3 minute read

Dichterliebe

Inhalt

Das Werk basiert auf Robert Schumanns gleichnamigen Liederzyklus, der 1861 in Hamburg von Julius Stockhausen und Johannes Brahms erstmalig in zusammenhängender Folge aufgeführt wurde. Schumann komponierte die Lieder um 1840 auf Texte von Heinrich Heine, die zuvor in Heines Buch der Lieder erschienen waren. Christian Jost tastet die Reihenfolge der 16 Lieder nicht an und lässt auch die Texte bis auf ein paar Wiederholungen und Umstellungen unverändert. Lediglich den von Schumann rein instrumental komponierte Epilog, setzt Jost in die Mitte seiner Dichterliebe und markiert hiermit den Wendepunkt innerhalb seiner Konzeption. Entscheidend anders ist die Besetzung. Schumann schrieb seine Lieder für Singstimme und Klavier. Jost hat die Besetzung auf Flöte, Klarinette, Vibraphon/Marimbaphon, Harfe, Klavier/Celesta, zwei Geigen, Viola und Cello ausgeweitet. Außerdem sind die Lieder untereinander verbunden. Durch Zwischenspiele ist der Zyklus, der bei Schumann etwa eine halbe Stunde dauert, auf etwa eine Stunde angewachsen.

Synopsis

The work is based on Robert Schumann’s eponymous lied cycle which was only performed in its entirety for the first time by Julius Stockhausen and Johannes Brahms in Hamburg in 1861. Schumann actually composed the lieder around 1840, utilising texts by Heinrich Heine which had previously been published in Heine’s Buch der Lieder.

Christian Jost does not alter the sequence of the sixteen lieder and also leaves the texts largely unchanged apart from a few repeats and smaller rearrangements. The only major alteration is Schumann’s purely instrumental epilogue which Jost places at the heart of his own Dichterliebe, thereby indicating the turning point in his own conception. The instrumentation however is completely different. Schumann wrote his lieder for voice and piano, whereas Jost has extended the musical forces to include flute, clarinet, vibraphone/marimbaphone, harp, piano/celesta, two violins, viola and cello. What is more, the individual lieder are interlinked, and the inserted interludes augment the cycle, increasing the duration of Schumann’s original version from around half an hour to a complete hour.

Kommentar

Christian Jost komponiert die Begleitung aus dichten wellenförmigen Legato-Passagen, aus denen die Solostimme auftaucht – wie ein Schiffbrüchiger, wie ein Ertrinkender, aber auch wie ein wackerer Schwimmer, der um sein Überleben kämpft. Der Komponist benutzt mit Vorliebe Wassermetaphern, um die neu komponierten Übergänge zu beschreiben: „Sie bilden das harmonische Meer, auf dem sich die Lieder wie Inseln ausbreiten können.“ Obwohl Jost genau wusste, dass sein Liederzyklus szenisch realisiert werden sollte – schon die Uraufführung im Berliner Konzerthaus war halbszenisch –, hat er daraus keine Oper gemacht. Es handelt sich bestenfalls um ein surreales Stationendrama, um eine „Inseldramaturgie“. „Alles bleibt im Fluss, einem klanglichen Strom des Unbewussten. Begleitet von assoziativen Visualisierungen öffnet mein Werk überraschend einzelne Fenster in die menschliche Seele.“

Dichterliebe ist auch eine Reflexion darüber, wie wir erinnern. Man wundert sich, wenn man in alte Tagebücher schaut, wie kindlich die Handschrift oder wie naiv der Tonfall ist. Warum? Die Erinnerung daran hat sich verändert. Sie wird ab dem Punkt des Erlebten schneller als man denkt zur fixen Projektion. Die Zwischenspiele in Josts Dichterliebe lösen die bei Schumann kristallin und für sich stehenden Bilder auf und geben sie sozusagen dem Meer des gegenwärtigen und heutigen Lebens zurück. Seine Fassung besagt, dass festgefrorene Erinnerungen aufgelöst werden können. Diese Lesart bekommt eine besondere Brisanz durch die Tatsache, dass Josts Ehefrau Stella Doufexis, für die er eigentlich seine Dichterliebe konzipierte, viel zu früh verstarb. Trauer kann versteinernd wirken, sie kann aber auch gelöst werden. Dichterliebe bringt Erinnerung in Bewegung. Von Dichterliebe ist auch eine Fassung für mittlere Stimme (Mezzosopran oder Bariton) lieferbar. Das Werk ist sowohl mit nur einem Sänger oder einer Sängerin als auch mit vielen Sänger:innen konzertant und szenisch in beiden Fassungen realisierbar.

Commentary

Christian Jost composed the accompaniment in dense wave-like legato passages from which the vocal line emerges – like a castaway almost drowning in a shipwreck, but also like a strong swimmer fighting for survival. The composer chooses metaphors linked with water to describe the newly composed transitional passages: ‘They form the harmonic ocean on which the lieder spread apart like a series of islands.’ Although Jost was aware that his lied cycle could also be staged – the world premiere in Berlin was actually given in a semi-staged version – he has not composed an opera. At best, it could be described as a surreal station drama, a type of ‘island dramaturgy’. ‘Everything remains in constant flux, a tonal stream of the unconscious. Accompanied by associative visualisations, my work opens unexpected individual windows of the human soul.’

Dichterliebe is also a reflection on how our memory works. When we look at old diaries, we are amazed at the immature handwriting and the naive content of the entries. Why is this? Our memories of events have become altered and have been transformed into a fixed perception directly after the point of experience faster than we realised at the time. The interludes in Jost’s Dichterliebe dissolve Schumann’s crystalline, self-explanatory images and allow them as it were to return to the ocean of contemporary life in our time. His version demonstrates that fixed memories can be dissolved. This interpretation is given particular poignance through the extremely premature death of Jost’s wife Stella Doufexis, for whom he specifically conceived his Dichterliebe. Grief can appear to be constructed of stone, and yet can also be dissolved. Dichterliebe sets memories into motion.

A version of Dichterliebe for medium voice (mezzo-soprano or baritone) is also available. Both versions of the work can be performed either by a male or female singer or with multiple voices, either in the concert hall or in a staged version.