Heroes
Hero’s Hero: Marco Büchel über
Ueli GeGenschatz Ich war in grandioser Form, als ich Mitte November ins Flugzeug nach Kanada stieg. Ich hatte im Sommer toll trainiert, konnte die ersten Rennen der neuen Saison – es ist meine letzte im Ski-Weltcup – kaum erwarten. Als ich aus dem Flugzeug stieg, hatte ich zwanzig SMS auf meinem Handy: Ueli verunglückt. Verrückt, absurd, unglaublich … als hätte man mir gesagt, ein Fisch ist ertrunken. Es ist allen so gegangen, die Ueli kannten. Ueli war der zuverlässigste, kontrollierteste, professionellste Sportler, den man sich vorstellen kann. Wenn Ueli sagte, ein Sprung ist sicher, dann war er sicher. Wenn Ueli oben stand und den Kopf schüttelte, dann stieg man den Berg eben wieder runter. Neben dem Luftsport war Ueli Experte für Risikomanagement bei einer Versicherung. Wie gut das zu ihm passte! Es konnte keinen kompetenteren Experten für das Abschätzen von Risiken geben: Es war Ueli fremd, zu spekulieren, zu zweifeln oder zu vermuten. Ueli wog ab, Ueli bewertete, Ueli stellte fest. Ich habe in all den Jahren, die wir befreundet waren und miteinander gesprungen sind, nicht ein einziges Mal erlebt, dass er etwas unüberlegt getan hätte. Das Außerplanmäßigste, woran ich mich erinnern kann: Als er mich 1996 erstmals zu einem BASE-Jump mitnahm – er war gemeinsam mit Felix Baumgartner nach Lauterbrunnen (Kanton Bern; Anm.) unterwegs und dann zu einer Staumauer im Wallis –, da hatte er seinen Helm daheim vergessen. Ich borgte ihm meinen, ich weiß noch, er war ihm zu klein. Ueli war einfach super, er war der Beste, in jeder Hinsicht. 30
Der Liechtensteiner Marco Büchel zählt zur AbfahrtsElite. Die aktuelle Saison ist die letzte des 38-Jährigen.
Man darf seine Freundlichkeit, seinen Charme und Witz nicht als Gegensatz zu seiner Klarheit und Professionalität sehen. Sie waren Ausdruck seiner Ausgeglichenheit. Ueli war ein glücklicher Mensch, und jeder, der mit ihm zu tun hatte, spürte das. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, der Ueli nicht mochte. Es ist einfach nicht zu glauben, dass er nicht mehr da ist, dass es keinen gemeinsamen Grillabend mehr geben wird, keine gemeinsame Party. Mitten im Schock und Kummer über seinen Tod steht ein tröstlicher Gedanke: Alle, die ihn kannten, wissen, dass Ueli ein wunderbares Leben hatte. Er lebte, wie er leben wollte. Er liebte den Luftsport, die BASE-Jumps, vor allem die WingsuitFlüge, die Luft war sein Element wie für einen Fisch das Wasser. Was Ueli faszinierte, war nicht das Überwinden der Angst oder das Erbringen immer neuer sportlicher Rekorde, er wollte niemandem etwas beweisen. Seine
Motivation war die Liebe zu diesem Sport, zur Natur. Wofür er lebte, daran ist er gestorben. Was die Faszination des BASE-Jumpens oder Skydivens für ihn ausmachte? Für jemanden, der natürlich wusste – und wahrscheinlich exakter als alle anderen –, dass der Sport gefährlich war? Wir haben nie darüber gesprochen. Es wäre vergeblich gewesen, für diese Intensität, für diese Emotionalität Worte finden zu wollen, sie ist zu stark dafür. Der Point of no Return, der Moment, in dem du in die Erdanziehung kippst … genial. Die Emotionen des Moments, wenn der Felsen unter dir weggeht … unbezahlbar. Die hypothetische Frage: Waren diese Erlebnisse den Preis wert, den er jetzt bezahlte? Darf man das Leben riskieren, um es in höchster Intensität zu genießen? Diese Frage kann jeder nur für sich selbst beantworten – Ueli für Ueli, ich für mich. In Lake Louise fuhr ich auf Platz 31, in Beaver Creek auf Platz 32. Ich hatte während der Fahrten das Gefühl, ans Limit zu gehen. Im Video sieht man: Ich bin verhalten gefahren, unsicher. Seit Uelis Unfall stehe ich anders am Start einer Abfahrt als davor. Ich habe in zwanzig Jahren Weltcup viele schwere Stürze gesehen, schlimme Verletzungen, sogar Todesfälle von Kollegen. Keiner davon hat mich so berührt wie die Tatsache, dass Ueli verunglückt ist, gerade Ueli. Ich werde im Sommer alleine hinaufsteigen zu einem der zwei, drei Exits, von denen wir oft gemeinsam gesprungen sind. Ich werde dort stehen, hinunterschauen. Wenn ich dort umdrehe, werde ich nie wieder springen. Doch wenn ich springe, dann springe ich nicht alleine.
BILDER: GEPA-PICTURES, THoMAS ULRICH/RED BULL PHoToFILES
Der Liechtensteiner Weltklasse-Skirennläufer und der verunglückte Schweizer Luftsportler waren mehr als ein Jahrzehnt lang eng befreundet – weit über gemeinsame BASE-Jumps hinaus.