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In Memoriam: Jack Nielsen

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JacK nIELSEn 1923-2020

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"96 Jahre sportlich, tüchtig, bescheiden, charmant"

Gian-Fadri Gattiker l SAS Zurich

Am 8. Mai 2020 hat sich unser Freund Jack Nielsen nach einem spannenden und langen Leben im 97. Lebensjahr für immer von uns verabschiedet.

Jack wurde in eine sportliche Familie hineingeboren, bei welcher Olympiateilnahmen beinahe zur Tradition gehörten: Sein Vater Jack Nielsen sen., Direktor einer Brauerei-Gruppe, war neunfacher Norwegischer Tennismeister, Davis CupSpieler und Olympiateilnehmer 1924. Jacks emanzipierte und kämpferische Grossmutter Kristine Dahl Troye – durch einen Internatsbesuch in der Schweiz inspiriert – wurde in ganz Norwegen bekannt, weil sie sich bereits 1895 für praktische Damen-Skibekleidungen einsetzte.

Jack wuchs in Oslo auf. Mit 15 Jahren schickten ihn seine Eltern in die Schweiz, wo er die Internatsschule Montana auf dem Zugerberg besuchte. Dort wurde er Schweizer Juniorenmeister im Langlauf. Kaum war 1939 der Krieg ausgebrochen, rief ihn seine besorgte Familie in die Heimat zurück, wo er alsdann die Maturität machte und anschliessend an der Universität Oslo ein Chemiestudium begann.

norwegens freiheitskampf

Es sei daran erinnert, dass unsere älteren norwegischen Freunde – im Gegensatz zu Schweizer SASlern – in einem Land gross wurden, das im Zweiten Weltkrieg vom HitlerRegime überfallartig und gewaltsam besetzt wurde.

Mit dem strategischen Ziel, die Nordmeer-Häfen für sich in Anspruch zu nehmen, überfiel die deutsche Wehrmacht unter dem Decknamen "Weserübung" am 9. April 1940 die neutralen Länder Dänemark und Norwegen. Damit wollte Hitler einer englischen Einflussnahme zuvorkommen. Langfristig sollten Norwegen und Dänemark in ein "Grossgermanisches Reich" auf dem Europäischen Kontinent eingegliedert werden.

Dänemark kapitulierte unter Verbleib der Königsfamilie umgehend. Die norwegische Milizarmee hingegen wehrte sich – unterstützt durch England und Frankreich und angeführt von König Haakon VII. – hartnäckig bis am 10. Juni 1940. Dann wurde die Übermacht zu gross. Es gelang dem König und seiner Regierung, auf einem britischen Kriegsschiff das Land zu verlassen und in London

eine Exilregierung zu bilden. In Norwegen amtete ab 1942 Vidkun Quisling als Ministerpräsident einer Marionettenregierung. Nach dem Krieg wurde er wegen Kollaboration und Verrat hingerichtet.

flucht und ausbildung zum Kampfpiloten

Im freiheitsliebenden Norwegen regte sich von Anfang an Widerstand gegen die Besatzung. Am 28. Februar 1943 verübten norwegische Widerstandskämpfer mit britischer Hilfe einen spektakulären Sprengstoffanschlag auf die für das deutsche Atomprogramm wichtige Schwerwasser-Anlage der Norsk Hydro in Rjukan/Telemark. Auch eine Eisenbahnfähre über den Tinnsjö wurde versenkt.

Gemeinsam mit einem guten Freund entschied sich auch Jack Nielsen für den Widerstand. Sie versteckten sich vor dem Zugriff für ein Arbeitslager und liessen sich im Winter 1944 hinter Fässern des väterlichen Biertransporters versteckt bis an die schwedische Grenze bringen. Im verschneiten Hochland gelang ihnen bei Nacht und Schneegestöber auf Langlaufskis die risikoreiche Flucht über die mit Wachtposten und Hunden gesicherte Grenze. Die vom neutralen Schweden nach England eingerichtete "Airbridge to London" brachte sie nach Grossbritannien. Hier vermittelte die norwegische Exilregierung Jack eine Ausbildung zum Kampfpiloten. In Kanada bildete die Royal Norvegian Air Force (RNAF) mit 20 Trainingsflugzeugen vom Typ Fairchild PT-19 unter dem Motto "The Spirit of Little Norway" junge Piloten aus. Drei Monate vor Kriegsende kehrte Jack mit dem besten Abschlussresultat nach England zurück – und kam glücklicherweise nicht mehr zum Einsatz. Nach dem Krieg nahm er das Chemiestudium, allerdings jetzt an der ETH Zürich, wieder auf.

Um olympisches gold gebracht

Jack qualifizierte sich als Norweger für die Olympischen Spiele 1948 und erzielte im Slalom den 26. Rang. An den Ski-Weltmeisterschaften in Aspen/ USA 1950 belegte er in der Abfahrt den 20. Rang – fünf Sekunden vor seinem Landsmann Stein Eriksen, der in den Folgejahren zum berühmtesten Skisportler Norwegens avancierte.

Anschliessend qualifizierte er sich auch für die Olympischen Spiele Oslo 1952. Er wurde jedoch infolge einer Meinungsverschiedenheit mit seinem Trainer bezüglich "Trainingsintensität" zum Vorfahrer degradiert. Zum Ärger des Trainers fuhr er als Vorfahrer im Slalom allerdings schneller als der österreichische Goldmedaillengewinner Othmar Schneider und natürlich auch schneller als Teamkollege und Silbermedaillengewinner Stein Eriksen. Aus SASler Sicht wurde unser Jack quasi um Olympiagold gebracht.

auch im SaS geschichte geschrieben

Jack war zweimal verheiratet. Von seiner früh verstorbenen ersten Frau hat er die Söhne Greg und Robert. In zweiter Ehe war er mit der inzwischen ebenfalls verstorbenen Romi Zellweger zusammen, mit welcher er an zahlreichen SAS-Anlässen teilnahm. Jack stiess anfangs der 1950-er Jahre zum SAS. Sein sportliches und stets auch von Fairness und Charme begleitetes Talent beschränkte sich nicht nur auf das Skifahren: Er war auch erfolgreich auf Tennis- und Golfplätzen.

Beruflich war Jack im Anschluss an das Chemiestudium anfänglich für Shell tätig. 1965 wechselte er zu Dow Chemical, Horgen/ZH, wo er bis zur Pensionierung führende Positionen bekleidete. Seine letzten Jahre verbrachte Jack Nielsen in einer Altersresidenz in Forch, wo ich ihn 2019 letztmals traf. Er unterhielt sich an jenem Abend mit einem anderen dort ansässigen SASler: Max Steinebrunner. Beide Persönlichkeiten, welche – jede auf ihre Weise – im SAS Geschichte schrieben.

Jack wird uns als Freund nicht nur wegen seiner ungewöhnlichen und spannenden Lebensgeschichte in Erinnerung bleiben, sondern auch weil er als hervorragender Sportler die Ideale Freiheit, Mut, Kameradschaft und Bescheidenheit verkörperte, die im SAS einen hohen Stellenwert geniessen.

1

2

3 4

1 Jungfraujoch Gletscherslalom 1948.

2 Ski-WM 1950, Aspen, USA - Stein Eriksen, links aussen, Jack Nielsen ganz rechts

3 Olympische Spiele 1948.

4 Zum Vorfahrer verknurrt!