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LABOR

Für die Entwicklung neuer Synthesewege

Die künstliche Zelle auf einem Chip

Forschende der Universität Basel haben ein System entwickelt, um biochemische Reaktionskaskaden in Zellen nachzuahmen. Sie nutzen die Mikrofluid-Technik, um Mini-Reaktionscontainer aus Polymeren herzustellen. Nützlich ist diese «Zelle auf einem Chip» nicht nur für die Erforschung von Prozessen in Zellen, sondern auch für die Entwicklung neuer Synthesewege für chemische Anwendungen oder für biologische Wirkstoffe in der Medizin.

Um zu überleben, zu wachsen und sich zu teilen, sind Zellen auf eine Vielzahl verschiedener Enzyme angewiesen, die zahlreiche aufeinander folgende Reaktionen katalysieren. Wann bestimmte Enzyme in welchen Konzentrationen vorliegen und welches das optimale Mengenverhältnis zwischen ihnen ist, lässt sich aufgrund der Komplexität der Vorgänge in lebenden Zellen nicht bestimmen. Stattdessen dienen einfachere, synthetische Systeme als Modelle für die Untersuchung dieser Prozesse. Die synthetischen Systeme simulieren dabei die Unterteilung lebender Zellen in Kompartimente, also voneinander abgegrenzte Bereiche.

Grosse Ähnlichkeit mit natürlichen Zellen

Das Team von Prof. Dr. Cornelia Palivan und Prof. Dr. Wolfgang Meier vom Departement Chemie der Universität Basel hat nun eine neue Strategie zur Herstellung derartiger synthetischer Systeme entwickelt. Sie produzieren dazu verschiedene synthetische Mini-Reaktionscontainer, Vesikel genannt, die in ihrer Gesamtheit als Zellmodelle dienen. Davon berichten sie im Fachjournal «Advanced Materials». «Wir stützen uns hierbei nicht wie früher auf die Selbstorganisation der Vesikel, sondern haben eine effiziente Mikrofluid-Technik entwickelt, um enzymbeladene Vesikel kontrolliert zu produzieren», erläutert Wolfgang Meier. Die Grösse und die Zusammensetzung der Vesikel lassen sich mit der neuen Methode gezielt steuern, so dass in den unterschiedlichen Vesikeln dann – ähnlich wie in unterschiedlichen Kompartimenten einer Zelle – verschiedene biochemische Reaktionen ablaufen können, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Für die Herstellung füllen die Forscher die verschiedenen Komponenten der gewünschten Vesikel in winzige Kanäle auf einem Silizium-Glas-Chip. Auf dem Chip treffen sich alle Mikrokanäle an einer Kreuzung. Unter den richtigen, einstellbaren Bedingungen bilden sich am Kreuzungspunkt der Kanäle gleichgrosse Polymertropfen, die in einer wässrigen Emulsion schwimmen.

Präzise kontrollierbar

Die Vesikel bestehen aus einer Polymermembran als Hülle und einer wässrigen Lösung im Inneren. Gleich bei der Herstellung werden die Vesikel gezielt mit unterschiedlichen Enzymkombinationen befüllt. «Mit dieser neu entwickelten Methode können wir massgeschneiderte Vesikel herstellen und die gewünschte Konzentration der enthaltenen Enzyme genau einstellen», fasst Dr. Elena C. dos Santos, Erstautorin der Studie, die entscheidenden Vorteile zusammen. In die Membran integrierte Proteine fungieren als Poren und ermöglichen den spezifischen Ein- und Austritt von Verbindungen in und aus den Polymervesikeln. Die Porengrössen sind dabei so bemessen, dass sie nur die Passage spezifischer Moleküle oder Ionen erlauben. Prozesse, die in der Natur eng nebeneinander in einer Zelle ablaufen, lassen sich so getrennt untersuchen. «Wir konnten zeigen, dass das neue System eine gute Grundlage bietet, um enzymatische Reaktionsprozesse zu untersuchen», erklärt Palivan. «Sie lassen sich optimieren, um die Produktion eines gewünschten Endprodukts zu erhöhen. Zudem sind wir mit der Technik in der Lage, spezifische Mechanismen genau zu unter-

Mithilfe einer neuen Methode stellten die Forschenden drei unterschiedliche Vesikeltypen her, die zwar eine einheitliche Grösse haben, aber eine unterschiedliche enzymatische Fracht tragen.

suchen, welche bei Stoffwechselkrankheiten eine Rolle spielen oder welche die Umsetzung bestimmter Medikamente im Körper betreffen.» Die Arbeiten wurden vom Swiss Nanoscience Institute der Universität Basel, dem Schweizerischen Nationalfonds und dem Nationalen Forschungsschwerpunkt «Molecular Systems Engineering» unterstützt.

Originalpublikation E. C. dos Santos, A. Belluati, D. Necula, D. Scherrer, C. E. Meyer, R. P. Wehr, C. G. Palivan, W. Meier, «Combinatorial strategy for studying biochemical pathways in double emulsion templated cell-sized compartment», Advanced Materials (2020); DOI: 10.1002/adma.202004804

Kontakt Prof. Dr. Cornelia G. Palivan Universität Basel Petersplatz 1 CH-4001 Basel +41 61 207 38 39 cornelia.palivan@unibas.ch www.unibas.ch

Analysesystem prüft antivirale Oberflächen

Viren bleiben länger auf Kunststoff sitzen

Der Bedarf an Alltagsgegenständen mit antiviralen Oberflächen ist aufgrund der Covid-19-Pandemie gross. Bekannt ist, dass die Materialbeschaffenheit einen Einfluss auf die Überlebensfähigkeit von Viren auf Oberflächen hat. Hier knüpfen die Arbeiten des Fraunhofer-Instituts Ifam an: In interdisziplinären Forschungsprojekten wird die Wirkung bestimmter Oberflächen und Behandlungsverfahren bei Materialen auf die Überlebenszeit von Viren mittels Real-Time-PCR-Tests bewertet.

Die Dauer, die Viren auch ohne Wirtszelle überlebensfähig sind, hängt von vielen Faktoren ab. Hierauf haben vor allem die Umgebungstemperatur, die Luftfeuchtigkeit, UV-Strahlung sowie die Materialzusammensetzung und Eigenschaften einer Oberfläche einen signifikanten Einfluss. Zwar nimmt die Menge nachweisbarer Viren unter allen experimentellen Bedingungen ab, aber Untersuchungen zeigen auch, dass die Materialien sehr unterschiedlich lange infektiös bleiben. Während die Viren auf Kunststoff bis zu 72 Stunden und auf Edelstahl bis zu 48 Stunden überlebten, konnten auf Kupfer nach vier und auf Karton nach 24 Stunden keine Viren mehr nachgewiesen werden [1]. Das Ziel der Forschungsvorhaben am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (Ifam) ist es, das Ansteckungsrisiko durch Kontaktinfektionen von Alltagsmaterialien zu verringern. Zur Prävention werden antivirale Beschichtungen, Behandlungsverfahren oder Oberflächenmodifikationen eingesetzt. Interessierte Unternehmen können die Entwicklungsarbeiten begleiten oder auch ihre eigenen Materialentwicklungen testen lassen.

Einsatz der EchtzeitPolymerase-Kettenreaktion

Neue Lösungswege erfordern eine sichere Methode zur Prüfung der Wirksamkeit. Zu-

Bilder: Fraunhofer Ifam

Projektleiterin Linda Gätjen bereitet die Proben zur Bewertung von antiviralen Oberflächen auf.

Projektleiter Tim Heusinger von Waldegge prüft die Wirksamkeit antiviraler Oberflächen mittels quantitativer Real-Time-PCR-Analytik (qPCR) am Fraunhofer Ifam.

verlässige, schnelle und präzise Testverfahren sind daher wesentlich für die Entwicklung von antimikrobiellen Oberflächen. Das Fraunhofer Ifam setzt hierbei eine quantitative Echtzeit-PCR oder englisch «real-time PCR analysis» (qPCR) ein. Die qPCR ist eine Vervielfältigungsmethode für Nukleinsäuren, die auf dem Prinzip der herkömmlichen Polymerase-Kettenreaktion (PCR) beruht und zusätzlich eine Quantifizierung der gewonnenen Nukleinsäuren ermöglicht. Die Quantifizierung der untersuchten Proben wird mittels Fluoreszenzmessungen durchgeführt, die während eines PCR-Zyklus in Echtzeit erfasst werden. Die Fluoreszenz nimmt proportional mit der Menge der PCR-Produkte zu. Dies erlaubt es, die Effizienz der getesteten Oberflächen absolut und relativ zu vergleichen. Für die Laborarbeit mit Viren existieren aus gutem Grund strenge Sicherheitsbestimmungen. Eingesetzt werden daher Modellviren, welche aufgrund ihrer Struktur, Umweltstabilität und Desinfizierbarkeit vergleichbar, aber nicht humanpathogen sind. Zur Durchführung der Arbeiten verfügt das Institut über ein biologisches Labor der Sicherheitsstufe 2.

Originalpublikation [1] N. Van Doremalen et al., «Aerosol and surface stability of SARS-CoV-2 as compared with SARS-CoV-1», The New England Journal of Medicine (2020)

Medienmitteilung Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung Ifam www.ifam.fraunhofer.de

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