Philharmonikern, aufgenommen für Sony.

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URBAŃSKI
PORTRÄT
13 PORTRÄT KRZYSZTOF URBAŃSKI
© Benno Hunziker

GYÖRGY LIGETI

Atmosphères

EINE IKONE DER NEUEN MUSIK

VON THOMAS GERLICH

Das 1961 entstandene Orchesterwerk Atmos phères von György Ligeti ist nicht irgendein Stück aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – man kann es mit einigem Recht als eine der Ikonen der Neuen Musik bezeichnen. Grösste Originalität paart sich darin mit handwerklicher Perfektion. Und eine ikonische Qualität – im ganz buchstäblichen Sinn – hat neben dem Erklingenden auch die vom Komponisten geschriebene Partitur, denn ihre Kalligrafie macht das revolutionär Neuartige dieses Stücks imaginativ anschaulich.

György Ligeti (1923–2006) war einer jener Komponisten der Nachkriegszeit, die sich auf die radikale Suche nach einer Musik jenseits aller klassischen Pfade begaben. Schon Anfang der 50er-Jahre, als frisch diplomierter Theorielehrer in Budapest, ging er mit der Neugier und Akribie eines Naturwissenschaftlers an die Frage heran: Wie liesse sich mit dem Material nur eines einzigen Tons ein funktionierendes Stück machen? Und wie mit zwei, mit drei verschiedenen Tönen? Aus dieser Recherche entstand die Musica ricercata, eine Sammlung von 11 Klavierstücken, für die es im stalinistischen Ungarn keinerlei Möglichkeit der Aufführung gab. Als Ligeti dann Ende 1956 nach dem niedergeschlagenen Volksaufstand in den Westen floh, stellten sich die fundamentalen Fragen erneut, nun zunehmend im Bewusstsein der aktuellen Strömungen der europäischen Avantgarde, mit denen er sich in kürzester Zeit vertraut machte. Wie könnte eine ganz und gar neue, wie könnte seine ureigene Musik klingen? Es musste eine statische Musik sein, ohne jede Melodie, ohne Harmonien, ohne prägnanten Rhythmus, wie sie ihm vage schon in Ungarn vorgeschwebt hatte. Ligeti experimentierte mit elektronischer Musik, suchte dann aber eine Realisierung mit traditionellen Instrumenten. Und es wurde ihm klar, dass der Grundbaustein seiner erträumten

ZUM WERK 14
15 GYÖRGY LIGETI ZUM WERK
Partitur von Atmosphères (Ausschnitt)
Paul
Sacher Stiftung, © 1963 by Universal Edition A.G., Wien

Musik das Element der Klangfläche war. Gemeint sind damit stehende Orchesterklänge, die den Tonraum weit und dicht (nämlich chromatisch) mit sogenannten Clustern ausfüllen und die sich verschiedenartig beleben lassen. Eine vergleichbare Orchesterbehandlung hatte es schon in spätromantischen und impressionistischen Stücken gegeben, doch sie bildete dort allermeist nur den Hintergrund für melodische Ereignisse. Ligeti dagegen rückte die Klangfläche in den Vordergrund, er machte sie in Atmosphères zur Hauptsache.

Was sich vielleicht wie die Beschreibung einer faden musikalischen Kopfgeburt liest, erweist sich im Konzertsaal als höchst sinnliches Erlebnis. Ligeti wendete sein gesamtes kompositorisches Metier auf, um seine Klangflächen raffiniert zu variieren: mit Schwelleffekten, mit kleinsten Floskeln und rhythmischen Verschiebungen werden sie innerlich in Bewegung gesetzt, sie werden fächerartig zusammengezogen und überblendet. Stellenweise sind es über siebzig verschiedene instrumentale Stimmen, aus denen eine orchestrale Textur besteht. Ligetis Lieblingsmetapher für solche Klangzustände war die des Gewebes. Als ein «den ganzen musikalischen Raum gleichmässig ausfüllendes feinfaseriges Gewebe» beschrieb er Atmosphères einmal, und wenn man die riesige Partitur des Stücks betrachtet (siehe Abbildung), die heute in der Paul Sacher Stiftung am Basler Münsterplatz aufbewahrt wird, so ist es besonders diese Eigenart der Musik, die geradezu hörbildhaft eingefangen ist.

Was vom angedeuteten strukturellen Reichtum nicht getrennt werden darf, ist Ligetis ausdrucksstarke Klangfantasie, die sich überall im Werk zeigt. Einerseits erfindet er ‹atmosphärische›, auch beklemmende Instrumentenmischungen, die wie elektronische Musik wirken. Andererseits haben viele Abschnitte eine derart suggestive Klanglichkeit, dass sich schemenhaft ein traditionell erzählerischer Formverlauf ergibt: Vom Mis-

terioso-Beginn führt der Weg über einen Absturz stechend-hoher Piccoloflöten in tiefes Kontrabass-Grollen und hin zu ätherischem Streicher-Schwelgen, und er führt weiter zu einem Inferno der Blechbläser, die gegen Ende des Stücks mit Luftgeräuschen sogar ein Meeresrauschen simulieren. So viel Drama, ist man versucht zu sagen, lässt sich mit einigen wohlgesetzten Clustern erzeugen!

Atmosphères wurde zu einem Schlüsselwerk für Ligeti. Er fand hier als Komponist erstmals zu einem unverwechselbaren Sound. Die Uraufführung im Herbst 1961 katapultierte ihn in die erste Reihe der Avantgarde. Und mehr noch: Ausschnitte aus dem Stück verwendete Stanley Kubrick Ende der 60er-Jahre in seinem Weltraumfilm 2001: A Space Odyssey, was Ligeti weltweit bekannt machte. Gäbe es ein Museum der musikalischen Moderne, Atmosphères hätte –neben anderen Ikonen wie Strawinskys Le sacre du printemps – seinen Ehrenplatz darin sicher.

Atmosphères

BESETZUNG

4 Flöten, 4 Oboen, 4 Klarinetten, 3 Fagotte, Kontrafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Klavier (wird von Schlagzeugern gespielt), Streicher

ENTSTEHUNG

Februar bis Juli 1961

URAUFFÜHRUNG

22. Oktober 1961 bei den Donaueschinger Musiktagen mit dem Sinfonieorchester des Südwestfunks unter der Leitung von Hans Rosbaud

DAUER

ca. 9 Minuten

16 GYÖRGY LIGETI ZUM WERK

Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Komponisten

György Ligeti

M USIKMUSEUM hmb.ch
30.11.2023 bis 07.04.2024

NICK KENDALL

Time for Three

MUSIKALISCHE BRÜCKEN SCHLAGEN

Die beiden Geiger Nicolas ‹Nick› Kendall und Charles Yang sowie der Bassist Ranaan Meyer (Abb. von links nach rechts) bilden das Trio Time for Three (Tf3). Es integriert die nordamerikanische Tradition des ‹fiddling› in ein genreübergreifendes Musizieren, bei dem auch der Gesang eine wichtige Rolle spielt. Mit dem Sinfonieorchester Basel führen sie Kevin Puts’ Triplekonzert Contact auf, ein Auftragswerk aus dem Jahr 2022.

CG Sie wurden alle drei an renommierten Hochschulen für klassische Musik in den USA ausgebildet. Aber auch die traditionelle amerikanische Musik und viele andere Genres haben Ihr Musizieren stark beeinflusst. Mich würde interessieren, in welchem Teil der USA Sie jeweils aufgewachsen sind und welche nicht-klassischen Musiktraditionen einen besonderen Einfluss auf Sie hatten?

NK Charles ist in Austin, Texas, geboren und aufgewachsen. Der amerikanische Blues ist wohl das traditionsreichste Genre in Austin. Seine Stilistik und seine Seele beeinflussten Charles stark, als er Geige spielen lernte. Ranaan wuchs in der Nähe von Philadelphia auf. Er lernte neben dem Kontrabass auch noch andere Instrumente. Es war die Sprache des Jazz, die seine Fantasie und seine Neugier am meisten anregte. Meine Mutter stammt aus Japan. Obwohl ich in den USA geboren und aufgewachsen bin, wo auch mein Vater herkommt, bin ich fast von Anfang an jeden Sommer mit meiner Familie nach Japan gereist, wo mich das uralte Taiko-Trommeln beeinflusst hat. Während ich von klein auf mit der Suzuki-Methode Geige lernte und in der Nähe von Washington D.C. aufwuchs, wo die urbane Musikszene in mein Leben als Teenager eindrang,

18
INTERVIEW

war das Schlagzeugspielen in Bands ein kreatives Ventil neben meinem Geigenstudium und eine Möglichkeit, mich mit Gleichaltrigen und der Gemeinschaft zu verbinden.

CG Sie waren fast ein Jahrzehnt lang ‹Ensemble in Residence› beim Indianapolis Symphony Orchestra, eine ungewöhnlich lange Zeit. Können Sie mir mehr darüber erzählen?

NK Der damalige Musikdirektor Mario Venzago hatte die Idee, dass wir eine musikalische Brücke schlagen könnten zwischen den grossartigen Erlebnissen, die sich in den heiligen Hallen der Klassik abspielen, und der Energie und Kultur der Rennwagen und des Sports, für die die Stadt berühmt ist. Aus traditioneller Sicht schienen diese Kulturen weit voneinander entfernt, ohne einen gemeinsamen Nenner. Aber mit der einzigartigen Fähigkeit von Tf3, sich durch Musik mit den Menschen zu verbinden, und

unserem Wunsch, mit der Zeit Beziehungen aufzubauen, ist es uns gelungen, einen Weg zu ebnen, der sowohl aufstrebende Künstler*innen als auch das Publikum in neue kreative Bereiche führt. Darauf sind wir sehr stolz.

CG Das Vergeben von Kompositionsaufträgen ist ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit. Wie sind Sie auf Kevin Puts gestossen, und welches waren die Meilensteine im Prozess der Zusammenarbeit?

NK Der gemeinschaftliche und kreative Prozess mit einem Meisterkomponisten, der etwas aus dem Nichts erschafft, ist eine Erfahrung, die mit nichts vergleichbar ist, was wir kennen. Wir wünschten, wir hätten Mozart gekannt! Obwohl jeder von uns die traditionelle Herangehensweise an das Spielen erlernt hat, sind wir zusammen nicht durch irgendeine Vorgabe gebunden, ausser durch unseren tiefen Respekt vor der Bühne und unser Engagement für den

19 NICK KENDALL INTERVIEW
© zVg

Moment. Dies ist wesentlich, wenn man mit einem Komponisten zusammenarbeiten möchte. Und mit unserem Freund Kevin Puts haben wir den perfekten Partner gefunden. Er ist ein genialer Künstler, ein Meister der Orchestrierung, und wie bei Tf3 steckt so viel Herzblut in dem, was er schreibt. Es ist schwer, sich ei nen besseren Partner für uns vorzustellen als Kevin Puts.

CG Wie oft haben Sie Contact seit der Uraufführung gespielt? Und wie sehen Sie das Stück jetzt, nachdem Sie eine Zeit lang damit gelebt haben?

NK Wir haben das Konzert etwa zwanzig Mal gespielt. Vielleicht sind wir voreingenommen, aber wie bei jeder grossen Partitur haben wir, wenn wir mit neuen Orchestern spielen und mit Meister*innen am Dirigierpult zusammenarbeiten, aufgrund des Reichtums der Komposition zahllose Möglichkeiten, neue Interpretationen von Contact zu erforschen. Wir halten daher ständig Ausschau nach Gelegenheit für weitere Aufführungen des Werks.

20 NICK KENDALL INTERVIEW
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GUSTAV HOLST

The Planets

ASTROLOGISCHE MUSIK

VON ALEXANDER MOORE

Bis heute ist der Name Gustav Holst den meisten Musikliebhaber*innen nur wegen seines Opus magnum, der weltberühmten Suite The Planets bekannt, übrige Werke standen und stehen im Schatten der siebenteiligen Suite. Dass der Komponist mit kaum einer anderen Komposition Bekanntheit erlan gen konnte, gehört zu den Eigentümlichkeiten der Musikgeschichte und lastete nach diesem grossen Erfolg schwer auf ihm.

Für Holst war alles da, was er brauchte für einen grossen Wurf: eine zündende Idee, ein tragfähiges Konzept, ausreichend musikalisches Wissen und die nötige Motivation. Der Kontakt zu Clifford Bax und die daraus resultierende Beschäftigung mit Astrologie liessen in Holst die Idee reifen, die Planeten des Sonnensystems und ihre astrologische Bedeutung in Musik umzusetzen. Vielleicht in Anlehnung an Schönberg und seine Fünf Orchesterstücke nannte Holst die erste Skizzensammlung ‹Sieben Stücke für Orchester›, es bestand aber kein Zweifel, dass hieraus die siebenteilige Suite The Planets entstehen sollte. Die sich aufdrängende Frage, warum es nur sieben und nicht neun Stücke waren, kann dadurch beantwortet werden, dass Pluto erst 1930 entdeckt wurde und zur Zeit der Entstehung des Werks (1914–1916) somit unbekannt war. Eine Randbemerkung: 2006 wurde der Planetenbegriff neu definiert, wodurch Pluto seinen Status als Planet eingebüsst hat. Auch die Erde vertonte Holst nicht, weil ihr nach astrologischer Denkweise gänzlich andere Funktionen zufallen als den übrigen Gestirnen, die die Sonne umkreisen. Es blieben also sieben Planeten übrig, die Gustav Holst nicht nach ihrer Entfernung zur Sonne oder zur Erde anordnete, sondern in der chronologischen Abfolge der Tierkreiszeichen, denen die Planeten zugeordnet sind –

ZUM WERK 22
23 GUSTAV HOLST ZUM WERK © Wikimedia Commons

ein weiterer Beleg für die astrologische Durchdringung des Werks.

Die Suite für grosses Orchester The Planets gliedert sich in sieben Sätze, die jeweils spezifische Charakteristika einer astrologischen Entität beleuchten:

I. Mars, the Bringer of War (Stärke, Effizienz, Zerstörung, Aggression, männlich, eigensinnig, energisch, willensstark): Der Satz basiert auf einem durchgehend gepeitschten 5/4-Rhythmus. Die Blechbläser nehmen die thematische Führungsrolle ein und erzeugen effektvoll eine martialische Atmosphäre. Wir sind Zeugen eines Kampfs auf Leben und Tod, der sich glücklicherweise nur in der Partitur abspielt. Unerbittliche Schläge zertrümmern diese Szenerie und markieren das Ende des Satzes. Es ist einer jener merkwürdigen Zufälle, dass zum Zeitpunkt der Uraufführung der Planeten der Erste Weltkrieg schon so gut wie vorbei war und man erkannt hatte, welch grauenhafte Entwicklung die Industrialisierung genommen hatte. Holst hatte mit seiner Musik zwar eine kriegerische Atmosphäre schaffen wollen, sich dabei aber bestimmt nicht auf den faktischen Weltkrieg bezogen.

II . Venus, the Bringer of Peace (Friede, Schönheit, Ausgewogenheit, Lieblichkeit, Passivität, weiblich, emotional): Der 2. Satz ist ein durchwegs überzeugender Kontrast zu der dramatischen Einleitung der Orchestersuite. Die drei Themen dieses Satzes sind eng miteinander verwandt und treten nie in Konkurrenz zueinander. Hörner spielen das friedvolle erste Thema und werden dabei von den Holzbläsern unterstützt. Streicherzerlegungen schaffen einen romantischen Klangteppich, auf dem sich eine Solovioline mit einer kurzen Kantilene vorstellt. Im Wechselspiel von lyrischen Melodiebögen und dem unaufdringlichen Pulsieren der Bläser entsteht das Bild von verklärter Entrücktheit. Die Venus in diesem Stück ist keine Liebesgöttin, sondern tatsächlich der hellste

Stern am Morgen- oder Abendhimmel, zu dem man in friedlichen Augenblicken aufschauen mag.

III. Mercury, the Winged Messenger (Schnelligkeit, Geschäftigkeit, Kommunikation, erfindungsreich): Der Merkur ist ganz in der Manier eines Scherzos im 6/8-Takt komponiert. Die flackernden Kontraste zwischen den Holzbläsern und gedämpften Streichern schaffen mit volksliedhaften Elementen eine leichte Stimmung. Das zentrale Stichwort des kurzen Satzes ist ‹Wendigkeit›, und so springt die Aufmerksamkeit von einer Instrumentengruppe zur nächsten, ohne irgendwo zu verweilen. In einem Buch über Astrologie, das sich in Holsts Besitz befand, wurde dem Merkur grösste Anpassungsfähigkeit attestiert – diese Eigenschaft finden wir vom Komponisten in Musik umgesetzt wieder.

IV. Jupiter, the Bringer of Jollity (Freude, Würde, Grosszügigkeit, Selbstbewusstsein, heiter, hoffnungsvoll): Der Jupiter ist eindeutig das fröhlichste und lebhafteste Stück der Suite. Holst selbst bemerkte zu dieser Musik, dass Jupiter nicht nur Glück im allgemeinen Sinn brin ge, sondern auch religiöses und nationales Feiern symbolisiere. Dem festlichen Charakter entsprechend werden auch fast alle Themen des Satzes von Blechbläsern eingeführt. Sie vermitteln lebensbejahende Freude, gesellige Einmütigkeit und Eintracht. Selbst in der langsamen Mittelpassage kommt ein Gefühl von Erhabenheit auf, die das grosse Kollektiv zu beschwören scheint. Die flot ten Themen, die am Ende des Satzes eilig durcheinanderwirbeln, finden sich schliesslich in den festlich geschmetterten Schlussakkorden wieder.

V. Saturn, the Bringer of Old Age (Ver gänglichkeit, Melancholie, Akzeptanz, geduldig, beständig): Der Saturn war Gustav Holsts Lieblingssatz der Suite, er ist ein Abgesang auf das Leben. Aufgehängt an pulsierenden Akkorden

24 GUSTAV HOLST ZUM WERK

der Flöten und Harfen erklingt das erlahmende Lamento der Kontrabässe, das an einen beschwerlichen Gang erinnert. Das Thema wird von den übrigen Streichern und den Holzbläsern aufgegriffen – immer wieder erklingt die markante Seufzerfigur im grossen Sekundschritt unter den langsamen Flöten- und Harfenakkorden. Die Dramatik steigert sich und artet zu einer wuchtigen Prozession aus, die letztlich in Resignation steckenbleibt – ein Bild für den leiblichen Tod? Für den spirituell veranlagten Komponisten Holst ist dieser aber kein Schlusspunkt: Die Szene vom Beginn des Satzes wiederholt sich – diesmal hat der Gesang der Bässe aber etwas Verklärtes, Erhabenes. Die zuvor langsam pulsierende Begleitung der Flöten und Harfen geht in sphärisch anmutende Akkordzerlegungen über, die Streicher begleiten den langsamen Aufstieg ins Elysium.

VI. Uranus, the Magician (Umwälzung, Sprunghaftigkeit, Virtuosität, erfindungsreich, listig): Der Uranus legt zu Beginn einen effektvollen Auftritt hin, indem er sich mit einer strengen Blechbläserfigur ankündigt, die die Pauke verknappt wiederholt. Der kurzen Einleitung folgt eine kecke Passage, die an den Zauberlehrling von Paul Dukas erinnert: Zu einer geisterhaften, unsteten Tanzmusik aus scharf punktierten Streicherfiguren flitzen irrlichternde Figuren herum. Die Blechbläser intonieren ein zünftiges Thema, das sich im Nichts verliert. Die Szene steigert sich zur aberwitzigen Pointe und stürzt danach ins Bodenlose. Aus den Niederungen kämpft sich einmal noch das kecke Motiv mit aufgesetzter Fanfare herauf.

VII. Neptune, the Mystic (Sensibilität, das ‹höhere Ich›, Übergang zum Jenseitigen, feinfühlig, geheimnisvoll): Der Neptun erhebt die Suite – in seiner Funktion als Schlusssatz einerseits und durch seinen überirdischen Charakter andererseits – endgültig ins Extraterrestrische. Flöten und Bassflöten umspielen einan-

der schwerelos, die Harfe streut ein paar Lichtfunken dazu. Die Violinen greifen den musikalischen Gedanken auf und führen ihn weiter; Flöten und Holzbläser steigern nun das Tempo, ohne den ruhigen Charakter der Musik zu beeinträchtigen. Irisierende Klangflächen von monumentaler Grösse entstehen und lenken den Blick in die unendlichen Weiten des Alls. Es ist an der Zeit, den letzten Schritt in die geheimnisvollen Tiefen des Universums zu wagen, scheint der wortlose Sirenengesang des Chors zu locken. Mit einer sich perpetuierenden Phrase entschwebt der mystische Neptun ins Unendliche.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich

The Planets

BESETZUNG

4 Flöten, 4 Oboen, 4 Klarinetten, 4 Fagotte, 6 Hörner, 4 Trompeten, 4 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, 2 Harfen, Celesta, Orgel, Frauenchor

ENTSTEHUNG

1914–1916

URAUFFÜHRUNG

29. September 1918 in London

DAUER

ca. 51 Minuten

25 GUSTAV HOLST ZUM WERK

Der neue CLE.

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BASLER MADRIGALISTEN

Die Basler Madrigalisten sind das traditionsreichste professionelle Vokalensemble der Schweiz. Sie widmen sich vor allem den anspruchsvollen Repertoires von der Renaissance bis zu zeitgenössischer Musik. Das 1978 von Fritz Näf an der Schola Cantorum Basiliensis gegründete Ensemble steht seit 2013 unter der Leitung von Raphael Immoos und trat in Europa, den USA, Australien und Asien auf. Szenische Aufführungen, Rundfunk-, Fernsehund CD-Aufnahmen gehören ebenso zu seinem umfangreichen Schaffen wie Auftritte bei renommierten Festivals wie

den Berliner Festspielen, dem Lucerne Festival oder Kooperationen u.a. mit dem Opernhaus Zürich.

Spezialisiert auf die Interpretation Neuer Musik vergibt das Ensemble regelmässig Kompositionsaufträge, die es in Ur- und Erstaufführungen erlebbar macht, etwa an Dieter Ammann, Thüring Bräm, Beat Furrer, Fritz Hauser, Beat Gysin, Heinz Holliger, Klaus Huber, Mela Meierhans, Franz Rechsteiner, Eric Oña, Michel Roth, Jürg Wyttenbach und Klaus Huber. Für ihr vielseitiges Repertoire wurden die Basler Madrigalisten u.a. mit dem ‹Förderpreis für Musik› der Förder gemeinschaft der europäischen Wirtschaft und mehrfach mit dem Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung für die Interpretation zeitgenössischer Musik ausgezeichnet.

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BASLER
PORTRÄT
MADRIGALISTEN
© Benno Hunziker

DER GEHEIMNISVOLLE GUSTAV HOLST

VON SIGFRIED SCHIBLI Nicht immer verlaufen die Lebensläufe bedeutender Persönlichkeiten bruchlos, gradlinig und logisch. Beim Komponisten Gustav Holst aber kommt man nicht umhin, von einer seltenen Zwangsläufigkeit zu sprechen. Fast alle seine Vorfahren und viele seiner nahen Verwandten waren Musiker*innen.

Sein in Riga geborener Grossvater Gustav Valentin Johann kam 1804 nach England, wo er als Komponist, Pianist und Harfenist wirkte. Auch sein Vater war Harfenist gewesen.

Gustav Holsts Vater Adolph von Holst komponierte, spielte Tasten instrumente

und unterrichtete Musik. Auch seine Mutter

Clara Cox war Pianistin, ebenso wie seine Stiefmutter Mary Thorley von Holst, die sich überdies inten siv mit Theo sophie beschäftigte. Als Organist und Komponist machte sich Gustavs Onkel Gustavus Matthias einen Namen, während seine Ehefrau Isobel Sängerin und Cellistin war. Wahrhaft eine ungewöhnliche Dichte an professionellen Musiker*innen!

Damit nicht genug. Wer sich über Gustav Holst informieren will, greift am besten zur Biografie, die seine Tochter Imogen Holst (1907–1984) geschrieben hat. Auch sie hatte sich einem Leben mit der und für die Musik verschrieben. Imogen absolvierte in jungen Jahren eine Ausbildung als Komponistin und Dirigentin und leitete fast dreissig Jahre lang das

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Musikfestival von Aldeburgh. Als kundige Botschafterin des Werks ihres Vaters trug sie den Ruhm seines Schaffens bis weit ins 20. Jahrhundert. Ihre 1938 veröffentlichte Holst-Biografie erlebte mehrere Auflagen, und wer Genaueres über Holsts Werke erfahren will, konsultiert am besten ihr Buch The Music of Gustav Holst .

Sind solche Biografien aus dem Familienkreis nicht anfällig für Legenden und Beschönigungen? Nicht im Fall von Imogen Holst. Nüchtern und emotionslos erzählt sie von den Licht- und Schattenseiten ihrer Familie. Zum Beispiel davon, dass Gustavs Mutter Clara nervlich so angespannt war, dass ihr Mann Adolph auf einer stummen Klaviatur üben musste, um sie nicht zu stören. Als sie mit 41 Jahren starb, waren ihre Söhne Gustav Theodore und Emil Gottfried noch Kinder. Die Erziehung wurde weitgehend von ihrer Tante Nina übernommen, die ebenfalls Klavier spielte. Auch die zweite Frau seines Vaters, die Theosophin Mary Thorley, spielte Klavier. Die Holst-Buben wuchsen in einer Atmosphäre auf, die von Klavierklängen und Gesprächen über Seelenwanderung geprägt war.

Aber Gustav – der spätere Komponist – sollte nicht ebenfalls Pianist werden, daher schickte man ihn in den Geigenunterricht. Mit wenig Erfolg: Er hasste das Üben auf der Geige, und dass sein Bruder Emil manchmal die Uhr zurückstellte, damit Gustav länger üben musste, erhöhte den Reiz dieses Instruments nicht gerade.

Viel lieber, erzählt Imogen Holst, spielte Gustav Klavier, vor allem die Lyrischen Stücke von Edvard Grieg. Sobald sein Vater aus dem Haus war, setzte er sich an den Flügel und klimperte. Mit zwölf oder dreizehn Jahren machte er sich an die Vertonung eines Gedichts, Horatius , das er mithilfe der Instrumentationslehre von Hector Berlioz orchestrierte. Unterricht in Musiktheorie hatte er nie gehabt, umso erstaunlicher war

DER GEHEIMNISVOLLE GUSTAV HOLST

der Mut, mit dem er sich an ein grosses Werk für Chor und Orchester wagte. Als er in Cheltenham ein reguläres Musikstudium absolvierte, machte er bald praktische Erfahrungen als Chorleiter und Orchesterdirigent, und es dauerte nicht lange, bis er seinen Vater als Chorleiter vertreten konnte. Gustav war auf dem besten Weg, Berufsdirigent zu werden – wenn ihm nicht das Komponieren immer wichtiger geworden wäre. Ein später Reflex auf seine Anfänge findet sich in The Planets , deren 7. und letzter Satz, Neptune, the Mystic, am Ende einen Doppelchor ohne Worte vorsieht. Ob er sich wohl an die stumme Klaviatur und an die theosophischen Gespräche in seiner Familie erinnerte?

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© Wikimedia Commons Gustav Holst (1874–1934)

BENEDIKT SCHOBEL & ALASDAIR KENT

ZWISCHEN KONZERTSAAL UND OPERN BÜHNE

LEA VATERLAUS

Benedikt (Ben) Schobel ist Solofagottist und Stiftungsratsmitglied des Sinfonieorchesters Basel –sein Lebens partner

Alasdair Kent zieht als Operntenor von einem Opernhaus zum nächsten.

Zwei Berufe der gleichen Branche, die dennoch ziemlich unterschiedlich sind. Ein Gespräch über komplizierte Terminkalender, guten Wein und häusliche Opernarien.

LV Liebesszenen in der Oper sind meistens ziemlich spektakulär. Ben und Alasdair, wie war Euer erstes Treffen?

AK Nun ja, 2019 sang ich am Theater Basel den Grafen Almaviva im Barbier von Sevilla, und David Parry, der Dirigent der Produktion, spielte Cupido und hat uns verkuppelt. Ob romantisch oder unspektakulär, ist schwer zu sagen, es hat sich einfach richtig angefühlt. Wir hatten beide gerade wenig beeindruckende private Situationen hinter uns gelassen und konnten uns frei und unvoreingenommen kennenlernen, was äusserst gut funktioniert hat.

LV Alasdair, Du bist in Australien aufgewachsen, Ben ist Österreicher. Jetzt ist Basel Euer gemeinsames Zuhause … BS Ich bin in Vorarlberg direkt bei der Schweizer Grenze aufgewachsen und war ohnehin mit der Kultur hier sehr ver traut. Studiert habe ich in Hannover, dann habe ich ein Jahr an der Bayerischen Staatsoper in München verbracht und 2011 hier beim Sinfonieorchester Basel angefangen. Ich schwärme Alasdair immer vor, dass wir im Garten Eden leben: Basel sprudelt über vor kulturellen Veranstaltungen und gleichzeitig sind die Wege kurz genug, um alles mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuss zu erledigen.

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ORCHESTERFAMILIEN
33 BENEDIKT SCHOBEL & ALASDAIR KENT ORCHESTERFAMILIEN
© Tim Vaterlaus

AK Nach fünf Jahren Studium in Philadelphia und einigen Jahren als Freelancer ohne festen Wohnsitz in den USA, Europa und Australien habe ich mich in der Schweiz niedergelassen. An Basel gefällt mir, dass man die Möglichkeiten und Vorzüge einer Grossstadt auf der Fläche einer Kleinstadt hat. Dazu gehört unter anderem der hervorragende Wein in der Gegend und ein grossartiger Freundeskreis, mit dem ich meine Begeisterung für Brettspiele teilen kann –anders als mit Benedikt. (lacht) Basel ist ausserdem international sehr gut er schlossen, was für mich als Vielreisender sehr wichtig ist.

LV Ihr seid beide viel und manchmal an unterschiedlichen Orten beschäftigt: Wie kompliziert ist es, Eure Kalender aufeinander abzustimmen, damit Ihr Zeit miteinander verbringen könnt?

AK Manchmal ist das sehr kompliziert. Einmal haben wir uns nur zwölf Stunden in drei Monaten gesehen, was sehr schwierig war. Das war nach dem ersten Lockdown, als ich ohnehin schon drei Monate in Australien festsass. Grosse Zeitunterschiede von sechs oder sieben Stunden können es sehr kompliziert machen, Zeit zum Telefonieren zu finden. In den vergangenen fünf Monaten sang ich zwei Projekte am Opernhaus Zürich, was wunderbar war. Es gibt nichts Schöneres, als eine Oper zu singen und da nach zu Ben nach Hause zurückzukehren.

BS Schon als wir ein Paar wurden, war uns klar, dass wir eine Fernbeziehung führen würden. Alasdair hat das Glück, dank seines Talents viel an grossen Häusern in Europa singen zu können. Zürich, München, Wien oder Lyon sind alle leicht erreichbar und auch Städte, die man wirklich gerne besucht. Durch den Abstand schätzen wir die Zeit dann auch mehr, die wir miteinander haben. Wenn ich ihn auf den grossen Bühnen der Welt sehe, bin ich unglaublich stolz. Und es ist doch das Grösste, die schönsten

Liebesarien des Opernrepertoires mit seinem ‹eigenen› Tenor zu Hause hören und nachempfinden zu können!

LV Als Opernsänger und Orchestermusiker seid Ihr musikalisch eher in unterschiedlichen Bereichen tätig. Seid Ihr auch privat verschieden?

BS Wir entdecken immer wieder, wie unterschiedlich unsere Berufe sind, obwohl sie zur selben ‹Familie› gehören. Das fängt bei meinem Angestelltenverhältnis und Alasdairs Selbstständigkeit an und reicht bis zur ausschweifenden Premierenfeier, die am darauffolgenden Morgen auf mein Instrument keine Auswirkungen hat, auf Alasdairs Stimme jedoch schon. (lacht) Privat teilen wir die meisten Ansichten – von kleinen politischen Diskussionen bis hin zu den ‹grossen› Fragen im Leben wie der Weinauswahl im Restaurant.

AK Ich glaube, dass unsere Gemeinsamkeiten der Grund sind, warum es so schnell gut funktioniert hat mit uns. Unterschiede gibt es dennoch: Ben weckt beispielsweise keine schlafenden Hunde, während ich mich kopfvoran und mit gezogenem Schwert in jede emotionale Auseinandersetzung stürze. Nach vier Jahren haben wir aber viel übereinander gelernt und gehen gut mit den Bedürfnissen des anderen um.

LV Sprecht Ihr miteinander über Eure Auftritte?

AK Ich halte Ben für einen grossartigen Fagottisten, da finde ich nicht viel zu kritisieren. Wir Musiker sind uns selbst gegenüber die härtesten Kritiker, da hilft es sehr, wenn der Partner der grösste Fan ist. Der Haussegen hängt erst dann schief, wenn ich Kritik an Bens Kochkünsten anbringe … (lacht)

BS Wir sprechen sehr ausführlich über Musik im Generellen und unsere Aufführungen im Besonderen, wobei jeder Spezialist auf seinem eigenen Gebiet ist. Wenn ich Alasdair begeistert von meinen

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&
KENT ORCHESTERFAMILIEN
BENEDIKT SCHOBEL
ALASDAIR

Theorien im Fagottrohrbau erzähle oder er mir beim Frühstück die Feinheiten eines kleinen Kratzens im Hals erklärt, bemühen wir uns beide redlich, beim Zuhören begeistert zu wirken. Bisher hat das immer ausgezeichnet funktioniert.

LV Gibt es auch andere gemeinsame Leidenschaften neben der Musik?

AK Wir geben beide viel Geld für Essen und Trinken aus. Um es mit Strauss’ Fledermaus zu sagen: «Die Majestät wird anerkannt, anerkannt rings im Land! Jubelnd wird ‹Champagner, der Erste› sie genannt!» Was wir uns regelmässig gönnen, sind faule Sonntagabende auf der Couch, an denen wir Essen nach Hause bestellen, anstatt zu kochen.

BS Wir laden auch sehr gerne Freunde zu uns zum Essen ein und holen dann gerne eine gute Flasche Wein aus unserer Sammlung im Keller. Davon abgesehen schätze ich mich glücklich, einen Partner zu haben, der eine Nachteule ist wie ich.

LV Ben, Du spielst Fagott seit Deinem achten Lebensjahr. Was magst Du an Deinem Instrument besonders?

BS Das Fagott hat meistens eine Bassfunktion im Orchester, bereitet also die harmonische Grundlage der Musik, über der dann andere Instrumentengruppen die Themen spielen. Als Solofagottist habe ich das Glück, oft auch Melodien zu spielen, sei es alleine oder zum Beispiel mit der Cellogruppe oder den Hörnern. Die Mischung aus harmonischer Unterstützung und solistischen Passagen gefällt mir ausgesprochen gut.

LV Du engagierst Dich sehr für das Sinfonieorchester Basel und bist nicht nur Musiker, sondern auch Personalvertreter im Stiftungsrat des Orchesters …

BS Im Stiftungsrat ist es meine Aufgabe, die Interessen und Ansichten der Musiker*innen zu Gehör zu bringen, was

ich nach bestem Wissen und Gewissen tue. Dabei kann es sich um strukturelle und finanzielle Entscheide handeln, um personelle oder auch um politische. Ich schätze diese Arbeit sehr und bin froh, dass der Stiftungsrat vielfältig und gut zusammengesetzt ist, um diese Aufgaben gemeinsam angehen und erfüllen zu können.

LV Alasdair, Du singst Opern vom Barock bis zur Frühromantik. Vor allem Rossini hat in Deinem Repertoire einen hohen Stellenwert. Was ist Dein persönlicher Musikgeschmack?

AK Ich höre fast alles, wenn ich so darüber nachdenke. Im Moment bin ich komplett absorbiert von Written on Skin, einer zeitgenössischen Oper von George Benjamin, die ich in Lille singe. Irrsinnig schwer auswendig zu lernen und deshalb ganz oben auf meiner Playlist. Aber sonst ist alles darauf, von Martha Argerich mit Gaspard de la Nuit über Ariana Grande oder Russian Hard Bass bis hin zu Louis Prima, Julie London oder Ella Fitzgerald. Natürlich höre ich auch Opern, um von anderen Sängern zu lernen, aber oft brauche ich einfach auch Stille oder die Geräuschkulisse der Natur.

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BENEDIKT SCHOBEL & ALASDAIR KENT ORCHESTERFAMILIEN
© Tim Vaterlaus

Q WIE QUARTETT

VON BENJAMIN HERZOG

Zwei Sätze einer neuen Sinfonie, eine Opernarie, ein Rondo für Klavier, etwas mit Chor – dergestalt bunt gemischte Programme waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts gang und gäbe. Oft tauchten in solchen Programmen auch Kammermusikstücke auf, namentlich für Streichquartett. Einerseits wollten die Komponisten ihr Schaffen auf möglichst vielfältige Weise vorstellen. Andererseits forderte das Publikum Werke, die gerade ‹en vogue› waren. Der Fall von Quartetten in sinfonischen und gemischten Konzerten liegt noch einmal anders. Hier bestanden einige der frühesten professionellen Quartett-Ensembles aus den Stimmführern von Orchestern. Das Gewandhaus-Quartett zum Beispiel. Es wurde 1808 von Mitgliedern des Leipziger Gewandhausorchesters gegründet und existiert noch heute.

Quartettspiel, Klaviertrio, Bläseroder Perkussionsensembles – viele Orchestermusiker*innen pflegen die intimere und ausschliesslich selbstverantwortete Kammermusik neben ih rem Beruf. Neben oder zusätzlich. So spielt etwa der Solo-Cellist des Sinfonieorchesters Basel, Antoine Lederlin, im Belcea Quartet, einem international renommierten Ensemble. Auch Axel Schacher, Konzertmeister in Basel, hat bis 2022 in dem Quartett um die rumänische

Geigerin Corina Belcea mitge spielt. Er sagt, einer der grössten Unter schiede zwischen dem Spiel im Orchester und mit dem Quartett bestehe in der Art des Zuhörens. Spielt man zu viert, ist jede Stimme verfolgbar. In einem Orchester hingegen ist eine solche Totale nicht immer möglich. Er habe durch das Quartettspiel nochmals aufmerksamere Ohren bekommen. Gerade fürs Orchesterrepertoire.

Seit seinen Anfängen gilt das Streichquartett als Gattung höchster Ansprüche. Der Komponist Giuseppe Cambini rief 1803 die «Tonkünstler» der Städte dazu auf, sich zu QuartettGesellschaften zusammenzuschliessen. Damit waren, modern gesprochen, Musikprofis gemeint. Und die fanden sich, siehe oben, meist in den Orchestern. Auch aus den Reihen der Wiener Philharmoniker und ihrer Stimmführer rekrutierte sich 1882 ein Streichquartett: das Rosé-Quartett. In die Musikgeschichte eingegangen ist es mit der Uraufführung des 2. Streichquartetts von Arnold Schönberg. Während des letzten Satzes, in dem zu den vier Streichern eine Sopranstimme hinzutritt, begannen Teile des Publikums zu lachen, zu zischen und zu trampeln. Ein Tumult, der die vier Herren und die Sopranistin Marie Gutheil-Schoder nicht davon abhielt, das Werk so gut es ging bis zum Ende aufzuführen. Arnold Schön-

LEXIKON DES ORCHESTERS 36

berg bezeichnete den Abend später als den grössten Skandal, den er je erlebt habe.

Das selbstständige Erarbeiten einer Interpretation im Streichquartett ist nur mit vielen Proben zu erreichen. Moderne Ensembles rechnen mit zwei Wochen Probezeit für ein neues Stück oder ein ganzes Konzertprogramm. Im Unterschied zu einem Orchesterkonzert wird ein solches Programm dann aber auch bis zu fünfzig Mal auf Tournee gespielt, während ein Orchester sich zwei Mal, selten öfter, mit einem neuen Programm präsentiert. Auch die Probezeit ist im Orchester wesentlich kürzer. Hier treffen die Musiker*innen und ihr*e Dirigent*in in der Regel zwei Tage vor dem ersten Konzert erstmals zusammen.

Ein gewisser Pragmatismus ist es denn auch, den Axel Schacher vom Orchester mit ins Belcea Quartet hineinnehmen konnte. «Als Konzertmeister muss ich mit meiner Gestik zeigen können, was ich will.» Das habe auch im Quartett, wo Schacher allerdings zweite Geige spielte, gut geholfen. Ebenso werden Entscheidungen im Orchester und mit Dirigent*innen meist wesentlich schneller getroffen als im Quartett. Goethes Aperçu zum Streichquartett als einer Unterhaltung von vier vernünftigen Leuten beschreibt, vor dem bekannten Hintergrund oft langer Diskussionen in Quartettproben, daher nur

einen Teil der Realität. Möglicherweise wären darum gerade gemischte Konzertprogramme, in denen sowohl die kleine wie auch die grosse Form gepflegt würden, beide aber mit gewissermassen ‹vernünftigem› Probeaufwand, eine Chance für alle Beteiligten.

Das nächste Mal: R wie Ruhestand

LEXIKON DES ORCHESTERS 37 © Janine Wiget Q WIE QUARTETT

HAVE WE GOT CONTACT?

Outer space has always tickled the imagination, not only in books and movies, but also in music. But in this month’s concert it is (mostly) the music that tickles the fantasy of outer space and conjures up images of the galactic spheres, although the composers may not have had that intention.

When the Hungarian-born composer György Ligeti fled his country after the Russian invasion in 1956, he brought with him the draft of what became his groundbreaking piece Atmosphères . The composition is often described as a “sound mass”. You could visualize it as a large blob that slowly but continuously changes shape through powers from with in, while the color and the surface texture evolve gradually. Ligeti tried to free himself from the musical laws of harmony, melody, rhythm and development. The work’s opening chord consists of no less than 59 notes spread out over five and a half octaves. Individual instruments are subordinate to a total sound experience. The 4/4 time doesn’t have a rhythmic function but is used to synchronize the constant little modifications of the soundscape. It is hardly surprising that Stanley Kubrick decided to use Atmosphères for his movie 2001: A Space Odyssey, in particular for the part where the astronaut travels to the outermost galaxies.

The Ligeti piece is paired with Kevin Puts’s Contact, a triple concerto for two violins, bass and orchestra. The work was conceived during the pandemic and could hence not be performed immediately. This gave the commissioners, the Time for Three trio, and the composer the opportunity to reflect on

the piece. They agreed that “there was a story being told. Could the refrain at the opening of the concerto be a message sent into space, a call to intelligent life across the vast distances [...]? [...] And might the third movement represent the moment of contact itself?” Puts was inspired by the multi-talented trio – they also sing and compose – and didn’t intend to write science fiction music. Although he “had the image of an abandoned vessel floating inert in the recesses of space” in mind when composing the third movement, the galactic dimension is predominantly the result of their joint ruminations, which eventually led to the final version in 2022.

Although Holst’s best-known composition, The Planets, is influenced by astrology, combining it with Ligeti’s and Puts's works seems only logical. Holst (1874–1934) created a suite in which each of the seven movements paint the character of one of our planets. Why Earth was left out is unknown. Pluto wasn’t discovered in 1916 when the work was completed. The titles of the movements reveal the influence of the ancient Greeks, who already believed that the planets had a defining influence on our souls and characters. Mars, the Bringer of War, Venus, the Bringer of Peace, Mercury, the Winged Messenger, and Jupiter, the Bringer of Jollity are all familiar from ancient Greek mythology. Although the order of the movements doesn’t match the order of the planets, the cycle does end with Neptune, the Mystic, the remotest at the time. When the off-stage female choir vocalizes its last notes, the doors are closed, and their voices disappear in infinity.

IN ENGLISH 38

MUSIK VERBINDET –FREUNDSCHAFT AUCH

Der Freundeskreis ist eine engagierte Gemeinschaft, die Freude an klassischer Musik sowie eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Sinfonieorchester Basel verbindet.

Wir unterstützen die Arbeit der Musiker*innen des Sinfonieorchesters Basel auf vielfältige Weise. Wir tragen dazu bei, in der Stadt und der Region Basel eine positive Atmosphäre und Grundgestimmtheit für das Orchester und das Musikleben zu schaffen. Unser Verein stellt für seine Mitglieder ein reichhaltiges Programm an exklusiven Anlässen mit dem Sinfonieorchester Basel zusammen. Dabei bietet sich die besondere Möglichkeit des direkten Kontakts zu den Musiker*innen. In der letzten Spielzeit konnten wir erstmals zu einer fünfteiligen Kammermusikreihe einladen. Für diese Saison planen wir eine ganze Reihe an vergleichbaren Angeboten –eine aktuelle Vorschau finden Sie auf unserer Website. Als Mitglied erhalten Sie jeweils per Mail Informationen zu den bevorstehenden Anlässen und Angeboten.

Wir heissen Sie sehr herzlich will kommen! Nehmen Sie direkt Kontakt mit uns auf: freundeskreis@sinfonieorchesterbasel.ch oder besuchen Sie unsere Website www.sinfonieorchesterbasel.ch/freundeskreis

39 VEREIN ‹ FREUNDESKREIS SINFONIEORCHESTER BASEL ›
© Benno Hunziker
© Paula Troxler

FAMILIENKONZERT ‹LYDIA›

Familienvorstellungen

Do, 2. Mai 2024, 18 Uhr

Fr, 3. Mai 2024, 18 Uhr

Schulvorstellung

Fr, 3. Mai 2024, 10 Uhr

Kulturkirche Paulus

Steinenring 20, 4051 Basel

Lydia Koidula – die Geschichte dieser Frau, die im 19. Jahrhundert gelebt hat, ist in Estland so gut wie allen bekannt. Ihre Lieder werden bis heute von Klein und Gross gesungen. Aber wer ist diese Frau? Wer war dieses Mädchen, das bereits mit 14 Jahren als Assistentin ihres Vaters bei einer estnischen Zeitung mitgearbeitet hat – in einer Zeit, als in Estland noch überwiegend Deutsch und Russisch gesprochen wurde? Wir möchten die Geschichte von Lydia erzählen –einer jungen Frau, die tatkräftig und mutig für ihre Überzeugungen eintrat, Brücken zu anderen Menschen und Kulturen baute und sich stets für Selbstbestimmung und Freiheit einsetzte. Gemeinsam mit Schüler*innen singen wir ihre Lieder und tauchen ein in die bewegte Geschichte Estlands. Ein Land, das lange und immer wieder aufs Neue für sein Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit kämpfen musste.

Sinfonieorchester Basel

Schüler*innen der Primarstufe

Nicole Coulibaly, Erzählerin

Timo Waldmeier, Leitung

IM FOKUS 41
Eine Kooperation mit ‹Baobab Books›

VERMITTLUNG SCHULKONZERT

Do, 11.4.2024, 10 Uhr

Stadtcasino Basel, Musiksaal

Sinfonieorchester Basel, Time for Three, Krzysztof Urbański

CASUAL CLASSIC PLANETS

Do, 11.4.2024, 19.30 Uhr

Stadtcasino Basel, Musiksaal

Sinfonieorchester Basel, Basler

Madrigalisten, Time for Three, Krzysztof Urbański

KAMMERMUSIK PROMENADE ‹BEETHOVEN›

So, 14.4.2024, 11 Uhr

Gare du Nord

Belcea Quartet

KAMMERMUSIK ATRIUMKONZERT

Sa, 20.4.2024, 16 Uhr

Probezentrum Picassoplatz

Aurélie Noll, Yolena Orea Sánchez

KAMMERMUSIK AM PICASSOPLATZ

So, 21.4.2024, 11 Uhr

Probezentrum Picassoplatz

Perkussionsensemble des Sinfonieorchesters Basel, Domenico Melchiorre

VORVERKAUF (falls nicht anders angegeben)

Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel

Aeschenvorstadt 2, 4051 Basel

+41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch www.biderundtanner.ch

Billettkasse Stadtcasino Basel

Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel

+41 (0)61 226 36 00 info@stadtcasino-basel.ch

Detaillierte Informationen und Online-Verkauf: www.sinfonieorchesterbasel.ch

IMPRESSUM

Sinfonieorchester Basel Picassoplatz 2 4052 Basel

+41 (0)61 205 00 95 info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch

Orchesterdirektor: Franziskus Theurillat Künstlerischer Direktor: Hans-Georg Hofmann Redaktion Programm-Magazin: Lea Vaterlaus

Korrektorat: Ulrich Hechtfischer

Gestaltung: Atelier Nord, Basel

Illustrationen: Janine Wiget

Druck: Druckerei Lutz AG Auflage: 1500 Exemplare

DEMNÄCHST 42

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Zum Beispiel ins Kleinbasel.

SPALENBERG 26 ST.JOHANNS-VORSTADT 47 BASLERLECKERLY.CH
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