I Thema und Quellenlage
Den Anstoß zu diesem Thema gab eine These Thomas Maissens, Heidelberg / Paris, die er vor den Mitgliedern der Internationalen Castellio Gesellschaft in Basel äußerte;1 nämlich dass die Bedeutung Castellios nicht darin bestehe, „dass er unser Vorläufer ist als toleranter Mensch, sondern dass er ein Querdenker war in seiner Zeit“. Sie führte zur Überlegung, ob sich Castellio wohl selbst als „Querdenker in seiner Zeit“ verstanden hat, und schließlich zur Frage nach seinem Selbstverständnis: Wie hat sich Castellio selbst gesehen in seiner Auseinandersetzung mit Calvin, die den größten Teil seines Lebens geprägt hat? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Denn es gibt nur wenige Zeugnisse Castellios, in denen er über sich selbst, seinen Lebensweg, seine Lebensverhältnisse oder über sein Selbstverständnis berichtet. Sie bestehen oft nur aus wenigen Worten oder aus kurzen Sätzen. Sie finden sich in einigen seiner theologischen Abhandlungen, in den entsprechenden Vorworten oder Widmungen, teilweise in seinen Streit- und Verteidigungsschriften gegen Johannes Calvin und dessen Vertrauten Theodor Beza. Auch die Aussagen der Zeitgenossen über ihn sind spärlich und oft verzerrt durch Sympathie oder Antipathie; denn Castellio war und ist bis heute „ein Mensch der Paradoxe“2 1
Thomas Maissen: Weshalb wir keine religiösen Ketzer verfolgen. Sebastian
Castellio in seiner Zeit und heute, Universität Basel, 5. 10. 2018 (PDF in www. Castellio.ch/aktivitäten, 12).
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Veen, Die Freiheit, 226.
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