Recht Transparent: Gläubigerschutz

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KAPITEL 1 KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT

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1 L ETIPAK Z I EWHCS E N E Z SS R UK NOK TLL ETS E GROV Z R UK

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INSOLVENZ UND ZAHLUNGSVERHALTEN

1. Insolvenz und Zahlungsverhalten Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte gibt Anlass zur Sorge. Zum einen ist ein markanter Anstieg der Konkurse zu beobachten. Zum anderen hat sich die Zahlungsmoral kontinuierlich verschlechtert. Beide Faktoren zusammen tragen zu einem rauen wirtschaftlichen Klima bei. Unternehmerisches Handeln ist heute mit grossen Risiken verbunden. Die Folgen dieser Entwicklung tragen aber nicht nur die Unternehmen. Am Ende muss die Allgemeinheit für die Kosten der Misswirtschaft aufkommen, und zwar in Form von höheren Sozialausgaben und den damit verbundenen steuerlichen Mehrbelastungen. 1.1 Wie haben sich die Konkurse in der Schweiz entwickelt? Die Zahl der Pleiten bei Privaten und Firmen hat sich in den letzten Jahren auf einem sehr hohen Niveau eingependelt. Eine Verbesserung ist nicht in Sicht. 12 000 11 000 10 000 9 000 8 000

6 000 5 000 4 000 3 000 2 000 1 000

1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

0

1322 1326 1515 1445 1415 1589 1414 1499 1367 1702 1394 1686 1428 1612 1643 1845 1915 2020 1845 2150 1873 2425 2055 2550 2001 2716 1919 3044 2180 3314 2631 3576 3545 4103 3952 5867 4451 6062 4183 6163 3820 5941 4156 6036 4552 4630 4363 4487 4196 4294 3842 4471 3613 4532 4002 4800 4539 5140 4955 5469 4751 5714 4528 5840 4314 6140 4221 6007

7 000

Privatkonkurse

Firmenkonkurse

Abbildung: Privat- und Firmenkonkurse in der Schweiz (Creditreform)

1.2 Wie gross ist der wirtschaftliche Schaden aus Konkursen? Gemäss dem Bundesamt für Statistik betrugen die Verluste aus erledigten Konkursverfahren im Jahr 2008 2 555 108 000 Franken. Diese Zahl bezieht sich aber allein auf die in Konkursen angemeldeten Forderungen. Darin nicht enthalten sind die Verluste aus erfolglos eingestellten Konkursverfahren, aus Pfändungen und

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Nachlassverträgen sowie aus nicht weiterverfolgten Zahlungsbefehlen. Die effektiven Verluste lassen sich also nur erahnen. Schätzungen gehen von über 10 Milliarden Franken aus. 5 000 000 000 4 500 000 000 4 000 000 000 3 500 000 000 3 000 000 000

2 555 108 000

3 363 853 000

3 039 808 000

4 452 501 000

4 698 216 000

3 552 807 000

3 665 763 000

3 723 763 000

3 955 169 000

4 326 000 000

4 382 000 000

4 313 000 000

3 872 000 000

4 017 000 000

2 843 000 000

2 467 000 000

1 310 000 000

1 500 000 000

1 596 000 000

2 000 000 000

1 400 000 000

2 500 000 000

1 000 000 000 Bundesamt für Statistik

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Abbildung: Verluste aus erledigten Konkursverfahren (Bundesamt für Statistik)

1.3 Wie steht es um die Zahlungsmoral? Mahnungen und Betreibungen werden viel eher in Kauf genommen als noch vor einigen Jahren. Schuldenmachen bis hin zum Betrug ist für so manchen zur Norm geworden. So wissen notorische Schuldner, dass Firmen kleine Forderungen lieber abschreiben, als sie auf dem zeitintensiven und kostspieligen Rechtsweg durchzusetzen. In der Schweiz leiden vor allem kleine und mittlere Unternehmen unter dieser Entwicklung. Ganz generell lässt sich in Sachen Geld ein gesellschaftlicher Wandel feststellen. Wir leben in einer Zeit, wo man alles sofort haben und konsumieren will. Auf die Dauer kann aber niemand mehr ausgeben, als er verdient. Der Wandel spiegelt sich auch in der Zahl der eingeleiteten Betreibungen. Die Zahlungsbefehle haben sich in der Schweiz seit 1980 mehr als verdoppelt. Das Bundesamt für Statistik meldet rund 2,5 Millionen Zahlungsbefehle pro Jahr. Und regionale Untersuchungen belegen, vier von fünf Rechnungen werden zu spät bezahlt. Der durchschnittliche Zahlungsverzug beträgt dabei gut 20 Tage. Eine von zehn Rechnungen bleibt schliesslich ganz unbeglichen.

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INSOLVENZ UND ZAHLUNGSVERHALTEN

Säumige Zahler gehen direkt zulasten der eigenen Liquidität. Im schlimmsten Fall gefährden sie die Existenz eines Unternehmens. Zudem gilt die Faustregel: Je länger eine Rechnung offen bleibt, desto geringer werden die Chancen, die Zahlung doch noch zu erhalten. 1.4 Welche Rolle spielt die Konjunktur? In den verschiedenen Konjunkturphasen wiederholen sich gewisse Verhaltensmuster. So liegt in Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums der Fokus der Akteure hauptsächlich auf der Befriedigung der steigenden Nachfrage. Typisch ist dabei der Verteilkampf um das grösste Stück Kuchen. Man will so viel Umsatz wie möglich erzielen. Entsprechend grosszügig sind die Konditionen für Kredite. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten dagegen werden jene Massnahmen verstärkt, welche die Rentabilität sichern. Dazu gehört besonders die Reduzierung der Debitorenbestände durch Kürzung von Kreditlimiten. Die Akteure wollen über möglichst viele liquide Mittel verfügen. Die Folge ist ein Dominoeffekt, der sich über alle Wirtschaftszweige hindurchzieht. Aufschwung

Krise

Allgemeine Tendenzen

Investitionsbereitschaft, Wachstumsstrategien, Produktionsausweitung

Kostenoptimierung, Personalabbau, Investitionsverzögerungen

Kreditmanagement

Systemintegration zur Optimierung der Anfragevolumen, Erhöhen der Kreditlimiten

Vorsicht, Pessimismus, Kostenbewusstsein, Liquiditätsengpass

Debitorenmanagement

Tendenzielle Vernachlässigung, Konzentration auf Neukunden, zaghaftes Vorgehen zur Vermeidung von Kundenabgängen, Ansteigen der Debitoren

Straffung der Abläufe, Massnahmen zur Liquiditätssicherung, Bearbeitung von Altbeständen, Ansteigen der Debitorenverluste

Abbildung : Verhaltensmuster im Kredit- und Debitorenmanagement

Aus Distanz betrachtet machen Krisen durchaus Sinn. Es kommt zu Bereinigungen in unrentablen Sektoren. Zunächst einmal trifft es Firmen, die über ihre Verhältnisse gelebt oder Risiken falsch kalkuliert haben. Aber auch Firmen, die rentabel wirtschaften, sind nicht vor dem Kollaps gefeit. Vor allem Klein- und Mittelbetriebe

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sind oft machtlos gegen Strukturrisiken. Grund ist meist ihre zu grosse Abhängigkeit von einzelnen Auftraggebern. Beispielhaft ist die gegenwärtige Lage der Zulieferer in der Autoindustrie. Mit verursacht werden solche Pleitewellen durch die zunehmende Spezialisierung und den wachsenden Kostendruck durch Billigproduktionen aus wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen. 2. Privatkonkurse Nach dem Jahr 1997 sind die Privatkonkurse zeitweise stark zurückgegangen. Grund dafür war nicht eine verbesserte Wirtschaftslage, sondern die auf den 1. Januar 1997 in Kraft getretene Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG). Damit wurden die Hürden für den Privatkonkurs erhöht. Der Schuldner muss dem Konkursrichter seither glaubhaft machen, dass keine Aussicht auf eine Schuldbereinigung besteht. Seit dem Jahr 2002 nehmen die Privatkonkurse wieder zu. 2.1 Welches sind die Ursachen für private Pleiten? Rund die Hälfte der Personen, über die in den letzten Jahren der Konkurs eröffnet wurde, steht mitten im Erwerbsleben. Die drei wichtigsten Ursachen für private Überschuldung sind Arbeitslosigkeit, Scheidung und Krankheit. Dazu kommt ein prekäres Konsumverhalten. Die Verlockungen in Form von Kleinkrediten und Leasing sind gross, wobei es den Konsumenten oft auch an Eigenverantwortung mangelt. Experten rechnen damit, dass die Zahl der Privatkonkurse in den nächsten Jahren noch weiter steigen wird. 2.2 Wer ist besonders gefährdet? Betroffen sind alle Altersgruppen. Spitzenreiter bei den Pleiten sind die 40- bis 60-Jährigen, wobei die Gruppe der Jungen und die Gruppe der Rentner mächtig aufholen. Unter den Geschlechtern sind nach wie vor die Männer klare Verlierer. Gut 80% aller Privatkonkurse gehen auf ihr Konto, wobei die Folgen einer Pleite natürlich auch eine Partnerin oder die Kinder zu spüren bekommen. In den letzten Jahren ist der Anteil der Frauen auffallend angestiegen. Hier sind besonders die Alleinerziehenden einem hohen Risiko ausgesetzt. Eine weitere besorgniserregende Tendenz ist die zunehmende Jugendverschuldung. Auch hier gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen spielt der Konsum-

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FIRMENKONKURSE

druck eine wichtige Rolle. Zum anderen haben viele Jugendliche den Umgang mit Geld nie richtig gelernt. Die Dunkelziffer in diesem Bereich dürfte gross sein. Solange die Jugendlichen noch im Haushalt der Eltern leben, können sie bei finanziellen Schwierigkeiten oftmals mit elterlicher Unterstützung rechnen. Sind sie erst einmal unabhängig geworden, droht ihnen dann der ungebremste Fall in die Schuldenspirale. 2.3 Kann ein Privatkonkurs die Probleme lösen? Wer bis zum Hals in Schulden steckt, glaubt vielleicht, mit einem Privatkonkurs alle Probleme ein für allemal zu lösen. Das aber ist ein Trugschluss. Am Ende des Verfahrens erhält jeder Gläubiger einen Verlustschein. Verjährungsfrist: 20 Jahre. Zudem kann diese Frist durch eine neuerliche Betreibung immer wieder verlängert werden. Das heisst: Auch nach einem Privatkonkurs fängt man nicht bei Null an. Früher oder später holt einen die Vergangenheit ein. 3. Firmenkonkurse Für eine Analyse der Firmenkonkurse ist wichtig zu wissen, wie viele Firmen es in der Schweiz überhaupt gibt. Im Jahr 2008 waren 475 395 Firmen im Handelsregister (HR) eingetragen und zwar mit folgender Zusammensetzung: 500 000 450 000 400 000 350 000 300 000 250 000 200 000 150 000 100 000 50 000 0

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Genossenschaft

14 174 14 162 14 083 13 839 13 590 13 221 12 975 12 529 12 198 11 860 11 609 11 306 10 977

GmbH

16 206 23 164 31 190 38 579 46 035 53 863 61 442 68 633 76 428 84 291 92 448 101 462 109 713

Kommanditgesellschaft Kollektivgesellschaft

3 549

3 523

3 299

3 192

3 118

2 917

2 836

2 727

2 665

2 632

2 617

2 504

2 441

16 734 16 703 16 793 16 460 16 360 15 862 15 680 15 455 14 951 14 524 14 662 13 934 13 750

Einzelfirma

131 285 134 815 138 466 140 900 142 314 142 579 144 839 147 311 148 263 148 982 150 050 152 388 154 626

AG

170 439 170 503 171 154 171 057 171 984 173 127 173 332 174 370 174 149 173 944 175 459 179 761 183 888

Abbildung: Im Handelsregister eingetragene Firmen (Bundesamt für Statistik)

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Dazu kommen rund 150 000 nicht im HR eingetragene Firmen. Es handelt sich dabei um Einzelfirmen, bei denen der Eigentümer als Privatperson mit seinem ganzen Vermögen haftet. Anzunehmen ist, dass viele dieser Einzelfirmen eintragungspflichtig wären. Denn grundsätzlich ist ein Eintrag im Handelsregister bereits ab einem Umsatz von 100 000 Franken vorgeschrieben. 3.1 Welche Rolle spielt die Rechtsform? Auffallend ist, dass die Insolvenzen bei den GmbH in den letzten Jahren am stärksten zugenommen haben. Eine der Ursachen dürfte im relativ geringen Kapitalbedarf zu suchen sein. Für die Gründung einer GmbH ist nur ein Stammkapital von 20 000 Franken erforderlich, das bis Ende 2007 nicht einmal voll einbezahlt werden musste. Es genügten 50%. Das Mindestkapital für eine AG beträgt immerhin 100 000 Franken, wovon die Hälfte zwingend liberiert werden muss. Eine weitere Ursache dürfte darin gelegen haben, dass die GmbH im Gegensatz zur AG keine Revisionsstelle benötigte. Die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Revision des Obligationenrechts führte zu einer Annäherung beider Gesellschaftsformen. Die GmbH benötigt zwar nach wie vor nur ein Stammkapital von 20 000 Franken. Dieses muss jedoch vollständig einbezahlt werden. Die Pflicht zur Einsetzung einer Revisionsstelle ist neu von der Rechtsform unabhängig. Sie richtet sich nur noch nach der wirtschaftlichen Bedeutung beziehungsweise Finanzkraft und Betriebsgrösse eines Unternehmens, nicht mehr nach dessen rechtlichem Gewand. Die Bedeutung der Rechtsform für das Insolvenz- und Konkursrisiko hat damit deutlich abgenommen. Die Grafik zeigt, dass das Insolvenzrisiko für eine GmbH im Jahr 2008 rund 15‰, für eine AG rund 7‰ betrug.

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FIRMENKONKURSE

20 18 16 14 12 10 8 6 4

Einzelfirmen 2003

AG

KG

2004

2005

KomG 2006

GmbH

2007

Übrige

8,5

9,1

9,6

10,2

10,8

10,1

0,7

0,5

0,5

0,8

1,0

0,9

15,1

15,7

17,0

17,5

19,7

19,4

1,2

2,7

1,9

4,1

4,4

3,2

3,2

2,3

3,5

3,1

4,5

2,9

7,1

7,3

7,9

9,5

10,7

10,7

8,7

10,8

11,0

11,2

9,6

0

10,9

2

Total

2008

Abbildung: Insolvenzrisiko nach Rechtsform (Creditreform) [pro 1000 Unternehmen]

3.2 Welche Branchen sind besonders gefährdet? Neben der Rechtsform spielt die Branche eine wichtige Rolle. Manche Geschäftsfelder sind gefährdeter als andere: 16 14 12 10 8 6 4

Bau 2003

Industrie Dienstleistungen Gross-/Detailhandel 2004 2005 2006 2007

Übrige 2008

8,7

9,1

9,8

10,4

11,1

10,4

1,4

1,3

1,8

1,7

1,7

1,8

10,1

11,0

12,4

13,0

14,3

12,2

9,1

10,0

10,4

11,6

12,1

11,1

7,1

7,5

8,0

9,0

9,7

10,9

13,3

12,3

13,2

13,1

14,0

0

13,5

2

Mittelwert

Abbildung: Insolvenzrisiko nach Branchen (Creditreform) [pro 1000 Unternehmen]

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3.3 Welche Rolle spielt das Alter einer Firma? Ein weiterer Faktor ist das Alter des Unternehmens. Die Gefahr, dass eine junge Gesellschaft Konkurs geht, ist weit höher als bei einer älteren. In den letzten Jahren zeigt sich hier jedoch eine markante Verschiebung: 60%

40%

40%

30%

20%

10%

0% 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

bis 2 Jahre

2 bis 10 Jahre

über 10 Jahre

Abbildung: Firmenkonkurse nach Alter (Creditreform)

Auffallend ist, dass 50% der Firmenkonkurse zwischen einem Firmenalter von 2 und 10 Jahren erfolgen. Besonders kritisch ist die Gründungsphase: Das Startkapital reicht oft nur für rund 2 Jahre. Ab einem Firmenalter von 10 Jahren geht die Konkurswahrscheinlichkeit stark zurück. Konkurse von Unternehmen, die älter als 20 Jahre sind, machen nur noch einen Anteil von 9,1% aus. 3.4 Wie entwickelt sich eine typische Firmenpleite? Der Eintritt einer Insolvenz läuft oft nach einem ganz bestimmten Muster ab. Die Grafik veranschaulicht die schrittweise Entstehung einer Zahlungsunfähigkeit. Wichtig zu wissen ist: Fast immer gibt es Warnzeichen, wie beispielsweise verspätete Zahlungseingänge oder Lieferschwierigkeiten.

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HAFTUNGSVERHÄLTNISSE

Kapitalgesellschaften (AG, KomAG, GmbH) Ertragsverminderung Absatzschwierigkeiten

Überschuldung

Unterbilanz

Verlust

Umsatzrückgang

Insolvenz

Einnahmenvermind.

Zahlungsschwierigkeiten

Zahlungsstockung

Zahlungsunfähigkeit

Personengesellschaften

Abbildung: Entwicklung einer Insolvenz (Rödl/Winkels)

4. Haftungsverhältnisse Wer haftet bei einem Forderungsausfall oder bei einer Vertragsverletzung? Die Antwort auf diese wichtige Frage richtet sich wesentlich nach der Person oder den Personen, die dem Gläubiger gegenüberstehen. Handelt es sich um eine natürliche Person, eine aus mehreren Personen bestehende Rechtsgemeinschaft (üblicherweise als Personengesellschaft bezeichnet) oder um eine sogenannte juristische Person (Körperschaft)? Privatperson

Gesellschaften

Rechtsgemeinschaften

Natürliche Person

Einfache Gesellschaft

Kollektivgesellschaft

Personengesellschaften Haftung: Natürliche Person

Kommanditgesellschaft

Körperschaften

Aktiengesellschaft

Gesellschaft mit beschränkter Haftung Haftung

Genossenschaft

Verein

Kapitalgesellschaften Haftung: Juristische Person

Abbildung: Rechtsformen (Meier /Forstmoser)

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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Kommanditaktiengesellschaft in der obigen Aufstellung fehlt. Sie kommt jedoch so selten vor, dass sie vernachlässigt werden kann. 4.1 Wie sieht die Haftung bei natürlichen Personen und Personengesellschaften aus? Natürliche Personen haften mit ihrem ganzen Vermögen für ihre Verbindlichkeiten, ebenso wie Mitglieder von Personengesellschaften für die Gesellschaftsschulden. Eine Ausnahme gilt für die Kommanditgesellschaft, deren Kommanditäre grundsätzlich nur bis zur Höhe der im Handelsregister eingetragenen Kommanditsumme in Anspruch genommen werden können; die Komplementäre haften hingegen unbeschränkt. Bei einfachen Gesellschaften (häufiges Beispiel: Arbeitsgemeinschaften, die gemeinsam ein Bauprojekt realisieren) spielt die persönliche Haftung direkt und unmittelbar. Mitglieder einer Kollektivgesellschaft können erst persönlich in Anspruch genommen werden, wenn sie in Konkurs geraten sind oder die Gesellschaft < z. B. durch Konkurs < aufgelöst oder erfolglos betrieben worden ist. In allen Fällen haften die Gesellschafter untereinander solidarisch, d.h., der Gläubiger kann jeden Einzelnen für seine gesamte Forderung in Anspruch nehmen. 4.2 Wie ist die Haftung bei juristischen Personen geregelt? Bei Körperschaften haftet für die Schulden der Gesellschaft grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen. Bei Genossenschaften und Vereinen können die Statuten jedoch eine persönliche Haftung der Mitglieder vorsehen. Die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung spielt eine wichtige Rolle bei der Wahl der Form eines Unternehmens. Sie erklärt auch die ausgesprochene Beliebtheit von AG und GmbH. Die Haftung bei den verschiedenen Gesellschaftsformen ist in der nachstehenden Abbildung zusammengefasst.

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REVISIONSSTELLE

Ausschliessliche Haftung der Gesellschafter

Einfache Gesellschaft

Gesellschafter haften subsidiär und unbeschränkt Haftung

Primäre Haftung des Gesellschaftsvermögens Gesellschafter haften subsidiär und beschränkt

Kollektivgesellschaft Kommanditgesellschaft

Komplementär

Kommanditgesellschaft

Kommanditär

GmbH

AG Ausschliessliche Haftung des Gesellschaftsvermögens

Genossenschaft*

Verein* * Je nach Ausgestaltung der Statuten haften die Gesellschafter auch beschränkt oder unbeschränkt.

Abbildung: Haftung bei den verschiedenen Gesellschaftsformen (Meier/Forstmoser)

4.3 Warum ist die GmbH beliebt? Die mit dem geringsten Mindestkapital ausgestattete Rechtsform der GmbH wird in vielen Fällen gewählt, um das Haftungsrisiko möglichst kostengünstig zu beschränken. Typisch ist der Fall des Arbeitslosen, der mit einer eigenen GmbH eine neue Existenz aufbauen will und dafür seine Dritte Säule plündert. Gerät seine Firma in Zahlungsschwierigkeiten, sind häufig nicht nur die Gläubiger die Geprellten, sondern auch der Unternehmer selbst. Er läuft nun Gefahr, durch den Verlust seiner Altersvorsorge zum Sozialfall zu werden. Die Folgekosten bezahlt die Allgemeinheit. 5. Revisionsstelle Die Revisionsstelle hat mindestens zu prüfen, ob die Jahresrechnung und gegebenenfalls die Konzernrechnung sowie der Antrag des Verwaltungsrates über die Verwendung des Bilanzgewinns dem Gesetz und den Statuten entsprechen (OR, eingeschränkte Revision). Sie ist weiter verpflichtet, bei einer offensichtlichen Überschuldung den Richter zu benachrichtigen, falls der Verwaltungsrat nicht handelt.

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Die Revisionsstelle gibt nicht nur den Aktionären Sicherheit, sondern indirekt auch den Geschäftspartnern eines Unternehmens. 5.1 Was brachten die letzten Gesetzesänderungen? Am 1. September 2007 ist das neue Revisionsaufsichtsgesetz (RAG) in Kraft getreten. Nach den neuen Bestimmungen sind «Laienrevisionen» nur noch in Ausnahmefällen zugelassen. Revisoren und Revisionsexperten müssen bestimmte Qualifikationen aufweisen und von der Aufsichtsbehörde zugelassen werden. Die Anforderungen an die Revisoren und die Art der Revision (ordentliche oder eingeschränkte Revision) richtet sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens. Gesellschaft

Art der Revision

Revision durch

Ordentliche Revision

Revisionsexperten

Kleinere Unternehmen

Eingeschränkte Revision

Revisor

Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden

Keine, wenn alle Aktionäre einverstanden

«Laienrevision»

Publikumsgesellschaften Konzernrechnungspflichtige Unternehmen Volkswirtschaftlich bedeutende Unternehmen

Abbildung: Revisionsarten für AG, GmbH und Genossenschaft

Die Pflicht zur Ernennung einer Revisionsstelle hängt nicht mehr von der Rechtsform ab. Jede Gesellschaft, welche die folgenden Kriterien erfüllt, muss eine Revisionsstelle haben, neu also auch die GmbH: Gemäss OR müssen folgende Gesellschaften ihre Jahresrechnung und gegebenenfalls ihre Konzernrechnung durch eine Revisionsstelle ordentlich prüfen lassen: % Publikumsgesellschaften % Gesellschaften, die zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren überschreiten:

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REVISIONSSTELLE

– Bilanzsumme von 10 Millionen Franken – Umsatzerlös von 20 Millionen Franken – 50 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt Besteht keine Verpflichtung zur ordentlichen Revision, so sind die Gesellschaften eingeschränkt zu prüfen. Gesellschaften, die im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 10 Vollzeitstellen haben, können die eingeschränkte Revision modifizieren oder völlig auf eine Revision verzichten. Umgekehrt können der eingeschränkten Revision unterliegende Unternehmen sich der ordentlichen Revision unterstellen. Ordentliche Revision ▲ Opting UP 10% der Aktionäre / Gesellschafter oder gemäss GV / Statuten Eingeschränkte Revision ▲ Opting IN Ein Aktionär kann dies verlangen

▼ Opting OUT Kann von sämtlichen Aktionären verlangt werden, wenn nicht mehr als 10 Vollzeitstellen

Keine Revision

▼ Opting DOWN Kann von sämtlichen Aktionären verlangt werden, wenn nicht mehr als 10 Vollzeitstellen Modifizierte eingeschränkte Revision

Abbildung: Opting-Möglichkeiten

Opting-Varianten: % Opting UP: Eine zur eingeschränkten Revision verpflichtete Gesellschaft ist ordentlich zu revidieren, wenn 10% der Aktionäre/Gesellschafter dies verlangen. % Opting IN: Eine nicht zur Revision verpflichtete Gesellschaft ist eingeschränkt zu revidieren, wenn ein Aktionär dies verlangt. % Opting DOWN: Gesellschaften, die nicht mehr als 10 Vollzeitstellen haben, können mit dem Einverständnis aller Aktionäre die eingeschränkte Revision zusätzlich einschränken. % Opting OUT: Gesellschaften, die nicht mehr als 10 Vollzeitstellen haben, können mit Zustimmung aller Aktionäre auf eine Revisionsstelle verzichten.

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KONKURSSZENE SCHWEIZ KURZ VORGESTELLT

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Mit der Einführung des RAG wurden auch die Anforderungen an die Revisoren neu geregelt. Die ordentliche Revision muss von einem entsprechend qualifizierten Revisionsexperten durchgeführt werden, die eingeschränkte Revision von einem zugelassenen Revisor. Der begrüssenswerte Einsatz ausgewiesener Spezialisten schützt aber nicht vor Geschäftspartnern, die aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Das heisst konkret: Die Revisionsstelle kann ein Unternehmen nicht vor Zahlungsschwierigkeiten oder anderen finanziellen Problemen bewahren. Sie kann nur verhindern, dass bei Untätigkeit des Verwaltungsrates wertvolle Zeit verstreicht und weiterer Schaden entsteht. Der Verwaltungsrat ist nämlich vom Gesetzgeber her verpflichtet, bei Kapitalverlust oder Überschuldung geeignete Massnahmen zu ergreifen. Versäumt er dies, so muss ihn die Revisionsstelle darauf aufmerksam machen oder – in letzter Konsequenz – den Richter über den Eintritt der Überschuldung informieren. 5.2 Kann Misswirtschaft bestraft werden? Leider gibt es immer wieder Organe von Aktiengesellschaften (AG) oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH), die ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Statt im Fall von Schwierigkeiten (wie vom Gesetzgeber gefordert) die Finanzlage professionell zu analysieren und die notwendigen Sanierungsmassnahmen einzuleiten beziehungsweise im Fall einer nicht abwendbaren Überschuldung Insolvenz anzumelden, versuchen sie mit betrügerischen Mitteln, einen drohenden Konkurs abzuwenden. Dabei werden Gläubiger oft massiv geschädigt. Die Zürcher Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte geht neuerdings mit einem Kurzverfahren gegen betrügerische Konkurse vor, und zwar unter dem Straftatbestand der Misswirtschaft. In diesem Zusammenhang können auch untätige Revisoren zur Rechenschaft gezogen werden.

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