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ERNÄHRUNG

Die Nutrivolatilomik – wissenschaftliche Reise (Teil 2)

Ein Werkzeug für die Lebensmittelforschung

Im ersten Teil 1 dieses Artikels stand das Joghurt als Forschungsmodell im Mittelpunkt. Nun rückt der Konsument ins Zentrum. Das Forschungslabor Aroma-Analytik am Kompetenzzentrum für landwirtschaftliche Forschung Agroscope hat im Plasma und Urin von gesunden Personen potenzielle spezifische Biomarker bestimmt, die nach dem Konsum von pasteurisierter Milch, Käse Gruyère AOP oder eines Sojagetränks auftraten.

Pascal Fuchsmann ², Guy Vergères ²

Die Zusammensetzung von biologischen Flüssigkeiten wie Blut oder Urin tragen zu einem besseren Verständnis der gesundheitlichen Auswirkungen der Ernährung bei, da diese eine wichtige Quelle für Biomarker unseres Metabolismus sein können. In diesen Flüssigkeiten befinden sich zahlreiche Moleküle, die je nach Konzentration sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben können, weshalb sich deren Messung und Identifikation lohnt. Mit einer gezielten Analyse wird in der untersuchten Matrix nach bekannten Molekülen gesucht, um diese quantitativ zu bestimmen. Diese Strategie gibt nicht ein umfassendes Bild von den Auswirkungen eines Lebensmittels auf den Stoffwechsel, sondern erlaubt es anhand einer begrenzten Anzahl von Verbindungen die z. B. spezifisch für Diabetes oder Allergien sind, weitere Erkenntnisse über bekannte Mechanismen zu gewinnen. Die ungezielte Analyse hingegen ermöglicht die Quantifizierung aller mit der verwendeten Methodik nachweisbaren Verbindungen. Dieser Ansatz bietet daher einen sehr breiten Überblick über die gemessene Matrix mittels der analytischen «Omik»Technik, wie Genomik, Proteomik, Metabolomik oder Transkriptomik. Die Nutrivolatilomik ist eine neue, von der Metabolomik abgeleitete Methode zur Analyse von Flüssigkeiten Matrices (z. B. Blut, Urin usw.). Dabei werden alle Arten flüchtiger Verbindungen des menschli

¹ G. Vergères und P. Fuchsmann, «Ein Modell für die Lebensmittelforschung», S. 17 (Ausgabe 11/2020) ² Agroscope, Bern Bild 1: Das Design der randomisierten, kontrollierten Crossover-Studie. Testprodukte: Milch A, Käse B und Sojagetränk C.

chen Metabolismus erfasst, die aus Lebensmitteln stammen.

Untersuchung des Volatiloms von Plasma und Urin

Das Konzept der Nutrivolatilomik wurde kürzlich publiziert (siehe Originalpublikation am Ende des Artikels). In Urin bzw. Blutplasma wurden flüchtige Stoffe identifiziert, die als Biomarker für den Verzehr von bestimmten Lebensmitteln in Frage kommen. In dieser Studie konsumierten elf gesunde Freiwillige alternierend (Crossover) als Frühstück drei Testprodukte (600 ml pasteurisierte Milch, 100 g Gruyère AOP zusammen mit 500 ml Wasser bzw. 600 ml eines Sojagetränks). Die Teilnehmenden verzehrten die einzelnen Produkte im Abstand von jeweils einer Woche. Die Teilnehmenden verzichteten zwei Tage vor der Testphase auf alle fermentierten sowie Milch und Sojaprodukte und am Vorabend konsumierten sie eine Standardmahlzeit. Die Urin und Plasmaproben wurden in regelmässigen Intervallen gesammelt (0, 1, 2, 4, 6 und 24 h). Die Proben wurden anschliessend nach einem spezifischen Laborverfahren verpackt und gelagert, um unverfälschte Analyseergebnisse sicherzustellen. Um die flüchtigen Verbindungen zu extrahieren und zu messen, wurde die innovative Messmethode «Dynamic Headspace Vacuum Transfer Intrap Extraction» (DHSVTT) eingesetzt. Wie der Name der Methode vermuten lässt, werden dabei die flüchtigen Verbindungen unter reduziertem Druck dynamisch aus dem Kopfraum des Probegefässes über eine Nadel und ein spezifisches absorbierendes Polymer extrahiert. Diese Methode wurde sowohl bei allen biologischen Humanproben als auch bei den getesteten Lebensmitteln angewendet. Bei den Urinproben war eine Normalisierung erforderlich, um die unterschiedlichen Volumina bei der Probenahme auszugleichen. Durch die Festphasenextraktion mit einer Polymersäule (Solid Phase Extraction, SPE) konnten die Urinproben weiter konzentriert werden, um die Extraktion mittels DHSVTT zu optimieren. Die Plasmaproben konnten ohne vorherige Probenvorbereitung direkt mit DHSVTT extrahiert werden. Die extrahierten Stoffe wurden anschliessend durch Gaschromatographie gekoppelt mit Massenspektrometrie (GCMS) getrennt und gemessen, um die nachgewiesenen Analyten zu identifizieren und zu quantifizieren.

Tierische versus pflanzliche Metaboliten

Die Ergebnisse belegten die Effizienz der verwendeten Methode für den Nachweis

Bild 2: Die Kinetik von Biomarkern in Plasmaproben (Milch: orange, Käse: blau und Sojagetränk: grün).

mehrerer tausend flüchtiger Stoffe in Urinund Plasmaproben. Mit univariaten und multivariaten statistischen Methoden konnten insgesamt vier spezifische Verbindungen bestimmt werden, die in den Plasmaproben nach dem Verzehr eines der drei untersuchten Lebensmittel auftreten. Drei Ketone (Heptan2on, 3,5Dimethyloctan2on, Undecan2on) wurden als potenzielle Marker in Plasmaproben für den Verzehr fermentierter und nichtfermentierter Milchprodukte identifiziert. Eine einzige, nicht identifizierte Verbindung wurde in den Plasmaproben nach dem Konsum des Sojagetränks festgestellt. Nach 24 Stunden waren die Konzentrationen bei diesen Verbindungen wieder auf dem Ausgangszustand (0 h) (siehe Bild 2). Im Vergleich zum Plasma zeigten die Urinproben eine grössere Vielfalt von Verbindungen, die als potenzielle Lebensmittelbiomarker in Frage kommen. In diesen Proben konnten insgesamt mehr als 30 Verbindungen identifiziert werden, die spezifisch mit den getesteten Lebensmitteln auftraten. Der überwiegende Teil dieser Moleküle stammt von der Einnahme des Sojagetränks (22 Verbindungen). Diese Beobachtung lässt sich damit erklären, dass eine pflanzenbasierte Ernährung eine Vielzahl von Verbindungen aufweist, die sich deutlich von einer Ernährung mit Milchprodukten unterscheidet, deren Stoffe näher am Humanstoffwechsel sind. In den Urinproben wurden neun Moleküle nachgewiesen, welche für den Verzehr von Milchprodukten spezifisch sind. Bei diesen Molekülen handelte es sich im Wesentlichen um Ketone und freie Fettsäuren mit mittlerer Kettenlänge sowie um Phenolsäuren. Nur eine spezifische Verbindung für die Milchaufnahme, 3Ethylphenol, wurde im Urin identifiziert. Dieses Molekül lässt sich zwar auch nach dem Verzehr von Käse nachweisen, aber in geringerem Ausmass. Die Mehrheit der Verbindungen war bereits in den konsumierten Lebensmitteln vorhanden, was darauf hindeutet, dass sie nicht verstoffwechselt, sondern direkt mit dem Urin ausgeschieden werden. Bei den für das Sojagetränk spezifischen Metaboliten handelte es sich grösstenteils um Naphtalinderivate. Diese Verbindungen können vom menschlichen Organismus nur schwer verstoffwechselt werden und werden vermutlich in einer wasserlöslichen Form direkt mit dem Urin ausgeschieden.

Schlussfolgerung

Mit der DHSVTTMethode lässt sich schnell und kostengünstig eine Analyse flüchtiger Verbindungen durchführen, weil keine aufwendige Vorbereitung der Proben erforderlich ist. Die Analyse flüchtiger Verbindungen mittels DHSVTT ist eine effiziente Ergänzung der klassischen Metabolomik für ein umfassenderes Verständnis des menschlichen Stoffwechsels beim Verzehr tierischer oder pflanzlicher Lebensmittel.

Originalpublikation [1] P. Fuchsmann et al., «Nutrivolatilomics of Urinary and Plasma Samples to Identify Candidate Biomarkers after Cheese, Milk and SoyBased Drink Intake in Healthy Humans», J. Proteome res. (2020); DOI: 10.1021/acs.jproteome.0c00324

Kontakt Pascal Fuchsmann Leiter AromaAnalytik Mikrobielle Systeme von Lebensmitteln Agroscope Schwarzenburgstrasse 161 CH3003 Bern +41 58 463 82 60 pascal.fuchsmann@agroscope.admin.ch www.agroscope.ch

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Guter Wein hängt von vielen Faktoren ab

Sie tummeln sich in und auf den Trauben

Weltweit wird Wein für seine aromatische Komplexität und Variationsbreite geschätzt. Nur wenigen Menschen dürfte jedoch bekannt sein, dass Qualität, Geschmack und Aroma des fertigen Weins auch auf die Beteiligung von Bakterien am Gärungsprozess zurückzuführen sind. Ein Team an der Universität Hohenheim in Stuttgart hat sich nun mit den Faktoren beschäftigt, die für das Wachstum der Bakterien im gärenden Traubenmost verantwortlich sind.

Ursel Stuhlemmer ¹

Dass Wein wesentlich mehr ist als nur vergorener Traubenmost, dürfte den meisten Menschen bekannt sein. Rebsorte, Boden, Klima- und Wetterbedingungen, die verwendete Hefe und der Prozess der Weinherstellung selbst sind nur einige von vielen Faktoren, die ausschlaggebend für Qualität, Geschmack und Aroma des fertigen Weins sein können. Weit weniger bekannt ist jedoch, dass die aromatische Komplexität und Variation von Weinen auch auf Bakterien zurückzuführen sind, die – neben der Hefe – am Gärungs- oder Fermentationsprozess beteiligt sind. Dabei hat wohl jeder schon mal die Erfahrung gemacht, dass die lange, für besondere Momente aufgehobene Flasche «umgekippt», der Wein ungeniessbar wird. Essigsäure-Bakterien haben ihn in eine schlecht riechende und schmeckende Flüssigkeit verwandelt.

Auch Bakterien tragen zum Weinaroma bei

«Interessanterweise muss der Einfluss von Bakterien aber nicht nur negativ sein und zum Verderb des Weines führen, sondern kann auch positive Effekte auf die Qualität und Aromen-Vielfalt des fertigen Weines haben», erklärt Prof. Dr. Fricke, der die Studie leitete. Natürliche Quellen für diese Mikroben sind unter anderem die Pflanzenblätter und -wurzeln, der Boden sowie die Trauben an sich. Da Weinfarbe, Aroma und Geschmack durch die mikrobielle Fermentation des

Selbst Trauben haben ihr eigenes Mikrobiom.

Traubenmosts wesentlich beeinflusst werden, sind die Zusammensetzung und Funktion der Weinmikroben sowie ihre Abhängigkeit von Umwelteinflüssen von grossem Interesse. Bislang ist allerdings nur wenig über die einzelnen Bakterienarten bekannt, beispielsweise wie sie in den Wein gelangen, ob sie sich dort vermehren und welche aromatischen Unterschiede sie bewirken.

Selbst Trauben haben ein Mikrobiom

Anlass für das Forschungsteam, mit der Doktorandin und Erstautorin der Veröffentlichung Alena M. Bubeck dieser Frage nachzugehen. «Neue Methoden ermöglichen den Nachweis eines Mikrobioms dort, wo man es vorher nicht erwartet hat», erläutert Prof. Dr. Fricke. Dabei ist hier mit Mikrobiom die Gesamtheit aller Bakterien gemeint, die in oder auf den Trauben bzw. im daraus hergestellten Saft oder Most enthalten sind. Ein Ergebnis, das Prof. Dr. Fricke besonders freut: «Unsere Daten geben ausserdem Einblicke in die absolute Bakterienzahl im Wein. Frühere Studien haben meist nur die Verhältnisse der einzelnen Arten zueinander in Form von prozentualen Angaben beschrieben. Das erlaubt aber keine Rückschlüsse auf die Gesamtmenge an Bakterien im Wein und deren Veränderung im Laufe der Gärung.»

Versuchsmaterial aus dem Hohenheimer Weinberg

Die Forschenden um Prof. Dr. Fricke kooperierten mit Prof. Dr. Christian Zörb und Dr. Nikolaus Merkt vom Fachgebiet Qualität pflanzlicher Erzeugnisse. Die Trauben und der Most stammen vom universitäts-

eigenen Weinberg: «Wir untersuchten den Most von insgesamt sechs verschiedenen Chargen, zwei Rot- und vier Weissweinen, während der ersten Fermentationswoche», berichtet Dr. Merkt.

Rotweinmost enthält deutlich mehr Bakterien

Zwar fanden die Forscher in allen Weinen komplexe und variable Bakteriengemeinschaften, aber die beiden Rotweine wiesen eine deutlich höhere Bakterienvielfalt auf, die vor allem aus Milch- und Essigsäurebakterien sowie Bakterien aus der Umgebung bestand. Auch die absolute Anzahl an Bakterien erreichte dabei in den Rotweinen bis zu 10fach höhere Werte als in den Weissweinen. Prof. Dr. Fricke führt diese Unterschiede auf den Herstellungsprozess zurück: «Für die Weissweinherstellung werden rote oder weisse Trauben zerkleinert und gepresst, und nur der geklärte Saft wird zur Gärung verwendet. Für die Rotweinfermentation dagegen wird der Saft aus zerkleinerten roten Trauben gemeinsam mit Haut und Kernen eingesetzt.» Aber selbst beim Weisswein gibt es zwischen den einzelnen Sorten erhebliche Unterschiede. Und nicht nur dies: Eine Rebsorte stammte aus zwei verschiedenen Hohenheimer Anbaubereichen, von denen einer mit der Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) befallen war. Hier zeigte sich, dass die befallenen Reben eine weit höhere Bakterienvielfalt aufwiesen als die gesunden. Vermutlich sei die Schädigung der Traubenschale verantwortlich für das verstärkte Bakterienvorkommen, so der Experte. Ganz offensichtlich hängt also die mikrobielle Ökologie der Trauben weitgehend von ihrem Gesundheitszustand ab. So fanden die Forschenden die grösste Bakterienvielfalt vor allem im Most aus Trauben, die vor der Ernte Stress ausgesetzt waren. Auslöser dafür war zum einen der Befall mit dem Pilz Botrytis cinerea, der unter anderen Umständen auch für die sogenannte Edelfäule verantwortlich sein kann, und zum anderen der Befall mit der Kirschessigfliege, die die Traubenschale ansticht, um im Inneren der Trauben ihre Eier abzulegen. «Wenn es gelänge, diese Umwelteinflüsse besser zu verstehen und sogar zu steuern, hätten diese Bakterien möglicherweise das Potenzial, die aromatische Vielfalt des Weines gezielt zu modifizieren und zu erweitern», spekuliert Prof. Dr. Fricke.

Originalpublikation A.M Bubeck et al., «Bacterial microbiota diversity and composition in red and white wines correlate with plant-derived DNA contributions and botrytis infection», Sci Rep 10, 13828 (2020); https://doi.org/10.1038/ s41598-020-70535-8

Medienmitteilung Universität Hohenheim www.uni-hohenheim.de

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