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DAS PHILOSOPHEN-INTERVIEW

JEAN-JACQUES ROUSSEAU SAGT:

„Wer frei sein will, sollte zu Fuß gehen“

Fast jeder träumt von der großen Freiheit. Etwa davon, mit dem Wohnmobil die Welt zu entdecken. Mit dem Thema Freiheit kennt sich der in Genf geborene Aufklärungsphilosoph Jean-Jacques Rousseau bestens aus. Im fiktiven Gespräch mit dem deutschen Philosophen Christoph Quarch verrät er, wie man als Reisender wirklich frei sein kann.

the red bulletin: Herr Rousseau, Sie haben sich viele Gedanken darüber gemacht, was Freiheit eigentlich wirklich bedeutet. Heutzutage versprechen sich eine Menge Menschen Freiheit davon, im Wohnmobil durch die Welt zu reisen. Können Sie diesen Wunsch nachvollziehen?

jeanjacques rousseau: Gewiss, mein Herr, den Wunsch nach Freiheit kann ich gut verstehen. Nicht zufällig beginnt mein berühmtestes Buch mit den Worten: „Der Mensch ist frei geboren, doch überall liegt er in Ketten.“ Und dabei dachte ich nicht nur an die Ketten der feudalistischen Gesellschaftsordnung, die zu meiner Zeit so viele Menschen in Knechtschaft hielten und die zu sprengen das Anliegen der Revolutionäre von 1789 war, die sich auf mich beriefen. Nein, mehr noch dachte ich an die Ketten, die sich die Menschen mit ihren Konventionen und Gewohnheiten selbst schmieden. Wer immer diese Ketten abstreifen will, wird meinen Segen haben.

Verstehe, Sie sind ein Freund aller Aussteiger und Individualisten. Aber wie steht es mit Caravaning, also dem Reisen im Wohnmobil: Wäre das Ihr Ding?

Ganz sicher nicht. Denn wenn ich diese Art des Reisens näherhin betrachte, scheint sie mir denen, die sich ihr JEAN-JACQUES ROUSSEAU (1712–1778) war einer der meistergeben, keineswegs die Ketten abzustreifen, sondern verfolgten Männer Europas. Egal was er schrieb: Die Gelehrtenihnen vielmehr neue, unsichtbare Ketten anzulegen. welt, die Obrigkeit und die Kirche waren gegen ihn. Deshalb war Denn sie sind gebunden an die Straßen und Plätze, er zeit seines Lebens auf Wanderschaft. Frieden war ihm immer für die ihre komischen Fahrzeuge geeignet sind. Das nur für befristete Perioden gegönnt, etwa für die Zeit, die er schränkt ihre Freiheit außerordentlich ein. Wenn man sich frei in der Welt bewegen will, dann sollte man mit seiner Frau auf einem Bergbauernhof in Südfrankreich verbrachte. Dort konnte er das naturverbundene Leben führen, nach dem er sich immer gesehnt hatte. zu Fuß gehen. So wie es die Menschen taten, bevor ihre zivilisatorische Irrfahrt begann. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor

zahlreicher philosophischer Bücher, zuletzt: „Kann ich? Darf Aber Herr Rousseau, bedenken Sie, wie bequem ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltägliche Fragen“, es ist, in einem Wohnmobil zu reisen. Erinnern legenda Q 2021.

Sie sich doch nur an die schäbigen Spelunken des 18.Jahrhunderts, in denen Sie absteigen mussten…

Jaja, so denkt ihr Bürger der modernen Welt – und merkt gar nicht, was für einen Unsinn ihr verzapft. Bequemlichkeit, mein Herr, ist aller Freiheit Tod. Freiheit heißt, sich aller Bequemlichkeit zu entäußern: den ganzen materiellen und mentalen Kram zurückzulassen, den man über die Jahre angehäuft hat – all das Zeug, was du vermeintlich mit dir führen musst, all die Konzepte davon, was du angeblich gesehen haben musst. Weg damit! Je weniger du bei dir hast, desto besser. Zieh die Schuhe aus und geh in den Wald, dann bist du frei.

Machen Sie so etwas?

Aber sicher! Immer, wenn ich einen klaren Gedanken fassen will, verlasse ich die Komfortzone meiner vier „Mit dem Wände und gehe nach draußen. Wohnmobil streift man keineswegs die Dann lausche ich darauf, was mir die Natur zu sagen hat. Würde ich im Wohnmobil durch die Gegend Ketten ab, sondern fahren, begegnete ich immer legt sich neue, nur mir selbst – sogar, wenn ich unsichtbare an.“ irgendwo am Nordkap parken würde.

Aber Sie könnten dann doch aussteigen und einen Spaziergang machen?

Vergessen Sie’s, mein Freund. Bei einem Spaziergang um seinen Camper hat noch keiner seine wirkliche Freiheit gefunden. Solange er an das gebunden bleibt, was er besitzt, liegt der Mensch in Ketten – oder steckt im goldenen Käfg seines Wohnmobils. Und je weniger er das weiß, desto unfreier ist er.

Elegance is an attitude

Simon Baker

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