Ein Gefühl, auf das das Team jahrelang hingearbeitet hat: Felix Baumgartner springt aus der Stratosphäre.
6.3 BILD: LUKE AIKINS/ RED BULL STRATOS
7 Minuten, 52 Jahre Ein Sprung aus der Stratosphäre ist wie die Besteigung des Mount Everest: Felix Baumgartner über seinen Sprung aus 72.000 Fuß (ca. 22 km), die Unmöglichkeit, Überschallflug zu trainieren, und seine echten Sorgen. Von Felix Baumgartner
D
er Himmel ist tiefschwarz. Du siehst die Erdkrümmung. In diesem Moment ist dir bewusst, wie privilegiert du bist, hier heroben stehen zu dürfen, auf der Plattform der Kapsel in beinahe 22 Kilometer Höhe, und gleich zu springen. Du bist erleichtert, endlich hier zu stehen. Erleichtert, endlich zeigen zu können, wofür wir fünf Jahre gearbeitet haben. Erleichtert, den Menschen, die immer an uns geglaubt haben, etwas zurückzugeben. Dann lässt du die Handläufe los und springst ab, genau wie du es dir millionenfach ausgemalt hast. Der Moment des Frei-Stehens und Losspringens, die ersten sechs Sekunden Freifall, wo du noch nicht genau weißt, wie dir geschieht: Das war richtig geil. Nach sechs Sekunden bin ich vornüber gekippt, bis ich am Rücken lag. Der hohe Schwerpunkt mit den Sauerstoffflaschen, dem Fallschirm und dem massiven Chest Pack hat mich in diese Lage gebracht. Ich hatte mir vorgenommen, nicht gegen die ungewohnte und eigentlich falsche Sprunghaltung zu kämpfen. Weiter unten, wenn die Luft dicker wird, würde ich Möglichkeit genug haben, meine Position zu korrigieren. „Just ride it out“, nennt es Luke Aikins, und tatsächlich konnte ich kurz danach eine stabile Sprungposition einnehmen.
Nach sechs Sekunden freien Falls hatten wir also bereits ein Rätsel gelöst, nämlich jenes, in welche Position ich nach dem Absprung geraten würde. Das hatten uns unsere Bungee-Testsprünge nicht sagen können, denn am Seil ist der Spaß bereits nach zwei Sekunden vorbei. Für den Rekordsprung bedeutet das, dass es mir unter Umständen passieren kann, dass ich die Schallmauer in Rückenlage durchbreche, blind und hilflos. Nichts, was man sich wünscht, aber dieses Horrorszenario ist nicht auszuschließen. Was beim Durchbrechen der Schallmauer genau passiert, weiß auch die Wissenschaft nicht. Antizipieren ist schwierig, weil ich nicht weiß, was ich vorwegnehmen soll. Dazu kommt der Druckanzug, der meine Reaktionsschnelligkeit zunichtemacht. Springen mit dem Druckanzug ist
wie Gehen unter Wasser, sehr langsam und anstrengend. In einer Umgebung, die vom Athleten hundert Prozent fordert, limitiert ihn das überlebensnotwendige Equipment auf dreißig Prozent seiner Fähigkeiten. Überschall zu fliegen kann man nicht trainieren. Wenn ich nach ganz oben aufbreche, werde ich bei meinen beiden Testsprüngen gerade sieben Minuten Trainingszeit im Freifall aus großer Höhe gesammelt haben: drei beim ersten Sprung, vier beim zweiten. Sieben Minuten Erfahrung, um einen 52 Jahre alten Rekord zu brechen: Das muss man einmal in Relation setzen. Ich muss mir mein Rüstzeug für die große Höhe schnell holen: erstens, wie sich das Fliegen anfühlt, zweitens mit der psychischen Belastung jenseits der Armstrong-Linie umzugehen, 61