zurück. „Ich habe viele Freunde am Berg verloren, aber von einer Leidenschaft wie dem Bergsteigen kommt man nicht weg, auch wenn man dabei dem Tod begegnet. Den Geschmack des Lebens erkennt man am besten, wenn man es verlieren kann.“ Wanda hatte damals längst bewiesen, dass Frauen imstande waren, am Berg ebensolche Leistungen zu erbringen wie Männer. Sie war zu einem Symbol der Emanzipation geworden. „Wanda Rutkiewicz lebt die Emanzipation in der Tat und braucht nicht mehr dar über zu reden. Ihre Leistungen sind keine Argumente, sondern Beweise“, sagte Reinhold Messner voller An erkennung über die größte Bergsteigerin ihrer Zeit. Alleingang. „Bergsteiger sind anders als andere Menschen, deshalb finden sie nur schwer einen Part ner, der wie sie denkt. Eigentlich bewundere ich die Frauen berühmter Alpinisten mehr als diese selbst, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Mann mit so einem Leben einverstanden wäre“, sagte Wanda Rutkiewicz einmal. Wandas erste Ehe mit Wojtek Rutkiewicz, dem Sohn des damaligen stellvertretenden polnischen Gesundheitsministers, scheiterte 1973 nach drei Jahren am Unverständnis des jungen Ehemannes für Wandas fanatische Bergbegeisterung. Ihre angestreb ten Ziele entsprachen nicht dem herkömmlichen Bild einer Ehefrau. Ihre zweite Ehe mit dem Innsbrucker Arzt Dr. Helmut Scharfetter war aus einer jahrelangen tiefen Freundschaft erwachsen, doch auch dieser Traum vom häuslichen Glück mit zwei Stiefsöhnen war 1984 nach drei Ehejahren ausgeträumt: „Wenn man verliebt ist, zählt nichts anderes. Man akzeptiert sich gegenseitig mit allen Fehlern. Bis man mit der Wirklichkeit konfrontiert wird und feststellen muss, dass man sich gegenseitig nur noch weh tut. Ich hatte geheiratet, weil ich glaubte, dass Ehe und Kinder zu meinen Lebensaufgaben gehören. Als mir bewusst wurde, dass mich familiäre Pflichten nicht zufrieden stellen, und ich keine Rolle spielen konnte, die zu mir passte, sah ich keinen anderen Ausweg als die Trennung.“ Mit dem deutschen Expeditionsbergsteiger Kurt Lyncke schien Wanda Rutkiewicz endlich einen pas senden Partner gefunden zu haben, als es mit einem Schlag auch schon wieder zu Ende war: Am 24. Juli 1990 stürzte Lyncke, nur wenige Meter hinter Wanda, vom Broad Peak 400 Meter tief zu Tode. Diesen tragi schen Verlust hat sie nie überwunden. „Ich bewun derte ihn für alles, konnte bei ihm aufblühen. Er wirk te stimulierend auf mich. Als er verunglückte, hasste ich zum ersten Mal in meinem Leben die Berge.“ Wandas Lebensphasen daheim verliefen immer chaotischer: Ihr blieb immer zu wenig Zeit zwischen Ankunft und Aufbruch. Stets nahm sie sich zu viel vor, hetzte von einem Termin zum nächsten, hatte kaum noch Zeit zum Schlafen oder für ihr Privat leben. Wanda erledigte private oder berufliche Ter mine im Eiltempo, meist Stunden oder sogar Tage später als angekündigt, immer völlig erschöpft nach nächtelangen Autofahrten. Aber die Umstände waren nebensächlich, Freunde, Fans und Medien zeigten sich ausnahmslos von der Persönlichkeit Wandas ver zaubert – und sie waren zunehmend besorgt. Wanda
”Bergsteiger sind anders als andere Menschen, deshalb finden sie nur schwer einen Partner, der wie sie denkt.“ war die Unvernunft in Person, attraktiv, charisma tisch, faszinierend und völlig unberechenbar. Erst wenn sie die Zivilisation wieder hinter sich lassen und sich der nächsten Expedition stellen konnte, fand sie zur Ruhe und damit auch zu sich selbst. 1990 hatte die 47-jährige Wanda Rutkiewicz bereits sechs der vierzehn Achttausender bestiegen. Noch acht weitere Gipfel, und sie wäre nach Rein hold Messner und dem ein Jahr zuvor am Lhotse ver unglückten polnischen Landsmann Jerzy Kukuczka der dritte Mensch gewesen, der alle Achttausender bewältigt hätte. Doch Wanda wollte noch mehr: „Ich strebe an, diese acht Gipfel in etwas mehr als einem Jahr zu besteigen. Ich nenne meinen Plan ‚Karawane der Träume‘, da ich versuche, etwas durchzuführen, das nur im Traum möglich zu sein scheint. Ich wer de einfach losziehen von Berg zu Berg, wie es die Karawanen schon immer getan haben.“ Mit dieser unglaublichen Tour hätte sich Wanda sowohl die kostspieligen Anreisen als auch die langwierigen Akklimatisationszeiten erspart. Die immense Lang zeitbelastung ohne Erholungspausen wollte sie mit mentaler Kraft, eiserner Kondition und jahrzehnte langer Bergerfahrung wettmachen. Anfangs ging auch alles gut. Nach zwei erfolg reichen Besteigungen im Alleingang (1991: Cho Oyu, 8201 m, und Annapurna-Südwand, 8091 m) wollte Wanda Rutkiewicz auf den Kangchendzönga (8586 m), den dritthöchsten Berg der Welt. Am 12. Mai 1992 war ihr Bergkamerad Carlos Car solio der letzte Mensch, der Wanda Rutkiewicz sah. Ihr Leichnam wurde bis heute nicht gefunden. *Die Autorin: Gertrude Reinisch, geboren 1952 in Piesting (Niederösterreich), Journalistin und Buchautorin, Filmemacherin, staatlich geprüfter Lehrwart Hochalpin, lebte mehr als drei Jahre in verschiedenen Himalaya-Ländern und bestieg dort viele Gipfel bis 7800 Meter. Sie begegnete Wanda Rutkiewicz erstmals im Jahr 1986, war 1990 Teilnehmerin von Wanda Rutkiewicz’ polnischer Expedition auf den Hidden Peak (bis 6600 m). Reinisch ist die Verfasserin der Biografie „Wanda Rutkiewicz – Karawane der Träume“ (Bergverlag Rother), die auch auf Englisch, Italienisch und Lettisch erschien.
Mehr starke Frauen in den Bergen: edurnepasaban.net oes.chosun.com www.gerlindekaltenbrunner.at
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