Blätterexemplar 2509

Page 1


einfach gut leben in Stadt & Land

Heilkräuter aus den Dolomiten

Wie Martha Mulser hoch oben zur Pionierin wurde

Beim Pilgern zu sich finden

Drei Tage, 70 Kilometer: Wallfahrt nach Mariazell

Paula Bründls bunte Bodenschätze

So köstlich schmecken uralte Erdäpfelsorten

Meine Zucchini brauchen mich

Kurzgeschichte von Doris Knecht

Zeit der Dankbarkeit

Danke in Ähren

In der Kärntner Gemeinde Ebene Reichenau wird jedes Jahr im September ein alter Brauch lebendig: Aus duftendem Heu und bunten Blüten entsteht die Erntekrone der Landjugend.

TEXT: SUSANNE ÜBEREGGER FOTOS: KARIN LERNBEISS

Eckhard Steier und Stefan Schmölzer stemmen die fertig gebundene Erntekrone probehalber in die Höhe –prima, alles hält.

Zwölf Monate lang hat sie in einem Kämmerchen im Pfarrheim geduldig auf den September gewartet – bis Leonie Krammer und Jakob Blasge sie früh am Morgen vom Pfarrer abgeholt haben: die Erntekrone aus dem Vorjahr, die nun am Holztisch vor dem ehemaligen Bauernhaus thront.

Die Herbstsonne scheint wohlwollend vom blauen Himmel. Auf der Veranda liegt bereit, was die Mädchen und Burschen der Landjugendgruppe von Ebene Reichenau, einer 1.800-Einwohner-Gemeinde in den Kärntner Nockbergen, zum Schmücken der neuen Krone brauchen: Chrysanthemen, orange leuchtende Lampionblumen, Vogelbeeren, violette Herbstastern, gelbe Sonnenblumen und frisches Zirbenreisig. Hoch oben beim Obervostlhaus, einem urigen Bergbauernhaus auf 1.500 Meter Seehöhe, haben sich die Jugendlichen versammelt. In der Luft hängt der würzige Duft von frischem Heu und getrockneten Gerstenähren – und von süßem Gugelhupf. Den hat Selina Brettner in weiser Voraussicht zur Stärkung mitgebracht. Bevor die sechs herzförmig zusammenlaufenden Halbbögen der Krone aufgehübscht werden, wird das verblasste Korn und Heu aus dem Vorjahr abgenommen. Dann zieht

Anna-Lena Huber mit sanftem Ruck den Draht über einem Büschel aus rosalila Blüten von Fetter Henne und weißen Hortensien gekonnt fest – nicht zu straff, aber auch nicht zu locker. Das frische Zirbenreisig zwicken die Burschen

auf eine brauchbare Länge – wegen des Harzes eine klebrige Angelegenheit. Eckhard „Ecki“ Steiners Mama Heidi stellt genau im richtigen Moment eine Flasche Speiseöl auf den Tisch. „Damit bekommt ihr die pickigen Hände wieder sauber“, sagt sie und verschwindet gleich wieder ums Hauseck. Sie will nicht weiter bei der Arbeit stören.

Was treibt die jungen Leute an, diese alte Tradition mit so viel Hingabe zu pflegen?

Denise Brettner muss nicht lange überlegen: „Das Schönste ist, dass wir durch unsere gemeinsamen Aktivitäten zusammenwachsen und Freundschaften fürs Leben mitnehmen.“

Ein schlichtes Kreuz als krönender Abschluss So, wie es beim Bewirtschaften der Felder und beim Einbringen der Ernte gemeinsame Kräfte braucht, ist auch das Binden der Krone nur durch das Zusammenspiel vieler Hände möglich. Zahlreiche kleine Arbeitsschritte fügen sich harmonisch aneinander, und am frühen Nachmittag ist es geschafft: Zum krönenden Abschluss stülpen die Binderinnen den Blumenkranz über das schlichte Holzkreuz in der Kranzmitte.

Beim Erntedankfest in Ebene Reichenau am 28. September wird die prachtvolle Krone in der Kirche St. Martin ganz vorn im Altarraum stehen. Als ein mit Händen gebundenes Symbol der Dankbarkeit und Zeichen der sichtbaren Gewissheit, dass das Jahr für die Bauern wieder ein gutes war. ✽

Die Gaben für die neue Erntekrone liegen bereit. So kann sich die Landjugendgruppe Ebene Reichenau gleich ans gemeinsame Werk machen.

Im Bild oben (von links): Denise, Anna-Lena, Florian, Eckhard, Jakob, Lena, Stefan, Selina, Leonie und Lorena.

Die Saat ist aufgegangen

Martha Mulser wagte in St. Oswald inmitten der Südtiroler Dolomiten ein Experiment: Sie baute auf den steilen Hügeln des Pflegerhofs in großem Stil Heilkräuter an und wurde damit zur Pionierin.

40 Jahre später führt Tochter Cornelia den Hof.

TEXT: BARBARA REITER FOTOS: MIRCO TALIERCIO

Jeden Morgen steht Martha Mulser am Fenster und erlebt einen Augenblick des Glücks: Kurz vor sechs Uhr früh schaut sie vom Pflegerhof hinauf auf den 2.563 Meter hohen Schlern, der im Licht der aufgehenden Sonne besonders erhaben aussieht. „Wenn Gäste kommen und meinen, dass ich die schöne Gegend bestimmt gar nicht mehr sehe, antworte ich: Ihr werdet es nicht glauben – jeden Tag, wenn ich auf den Schlern schaue, denke ich mir: Hier zu leben, ist ein Traum!“

Der 17 Hektar große Pflegerhof, den seit 2017 Marthas Tochter Cornelia Mulser führt, befindet sich mitten in den Südtiroler Dolomiten auf 800 Metern in St. Oswald in der Gemeinde Kastelruth. Martha und ihr Mann Richard haben hier Pionierarbeit geleistet.

1982 fingen sie an, nach streng ökologischen Richtlinien Kräuter anzubauen. Nach einem Vortrag haben sich die beiden auf das Experiment eingelassen und versucht, was vor ihnen noch niemand versucht hatte – trotz der steilen Hänge ringsum, die den Kräuteranbau beschwerlich machten und trotz des kargen Lohns in den Anfangsjahren.

Ihr erster Kunde, erinnert sich Martha Mulser, sei ein Reformhaus gewesen. Das habe der Familie rund 20 Kilo Kräuter abgekauft. „Für ein Kilo Salbei habe ich damals 15.000 Lire bekommen, was dem Gegenwert von 15 Euro entsprach.“ Sie schüttelt den Kopf. „Das ist ja nichts!“ Als in den 1990er-Jahren die ersten Bauernmärkte entstanden und die Menschen wieder vermehrt zur Natur zurückfanden, fing die

Im Einklang – Cornelia (links) pflückt gemeinsam mit ihrer Mutter Martha auf 800 Meter Seehöhe üppig wuchernde Rosenmelissen.

Trockener Charme

Wer Blütenzauber bewahren will, hängt Blumen für ein Weilchen verkehrt auf und erfreut sich lange Zeit an ihrer besonderen Strahlkraft.

TEXT & STYLING: ALICE FERNAU FOTOS: MICHAELA GABLER

FEINER BLUMENSCHMUCK

Besonders hübsch sieht es aus, wenn getrocknete Blumen und Gräser auf dem Tisch oder an der Wand inszeniert werden. Einfach in einer Holzleiste aus dem Baumarkt kleine Löcher versetzt vorbohren und die Pflanzen hineinstecken (linke Seite). Auch ein kleiner Sockel aus lufttrocknendem Ton wurde mit Strohblumen bestückt (diese Seite).

Herbstliche Harmonie

Äpfel und Birnen sind wie alte Freunde: enge Vertraute, aber doch für Überraschungen gut. In der Küche begegnen sie einander süß, pikant und deftig. Wir feiern ihre kulinarische Freundschaft.

TEXT: USCHI KORDA REZEPTE: ALEXANDER RIEDER FOTOS: INGO EISENHUT

Apfel-BirnenKompott

mit knuspriger Blunze

Blunze mit Kompott? Das mag zwar ungewöhnlich klingen, garantiert aber ein harmonisches Geschmackserlebnis. Das Kompott darf natürlich nicht allzu süß sein, außerdem haben wir für ein bisschen Schärfe eine kleine Chilischote mitgekocht. Bei den Birnen empfiehlt sich eine saftig ­ süße Sorte wie zum Beispiel die Gute Luise Zu ihr passt ein aromatischer süßsäuerlicher Apfel wie der Elstar Rezept auf Seite 64

Die Reise beginnt im hügeligen Mostviertel, am Sonntagberg. Von hier aus gehen Isabelle und Josef bis ins steirische Mariazell.

Die Rückkehr der Langsamkeit

Isabelle Biber und Josef Emmerich Ganser pilgern drei Tage lang von Sonntagberg nach Mariazell.

70 Kilometer Fußmarsch liegen vor ihnen –ein Weg, der Spuren hinterlässt.

TEXT: VERENA RANDOLF FOTOS: PHILIPP HORAK

Meine Zucchini brauchen mich

Die Geschichte zweier Freundinnen, serviert mit Gemüse, gewürzt mit einem Hauch Italienisch – von doris knecht

ILLUSTRATIONEN: ANDREAS POSSELT

Lilo hat sich nicht mehr gemeldet. Natascha weiß nicht, wo sie ist. „Ich bin dann mal weg, Natascha“, hatte sie geschrieben, bevor sie verschwand. Natascha war überrascht, aber gleich auch genervt, wegen dieser pathetischen Plattitüde genervt, gab’s nicht mal einen Film, der so hieß, ich bin dann mal weg? Natascha weiß nicht, wo Lilo ist, aber sie vermutet sie irgendwo in der Schweiz, in dem Teil, in dem sie Französisch sprechen, nicht weit von der Grenze zu Frankreich. Da kommt Lilo her, und ständig sagt sie, dass sie endlich wieder da hinmuss, ihre Familie besuchen, Freundinnen von früher treffen, Natascha könnte doch auch mal mitkommen. Ganz sicher ist Lilo nach Lausanne gefahren, oder nach Genf, von wo aus sie vielleicht noch nach Lyon weiterfahren wird, wo sie studierte und immer noch Freundinnen hat. Natascha hat ihr nur ein Daumen-hoch zu der Nachricht gemacht, sie war zu stolz, um nachzufragen, und ja, auch ein bisschen zu beleidigt, dass Lilo einfach gefahren war.

Aber natürlich hat Natascha dann geschaut, was Lilo in ihren Instagram-Storys teilte, klickte sich durch die kleinen Videos, die sie durchs Fenster ihres Zuges aufgenommen hatte, dichte Wälder, schwarz-weiß gefleckte Kühe, Menschen, die über Feldwege radeln, und ein grüner Fluss, Österreich-Schweiz-Kalenderbilder, wie man sie kennt. Ja, schön! Natascha schaute auf Google Maps nach, wie weit es nach Lausanne war, nach Genf.

Bestimmt hatte Lilo ihr Fahrrad mitgenommen, Lilo nimmt doch überallhin ihr Fahrrad mit, das erwischte Natascha ein bisschen kalt, weil sie schon so lange von einer gemeinsamen

Fahrradtour sprachen, von Kärnten nach Triest, den Alpe-Adria-Weg, aber nie kamen sie weiter, als sich die Strecke auf Google Maps anzuschauen, meistens an Abenden, an denen sie sich in diesem Triestiner Lokal trafen, sich einen großen Antipasti-Teller teilten und Prosecco vom Fass tranken, den es dort gab. Es lag, Natascha war sich dessen schon bewusst, eher an Natascha als an Lilo, es lag total an ihr, aber sie musste sich ja auch um ihre Mutter kümmern, die mit einer Pflegerin im Erdgeschoß ihres Häuschens am Stadtrand lebte, also mittlerweile mehr dämmerte als lebte. Natascha hatte vor einigen Jahren die Mietwohnung in der Stadt ihrem Sohn Martin und seiner Freundin überlassen. Sie hatte sich im Obergeschoß des Mutter-Häuschens eingerichtet und den verwilderten Garten auf Vordermann gebracht, jetzt wuchsen dort Zucchini und Mangold, Tomaten in Töpfen, Salatköpfe, die man vor den Schnecken verteidigen musste. Lilo brauchte sich um niemanden zu kümmern, die konnte leicht verreisen.

„Könntest du auch“, hatte Lilo gesagt, „du willst nur nicht.“ „Ich muss mich kümmern“, hatte Natascha gesagt. „Es würde auch ein paar Tage ohne dich gehen“, hatte Lilo gesagt.

Auf Google Maps entdeckte Natascha in der Nähe von Lyon einen Ort namens Vienne. Wahrscheinlich gab es auf der Welt tausende Viennes und Viennas, auf allen Kontinenten. Sie musste das mal googeln. Dieses Vienne war nicht so klein, 31.500 Einwohner, mit einer beeindruckenden

Sie hatte sich im Mutter-Häuschen eingerichtet und den verwilderten Garten auf Vordermann gebracht.

mittelalterlichen Substanz, einer Kathedrale und einem römischen Tempel, alles wunderschön erhalten, und sie, Natascha, hatte nie davon gehört. Weil du nie rauskommst, würde Lilo sagen. Vienne. Sie war vor ein paar Monaten auf das Chanson von Zaho de Sagazan gestoßen, jemand hatte ein kurzes Video von einem ihrer Auftritte gepostet, und sie hatte nach Songs von dieser Sängerin gesucht, Zaho de Sagazan, von der sie schon gelesen hatte, und war auf ein Lied namens „Vienne“ gestoßen. Vienne, Lilo rutschte das manchmal durch ihr sonst fast akzentfreies Deutsch, wenn sie über Wien sprach, Vienne.

Deshalb hatte Natascha ihr das Chanson geschickt, und Lilo hatte zurückgeschrieben, schön in dieser Version, ich kenne nur das Original von Barbara, und was willst du mir damit sagen? Erst da hatte Natascha die Übersetzung des Textes gegoogelt. Oh, okay. Vielleicht solltest du doch Französisch lernen statt Italienisch, hatte Lilo angemerkt, mit einem Tränenlachsmiley. Weil Natascha jetzt Italienisch lernt, mit so einer App.

„Warum Italienisch?“

„Wir radeln doch nach Triest, irgendwann.“

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.