B O U L E VARD DER HEL DEN
MATA HARI
TRIUMPH DER EINBILDUNGSKRAFT
Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit. Folge 18: Eine geheimnisvolle Spionin, die ihren Mythos selbst erfand.
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THE RED BULLETIN
BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT
GETTY IMAGES (4)
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MICHAEL KÖHLMEIER
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ochstaplerinnen – kennt jemand Was aber waren ihre Heldentaten? Ant wort: Sie hat keine Heldentaten begangen. eine? Wir sind gewohnt, die An Ihre einzige „Heldentat“ war, sich ein tri geberei in großem Stil von Män nern vorgeführt zu bekommen. umphales Image zu bauen. Wer war diese Und dann erscheint eine Frau, die Frau? Wer war sie wirklich? stellt sie alle in den Schatten, sogar ihren igentlich hieß sie Margaretha Geer Nachruf scheint sie noch zu manipulieren: truida Zelle. Sie stammte nicht aus Mata Hari, die schöne Agentin, die exzen MICHAEL KÖHLMEIER Der Vorarlberger Indien oder einem anderen exotischen trische Tänzerin, die Doppelagentin gar – Bestsellerautor gilt Land, wie viele glaubten und glauben woll eine geheimnisvolle Frau, der man zutraute, als bester Erzähler ten und glauben sollten, sondern aus Leeu den Verlauf, wenn nicht gar den Ausgang deutscher Zunge. warden in Holland, dort wurde sie 1876 des Ersten Weltkriegs beeinflusst zu haben. Zuletzt erschienen: geboren. Ihr Vater war Hutmacher und Lügen halten sich in der Geschichte der Roman „Matou“, muss eine ebenso exzentrische Persönlich nicht. Heißt es. Irgendwann werden sie auf 960 Seiten, gedeckt, und bald wird vergessen, was sie Hanser Verlag. keit gewesen sein wie seine Tochter später, uns eigentlich erzählen wollten. Bei Mata reich und einflussreich war er, durchaus Hari ist es umgekehrt: Die Wahrheit über sie und auch angesehen und immer wieder zu theatralischen ihre Taten war von Anfang an bekannt, war immer Späßen aufgelegt. Sein Töchterchen, liebevoll „Grietje“ bekannt; aber die Wahrheit wurde vergessen, der genannt, fügte er in seine großspurig theatralischen Mythos, die Legende hielt stand. Der melodramatische Auftritte ein, zum Beispiel, als er die Dreijährige Wunsch, eine schöne, begehrenswerte, hingebungs in einer kleinen, extra angefertigten goldbemalten volle, zugleich raffinierte, mit aller List und Hinter Kutsche von zwei weißen Ziegen durch die Straßen list begabte Frau hält in gefährlicher Zeit die Politik ziehen ließ, nur um den Bürgern zu beweisen, dass eines ganzen Kontinents in Atem, dirigiert die hart kein anderer Vater erstens sein Kind so sehr liebt und gesottensten Männer, schreibt Geschichte – dieser verwöhnt, zweitens – eigentlich erstens –, dass kein Wunsch hat die Realität besiegt: Mata Hari wurde anderer Mann sich solchen Luxus leisten kann. Dem zu einer dunklen Heldin. Kindchen scheint es gefallen zu haben. Als erwachsene Bücher wurden über sie geschrieben, Theaterstücke, Frau noch erinnert sie sich immer wieder an diesen ein Ballett wurde choreographiert, viele Lieder wurden Sonntagnachmittag, und sie teilt ihre Erinnerungen komponiert und getextet, Filme gedreht – wenigstens ihrem Publikum mit – dann spielt die Szene einmal in Indien, aus den Ziegen werden Elefanten, ein ander zehn, der bekannteste 1931 mit Greta Garbo in der mal wird sie von Affen in einer Sänfte getragen. Oscar Hauptrolle, 1964 wurde sie in einem französischen Wilde sagte einmal, wir lieben Männer mit Zukunft Film von Jeanne Moreau verkörpert, der vorläufig und Frauen mit Vergangenheit, schon mit siebzehn letzte Film kam 2017 in die Kinos. Sogar eine Spiri Jahren inszenierte sich Margaretha Geertruida als tuose trägt ihren Namen, ein Videospiel ebenfalls.