Markus Poschner –unser neuer Chefdirigent

Markus Poschner –unser neuer Chefdirigent
Das Konzert ist « ein Ort des öffentlichen emotionalen Austauschs ». Warum für den 1971 in München geborenen Dirigenten Markus Poschner dafür gerade die Musik Gustav Mahlers besonders geeignet ist.
Benjamin Herzog Markus, Du hast Dir für Deinen offiziellen Antritt beim Sinfonieorchester Basel Gustav Mahlers 2. Sinfonie ausgesucht. Mit dieser, der Auferstehungssinfonie, beginnt auch der neue Basler Mahler-Zyklus. Mahlers Zweite ist ja wie prädestiniert für einen solchen Anfang.
Markus Poschner Allerdings. Mahlers Auferstehungssinfonie ist eines der beeindruckendsten Werke des gesamten klassischen Repertoires. Kompromisslos und für alle Ausführenden unglaublich herausfordernd. Mahlers Musik überhaupt beansprucht und verlangt wie die Musik kaum eines anderen Komponisten immer den ganzen Menschen. Sie ist bedingungslos, so wie er selbst wohl auch war, als Komponist und Dirigent.
BH Mahler verhandelt in seinen Sinfonien fundamentale Fragen. « Warum hast du gelebt ? Warum hast du gelitten ? Ist das alles nur ein grosser, furchtbarer Spass ? », schreibt er zu seiner 2. Sinfonie. Diesen « Spass », diese Absurdität erleben wir heute gerade wieder. Musik also für das 21. Jahrhundert ?
MP Mahlers Kosmos ist nach allen Seiten hin offen. « Meine Musik ist gelebt und nicht gemacht », hat er einmal behauptet. Musik ist für ihn also nicht einfach nur Kunstwerk, sondern das Leben selbst. Und daher gehen von ihm auch unheimlich starke Impulse in unsere Jetztzeit aus. Das Zerrissene, Komplexe, die grossen Gefühle, unsere Sehnsucht nach Spiritualität, die Urgewalt der Natur sind immerwährende Bestandteile seiner Kunst und stehen für die Zeitenwende, an der Mahler stand, so wie wir vermutlich gerade auch wieder an einer Zeitenwende stehen.
BH Alma Mahler sagte einmal, ihr Mann sei ein « Leidsucher ». Empfindest Du Mahler und insbesondere seine Musik auch als so bedrückend ?
« Die Welt der Kunst ist für eine Gesellschaft unbezahlbar. »
Markus Poschner, Chefdirigent
MP Nein. Seine simple Botschaft lautet für mich : Es ist jetzt unsere Aufgabe, neue Wege und Antworten zu finden, die uns weiterführen. Nachdenklich macht mich allerdings, dass nach Mahler die Welt der Kunst implodierte. So wie auch die gesamte reale Welt in einer der grössten Katastrophen der Menschheitsgeschichte zugrunde ging. Ich hoffe, dass wir es besser machen werden.
BH Überall in unseren Gesellschaften haben sich Hierarchien verflacht. Wenn auch manchmal nur scheinbar. Nimmt man ein Orchester als Abbild der Gesellschaft, was für einen Organismus siehst Du da repräsentiert ?
MP Natürlich ist ein Klangkörper wie das Sinfonieorchester Basel zunächst immer ein lebendiger Organismus mit Eigenschaften und Mechanismen, die denen unserer
Gesellschaft sehr ähnlich sind. Trotzdem ist es auch unsere ureigenste Aufgabe, die Welt zu spiegeln, sie zu hinterfragen und zu Antworten zu inspirieren. Ein Konzert ist ja nichts anderes als ein Ort des öffentlichen emotionalen Austauschs. So gesehen ist die Welt der Kunst und der Musik für eine Gesellschaft unbezahlbar : Hier können wir unsere Träume und Ängste verhandeln.
BH Der französische Soziologe Claude Lévi-Strauss hat Musik einmal als « Suche eines Mittelwegs » zwischen logischem Denken und ästhetischer Wahrnehmung bezeichnet. Was kommt für Dich zuerst : Logik oder Hörgenuss ?
MP Während einer Aufführung muss jeglicher logische Ballast von uns abfallen, sonst kann niemals etwas Grösseres entstehen. Hier müssen wir in der Lage sein, unser Innerstes nach aussen zu tragen, um in Bereiche vorzudringen, die irgendwo zwischen Ordnung und Chaos liegen. Während der Proben allerdings geht es genau um das Gegenteil, um Orientierung, Perfektion, um das Verstehen. Das sind die Voraussetzungen für das maximale Mass an Freiheit, das wir brauchen, um im Konzert abheben zu können.
BH Das Sinfonieorchester Basel feiert diese Saison sein 150-jähriges Bestehen. Du hast Dich in die Geschichte des Orchesters vertieft. Wie nimmst Du es als neu hier wirkender Chefdirigent wahr ?
MP Die Geschichte des Sinfonieorchesters Basel ist unglaublich beeindruckend. Wenn man bedenkt, wer hier in der Stadt rund um das Orchester alles tätig war, so liest sich das wie ein ‹ Who is who › der Musikgeschichte. Für mich ist wichtig, in einen aktiven Dialog mit dieser Geschichte zu kommen. Wenn Gustav Mahler 1903 bei der Einstudierung seiner 2. Sinfonie so intensiv und leidenschaftlich mit den Musikern in Basel gearbeitet hat, wie es Zeitgenossen beschrieben haben, dann beeinflusst das auch heute unser Denken und Fühlen. Das soll keinesfalls esoterisch klingen, es hat für mich aber schon etwas sehr Geheimnisvolles und Inspirierendes.
BH Kehren wir noch einmal zu Mahler und seiner Musik zurück. Du dirigierst ja nicht nur die 2., sondern zum Ende dieser Saison auch die 3. Sinfonie. Wenn die Zweite die Auferstehungssinfonie ist, so wäre die Dritte seine Humoristische vielleicht ? Humor als ästhetische Kategorie und Methode, die Widersprüchlichkeit der Welt, die diese Sinfonie ja als Ganzes abbilden will, aufzufangen ?
MP Die 3. Sinfonie ist für mich so etwas wie der Inbegriff des Lebens überhaupt. Mahler vollbrachte als Musiker das grosse Wunder, sich den unschuldigen und naiven
Blick eines Kindes zu bewahren. Dazu gehört freilich auch eine grosse Portion Humor und Ironie, manchmal sogar Parodie. Ich habe immer das Gefühl, besonders in der Dritten hat er keine Angst vor den eigenen Emotionen, vor dem Erlebten. Alles scheint hier ganz unmittelbar. Es geht ihm hier nicht nur um Reflexion, Spiegelung und Anbetung der Welt da draussen, wie die Überschriften zu den einzelnen Sätzen glauben lassen möchten, sondern um das elementare menschliche Erleben als solches : die Welt zwischen « irdischem Leben » und « Ewigkeit ». Diesem unbeschreiblichen Sog kann sich niemand beim Hören entziehen.
Interview : Benjamin Herzog
Passion
Mit Markus Poschner und Benjamin Herzog Besetzung wie im 1. Abo-Konzert
Poschner probiert 1. Abo-Konzert : Mahler 2 –Auferstehungssinfonie
Ausführliche Konzert-Informationen siehe Seite 9
Sa, 30. Aug. 2025
18.00 Uhr ( ca. 1 Stunde )
Probezentrum Picassoplatz ( Picassoplatz 2, 4052 Basel )
Gustav Mahler ( 1860–1911 )
2. Sinfonie, Auferstehungssinfonie ( 1895 )
Nikola Hillebrand Sopran
Wiebke Lehmkuhl Mezzosopran
Di, 02. Sept. 2025
12.15–12.45 Uhr
Stadtcasino Basel, Musiksaal (Konzertgasse 1, 4052 Basel)
Mi, 03. Sept. 2025
Do, 04. Sept. 2025
19.30 Uhr
Stadtcasino Basel, Musiksaal (Konzertgasse 1, 4052 Basel)
MDR-Rundfunkchor Leipzig
Markus Poschner Leitung Sinfonieorchester Basel
Mi, 03. Sept. 2025
Do, 04. Sept. 2025 19.30 Uhr
Stadtcasino Basel Musiksaal
Konzerteinführung 18.30 Uhr
Sie war der Höhepunkt bei der 39. TonkünstlerVersammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins 1903 in Basel : Gustav Mahlers 2. Sinfonie, die Auferstehungssinfonie. Für Mahler, der die Aufführung damals selbst dirigierte, war sie tatsächlich eine Art Erlösung. Seine Zweite ebnete ihm den Weg als zukunftsweisender Sinfoniker.
Aus der Halle des Basler Hotels ‹ Les Trois Rois › lässt Gustav Mahler seiner Frau Alma im Juni 1903 eine Notiz aufs Zimmer bringen : « Ich sitze noch immer mit Berliner hier unten. Geh, Almscherli, komm auch ein bisschen. Wir warten auf Dich ! » Der Physiker Arnold Berliner, Mahlers Freund aus Hamburger Tagen, ist zur Aufführung der 2. Sinfonie nach Basel gekommen. Doch Alma Mahler fühlt sich nicht wohl, hat einen « empfindlichen Magen », wie Mahler an seine Schwester Justine schreibt. Das gemeinsame Leben verläuft anders, als Alma es von ihrem geselligen Elternhaus gewohnt ist. Mahler legt Wert auf einen geregelten Tagesablauf, um sein Arbeitspensum zu bewältigen.
In Mahlers Brief an seine Schwester Justine sind auch Einzelheiten über die Proben im Basler Münster festgehalten. Mahler berichtet : « Die drei Proben wären also vorüber. Alles ausgezeichnet vorbereitet, Chor wundervoll – ich hoffe [auf] eine befriedigende Aufführung. Die Kirche stimmungsvoll. Heute werden wir uns ein bisschen umschauen in der Stadt – Böcklin, Holbein etc. Bisher haben wir nur ein wenig gebummelt. » Das « Bummeln » des Ehepaars Mahler ist auf einer Fotografie dokumentiert, die Gustav und Alma Mahler am Rheinsprung zeigt, wie sie von der Grossbasler Seite auf die Mittlere Brücke und Kleinbasel schauen.
Die Aufführung der 2. Sinfonie war der Höhepunkt des Basler Musiklebens im Juni 1903. Der Allgemeine deutsche
Musikverein unter seinem Präsidenten Richard Strauss hatte Gustav Mahler eingeladen, bei der Tonkünstler-Versammlung in Basel seine Sinfonie im Münster zu dirigieren. Hermann Suter, damals Dirigent des Basler Sinfonieorchesters, hatte Orchester, Gesangverein und die Liedertafel gründlich vorbereitet – sehr zur Zufriedenheit des Komponisten.
Gustav Mahler war mit Alma zu den Schlussproben angereist und verhalf der Aufführung im Basler Münster am 15. Juni 1903 als charismatischer Dirigent zu einem glanzvollen Erfolg. Die Kehrseite davon war die Erschöpfung Mahlers, der anschliessend in Maiernigg am Wörthersee Erholung suchte. Im sommerlichen Komponierurlaub fand Mahler Ruhe nach den Lebensstürmen und den Erlösungsfantasien seiner 2. Sinfonie.
Mahlers Zweite hat eine lange Entstehungsgeschichte. Den 1. Satz vollendete er im September 1888 in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur 1. Sinfonie. Zunächst dachte Mahler an einen Einzelsatz im Sinne einer sinfonischen Dichtung, später an eine vollständige Sinfonie. Das Werk blieb bis zum Sommer 1893 liegen, erst dann komponierte Mahler den 2. und den 3. Satz.
In dieser Zeit entstanden auch die Wunderhorn-Lieder Fischpredigt und Urlicht, welche im 3. und 4. Satz der Sinfonie anklingen. Im Sommer des folgenden Jahres wurde das Finale vollendet. Nachdem Mahler die ersten drei Sätze im März 1895 aufgeführt hatte, dirigierte er im Dezember die Berliner Uraufführung des gesamten fünfsätzigen Werks. Das Neue daran war : Er ging über die übliche Anzahl von vier Sätzen hinaus. Ebenso wie über die ( bis dahin nur von Beethoven gesprengten ) Grenzen der ansonsten instrumentalen Gattung Sinfonie, indem er das gesungene Wort einbezog.
Der 1. Satz, von Mahler als « Todtenfeier » bezeichnet, hat den Charakter eines Trauermarschs. Es folgen in der Rückschau zwei Episoden aus dem Leben des zu Grabe getragenen Helden : ein Moment seliger Erinnerung im 2. Satz, und im 3. eine Art von Humoreske über das erwähnte Lied Des Antonius von Padua Fischpredigt.
Der 4. Satz, Mahler betitelt ihn mit Sehr feierlich, aber schlicht, enthält das Lied Urlicht, gesungen vom Solo-Alt, und bildet den emotionalen Dreh- und Angelpunkt der ganzen 80-minütigen Sinfonie. Mit dem einfachen Duktus eines volksliedhaft schlichten Gedichts, das Mahler der Wunderhorn-Sammlung entnahm, greift hier das Wort in das sinfonische Geschehen ein und bringt das Ringen der Seele um Schutz und Zuversicht zum Ausdruck.
Der 5. Satz sodann steigert sich Wild herausfahrend zu einer die Sinfonie monumental abschliessenden Kantate mit Sopran- und Alt-Solo, Orgel und gemischtem Chor über
den Text von Friedrich Gottlieb Klopstocks Ode « Aufersteh’n, ja aufersteh’n wirst du, mein Staub, nach kurzer Ruh ». Beethovens 9. Sinfonie soll dafür das Vorbild gewesen sein.
« Mir ging es mit dem letzten Satz meiner Zweiten einfach so, dass ich wirklich die ganze Weltliteratur bis zur Bibel durchsuchte, um das erlösende Wort zu finden », schrieb Mahler 1897 rückblickend an den Kritiker Arthur Seidl. Es ist viel darüber gerätselt worden, warum Mahler die Entstehungsgeschichte seiner Zweiten in einen erlösungsbedürftigen Kontext rückte. Dass Mahler vom « erlösenden Wort » spricht, erscheint indes aufschlussreich.
Tatsächlich thematisiert der Text im Finale die Erlösung. Darüber hinaus dürfte der Schritt aus der rein instrumentalen Sinfonik zum gesungenen Wort für Mahler wirklich eine Art ( Er- )Lösung und Ausweg aus den eigenen Unsicherheiten über die Form und den Gehalt der Musik gewesen sein. Wegen dieses Schlusssatzes erhielt die 2. Sinfonie den Beinamen Auferstehungssinfonie
Zu Mahlers Lebzeiten war die Auferstehungssinfonie das meistgespielte Werk des Komponisten. Das Besondere erkannte bereits Mahlers Zeitgenosse, der Musikwissenschaftler Hermann Kretzschmar, als er die 2. Sinfonie mit den Worten würdigte : « In der Menge imposanter, mächtiger Töne hat sie [ die 2. Sinfonie ] in der Sinfonieliteratur wohl nicht ihres Gleichen. Sie ist aber auch ein durch hohe und edle Ideen ausserordentlich hervorragendes, für die Zukunft der Sinfoniekomposition vielleicht sehr wichtiges Werk. » Aus diesem « vielleicht » der Entstehungszeit ist bei den Ausführenden und Zuhörenden inzwischen längst Gewissheit geworden.
Autorin : Martina Wohlthat