Programm-Magazin Lebensfülle

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Programm-Magazin Nr. 8 Saison 15/16

Lebensf端lle MITTWOCH, 1. JUNI 2016 DONNERSTAG, 2. JUNI 2016

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Sinfoniekonzert ‹Lebensfülle›

3 Programm 4 Dennis Russell Davies und Hans-Georg Hofmann im Gespräch 8 Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 12 Interview mit Emanuel Ax 15 César Franck: Variations symphoniques 18 Hans Werner Henze: Suite aus den Orchesterstücken zum Hörspiel Die Zikaden Intermezzo

22 Vorlaut – Eine Serie von Alain Claude Sulzer 24 Orchester-Geschichte(n), Teil 8 26 Anna Tsybuleva und Christopher Jepson im Gespräch Vorschau

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Liebes Konzertpublikum

ie Zeit unter der künstlerischen Leitung von Dennis Russell Davies neigt sich dem Ende zu. Schon jetzt darf man von einer aus­ser­ gewöhnlichen und erfolgreichen Ära sprechen. Lassen wir die Meilensteine noch einmal Revue passieren: Das SOB trennt sich von der AMG und geht erstmals in seiner Geschichte den Weg in die künstlerische wie unternehmerische Selbstständigkeit. ­Programmatisch rückt die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts von der Peripherie ins Zentrum, und das Vermächtnis Paul ­Sachers erfährt eine eindrückliche Renaissance im Musikleben der Stadt Basel. Das Orchester schafft sich so sein eigenes Profil und ein Publikum, das sich aus treuen Abonnentinnen und Abonnenten sowie neuen jungen Konzertbesuchern zusammensetzt. Mit seinen Gastspielen in Asien, England und Mitteleuropa etab­ liert sich das SOB auch international. Ohne die künstlerische Vorstellungs- und die klare Entscheidungskraft von Dennis Russell Davies wäre dieser neue Weg so nicht begehbar gewesen. Dafür steht nicht nur die beeindruckende Diskogra­ fie, sondern auch die Vielzahl an Ur- und Erstauffüh­ rungen. Im letzten Konzert unter der Leitung von Dennis Russell Davies erwartet Sie eine ganz beson­ dere Uraufführung: die Orchestermusik von Hans Werner Henze zu Ingeborg Bachmanns Hörspiel Die Zikaden. Es war ausserdem der grosse Wunsch von Dennis Russell Davies, den derzeit wohl grössten amerikanischen Pianisten, Emanuel Ax für diesen Abend nach Basel zu holen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich ganz herzlich für die wunderbare Zusammenarbeit mit Dennis Russell Davies zu bedanken. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass es kein endgültiger Abschied sein wird: Im März 2017 wird Dennis Russell Davies im Musical Theater Basel wieder mit unserem Orchester zu erleben sein. Thank you, Dennis!

32 Agenda

Dr. Hans-Georg Hofmann Leiter Künstlerische Planung


Bild : Benno Hunziker

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Sinfoniekonzert SOB

Lebensfülle

MITTWOCH, 1. JUNI 2016 DONNERSTAG, 2. JUNI 2016 19.30 Uhr, Musiksaal Stadtcasino Basel 18.45 Uhr: Einführung durch Hans-Georg Hofmann, Hans Huber-Saal

Hans Werner Henze (1926–2012)

Suite Die Zikaden. Orchesterstücke aus dem Hörspiel von Ingeborg Bachmann (1954/55) Eingerichtet von Jobst Liebrecht (2003/04)

César Franck (1822–1890)

Variations symphoniques für Klavier und Orchester, M. 46 (1885) 1. Poco Allegro 2. Allegretto quasi Andante 3. Allegro non troppo Pause

Gustav Mahler (1860–1911) Sinfonie Nr. 5 cis-Moll (1904)

I. Abteilung 1. Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt 2. Stürmisch bewegt. Mit grösster Vehemenz II. Abteilung 3. Scherzo. Kräftig, nicht zu schnell III. Abteilung 4. Adagietto. Sehr langsam 5. Rondo-Finale. Allegro – Allegro giocoso. Frisch

Konzertende ca. 22.00 Uhr

Sinfonieorchester Basel Emanuel Ax, Klavier Dennis Russell Davies, Leitung


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Dennis Russell Davies und Hans-Georg Hofmann im Gespräch

«Ich bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben!» Hans-Georg Hofmann und Dennis Russell Davies unterhalten sich zum Abschied von Dennis Russell Davies als Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel über Brillanz im Klang, kompromisslose Zeiten und einen Brief von Hans Werner Henze. aufgezeichnet von Simone Staehelin

Hans-Georg Hofmann: Was hat sich in den sieben Jahren deiner Zeit als Chefdirigent im Orchester verändert? Dennis Russell Davies: Als ich kam, habe ich ein sehr gutes Orchester vorgefunden – vielleicht hat es heute mehr Selbstbewusstsein als damals, was für ein erstklassiges Orchester unabdingbar ist! Wie würdest du den speziellen SOB-Klang heute beschreiben? Brillanz! Das Orchester verfügt über einen Klang, der vor allem bei den klassisch-modernen Werken mit den nötigen technischen und intonationsmäs­ sigen Finessen eine ganz eigene Wirkung entwi­ ckelt. Diese Brillanz ist das Markenzeichen grosser Komponisten wie Strawinsky, Bartók, Schönberg, Honegger und aller anderen, deren Werke wir hier gepflegt haben. In den Werken dieser Komponisten fühlt sich das Orchester zu Hause – gleichwohl ha­ ben wir auch andere Sachen gespielt. Es gibt also eine Flexibilität in dem Orchester, die ihm guttut!

Wenn ich mich mit Musikerinnen und Musikern aus dem Orchester über die vergangenen Jahre unterhalte, fallen immer wieder Begriffe wie ‹Stabilität›, ‹Klarheit› und ‹Sicherheit›, was ja auch mit dem von dir beschriebenen Selbstvertrauen zusammenhängt. Ist diese Art der Führung eine bewusste Methode von dir oder doch mehr eine Veranlagung des Charakters? Wenn man über Auffassungen spricht, gibt es natürlich viele verschiedene Kriterien – jeder hat seine ganz eigenen musikalischen Ansichten. Und was mir gefällt, gefällt bestimmt nicht allen Musikerinnen und Musikern und allen Zuhörerin­ nen und Zuhörern. Geschmäcker sind verschie­ den! Aber was mir niemand nehmen kann, ist, dass ich technisch mit ganz unterschiedlichen Musikstilen umgehen kann. Ich glaube, man muss so dirigieren, dass die Musiker sich wohlfühlen und gut spielen können. Und ich möchte gerne, dass das Orchester zu mir schaut – und dass ich ihm gebe, was es dann eben braucht.


Bild: Benno Hunziker

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Dennis Russell Davies war sieben Jahre lang Chefdirigent des SOB.


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Wie wichtig ist dabei für dich die Kontrolle? Es hilft sehr, Aufnahmen von sich selbst zu hören! Manchmal bin ich überrascht, dass Werke nicht genau so tönen, wie ich sie mir vorgestellt habe. Davon lerne ich viel. Ich glaube aber, als Dirigent muss man lernen, dass nicht nur die Motorik, sondern auch die Ohren funktionieren. Man muss hören, was gespielt wird! Und dann auch reagieren. Die aussergewöhnlichen Fähigkeiten deines Gehörs werden mir immer wieder aus dem Orchester bestätigt – man ist fasziniert von der Genauigkeit deines Hörens – , ein Navigator der alle sicher zum Ziel führt. Wir Dirigenten sind die einzigen, die unser Gehör ganz frei dem Orchesterklang zur Verfügung stel­ len können. Natürlich hören die Musikerinnen und Musiker mit; sie haben jedoch immer ihre ganz eigene Wahrnehmung, die durch ihr jeweili­ ges Instrument beeinflusst wird. Ein gutes Ver­ hältnis zwischen Dirigent und Orchester basiert auf ehrlicher Rückmeldung. Wenn etwas falsch klingt, dann sage ich es – genauso wie ich auch verlange, dass mir der Tonmeister bei Aufnahmen sagt, wenn das Tempo langsamer oder schneller wird. Das ist zwar nicht angenehm zu hören, aber sehr wichtig für das Resultat! Wenn ich dir vor sieben Jahren prophezeit hätte, dass sich das Orchester von der AMG trennen und den Schritt in die künstlerische und unternehmerische Selbstständigkeit geht, was hättest du dazu gesagt? Nach wie vor finde ich es schade, dass es zu diesem Schritt gekommen ist. Aber er war nötig. Beide Institutionen verbindet eine lange gemeinsame Geschichte, und nun geht diese auf getrennten Wegen weiter. Wenn du mich vor sieben Jahren gefragt hättest, hätte ich wohl gesagt: «Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt!» Heute bin ich sehr stolz auf das, was wir erreicht haben. Für das Orchester und das Musikleben in Basel. Selbst Kritiker von damals sind inzwischen überzeugt, dass es für das Orchester der einzig richtige Weg gewesen ist – hast du von Anfang an daran geglaubt, oder hattest du deine Zweifel?

Ich hatte nie Zweifel, weil die Mitarbeiter des Orchesterbüros – und dazu gehörst auch du – den Entscheid mitgetragen haben und an die Notwen­ digkeit und Richtigkeit geglaubt haben. Das hat einen unglaublichen Anstoss gegeben! Es folgte eine Zeit ohne Kompromisse, in der wir unser Pro­ gramm selbstständig gestalten konnten. Vielleicht täusche ich mich, aber ich habe den Eindruck, dass in den ersten Jahren amerikanische Komponisten wie Philip Glass und John Adams im Zentrum gestanden haben – in den letzten Jahren lag der Fokus mehr auf Strawinsky, Bartók und Lutosławski. Hattest du von Anfang an einen Plan, oder hat sich das einfach so entwickelt? Es gab einen Plan: Es war mir wichtig, dass neu­ ere europäische und Schweizer Musik Teil der Programme war. Und dass wir Ur- und Erstauf­ führungen spielten. Dazu konzentrierten wir uns auf das sinfonische Schaffen von Franz Schubert und Arthurt Honegger. Es gibt glaube ich kein anderes Schweizer Sinfonieorchester, das in den letzten Jahren so viele Uraufführungen gespielt hat wie wir – das ist ein grosses Verdienst! Ich bin sehr stolz darauf. Und auch darauf, dass das Chefsache ist. Gerade in der Stadt, wo Paul Sacher Tradition geschrieben hat, bin ich sehr stolz, mich in diese Reihe stellen zu dürfen. Möchtest du dem Orchester für die nächsten Jahre etwas mit auf den Weg geben? Es ist ein grossartiges Orchester, vor dem eine grosse Zukunft liegt – ich finde, die beiden Kanto­ ne Basel-Stadt und Basel-Landschaft haben damit ein Kulturgut. Von meiner Seite würde ich mir wünschen, dass sie diesen Schatz schützen und fördern. Schauen wir in deine Zukunft; man könnte meinen, dein Kalender leert sich nun ein wenig. Dem ist aber gar nicht so: Konzerte- und Opernproduktionen stehen auf dem Programm. Hast du trotzdem Pläne und Wünsche für dich persönlich? Ich bin ja noch ein Jahr lang Chefdirigent in Linz. Und die Agenden füllen sich tatsächlich sehr schnell. Ich habe auch mit meiner Frau darüber


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gesprochen; lange Zeit, mehr als 45 Jahre, habe ich ununterbrochen irgendwo als Chefdirigent gearbeitet. Ich freue mich, nun eine gewisse Frei­ heit zu haben. Ich habe viele Projekte, viele Ideen. Ich möchte gerne mehr mit meiner Frau musizie­ ren. Unser Klavierduo steht immer etwas in Kon­ flikt mit ihrer Solotätigkeit und meinen Dirigen­ tenstellen. Nun haben wir die Chance, das ein bisschen besser zu dosieren. Solange ich noch bei guter Gesundheit bin – und daran arbeite ich sehr! – , habe ich vor, weiterhin sehr aktiv zu sein. In deinem letzten Konzert steht die Uraufführung eines bislang nicht bekannten Werks von Hans Werner Henze auf dem Programm. Was verbindet dich mit ihm? Ich habe Hans Werner Henze in den frühen 70erJahren kennengelernt, als ich Chefdirigent des Saint Paul Chamber Orchestra war. Gleichzeitig leitete ich in New York im Lincoln Center mit dem Juilliard Ensemble eine Konzertserie. Da ha­ ben wir ein Werk von Hans Werner Henze ge­ spielt. Hans hat sich die Aufführung angehört und war begeistert. Zwei Monate später bekam ich einen wunderschönen Brief von ihm, und er wollte, dass ich die Aufführungen eines seiner Werke in Stuttgart dirigiere. Das war der Zünder

für meine Übersiedlung nach Europa! Ich habe dann viele Werke von Henze ur- und erstaufge­ führt, und er hat auch Stücke für mich geschrie­ ben. Für mich war es eine sehr bedeutende Ver­ bindung! Dass ich dieses Werk zu meinem Abschluss dirigieren darf, freut mich ganz beson­ ders. Als Solist tritt Emanuel Ax auf – ihn wolltest du schon immer nach Basel bringen, nun endlich hat es geklappt. Zum letztmöglichen Zeitpunkt! (lacht) Emanuel und ich waren zusammen an der Juilliard School. Er ist ein grossartiger Musiker, und ich freue mich sehr, ihn hier zu haben. Als Schlussstück spielt das Orchester Mahlers 5. Sinfonie mit dem berühmten Adagietto – eine Art musikalischer Liebesbrief an Alma. Gibt es einen besonderen Grund für dich, dieses Stück mit ins Programm zu nehmen? Vieles, was wir spielen, ist klassisch besetzt. In die­ sem Fall haben wir eine grosse Orchesterbeset­ zung, und dies gibt mir die Möglichkeit, von allen Musikerinnen und Musikern Abschied zu neh­ men. Ich habe bereits viel Erfahrung mit dieser Sinfonie und möchte dem Orchester etwas ganz Besonderes mit auf den weiteren Weg geben. ●

Impressum Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 19, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, info@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch, www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat  Leitung Künstlerische Planung : Dr. Hans-Georg Hofmann  Konzeption und ­Redaktion Programm-Magazin : Simone Staehelin und Cristina Steinle  Titelbild : Christian Aeberhard, Basel ­ Korrektorat: Ulrich Hechtfischer  Gestaltung : Neeser & Müller, Basel  Druck : Schwabe AG, ­Basel/Muttenz  Auflage : 7000 Exemplare Partner:


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Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

Sinfonik im grossen Rahmen

Gustav Mahler 1909

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ustav Mahlers 5. Sinfonie entstand in der Sommerfrische, die für die Mahlers 1902 im österreichischen Maiernigg lag (das be­ rühmte ‹Komponierhäuschen› in Toblach besass der Komponist erst ab 1908). Zwar bedeutete für Mahler die Sommerfrische das Glück, sich ganz seiner Kreativität widmen zu können, wobei ihm seine frisch angetraute Frau Alma als Kopistin zur Seite stand, doch spiegelt sich in seiner Musik nur wenig von der Heiterkeit und Unbeschwertheit, die man bei einem jungverheira­ teten Sommerfrischler vermuten könnte. Auch Na­ turerlebnisse stehen eher im Hintergrund. Für Gustav Mahler markierte die Jahrhundert­ wende einen Aufbruch: Hatte er bislang zahlreiche Werke mit Beteiligung von Gesangsstimmen kompo­ niert oder seinen Instrumentalkompositionen pro­ grammatische Anmerkungen beigefügt, so verlegte

Bild: Wikimedia Commons

von Kaja Engel

er sich nun auf die absolute Musik der grossen Sinfo­ nien. Ausdrücklich wünschte er, Schluss mit allen Programmen zu machen, die »falsche Vorstellungen erzeugen« könnten. Trotzdem versah er seine 5. Sin­ fonie zumindest in den ersten Sätzen mit so präzisen Satzbezeichnungen, dass die Programmatik dann doch auf der Hand liegt, zumal man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass Mahler sich selbst als musikalisch-lyrisches Ich oder auch als Helden sei­ nes Werkes ansah. Ein gewisser düsterer Grundton in Mahlers Musik aus dieser Zeit lässt sich kaum aus äusseren Umstän­ den erklären, sowohl privat als auch beruflich stan­ den die Dinge für den Wiener Hofoperndirektor wahrlich nicht schlecht. Es war wohl ein grundlegender Wesenszug Gustav Mahlers: das Tiefe, Grüb­ lerische, das ihn stets auf Sinnsuche schickte und damit oft zur Belastung für seine Umwelt werden


liess. Glenn Gould, nie um eine pointierte Formulie­ rung verlegen, meinte, Mahler sei «ein recht fieser Mann» gewesen, «munter gleichgültig gegen die Zerbrechlichkeit irgendeines anderen Ichs als des seinen». Die Tatsache, dass Mahler die 5. Sinfonie mit ei­ nem Trauermarsch beginnt, stellt sie in eine Reihe mit weiteren Werken überaus gedrückter Stimmung, die für den Komponisten bezeichnend sind. Gipfel dieser Serie sind sicherlich die Kindertotenlieder, mit denen Mahler zwischen 1901 und 1904 in fast ge­ spenstischer Weise den Tod eines seiner eigenen Kinder vorwegnahm, der sich 1907 ereignete. Auch das Adagietto, spätestens seit seiner Verwendung in Viscontis Film Tod in Venedig einer der berühmtesten Sätze Mahlers, wirkt nicht eben erheiternd, doch hat sich bezüglich dieses Teils die Interpretation Wilhelm Mengelbergs als Liebeserklärung an Alma durchgesetzt. Auch klingt im Adagietto eines der Rückert-Lieder an (Ich bin der Welt abhanden gekommen), eines der wunderbarsten Werke Gustav Mahlers. Nach der Düsternis des Anfangs endet die 5. Sin­ fonie dann doch in positiver Stimmung, als letzte der Mahler’schen Sinfonien; in geradezu strahlendem Gestus lässt er das Rondo-Finale mit der Anweisung frisch aufleben, der dem nahezu euphorischen Cha­ rakter des Satzes nur unzureichend gerecht wird.

SINFONIE NR. 5 Besetzung: 4 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 6 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Schlagzeug, Harfe, Streicher Entstehung: 1901  –  1903 Widmung: «Dieses Adagietto war eine Liebeserklärung an Alma» (Gustav Mahlers Eintrag in die Partitur, die er seinem Freund, dem Dirigenten Willem Mengelberg, schenkte) Uraufführung: 18. Oktober 1904, GürzenichOrchester Köln unter Leitung des Komponisten Dauer: ca. 70 min

Bild : Wikimedia Commons

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Gustav Mahler 1898

Glenn Goulds Charakterisierung mag zutreffend sein, zeigt sie doch die Vielschichtigkeit und Kom­ plexität eines Menschen vom Formate Mahlers. Es ist bemerkenswert, dass eine so schwierige Persönlich­ keit derart grossartige Musik hervorzubringen ver­ mochte. Mahler versuchte, weder Widersprüche zu versöhnen noch sie zu erklären, er liess sie bestehen und erlangte gerade dadurch sein individuelles und unverwechselbares musikalisches Idiom, das ihn zu einem der grössten Sinfoniker des zwanzigsten Jahr­ hunderts machte. ●


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Interview mit Emanuel Ax

«Niemand spielt mehr falsche Noten» von Maximilian Rauscher

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er US-amerikanische Pianist Emanuel Ax gewann 1974 mit 25 Jahren den ersten Arthur-Rubinstein-Klavierwettbewerb in Tel Aviv und erhielt 1979 den begehrten Avery Fisher Prize in New York. Seither ist er ein gefragter Gast der grossen Sinfonieorchester, mehrfacher GrammyGewinner und Kammermusikpartner von Musikern wie Itzhak Perlman und Yo-Yo Ma. Maximilian Rauscher: Emanuel Ax, Sie wurden als Sohn polnischer Eltern in der Ukraine geboren und verbrachten Ihre ersten Jahre in Warschau und Kanada. Im Alter von zwölf Jahren kamen Sie schliesslich nach New York, wo Sie auch heute noch zu Hause sind. Wie haben Sie als Jugendlicher das Musikleben der Stadt wahrgenommen? Emanuel Ax: Es war grossartig! Als ich in den 1960er-Jahren in New York aufwuchs, war ich manchmal bis zu vier Mal in der Woche in der Carnegie Hall und konnte mir alle grossen Pianis­ ten der Welt anhören, und das mehrfach. Ich habe nicht nur an der Juilliard School, sondern auch in diesem Konzertsaal die beste Ausbildung genos­ sen, die man haben konnte. Hat das Ihre Entscheidung, Pianist zu werden, beeinflusst? Natürlich träumte ich damals davon, mit grossartigen Dirigenten und wunderbaren Orchestern zu arbeiten, und für mich ist der Traum dann ja

auch in Erfüllung gegangen. Ich war allerdings kein Wunderkind, sondern ein ganz normaler Junge, der Musik mochte – und zwar so sehr, dass er dabei geblieben ist … Welche Pianisten, die Sie damals in der Carnegie Hall hörten, wurden Ihnen zum Vorbild? Viele! Wenn man jung ist, möchte man wie seine Vorbilder klingen. Also habe ich jeden Tag beim Üben versucht, den Pianisten zu imitieren, den ich am Vorabend gehört hatte. Ich wollte wie Horowitz, Rubinstein, Richter, Gilels oder der jun­ ge Ashkenazy klingen – aber selbst wenn man noch so talentiert ist, ist das natürlich unmöglich. Man kann nicht wie jemand anderes klingen! Aber vielleicht findet man dadurch seinen eigenen Klang? Ja, man lernt dabei unglaublich viel, und aus all den Erfahrungen, die sich in Hirn und Herz an­ sammeln, entsteht dann hoffentlich das ganz eige­ ne Paket. Der Musikerberuf fusst in der Tradition, und wenn wir den grossen Künstlern der Vergan­ genheit zuhören, beeinflusst das natürlich unsere eigenen Klangvorstellungen. Heute ist das umgekehrt: Sie lehren seit vielen Jahren selbst an der Juilliard. Gehört das Unterrichten für Sie zum Künstlersein?


Bild : Lisa Marie Mazzucco

Emanuel Ax gehĂśrt zurzeit zu den gefragtesten Pianisten weltweit.


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Ich bin der Meinung, das ist eines der wichtigsten Dinge, die ich mit meinem Leben anstellen kann. Dabei muss es gar kein formeller Unterricht sein. Ich habe natürlich Studierende an der Hochschule, mit denen ich regelmässig arbeite; aber auch auf meinen Reisen treffe ich sehr viele junge Pianis­ ten, die mir ein wenig vorspielen und mit denen ich über Musik diskutiere. Ich würde das gar nicht ‹unterrichten› nennen, es ist vielmehr ein Aus­ tausch mit der nächsten Generation, der mir sehr wichtig ist. Manchmal profitiere ich davon mehr als sie ... Wie hat sich denn dieser Nachwuchs aus Ihrer Sicht verändert? Natürlich gibt es historische Monolithe – nie­ mand spielt ‹besser› als Horowitz, Michelangeli oder Rubinstein –, aber das pianistische Niveau ist heute so hoch wie noch nie zuvor. Und nie­ mand, das muss ich leider sagen, spielt mehr fal­ sche Noten. Das verblüfft und begeistert mich immer aufs Neue. Für einen alten Mann wie mich ist das sehr beängstigend, ich verspiele mich ja immer mal wieder (lacht). Neben Ihren solistischen Konzertreisen sind Sie ebenfalls oft als Kammermusiker unterwegs, im vergangenen September unter anderem mit dem Geiger Itzhak Perlman … Ja, wir haben da seinen 70. Geburtstag gefeiert. Ausserdem spiele ich viel mit meinem alten Freund und Cellisten Yo-Yo Ma, mit dem ich seit 45 Jahren musiziere. Wir sind fast wie ein altes Ehepaar, und durch die Kammermusik bleiben wir zusammen. (lacht) Vor allem aber sind Pianis­ ten immer Kammermusiker! Selbst bei einem

Solo-Klavierabend spielen wir ja mehr als eine Stimme, und mit anderen Musikern kommen ein­ fach weitere Stimmen dazu; man lernt so viel über Kommunikation dabei. Auch das Spiel mit einem Orchester ist für mich wie Kammermusik, als stünde ich mit 75 Freunden auf der Bühne. Welches Repertoire spielen Sie dabei am liebsten? Ich liebe natürlich die Musik von Chopin, das ist wohl bei fast allen Pianisten so, aber sonst fühle ich mich am meisten in der deutsch-österreichi­ schen Musik zu Hause – Mozart, Beethoven, vor allem Brahms, Schumann, Schubert, auch Schön­ berg –, mehr als bei den französischen und russi­ schen Komponisten. Ich liebe die fantastischen Konzerte von Rachmaninow und Prokofjew, aber ich muss sie nicht selbst spielen. Und natürlich habe ich auch Werke von Zeitgenossen uraufge­ führt, von John Adams, Bright Sheng oder Melin­ da Wagner. Allerdings bin ich ein ‹slow learner›, ich brauche immer recht lange, um etwas neu ein­ zustudieren – aber ich gebe mein Bestes … (lacht) Was möchten Sie gerne noch neu entdecken? Oh, so vieles … Für einiges bin ich aber vermutlich zu alt. So habe ich etwa, als ich jung war, die Hammerklaviersonate nie gelernt, dafür ist es jetzt wohl leider zu spät. Die Diabelli-Variationen, mein Lieb­ lingsstück von Beethoven, werde ich mir für nächstes Jahr wieder einmal vornehmen. Ausser­ dem gibt es so viele tolle Sachen, die kaum gespielt werden, Klaviermusik von Carl Nielsen, oder die Sonaten von Nikolai Medtner. Emanuel Ax, haben Sie vielen Dank für das Gespräch. ●


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César Franck: Variations symphoniques

Vertrautheit ohne Überdruss von Jürgen Ostmann

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ésar Franck, belgischer Komponist deut­ scher Herkunft, wird gelegentlich als ‹fran­ zösischer Brahms› bezeichnet. Tatsächlich fühlte er sich als Franzose – er lebte seit den 1830erJahren in Paris und liess sich 1873 offiziell einbürgern. Der Vergleich mit Brahms hinkt dagegen ein wenig. Zwar teilten beide Komponisten die Neigung zu kunstvoller Polyphonie, doch Franck nahm gerne auch Anregungen zweier deutscher Musiker auf, die geradezu als Gegenspieler des traditionsbewussten Brahms galten: Richard Wagner beeinflusste seine komplexe, farbige Harmonik. Und Franz Liszt dürfte

VARIATIONS SYMPHONIQUES FÜR KLAVIER UND ORCHESTER Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, Pauke, Streicher Entstehung: 1885 Widmung: Louis Diémer (1843 –  1919) Uraufführung: 1. Mai 1886 Paris, den Solopart übernahm der berühmte Pianist und Widmungsträger Louis Diémer Dauer: ca. 15 min

die fantasievollen formalen Lösungen in Francks Werken inspiriert haben. Musikwissenschaftler spre­ chen in Bezug auf die reifen Kompositionen seiner fünfzehn letzten Lebensjahre – etwa die berühmte Violinsonate A-Dur oder die Sinfonie d-Moll – gerne von ‹zyklischer Form› und ‹Monothematik›. Gemeint ist damit, dass der Gesamtzusammenhang aller Sätze aus einem einzigen motivischen Keim entsteht, der bereits in den Anfangstakten angelegt ist. Die 1885 entstandenen Variations symphoniques be­ stehen zwar nur aus einem Satz, sind aber trotzdem typisch für Francks Kompositionsweise. Traditionell waren Variationen ja meistens aneinandergereihte Mini-Sätze: Am Anfang stand ein regelmässig gebau­ tes Thema, oft aus Abschnitten von zwei, vier oder acht Takten symmetrisch zusammengesetzt. Die folgenden, jeweils in sich abgeschlossenen Variatio­ nen schmückten die Melodie aus oder unterlegten ihr neue Harmonien, behielten den Grundriss des Themas jedoch bei. Franck ging anders vor: Bei ihm ist zu Beginn gar kein einprägsames Thema zu er­ kennen. Man hört vielmehr Fragmente von zweierlei Art – einerseits Streicher-Unisono (alle spielen das Gleiche) in zackigem Rhythmus, andererseits wei­ che, leicht östlich gefärbte Klavierphrasen. Bei aller Gegensätzlichkeit sind diese Elemente doch auch verwandt, vor allem durch ihre Chromatik, also den hohen Anteil an Halbtonschritten. Ebenso wie das Thema nicht klar abgegrenzt ist, lassen sich auch seine Veränderungen nur schwer unterscheiden


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Bild : Österreichische Nationalbibliothek

oder zählen. Einige Analytiker, die es versuchten, ka­ men auf sechs Variationen, andere auf bis zu fünfzehn. In Wahrheit herrscht aber ein ständiges Changieren, mit dem Franck seinem Material die verschiedens­ ten Ausdrucks-Facetten abgewinnt: Die gleichen Tonfolgen können verträumt oder kriegerisch, ver­ spielt oder pathetisch, wehmütig oder triumphie­ rend klingen. Man spürt stets eine vage Vertrautheit, einen inneren Zusammenhang, aber nie den Über­ druss, der aus zu vielen genauen Wiederholungen entsteht.

Bemerkenswert ist ausserdem die Behandlung des Klaviers. Franck war ein ausgezeichneter Pianist, der seine Musikerlaufbahn als reisender Virtuose begonnen hatte. Später wandte er sich der Kirchen­ musik zu und wurde einer der bedeutendsten Orga­ nisten seiner Zeit. Dennoch geht es in den Variatio­ nen nie um blosse Tastenakrobatik. Das Klavier spielt zwar gelegentlich solistisch, doch ebenso oft tritt es begleitend in den Hintergrund oder pausiert. Im Grunde dient es nur als eine, wenn auch besonders herausgehobene, Orchesterfarbe. ●


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Hans Werner Henze: Suite aus den Orchesterstücken zum Hörspiel Die Zikaden

«Denn die Zikaden waren einmal Menschen …» von Simon Obert, Paul Sacher Stiftung

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m Jahr 2014 kam im Nachlass Hans Werner Henzes eine Partitur zum Vorschein, die als kleine Sensation bezeichnet werden darf. Sie enthält eine Suite aus den Orchesterstücken, die Henze 1954/55 für Ingeborg Bachmanns Hörspiel Die Zikaden geschrieben hatte – mithin eine Musik, de­ ren Existenz zwar bekannt ist, die tatsächlich zu hö­ ren aber man kaum je Gelegenheit hatte. Denn die Musik wurde nur ein Mal gespielt – für die Produk­ tion der Hörspiel-Ursendung, die am 25. März 1955 im Nordwestdeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde – und war seither nur zu hören, wenn Radioanstalten eine Aufzeichnung davon sendeten. Die Partitur selbst wurde nie veröffentlicht, später hat Henze die Musik zurückgezogen. Aber offensichtlich reizte sie ihn gegen Ende seines Lebens doch noch. Henze und Bachmann verband eine intensive, in­ nige Freundschaft, die bis zum Tod der Schriftstelle­ rin 1973 dauerte. 1956 schrieb sie in einem Brief an ihn: «Mir ist völlig klar, dass die Freundschaft mit Dir die wichtigste menschliche Beziehung ist, die ich habe, und das soll sie auch bleiben. Und wo und wann sich unsere Wege auch immer kreuzen werden, es wird ein Fest sein.» Er nannte sie «meine grosse Schwester» und erinnerte sich in seiner Autobiogra­ fie: «Ich lehnte mich an sie an, ihr Geist half meiner Schwachheit auf.» Kennengelernt hatten sie sich im Herbst 1952 bei der Tagung der Gruppe 47 auf Burg Berlepsch zwischen Göttingen und Kassel. Bach­ mann las bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal vor der Gruppe 47 (im folgenden Jahr sollte sie den Preis der Gruppe erhalten), Henze war als Besucher ge­ kommen. Im Anschluss entspann sich ein Brief­ wechsel zwischen den beiden Künstlern, und bereits

im Sommer des nächsten Jahres folgte Bachmann einer Einladung Henzes nach Ischia, wohin dieser mittlerweile übersiedelt war. 1956 bezogen sie für einige Monate eine Wohnung in Neapel, und auch wenn sich der Plan eines gemeinsamen Lebens nicht dauerhaft verwirklichen liess, so riss der Kontakt nie ab, blieb die Freundschaft bestehen, nicht zuletzt be­ fördert durch die geografische Nähe: Ab 1966 lebte Bachmann wieder in Rom, Henze nur wenige Kilo­ meter südlich davon in Marino. Doch die Beziehung, die zu den bedeutenden Künstlerfreundschaften des 20. Jahrhunderts gezählt werden darf, verblieb nicht im Privaten, ihr entspran­ gen immerhin sechs gemeinsame Werke (ungeach­ tet weiterer, nicht realisierter Projekte): Bachmann schrieb eine Neufassung des Monologs zu Henzes

SUITE DIE ZIKADEN Besetzung: 3 Flöten, 3 Oboen, 3 Klarinetten, Saxophon, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 4 Posaunen, Schlagzeug, 2 Harfen, Celesta, Streicher Entstehung: 2003/04 (Einrichtung von Jobst Liebrecht) aus dem Material zur Hörspielmusik zu Ingeborg Bachmanns Die Zikaden (1954/55) Uraufführung: 1. Juni 2016 Basel, Stadtcasino, Musiksaal Dauer: ca. 7 min


Bild : Paul Sacher Stiftung, Basel, Sammlung Hans Werner Henze

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Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze, 1954

Ballett Der Idiot (1953), er komponierte die Musik zu ihrem Hörspiel Die Zikaden. In den Nachtstücken und Arien, die 1957 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurden, vertonte Henze zwei Gedichte seiner Freundin. Sie verfasste die Libretti zu seinen Opern Der Prinz von Homburg (1958/59) und Der junge Lord (1964). Und für seine Chorphantasie vertonte Henze 1964 Gedichte aus Bachmanns Zyklus Lieder von einer Insel.

Bachmanns Hörspieltext Die Zikaden, dem ein Auftrag des Nordwestdeutschen Rundfunks vorange­ gangen war, entstand in der zweiten Jahreshälfte 1954. Als Henze das Typoskript im Dezember erhielt, begann er sogleich mit der Komposition und beende­ te sie am 13. Januar 1955 (das Datum am Ende der Par­ titur, wie es in der Abbildung zu sehen ist, ist ein ty­ pischer Verschreiber am Anfang eines neuen Jahres). Henze berichtete davon am gleichen Tag brieflich


Bild : Paul Sacher Stiftung, Basel, Sammlung Hans Werner Henze © Schott Music, Mainz

Hans Werner Henze, Musik zum Hörspiel Die Zikaden von Ingeborg Bachmann, Partiturreinschrift, S. 12, Nrn. IX und X


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seiner Freundin und versicherte ihr, «die klanglichen einblendungen halten sich in respektvoller kürze als dienendes beiwerk zurück». Letzteres darf als Geste der Bescheidenheit gewertet werden, denn die Mu­ sik ist, das war Henze vollkommen klar, integraler Bestandteil des Hörspiels, sie ist als Inhaltselement in dessen Ablauf eingebunden. Bachmann bezeich­ net genau die Stellen im Text, an denen Musik er­ klingen soll, und dementsprechend schrieb sie in einer Vorbemerkung, «die Musik soll nicht als Mu­ sikbrücke» verstanden werden. Doch worin besteht die Funktion der Musik in dem Hörspiel? Thema der Zikaden ist die Realitäts­ flucht. Auf eine Insel im Süden, die ansonsten aber nicht näher bezeichnet ist, hat es mehrere Personen verschlagen, die dort versuchen, ihr früheres Leben zu vergessen und den «Schergen Krankheit und Rausch, Liebe und Enttäuschung, Tod und Vergan­ genheit und der Erinnerung daran» zu entkommen. Doch diese Utopie erweist sich als trügerisch, denn «wer hier leben muss, lebt wie überall». Der Zu­ fluchtsort stellt sich heraus als «die Trümmer einer Illusion». Emblematisch hierfür stehen die Zikaden, genauer: ihr Gesang. Dieser verkörpere zwar deren Weltflucht, jedoch um den Preis ihres Menschseins. Das wird am Ende des Hörspiels deutlich, wo der Er­ zähler, in Anlehnung an den antiken Mythos, wie ihn Plato im Phaidros überliefert, aufklärt: «Denn die Zikaden waren einmal Menschen. Sie hörten auf zu essen, zu trinken und zu lieben, um immerfort sin­ gen zu können. Auf der Flucht in den Gesang wur­ den sie dürrer und kleiner, und nun singen sie, an ihre Sehnsucht verloren – verzaubert, aber auch ver­ dammt, weil ihre Stimmen unmenschlich geworden sind.» Wer sich jedoch der Erinnerung stelle, gewin­ ne sein Menschsein zurück; heisst es doch kurz zu­ vor: «Erinnere dich! Und der dürre Gesang deiner Sehnsucht wird Fleisch.» Henze hatte diese Doppelfunktion der Musik als klangliches Sinnbild des Vergessens und Erinnerns intuitiv verstanden, wie aus einer scheinbar parado­ xen Bemerkung im bereits zitierten Brief an Bach­ mann hervorgeht, er habe Stücke von «schmerzlichem wohllaut» und «zarter klage» komponiert. Henzes insgesamt zehn Stücke sind geprägt von flüchtigen Ausbrüchen einerseits und statischen

Passagen andererseits, gebildet aus Ostinati, kurzen Wiederholungsfiguren, die scheinbar ohne Entwick­ lung aneinandergefügt werden. Wie eingangs erwähnt, nahm Henze die Musik Jahrzehnte später doch noch hervor. Im November 2003 jedenfalls bat er (möglicherweise angeregt durch die Beschäftigung mit der Edition des Brief­ wechsels zwischen ihm und Bachmann, der dann 2004 erschien) die Paul Sacher Stiftung um eine Ko­ pie der Hörspielpartitur, weil er daran denke, wie er durch seine Sekretärin mitteilen liess, die Musik «als Grundlage für ein neues Orchesterwerk [zu] benut­ zen». Ergebnis ist die vorliegende Suite, deren Parti­ turreinschrift von der Hand Jobst Liebrechts stammt, einem damaligen Assistenten Henzes. Für die Suite wurden sieben der ursprünglich zehn Stücke ausge­ wählt und so angeordnet (folgt man der Nummerie­ rung im Hörspiel, erklingen in der Suite die Stücke VI, VIII, III, V, I, IX und X), dass sie einen musika­ lisch-dramaturgischen Ablauf bilden, der ja im Hör­ spiel, wo die Stücke als separate Einblendungen fun­ gieren, nicht gegeben war. Ausserdem wurde auf dem Weg von der Hörspielmusik zur Suite die Or­ chesterbesetzung reduziert (so sieht etwa die Hör­ spielpartitur acht Hörner und sechs Trompeten vor, die Suite kommt mit der Hälfte aus). Interessanter­ weise tun sich dabei noch andere Bezüge im Œuvre Henzes auf: 2004 überarbeitete er seine Oper Gogo No Eiko für eine Aufführung bei den Salzburger Festspie­ len. Beide Arbeiten gingen offenbar Hand in Hand. Denn in die Oper fügte Henze jene Stücke ein, die nicht in die Zikaden-Suite eingingen, und die Orches­ terbesetzung der Oper und der Suite ist identisch. Daneben ist allerdings bemerkenswert, dass die mu­ sikalische Subs­tanz der Hörspielmusik nicht ange­ tastet wurde: Jede Note, die in der Suite steht, befin­ det sich so bereits im Originalwerk. Möglicherweise spricht daraus auch die Ehrfurcht, die Henze für Bachmanns Dichtung hegte und für die er, im Fall der Zikaden, versucht habe, sich «in die welt Deines worts einzuleben und einen widerhall dieser welt» in der Musik zu finden. ●


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Vorlaut – Eine Serie

Hörspielszenen von Alain Claude Sulzer

Mitte 60er -Jahre, VATER und SOHN (Rascheln von Bettwäsche, darunter gedämpfte Stimmen und Musik aus einem Transistorradio. Tür geht auf, Lichtschalter. VATER tritt ein. Radio AUS.) VATER SOHN VATER SOHN VATER SOHN VATER SOHN VATER SOHN VATER SOHN VATER MUTTER

Was machst du da? Nichts. Weisst du, wie spät es ist? Nein, keine Ahnung, wie kann ich das wissen, wenn ich schlafe? Erzähl keinen Unsinn, du hast nicht geschlafen, du weisst genau, wie spät es ist, du hast Radio gehört. Hab ich nicht. Gib’s zu, oder du bist den Apparat für eine Woche los! Als du reinkamst, war er schon aus. Hör auf, mich anzulügen, ich hab ihn gehört. Wenn du die halbe Nacht Radio hörst, wirst du morgen in der Schule schlafen. Es ist noch nicht mal zehn. Es ist schon weit nach zehn! Also hab ich doch geschlafen. Unsinn. Du gibst mir das Radio, und dann wird geschlafen. (Hörbares Gerangel zwischen VATER und SOHN um das Radio.) Los, gib es her! (aus dem Nebenzimmer:) Was ist los? (Unbeabsichtigt wird das Radio wieder eingeschaltet, und wir hören folgenden Dialog:)

DIALOG AUS DEM RADIO VATER Was ist los? Wo sind wir? SOHN Wir sind auf Sendung. VATER Wo? SOHN In einem Kinderzimmer. Sie hören uns. VATER Kannst du jemanden sehen? SOHN Nein. Aber sie sind da. (Ruft:) Ist da jemand? (Stille) VATER Niemand. Sie hören uns nicht, oder sie trauen uns nicht. SOHN Ein Sohn und sein Vater. Die Mutter im Nebenzimmer. Der Vater hat eben versucht, seinem Sohn das Radio wegzunehmen. Still. (Pause) Sie hören uns. Hast du gehört? VATER Ich höre nichts. (Die Stimme wird allmählicher leiser.) Hörst du sie noch? SOHN (aus weiter Ferne:) Wir verschwinden ... ORIGINALTON VATER und SOHN SOHN Hast du gehört? VATER Was denn? SOHN Aus dem Radio. Sie haben mit uns gesprochen? VATER Ich glaube, du träumst. SOHN Ein Vater und sein Sohn, als ob es wir gewesen wären. VATER Unsinn. Es sind nur wir. Du und ich. Und deine Mutter im Nebenzimmer. Das Radio ist aus. Schlaf jetzt. ●


Bild : Alain Claude Sulzer


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Orchester-Geschichte(n), Teil 8

Amboss, Eselskopf und andere Spezialitäten

Bild : Gerard Hoffnung

von Sigfried Schibli

O

hne die Tiere wäre die Klangwelt unserer Orchester doch wahrlich ärmer. Die Darm­ saiten, wie sie in der Alten Musik verwen­ det werden, stammen von Schafen. Auch die Häute und Felle einiger Trommelinstrumente sind tieri­ schen Ursprungs. Gerade das Schlagzeug bildet ein fast unerschöpfliches Arsenal von Klangerzeugern, von denen nicht wenige auf Tierkörper zurückgehen.

So werden in einigen Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert Schildkrötenpanzer (‹Turtle Shells›) verlangt, die ähnlich klingen wie Tempelblocks. Gerard Hoffnung hat sie in einer Karikatur festgehal­ ten. Wie Klaviertasten aus Elfenbein sind sie heute aus Gründen des Artenschutzes verpönt. Für die Aufführung einer Komposition des mexi­ kanischen Komponisten Carlos Chávez brauchte die


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Schlagzeuggruppe des damaligen Basler SinfonieOrchesters einmal ein ganz spezielles Instrument: einen Eselskopf. Dieser wird zum Klingen gebracht, indem der Spieler mit einem Holzstab über die Zähne des Tierkopfes fährt, was einen ähnlichen Klang er­ gibt wie ein Guiro, ein sogenanntes Schrapinstru­ ment. Der Komponist verlangte dieses Inka-Instru­ ment, das es natürlich in keinem Instrumentenfundus eines Sinfonieorchesters gibt. Siegfried Kutterer vom Sinfonieorchester Basel erinnert sich genau da­ ran, wie man sich für eine Aufführung unter Paul Sacher in den frühen 70er-Jahre behalf: «Wir nahmen Kontakt zu einer Pferdemetzgerei auf, und diese lie­ ferte uns einen Pferdekopf. Den musste man natür­ lich erst einmal ablaugen, bis nur noch die Knochen übrig blieben. Als der Pferdekopf in der Garderobe verstaut war, stank er zuerst fürchterlich … Wir ha­ ben ihn immer noch!» Allein schon dieses – zugegeben reichlich exoti­ sche – Beispiel zeigt, dass gerade im Schlagzeugregister eines Orchesters die Grenzen zwischen Ins­ trumenten und Nicht-Instrumenten fliessend sind. Das gilt nicht nur für die genannten Klangerzeuger, die auf tierische Materialien zurückgehen. Manche Schlaginstrumente wie zum Beispiel Schlitztrom­ meln dienten ursprünglich bei sogenannten indige­ nen Völkern der Kommunikation (‹Buschtrommel›); andere entstammen dem religiösen Kultus. So be­ sitzt das Sinfonieorchester Basel eine grosse GongSammlung; die Instrumente stammen zum Teil aus Burma und zum Teil aus Bali. Für die Aufführung von Karlheinz Stockhausens Oper Donnerstag aus LICHT in dieser Spielzeit am Theater Basel wurden GeishaGlöckchen gesucht, die natürlich in keinem Instru­ mentenkatalog verzeichnet sind. Es sind Spuren von Stockhausens Faszination für die japanische Teezeremonie. Auch die moderne Zivilisation hat Eingang in das klangliche Universum eines Orchesters gefunden – wiederum über das Schlagzeug. In der Musik des 20. Jahrhunderts werden gelegentlich Autohupen verlangt, etwa bei George Gershwin (An American in Paris) oder György Ligeti (Le Grand Macabre). Solche ‹Instrumente› sieht man heute noch an Kindervelos – aber fürs Orchester muss es schon etwas Stabileres und Kräftigeres sein. Auch diese Tonerzeuger finden

sich im Lagerraum des Sinfonieorchesters auf dem Dreispitz. «Als einmal der Gummi einer solchen Hupe kaputt war», erzählt Siegfried Kutterer, «kamen wir ziemlich in Verlegenheit. Bei einem Rolls-RoyceHändler, der alte Autohupen und ihre Ersatzteile auf Lager hatte, wurden wir schliesslich fündig.» Manchmal täuschen sich Komponisten über das Wesen von Instrumenten, die sie vorschreiben. So verlangt Richard Wagner in seinem Ring des Nibelungen (Das Rheingold, Verwandlungsszene) «18 Ambosse hinter der Szene»; auf einem solchen nämlich schmie­ det der Zwerg Mime das Schwert für den Jung-Hel­ den Siegfried. In der Opernpraxis verwendet man dafür manchmal Eisenbahnschienen. Der Komponist Albert Parlow eiferte Wagner nach und komponierte gar eine Amboss-Polka. Beide Komponisten täusch­ ten sich insofern, als sie den Ambossen bestimmte Tonhöhen zuordneten; das Geräusch, das ein Amboss von sich gibt, wenn er mit einem Hammer geschla­ gen wird, ist aber in der Tonhöhe unbestimmt, weil er in aller Regel über keinen Hohlkörper verfügt. Faszinierend ist die Klangwirkung gleichwohl – auf diese Weise findet ein Stück prosaische Arbeitswelt Eingang in die Kunstmusik. ●


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Anna Tsybuleva und Christopher Jepson im Gespräch

«Das Spielen mit dem SOB war totaler Spass!» Anna Tsybuleva, Studentin an der Hochschule für Musik, FHNW, und Christopher Jepson, Cellist im Sinfonieorchester Basel, unterhalten sich über das Musikstudium, die Herausforderungen beim Unterrichten und über die Schlusskonzerte. aufgezeichnet und übersetzt aus dem Englischen von Cristina Steinle

Christopher Jepson: Anna, du studierst in Basel – wie lange bist du denn schon in der Schweiz? Anna Tsybuleva: Ich bin seit eineinhalb Jahren hier. Im Juni werde ich meine Masterabschlussprüfung in Klavier an der Hochschule für Musik machen. Wieso hast du dich dafür entschieden, nach Basel zu kommen? Ich bin wegen meines Professors hierhergekommen. Ich kannte ihn bereits zuvor und wollte bei ihm stu­ dieren. Als ich erfahren habe, dass er in Basel unter­ richtet, war ich umso überzeugter – schliesslich liegt Basel mitten in Europa, was sehr angenehm ist. Ausserdem wollte ich die europäische Musik besser kennenlernen. Von wo kommt denn dein Professor? Claudio Martínez Mehner ist halb Spanier, halb Deut­ scher. Und er spricht sieben Sprachen, stell dir das mal vor! Sogar Russisch … Wie würdest du deinen Professor beschreiben?

Für mich ist er ein genialer Musiker! Er ist so aufge­ schlossen – der ganzen Welt und der Welt der Musik gegenüber. In jeder Lektion lerne ich etwas Neues, sodass ich mich immer darauf freue. Er ist ein gross­ artiger Interpret barocker, aber auch klassischer und romantischer Musik. Eigentlich von allem! Auch beim Impressionismus ist er meiner Meinung nach einer der Besten; unglaublich, fantastisch! Jetzt bist du also am Ende deines Masterstudiums. Möchtest du danach den Pädagogik-Master machen und selbst unterrichten? Ich denke darüber nach. Vielleicht gehe ich aber auch nach Russland zurück. Was ich aber hoffe, ist, dass ich weiterhin mit Claudio Martínez studieren kann – vielleicht nehme ich Privatstunden. Du würdest also nach Russland zurückgehen? Das wäre dann schon im Juli oder August, richtig? Ich würde sehr gerne mein Studium weiterführen, aber es ist nicht einfach, dies mit den Konzerten zu kombinieren. Nachdem ich die Leeds-Competition gewonnen habe, ist es für mich schwierig geworden,


Bild : Jean-François Taillard

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Anna Tsybuleva und Christopher Jepson in der Vera Oeri-Bibliothek der Hochschule für Musik

mein Studium normal weiterzuführen, da ich so oft unterwegs bin. Aber das Musikstudium ist so interessant, ich würde so oder so nie aufhören wollen zu studieren. Die Frage interessiert mich auch sehr, weil ich gerade mit einem Pädagogikstudium angefangen habe. Während meines Studiums in Berlin hatte ich keine Gelegenheit, einen Pädagogikunterricht zu besuchen. In letzter Zeit habe ich aber häufig darüber nachgedacht und entschieden, einen CAS in Pädagogik zu machen. Das ist super, wenn man aktiv spielt, denn man kann den Stundenplan an seine eigenen Bedürfnisse und vor allem den eigenen Zeitplan anpassen. Das könnte auch für dich sehr interessant sein, denn bei einem normalen Master wird in der Schweiz die Anwesenheitspflicht sehr streng gehandhabt, und man muss viele Arbeiten schreiben.

Aber sag, wenn du jetzt wieder zurück nach Russland gehst – wie ist das Musikerleben da? Ich habe ja keine Ahnung! Als Musikerin oder Musiker ist man in Russland sehr beschäftigt. Wir hatten im Konservatorium extrem viele Konzerte – es gab sechs Konzerte pro Tag! Und weil es so viele Musiker gibt, ist die Konkurrenz gross, und es ist darum sehr schwierig, den Sprung auf die Bühne zu schaffen. Ich hatte immerhin den Vorteil, ein Klavier zu Hause zu haben, und konnte mich so gut auf Konzer­ te vorbereiten. Aber es gibt grundsätzlich viele span­ nende Events in Moskau, und es ist ein toller Ort für Musiker. Seit wann bist du denn schon in der Schweiz?


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Ich bin seit sechs Jahren hier. Ursprünglich komme ich aus England. Vor meiner Zeit in Basel war ich sechs Jahre in Berlin, wo ich studiert und beim Deutschen Sinfonieorchester Berlin gearbeitet habe. Ich bin dann eher zufällig in Basel gelandet – ich kannte hier auch niemanden. Aber auch wenn ich es nicht wirklich geplant hatte, nach Basel zu kommen, bin ich nun doch sehr glücklich über den Lauf der Dinge. Basel hat ja auch ein unglaublich reiches Kulturangebot. Es gibt so viel Raum für Entwicklungen hier! Im Gegensatz dazu steht zum Beispiel Berlin. Es ist zwar ein sehr inspirierender Ort, aber die gesellschaftlichen Strukturen sind wie bereits geschaffen, man kann da nicht mehr viel verändern. In Basel hingegen ist das noch möglich. Ich bin auch sehr glücklich über meine Stelle im SOB. Als Musiker ist es ja nicht gerade einfach, einen sicheren Job zu finden, mit dessen Lohn man sich eine Familie leisten kann. Darum habe ich dich auch nach dem Pädagogikstudium gefragt. Hättest du denn gerne eine Lehrstelle, die dir Sicherheit und ein fixes Einkommen gibt? Ich spüre durchaus, dass ich in der Zukunft gerne un­ terrichten würde. Doch im Moment habe ich so viele Interessen, vor allem was das Konzertieren und das Musikstudium betrifft, dass ich meine Zeit lieber hierfür verwende; auch um herauszufinden, in wel­ che Richtung ich dann gehen möchte. Ich glaube auch, dass der Wunsch zu unterrichten häufig erst später kommt. Ich sehe das bei vielen Musikern um mich herum – und auch bei mir.

Anna Tsybuleva wurde 1990 in Russland geboren und studierte am Moskauer Konservatorium Klavier. Derzeit ist sie Studentin bei Claudio Martínez Mehner an der Hochschule für Musik. 2012 gewann sie beim internationalen Gilels Klavierwettbewerb in Odessa den 1. Preis. Im gleichen Jahr war sie Preisträgerin des renommierten Hamamatsu Klavierwettbewerbs in Japan. Im Herbst vergangenen Jahres gewann Anna Tsybuleva den 1. Preis am internationalen Leeds Klavierwettbewerb. Sie konzertierte in Russland, den USA, Europa und Japan.

Es gibt aber auch Leute, die von Anfang an wissen, dass sie unterrichten möchten. Die wissen auch, wie man etwas richtig gut erklärt. Ich bin darin noch nicht so gut. Ich mag es auch nicht so, über Musik zu reden, weil ich oft die richtigen Worte nicht finde. Und lustigerweise haben ja Studierende oft etwas Angst vor mir, wenn ich manchmal an der Hochschu­ le für Musik Klavierstunden gebe! (lacht) Wenn ich Kinder unterrichte, verausgabe ich mich sehr und stecke alle Energie in die Stunde, sodass ich danach kaum noch Energie habe, um für mich selbst zu üben. Unterrichten ist sehr ermüdend und anstrengend … Ja, wirklich. Ich frage mich ja echt, wie man 15 Stu­ dierende haben kann! Ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, nur zu unterrichten. Vor allem weil es dann schwierig wird, nebenbei noch Konzerte zu spielen. Im Rahmen meines Studiums habe ich angefangen, ein sechsjähriges Kind zu unterrichten. Das finde ich auch sehr anspruchsvoll. Und mir wurde plötzlich klar, dass ich nun bereits zu einer anderen Generation gehöre und man mir «Mr. Jepson» sagt! (lacht) Aber es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn man seine Erfahrungen weitergeben kann. Die Herausforderung ist ja, dass man auch Dinge erklärt und erklären kann, von denen man das Gefühl hat, sie seien Allgemeinwissen. Ich denke, das macht – unter anderem – den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Lehrer aus. In einem Interview mit Grigory Sokolov, das ich gele­ sen habe, wurde er gefragt, wie gut sich das Perfor­ men mit dem Unterrichten kombinieren lasse. Seine Antwort war: nicht sehr gut! Seiner Meinung nach ist jede Unterrichtsstunde eine kleine Portion Gift für einen selbst. Denn man nimmt dabei alle Probleme des Schülers auf, um eine Lösung dafür zu finden. Er ist ein spezieller Mensch, nicht? Aber das ist natürlich schon wahr, dass man selbst die Probleme der Studierenden aufnimmt … Ja, bei mir ist das wirklich der Fall. Andere schaffen es, eine Art Barriere zu errichten; mir gelingt das noch nicht wirklich. Und nach dem Unterrichten


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spiele ich selbst jeweils wie ein Anfänger! (lacht) Aber ich glaube, dass sich das auch bald ändern wird. Denn es ist wirklich unbezahlbar, wenn man die Fortschritte der Schüler erleben darf. Und wie fühlt es sich für dich eigentlich an, am Schlusskonzert wieder mit uns zu spielen? Du hast ja letztes Jahr bereits mit uns gespielt, erinnere ich mich da richtig? Genau, letztes Jahr durfte ich bereits mit euch Brahms spielen. Denn jedes Jahr gibt es an der Hoch­ schule für Musik einen Wettbewerb, an dem auch Bachelor-Studenten mitmachen können. Der Preis ist dann, dass man am Schlusskonzert spielen darf. Und letztes Jahr habe ich da gewonnen; das hat mich sehr glücklich gemacht! Du spielst also ein zweites Mal mit dem gleichen Orchester: Gehst du nun mit einem anderen Gefühl an dieses Konzert heran? Ich habe mir vorgestellt, dass es ein ganz anderes Ge­ fühl sein wird. Doch beim letzten Mal habe ich mich schon so wohlgefühlt. Ich habe richtig gespürt, wie wir zusammengearbeitet haben und wie das Orches­ ter auf mich eingegangen ist und mich unterstützt hat. Das Spielen war dann einfach nur noch Spass! So eine Unterstützung zu fühlen, kommt nicht häufig vor. Darum freue ich mich auch einfach sehr auf das Konzert im Juni.

Im Anschluss an sein Studium an der Hanns Eisler Hochschule für Musik und seinen ersten Job im Deutschen Sinfonieorchester Berlin, übernahm C ­ hristopher Jepson 2010 die Stelle als stellvertretender SoloCellist im Sinfonieorchester Basel. Regel­mässig tritt er nebenbei als Gast-Solo-Cellist in Orchestern in ganz Europa auf, und seit 2012 ist er Mitglied des Amar Streichquartetts. Neben seinen Konzerten gibt Christopher Jepson auch Meisterklassen in Kammermusik und Cello – sowohl an Konservatorien wie auch an Festivals in Europa, den USA und Asien.

Meinst du, das liegt auch an der Form dieser Schlusskonzerte? Schliesslich mussten wir alle auch einmal da durch. Wir alle wissen, wie es ist, an einem Schlusskonzert zu spielen, und vielleicht entsteht darum auch diese spezielle Stimmung der Unterstützung? Wir haben ja dieses Jahr auch Kollegen, die an den Abschlusskonzerten spielen. Unser Cello-Kollege Payam zum Beispiel. Das ist für ihn bestimmt auch eine grosse Herausforderung – als Solist mit seinem eigenen Orchester zu spielen! Für dich als Pianistin gibt es ja kaum Möglichkeiten, in einem Orchester zu spielen. Aber würde das für dich in Frage kommen? Das wäre dann noch einmal eine ganz andere Art Job … Ja, vollkommen unterschiedlich! Jetzt habe ich noch so viele Pläne, ich möchte noch so viele Stücke spie­ len … Im Moment bin in einfach sehr glücklich, die Möglichkeit zu haben, auf die Bühne zu gehen. Das ist wirklich fantastisch, und ich wünsche dir viel Erfolg! ●


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Vorschau Schlusskonzerte seit 1876: Sinfonieorchester und Hochschule für Musik

Kammermusikalischer Appetitanreger im Gare du Nord

Lange Tradition: Die Schlusskonzerte der Hochschule für Musik mit dem Sinfonieorchester Basel

Quasi als Vorschau auf das Sinfoniekonzert ‹Lebens­ fülle› spielen Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel kammermusikalische Stücke im wunderschönen Saal des Gare du Nord. Es werden Gustav Mahlers Quartett­ satz a-Moll für Klavier, Violine, Viola und Violoncello sowie César Francks Klavierquintett f-Moll zu hören sein. Die Sonntagsmatineen richten sich besonders auch an Familien mit Kindern – denn während des Konzerts ist für eine kostenlose Kinderbetreuung ge­ sorgt. Vor und nach dem Konzert besteht ausserdem die Möglichkeit, in der Bar du Nord zu brunchen. Für Kinderbetreuung und Brunch wird um Anmeldung gebeten: +41 61 683 13 13

Die Prüfungskonzerte und späteren Schlusskonzerte sind fast so alt wie die Musik-Akademie. Die Musiker und Musikerinnen, die ihr Studium mit einem spezialisierten Master in Musikalischer Performance an der Hochschule für Musik FHNW abschliessen, tre­ ten vor der Sommerpause gemeinsam mit dem Sin­ fonieorchester Basel auf die Bühne. Für die Studie­ renden aus unterschiedlichsten Nationen ist dieses Konzert der Abschluss und meist auch der Höhe­ punkt ihrer Studienjahre in Basel. Die diesjährigen Schlusskonzerte finden zwischen dem 17. und dem 29. Juni statt. Die Zusammenarbeit zwischen Sinfonieorchester Basel und Hochschule für Musik FHNW hat ebenfalls eine lange Tradition. Die Studierenden absolvieren Praktika im Orchester, die Orchestermitglieder ertei­ len Unterricht an der Hochschule für Musik. Sie bringen den angehenden Musikerinnen und Musi­ kern mit ihrer Erfahrung das Berufsfeld Orchester­ musik näher. Eine bereichernde Kooperation in der Basler Musikszene – seit Jahrzehnten.

Bild : Benno Hunziker

Bild : Barbara Frey

Promenade: Mahler-Klavierquartet

SONNTAG, 29. MAI 2016 11.00 Uhr, Gare du Nord

FREITAG, 17. JUNI 2016 FREITAG, 24. JUNI 2016 MITTWOCH, 29. JUNI 2016 19.30 Uhr, Stadtcasino, Basel


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Agenda MI 25.05.16 DO 26.05.16 19.30

Fünftes Coop- und Volkssinfoniekonzert Werke von Modest Mussorgski, Peter Iljitsch Tschaikowski und Edward Elgar SOB / Denis Matsuev / Rumon Gamba

Stadtcasino, Musiksaal

SO 29.05.16 11.00

Promenade: Mahler-Klavierquartett Gustav Mahler: Quartettsatz a-Moll für Klavier, Violine, Viola und Violoncello César Franck: Klavierquintett f-Moll Mitglieder des SOB / Dalia Stasevska

Gare du Nord

DI 31.05.16 12.00

Punkt 12: Offene Orchesterprobe SOB / Dennis Russell Davies

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

MI 01.06.16 DO 02.06.16 19.30

Sinfoniekonzert SOB: Lebensfülle Hans Werner Henze: Suite Die Zikaden (Uraufführung) César Franck: Variations symphoniques für Klavier und Orchester, M. 46 Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 SOB / Emanuel Ax / Dennis Russell Davies

Stadtcasino, Musiksaal

SO 05.06.16 11.00

Schwarz auf Weiss: Psalm at Journey’s End Music from Franz Grothe, Fritz Kreisler, Jules Massenet, Johann Sebastian Bach et al. Erik Fosnes Hansen: Excerpt from Psalm at Journey’s End Members of SOB / Christian Sutter

Basler Papiermühle

SO 05.06.16 17.00

Schwarz auf Weiss: Choral am Ende der Reise Musik von Franz Grothe, Fritz Kreisler, Jules Massenet, Johann Sebastian Bach u.a. Erik Fosnes Hansen: Ausschnitte aus Choral am Ende der Reise Mitglieder des SOB / Christian Sutter

Basler Papiermühle

DO 09.06.16 18.30–20.00

Mix & Mingle Symphony Club – English speaking social event Theme: Paul McCartney

Hotel Euler, Basel everybody’s welcome!

FR 17.06.16 FR 24.06.16 MI 29.06.16 19.30

Schlusskonzerte der Hochschule für Musik Basel SOB / Absolventen der HSM Basel

Stadtcasino, Musiksaal

FR 01.07.16 19.30

Abschied auf Zeit Musik aus dem Ballett Tewje SOB / Kolsimcha / Olivier Truan / Alexander Mayer

Stadtcasino, Musiksaal

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Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch


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