Laufen
„FRÜHER GLAUBTE ICH, DASS IM LEBEN NICHT PLATZ IST FÜR UNI UND INTENSIVES TRAINING.“
begann sie ihre Dissertation an der Uni versità Roma Tre. Thema: „Populismus in Deutschland und Italien“. Und ja: Camille Chenaux ist die Toch ter von Philippe Chenaux, einem Profes sor für Kirchengeschichte an der Päpst lichen Lateranuniversität. Das machte sie in den Augen des spanischen Pries ters zu einer potenziellen Sportlerin für Athletica Vaticana.
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Nonnen, Museumsangestellte und Zimmerleute sind im Team dabei.
Als der Verband ein Vierteljahr später ge gründet wurde, im Rahmen einer spekta kulären Medienkonferenz Anfang 2019 im Presseraum des Heiligen Stuhls, zählte er sechzig Mitglieder, darunter Nonnen, Zimmerleute, Apotheker, Museums angestellte, Schweizergardisten – und die Tochter eines päpstlichen Professors. In den darauf folgenden Wochen be richteten Medien aus aller Welt über das Leichtathletikteam des Papstes. Man erfuhr, dass sich vatikanische Läuferinnen und Läufer bereits seit Jahren zum morgendlichen Training am Ufer des Tiber treffen und natürlich davon träumen, die Flagge des Heiligen Stuhls irgendwann bei der Eröffnung der Olympischen Spiele zu sehen. Man erfuhr aber auch, dass sie realis tisch bleiben wollen und sich zunächst die Teilnahme an den Kleinstaatenspielen zum Ziel gesetzt haben, einem alle zwei Jahre stattfindenden Sportereignis, bei dem europäische Länder mit weniger als einer Million Einwohnerinnen und Ein wohnern startberechtigt sind. Überhaupt, so hieß es, verstehe man sich eher als Amateurbewegung, deren Zweck auch darin bestehe, die päpstliche Botschaft in den Sport zu tragen. Wer konnte da ahnen, dass Zufalls mitglied Camille Chenaux schon bald viel größere Ambitionen hegen würde? THE RED BULLETIN
ZUVERSICHTLICH
Camille Chenaux mit Mitgliedern von „Athletica Vaticana“ vor der beein druckenden Kulisse des Petersdoms
STRAHLEND
Papst Franziskus schüttelt „seiner“ Botschafterin Camille die Hand.
Camille hält alle Vatikan-Rekorde von 1000 bis 10.000 Meter.
Zwei Jahre nach der Gründung von Athletica Vaticana ist Camille Chenaux mit Abstand die beste Läuferin der Grup pe, auf sämtlichen Distanzen zwischen 1000 und 10.000 Metern hält sie den vatikanischen Rekord. Sie ist nicht Welt klasse, bei weitem nicht – aber sie ist jetzt 30 Jahre alt, und kaum ein Wettkampf
vergeht, an dem sie nicht ihre Bestzeiten pulverisiert. Um das ein wenig einzuord nen: Mit der Zeit, die sie voriges Jahr über 1500 Meter lief, hätte sie in der Schweizer Saisonbestenliste Platz 8 belegt. Die ehemalige Hobbyläuferin und bal dige Doktorin der Politikwissenschaft ist also in kurzer Zeit an den Punkt gelangt, an dem niemand lacht, wenn sie sagt, sie möchte sich für die Leichtathletik- Europameisterschaften 2022 qualifi zieren. Und dann vielleicht für die Olym pischen Spiele 2024.
Späte Karriere: „Mit 20 hätte ich nicht die Fähigkeiten gehabt.“
Wie kam das? Camille Chenaux sagt, alles begann mit einem Versprechen, das sie sich als Kind gegeben habe. „Ich war ein großer Sportfan, schaute im Fernsehen unzählige Wettkämpfe. Ich schwor mir, dass ich mich irgendwann in meinem Leben als Profisportlerin versuchen würde.“ Die Eltern standen dem Traum lange im Weg: Nicht, dass sie sich dagegen wehrten, dass ihre Tochter Sport treibt, aber sie bestanden darauf, dass die Schule Vorrang hat. Damals tat sich Camille Chenaux gelegentlich etwas schwer mit dieser 59