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Femizide: Oder weil Frauen Frauen sind

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Jede dritte Frau ist, laut UN Women Statistik 2018, weltweit immer noch Opfer von Gewalt. Und wenn Gewalt in Mord gipfelt, herrscht blankes Entsetzen. Zunächst! Denn alle drei Tage wird im Durchschnitt in Italien eine Frau ermordet, also alle 72 Stunden. Und irgendwie scheinen wir uns damit abgefunden zu haben… Aber das dürfen wir nicht! Die Uraufführung des Theaterstücks „72 Stunden – Eine Anklage“ – eine Koproduktion des Stadttheaters Bruneck, der Carambolage Bozen und dem Theater in der Altstadt Meran, die kürzlich in Bruneck Premiere hatte – greift das Thema „Frauenmorde“ in Gedenken an Barbara Rauch (und an die vielen anderen Frauen) auf, die am 9. März 2020 in Südtirol von ihrem langjährigen, gemeldeten und unter behördlicher Aufsicht stehenden Stalker ermordet wurde und liefert uns als Gesellschaft (und als Medien) damit einen wichtigen Anlass, uns einmal mehr mit der Thematik auseinanderzusetzen.

von Judith Steinmair

Jährlich veröffentlicht das italienische

Innenministerium Ende Dezember die aktuellen Daten zu den Mordfällen, die an Frauen verübt wurden. Die traurige Statistik aus dem Jahre 2021: Es gab 116 Femizide in Italien, davon wurden 68 vom Partner oder Ex-Partner verübt. Insgesamt gab es 26 Frauen(Mädchen)morde in den vergangenen 30 Jahren in Südtirol. Zu viele, als dass wir von Einzeltaten sprechen könnten…

FEMIZID – FEMINIZID?

Der Begriff Femizid kommt aus dem Englischen „Femicide“, geprägt im Jahre 1976 von der Soziologin Diane Russell, und bezeichnet die vorsätzliche Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Nicht jede Tötung von Frauen ist also ein Femizid, vielmehr muss das Töten aus der Motivation heraus erfolgen, dass Frauen Frauen sind. Femizide sind dementsprechend vor dem Hintergrund geschlechtsspezifischer Macht und Hierarchieverhältnisse zu sehen und werden besonders häufig durch männliche Partner oder Ex-Partner verübt, um Macht auszuüben, sich für eine Trennung zu rächen oder einfach aus verletztem Stolz. Weiter gefasste Definitionen beziehen alle Ermordungen von Frauen oder Mädchen mit ein, oder umfassen auch Tötungen von Frauen und Mädchen durch Familienmitglieder und im Kontext sexualisierter Gewalt. Die Begriffe „Femizid“ und „Feminizid“ werden oft synonym verwendet, haben aber nicht die gleiche Bedeutung. Femizid steht für die Tötung von Frauen durch Männer, denen sie nahestanden. Der Begriff Feminizide betrachtet hingegen die Rolle staatlicher Institutionen und Akteure in der Bekämpfung von Tötungen an Frauen. Das heißt, welche Maßnahmen werden von staatlicher Seite getroffen und welche nicht, um Tötungen zu verhindern. Im vergangenen Jahr wurde in unserem Land alle zweiundsiebzig Stunden eine Frau umgebracht. Die meisten haben sich juristisch gewehrt, eine zerstörerische Beziehung beendet, den Stalker angezeigt, Frauenorganisationen eingeschaltet - und doch haben sie nicht überlebt. In vielen Fällen ist der Mord also das Ende einer langen Gewaltbeziehung. Im Jahr 2021 haben sich in Südtirol mehr als 600 Frauen an die Gewalt-Kontaktstellen gewandt, wobei die Dunkelziffer viel höher liegen dürfte. Dass sich Gewalt inmitten unserer Gesellschaft abspielt, ist also sehr wohl bekannt, und dennoch stehen wir dem Phänomen oftmals ohnmächtig gegenüber. Wo sind die Gründe dieser Gewalttaten zu suchen, und was können/müssen wir dagegen tun?

SICHTBARKEIT

Eines ist dabei enorm wichtig: Wir dürfen das Thema nicht unter den Tisch fallen lassen, sondern es immer wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken, ihm Sichtbarkeit verleihen. Und gerade deshalb bietet sich auch die Aufbereitung der Thematik im Rahmen eines Theaterstücks als eine so großartige Möglichkeit an, genau das zu tun. Das Thema, so die künstlerische Leiterin des Stadttheaters Bruneck, Christine Lasta, sei eine „Herzensangelegenheit“: „Eine künstlerische Intervention, die auf den Südtiroler Bühnen längst überfällig war. Die uns alle zwingend in Bewegung setzen und die Sinne schärfen sollte – für eine beklemmende Thematik, die keineswegs gelöst ist… Vielmehr gibt es unübersehbar gesellschaftliche und strukturelle Gründe, die Frauen gefährden, Morde an ihnen begünstigen. Nach diesen forscht Barbara Plagg in unserem Stück „72 Stunden – Eine Anklage“.

DAS THEATERSTÜCK

Ausgehend vom Mordopfer, im Stück Eva - spinnt sich ein Netz von Fragen, Irritationen, Betroffenheit, Ausflüchten, Gewohnheiten, Ignoranz und fehlender Zivilcourage mitten durch einen kleinstädtischen Figurenreigen: Wäre dieser Femizid, der sich lange ankündigte, zu verhindern gewesen? Auch, wenn den einzelnen Institutionen und Personen keine unmittelbare Schuld zugewiesen werden kann – die Summe alltäglicher Entscheidungen und Zwänge ebneten Evas Peiniger den Weg zum Messer. Der Versuch, den verstrickten Verlauf einer Tragödie nachzuvollziehen, verstehen zu können, gipfelt im heillosen Knäuel gesellschaftlichen Versagens. Und dennoch: Ist der Blick auf das recherchierte Präventions-Chaos nicht ein Weckruf für uns? Der Countdown läuft unerbittlich!

IM GESPRÄCH MIT…

Um das Thema Femizide bzw. ganz allgemein Gewalt an Frauen zu vertiefen, findet am Sonntag, 9. Oktober 2022 im Stadttheater Bruneck zusätzlich eine Diskussionsrunde mit Expert*innen aus verschiedenen Bereichen statt. Die PZ hat bereits im Vorfeld einige der Teilnehmerinnen sowie die Präsidentin des Landesbeirats für Chancengleichheit zum Interview gebeten:

BARBARA PLAGG

Wissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin des Stücks

PZ: Sie haben das Stück für Barbara

Rauch geschrieben, die vor zwei Jahren von einem ihr durchaus bekannten und auch entsprechend von ihr angezeigtem Stalker ermordet wurde… Eine schreckliche Gewalttat, die Sie offensichtlich nicht mehr losgelassen hat?

Barbara Plagg: Nein, die Ohnmacht und die Wut um diesen Verlust lässt mich nicht los und sie kocht immer hoch, bei jeder einzelnen Frau, der das Leben durch die Hand eines Mannes genommen wird. Ich will es nicht hinnehmen, dass es zu einer abgestumpften Gewohnheit geworden ist, Frauenmorde als unabänderliches und tragisches Faktum unserer Gesellschaft hinzunehmen. Genau dieses ohnmächtige Desinteresse ist ein zentraler Grund dafür, dass sich nichts ändert.

„72 Stunden - Eine Anklage“ haben Sie

Ihr Stück betitelt. Eine Anklage gegen wen schlussendlich?

Im Stück sind es ganz konkrete Figuren, die für unterschiedliche Institutionen stehen wie z.B. der Journalist, der Polizist, die Nachbarin, der Pfarrer, und die alle auf ihre ganz eigene Weise irgendwie irgendwo versagt haben, Eva vor ihrem Mörder zu schützen. Und zwar nicht aus Böswilligkeit, sondern vor allem aus Gedankenlosigkeit, Eitelkeit, Unwissenheit, Desinteresse und Voyeurismus. Ob sie aber auf der Anklagebank sitzen und mit ihnen wir alle, entscheidet letztlich jeder Zuschauer für sich: Mitschuldig oder unschuldig?

„Jeden dritten Tag stirbt bei uns eine

Frau und alle scheinen sich irgendwie damit abgefunden zu haben,“ heißt es im Stück… Sind wir als Gesellschaft wirklich zu abgestumpft?

Ja, offensichtlich, sonst würden wir alle möglichen Hebel in Bewegung setzen, diese Frauen und mit ihnen ihre Kinder zu schützen und ihren Tod zu verhindern. Das tun wir aber nicht. Man muss dazu sagen, dass in 98% der Fälle von Gewalttaten der Täter der Frau bekannt ist, es geht also in den meisten Fällen etwas voraus, wo man zumindest theoretisch die Chance hätte, einzugreifen. Um genau diese verpassten Chancen geht es im Stück und genau um diese verpassten Chancen sollte es uns als Gesellschaft gehen, damit Prävention von Gewalttaten ermöglicht wird.

Was können wir also Ihrer Meinung nach tun, um diese zunehmend ausufernde Gewalt an Frauen nicht einfach hinzunehmen, die Politik, Organisationen und Institutionen, wir als

Gesellschaft?

Alle Hebel in Bewegung zu setzen würde bedeuten, dass ich politisch genügend Ressourcen für die Prävention von Gewalttaten zur Verfügung stelle. Gewalt, die sich ankündigt, muss vom Justizsystem kompromisslos geahndet und nicht bagatellisiert werden. Letztlich sind legislative, exekutive und judikative Gewalt aber immer nur ein Gradmesser für die Werte der Gesellschaft, in der sie stattfinden — oder eben für deren Vakuum. Deswegen muss, um darauf einzuwirken, noch viel weiter unten angesetzt werden: in unser aller Sozialisation, im Bildungssystem und im grundsätzlichen Verständnis vom Wert einer Frau, die nicht besessen werden kann, die frei und dem Mann gleichwertig ist. Es ist eben nicht nur Aufgabe von Politik und Institutionen, sondern liegt in unser aller Verantwortung, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, der das bestehende und faktisch überall zu beobachtende Machtgefälle zwischen den Geschlechtern kippt: Nur so werden wir es schaffen, Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen. //

MARLIES PALLHUBER

Psychologin und Psychotherapeutin, ist Stellenleiterin der Familienberatung Bruneck

PZ: Jeden dritten Tag stirbt in Italien eine Frau durch die Hand eines Mannes, und häufig handelt es sich dabei bei den Tätern nicht etwa um Unbekannte… Müssten uns diese Zahlen und Fakten nicht endlich einmal alarmieren?

Marlies Pallhuber: Natürlich muss uns das alarmieren, und ich bin schon der Meinung, dass es das auch tut. Nachrichten über Femizide machen die Menschen betroffen, was wir durchaus so deuten können, dass wir uns in einem Bewusstseinsprozess befinden, dass das Ganze so nicht hinnehmbar ist. Eines sollten wir uns allerdings vor Augen halten: Wenn wir von Femiziden sprechen, dann schwingt leider häufig irgendwie mit, dass es sich um ein Beziehungsdelikt handelt. Dem ist aber nicht so. Es handelt sich um ein Delikt aufgrund von Hass und von einem Vernichtungswunsch. Wenn es, ganz allgemein gesehen, in einer Beziehung Konflikte gibt, sind immer zwei daran beteiligt, aber bei einem Mord ist das nicht der Fall. Es gibt ein Opfer und einen Täter. Natürlich hat der Täter seine individuelle Geschichte, seine ganz individuellen Lebensbedingungen, die ihn einschränken in seinen Möglichkeiten Affekte zu regulieren, Gefühle wahrzunehmen und zu besprechen. Da wären wir jetzt beim Tätigkeitsfeld von PsychologInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen, die mit Tätern arbeiten….

Das bedeutet, dass wir verstärkt präventiv agieren müssten?

Ja unbedingt. Vor allem geht es meines Erachtens nach darum, an den Geschlechtsstereotypen zu arbeiten. Von der herkömmlichen Vorstellung, wie Mädchen und Buben sein sollen, müssen wir als Gesellschaft endlich wegkommen. Wenn wir nämlich ein Kind lediglich auf sein Geschlecht reduzieren, sehen wir eben auch nur einen Teil dessen, was das Kind wirklich ausmacht, ist oder braucht. Sinnvoll wäre hingegen die Kinder in ihrer Identitätsentwicklung zu begleiten, sie im Ganzen zu sehen und sie nicht auf Geschlechtsstereotypen zu reduzieren.

Dabei sind Femizide nur der Gipfel der

Gewalt, oder?

Natürlich sind Morde die Spitze des Eisberges, Gewalt beginnt schon vorher. Nochmals, bei Beziehungskonflikten sind prinzipiell beide Parteien dafür verantwortlich. >>

Aber die Frage ist, warum trotz allem und vor allem Männer auf Gewalt zurückgreifen? Vermutlich, weil wir immer noch in einer Welt mit patriarchalischem Denken leben, es geht um Dominanz und Machtausübung. Nach wie vor scheint eine Haltung bei Männern vorherrschend zu sein, dass Frauen als Objekte gesehen werden. Männer haben aber auch in ihrer Entwicklung und in ihrem Aufwachsen weniger Strategien in die Hand bekommen, mit Gefühlen umzugehen. Die Fähigkeit, Gefühle zu äußern, darüber nachzudenken oder daran zu arbeiten gilt als wenig männlich und entspricht nicht dem gängigen Bild. Manifeste Aggression und Gewalt steht immer in einem engen Zusammenhang mit einem tiefen Ohnmachtsgefühl, das zutiefst abgewehrt werden und verleugnet werden muss, weil es zu viel Angst macht.

Aus Sicht der Frauen Gewalt auszusitzen ist also keine gute Lösung? Um eine

Eskalation zu verhindern, sollten betroffene Frauen proaktiv werden?

Die Frauen müssen sich bewusst sein, dass sich die Situation von alleine nicht ändern wird, es wird nicht besser! Und sie müssen lernen, Gewalt richtig zu interpretieren: Das ist weder Liebe noch Leidenschaft, sondern es ist Hass, der mit Vernichtung enden kann, wenn man nicht früh genug aussteigt. Dementsprechend ist in diesem Zusammenhang die Täterarbeit enorm wichtig. Wir müssen an der Einsicht des Mannes arbeiten, dass er ein Problem hat, wenn er Gewalt anwendet, nicht sein Gegenüber. Oftmals ist das ja umgekehrt in der Auffassung des Täters verankert: Wenn ich zuschlage ist die/der Andere schuld daran.

Welche Möglichkeiten haben also Frauen, die in Angst angesichts einer Bedrohung leben müssen? Wie können wir helfen?

Zunächst ist es sicherlich wichtig, dass Frauen ihre Bedenken und ihre Scham überwinden. Dann müssen Frauen entsprechende Situationen verstehen lernen und richtig interpretieren, dann Hilfe holen und Anzeige erstatten, sich eben an die entsprechenden Stellen wenden. In erster Linie müssen diese Frauen (und vielfach sind ja auch Kinder involviert) geschützt werden. Eine erste Anlaufstelle ist diesbezüglich beispielsweise das Frauenhaus, das Unterstützung bietet und mit allen wichtigen Diensten und Institutionen, von Sozialdiensten bis hin zur Polizei, vernetzt ist. Leider können wir für Gewalt an Frauen und die Eskalation bis hin zum Femizid kein Patentrezept und keine Lösung bieten, aber wir können in der Gesellschaft immer wieder auf die Problematik hinweisen. Allgemein bin ich aber schon zuversichtlich, dass wir in die richtige Richtung gehen. Allein die Tatsache, dass wir darüber sprechen, dass Theaterstücke sich mit dem Thema befassen zeigt, dass wir nicht gewillt sind, das Problem unter den Teppich zu kehren. Schlussendlich geht es ja auch darum, das Thema immer wieder klar zu benennen: Der Täter hat ein Problem und trägt die Verantwortung, er muss sich um seine Unfähigkeit, Situationen gewaltfrei zu lösen, kümmern! //

VERA NICOLUSSI-LECK Juristin, ist seit vielen Jahren im Bereich Konfliktlösung – Kommunikation, Mediation, Organisationsentwicklung und Leadershipcoaching – tätig

PZ: In dem Stück wird von „toxischer

Männlichkeit“ gesprochen, die besonders gut in der Nähe von „traditionellen“ Werten gedeiht… können Sie dieser Aussage etwas abgewinnen?

Vera Nicolussi-Leck: Zunächst ist es mir wichtig meine Betroffenheit nach dem Besuch dieses Stückes zum Ausdruck zu bringen. Neben vielen Fragen, die aufgetaucht sind, war für mich vor allem ein Gefühl der Ohnmacht spürbar. Genau bei diesem Gefühl der Ohnmacht, möchte ich nun auch in unserem Gespräch anknüpfen. In diesem Theaterstück ist die Spitze des Eisberges dargestellt, der Femizid. In unseren Überlegungen kann dennoch nur die Prävention im Vordergrund stehen, und hier gilt es zwei Seiten zu beleuchten, und zwar die Prävention in der Akutsituation und die Prävention durch gesellschaftliche Veränderung unserer Kommunikationsmuster. In der akuten Konfliktsituation, welche sich im Extremfall (der wie wir ja wissen gar nicht so selten vorkommt) durch psychische, verbale oder körperliche Gewalt äußert, ist der erste Schritt jener, die Opfer ernst zu nehmen, sie zu unterstützen, aktiv zu werden, um aus diesem Opfer-Täter/Macht- Ohnmacht – Kreislauf auszusteigen. In extremen Konfliktsituationen sind Menschen meist nicht mehr in der Lage selbst Entscheidungen zu treffen, und so ist es wichtig, dass eine Beratung frühzeitig beginnt und diese die betroffene Person, wo notwendig, an der Hand nimmt, um passende Schritte zu setzen und sie gleichzeitig wieder an ihre persönliche Handlungsmacht erinnert, um sie aus der Ohnmacht herauszuholen. Ein Thema, welches mir in diesem Zusammenhang sehr wichtig erscheint, ist der Umgang mit dem Gefühl von Scham. Besonders starke Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen, kämpfen sehr damit, wenn sie Opfer sind, und so fällt es diesen umso schwerer darüber zu sprechen und sich frühzeitig Hilfe zu holen. Gleichzeitig kann es auch von außen notwendig sein, mutig einzuschreiten und Gewalthandlungen sofort zu unterbinden. Dafür braucht es seitens Dritter Mut und das Bewusstsein, dass jegliche Form von Gewalt nicht tolerierbar ist und unterbunden werden muss. Das klingt einfach und logisch und doch ist es in der Praxis gar nicht so leicht sich in eine Beziehung (egal ob es sich um eine Liebes- oder Arbeitsbeziehung handelt) einzumischen und proaktiv jegliche Form von Gewalt zu unterbinden. Weiters können wir auch präventiv als Gesellschaft agieren. Dort gilt es zum einen bei unseren Kindern anzusetzen, mit diesen neue Formen der Kommunikation zu pflegen, ein Bewusstsein für eigene Gefühle und Bedürfnisse zu entwickeln, diesen einen Namen zu geben und passende Strategie zu entwerfen, um schlussendlich einen sinnvollen Umgang mit ungünstigen Gefühlen zu leben. Leider haben das viele Erwachsene auch nicht gelernt, und so wird es unerlässlich sein, auch mit diesen zu arbeiten. Flächendeckend erreichen wir Erwachsene am besten über ihre Arbeitgeber, welchen in diesem Puzzle der Veränderung eine entscheidende Rolle zukommt. Wenn es uns gelingt Menschen über Weiterbildung in ihrem Arbeitsumfeld zu erreichen, mit diesen neue Kommunikationsmuster zu etablieren, in welchen auch Themen wie Emotionen, Umgang mit Ohnmacht und Scham eine Rolle spielen, dann sollte eine zeitnahe Veränderung in unserer Gesellschaft möglich sein. Hier komme ich nun auch auf ihre Ursprungsfrage zurück. Wir alle haben weibliche und männliche Anteile in uns. Dem weiblichen Anteil wird eher das Sanfte, Intuitive, Ausgleichende, Nestwärmende zugesprochen, dem männlichen mehr das Entscheidende, das Umsetzende, das Handelnde. Wenn nun das Missverständnis weiter vorherrscht, welches uns zum Teil ja auch noch vorgelebt wird, dass „starke Männer“ den männlichen Anteil übersteigern müssen, dann kann das unweigerlich zu schlimm endenden Konfliktsituationen führen.

Die Rolle der Frau ist in einer doch immer noch patriarchalischen Welt im stetigen Wandel begriffen, könnte man das so sagen? Veränderungen, welche die Gesellschaft, und nicht zuletzt das männliche Geschlecht, aber womöglich überfordern?

Grundsätzlich findet laufend ein Wandel statt. Die Veränderung der Rollen von Frau und Mann startete vermutlich verstärkt während und unmittelbar nach den Weltkriegen, in welchen Frauen vor Ort ihre Frau stehen mussten, um Hof und Kinder weiterzubringen. Diese starke Position wollten Frauen sicherlich nicht mehr so einfach aufgeben und gleichzeitig blieb der Dialog über den Umgang mit der neuen Situation großteils aus. Dieses Thema beschäftigt uns heute immer noch. Nur das Gespräch über die gegenseitigen Rollenerwartungen von Frau und Mann, eine Finanzplanung, welche beiden Seiten Unabhängigkeit gibt und im Anschluss konkrete Umsetzungsschritte ermöglichen tatsächliche Veränderungen.

Müssten wir also beim Thema „Gewalt an Frauen“ nicht verstärkt präventiv agieren?

Wir müssen beim Thema Gewalt auf alle Fälle verstärkt präventiv agieren. Wie bereits erwähnt, geht es darum Emotionen wahr- und ernst zu nehmen und diese auszusprechen. Es geht aber auch darum, Frustrationstoleranz zu entwickeln und unangenehme Gefühle auszuhalten, um dann sinnvolle Lösungen zu finden. Neben neuen Kommunikationsmustern ist es auch wichtig, einen persönlichen Kanal zu finden, um mit kraftvoller Energie umzugehen. Sport, Musik oder kreatives Gestalten ist eine einfache Möglichkeit, um unsere Gedanken in andere Bahnen zu lenken und unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, ohne andere Menschen zu verletzen.

Um Konflikten bzw. Eskalationen vorzubeugen, könnten sinnvolle Ansätze also beispielsweise wie aussehen?

Sinnvolle Ansätze sind auf alle Fälle, dass, wie bereits erwähnt, Kinder und Erwachsene neue Formen der Kommunikation im Elternhaus, in der Schule, an der Universität oder auch im Unternehmen lernen und sich so der Umgang mit Konfliktsituationen dauerhaft positiv verändert. //

ULRIKE OBERHAMMER

Rechtsanwältin, ist seit vielen Jahren Präsidentin des Landesbeirats für Chancengleichheit

PZ: Der Landesbeirat für Chancengleichheit engagiert sich immer wieder mit diversen Aktionen im Kampf gegen Gewalt an Frauen – wird dem

Thema in unserer Gesellschaft zu wenig Beachtung geschenkt?

Ulrike Oberhammer: Ja, leider schaut die Gesellschaft viel zu oft weg. Es braucht aber viele Menschen, die sich einmischen und für eine gewaltfreie Gesellschaft eintreten. Damit machen wir auch Frauen Mut aus der Gewaltspirale auszubrechen und zeigen auf, dass sie nicht alleine sind. Frauen, die Anzeigen erstatten müssen beschützt und ermutigt werden ihren Weg zu gehen. Sie brauchen unmittelbaren Schutz und Sicherheiten. Eine einheitliche Notrufnummer, die sich alle leicht merken können, wäre eine große Hilfe und Erleichterung.

Als Anwältin sind Sie ja bestens mit der Gesetzeslage vertraut – sind unsere Gesetze Ihres Erachtens nach ausreichend zum Schutz der Frauen? Bzw. welche offenen Baustellen gibt es diesbezüglich?

Mit dem „codice rosso“ hat sich die gesetzliche Ausgangslage zwar verbessert, aber es braucht schnelleren und konkreten Schutz für Frauen. Auch die vorgesehenen Schulungsprogramme für Berufskategorien, die mit Gewalt an Frauen in Berührung kommen, müssen endlich angegangen werden. Es müssen ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit die Gesetze umgesetzt werden können. Die Strafen sind auch in vielen Bereichen zu niedrig und haben keine abschreckende Wirkung. Es braucht auch eine andere Berichterstattung in den Medien, zu oft wird die Schuld bei den Opfern gesucht, und auch die Gesellschaft neigt oft zur Täter-Opfer-Umkehr. Das ist falsch. Denn egal, welche Kleidung die Frau trug, was sie gesagt oder getan hat, nichts rechtfertigt Gewalt.

Ganz konkret: Was raten Sie Frauen, die sich bedroht/verfolgt/gestalkt fühlen?

Es ist wichtig sich Hilfe zu holen und entsprechend beraten zu lassen. Es gibt in Südtirol viele Beratungsstellen mit geschultem Personal. Wenn eine Strafanzeige notwendig ist, dann sollte diese schnellstmöglichst gemacht werden und ein Annäherungsverbot beantragt werden. Auch die psychologische Unterstützung ist wichtig. Bei Stalkingopfern ist es wichtig jeglichen Kontakt mit dem Täter abzubrechen und auf seine Provokationen nicht zu reagieren. Aber das Wichtigste ist nicht alles für sich zu behalten, sondern sich anderen Menschen anzuvertrauen, denn je mehr davon wissen, umso besser ist die Frau geschützt.

Codewort „Erika“ (im Stück genannt) – eigentlich ein versteckter Hilferuf für

Frauen in Not, und dennoch wissen viele nicht, worum es sich dabei handelt…

Braucht es mehr Aufklärung, ganz allgemein in der Bevölkerung, tragen wir nicht alle Verantwortung?

Das Codewort „Erika“ kann in den Krankenhäusern verwendet werden, wenn Frauen Opfer von Gewalt wurden. Sie erhalten damit einen besonderen Schutz. In den Krankenhäusern hängen entsprechende Plakate, aber es ist wichtig, dass die Frauen bereits vor dem Betreten des Krankenhauses diese Information haben. Es braucht sicherlich viel mehr Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, auch in den Schulen, am Arbeitsplatz bis hin zu den Altersheimen. Denn Gewalt hat viele Gesichter und passiert oft hinter den eigenen vier Wänden, am Arbeitsplatz, im Geheimen. //

PROGRAMMPUNKTE zum Thema „Gewalt an Frauen“ im Stadttheater Bruneck

Theater: „72 Stunden – Eine Anklage“

Weitere Aufführungen: 30. September; 2./5./7./8. Oktober, Beginn 20 Uhr, sonntags 18 Uhr

„Yet Survive“

Eine musikalische Lesung gegen Gewalt mit Christine Lasta und Maria Craffonara 6. Oktober, Beginn 20 Uhr

Diskussionsabend gegen Gewalt an

Frauen: Mit Barbara Plagg, Lisa Frei, Marlies Pallhuber, Vera Nicolussi-Leck, Stefan Schmalholz 9. Oktober, Beginn 20 Uhr

Wenn, wie zu Beginn des heurigen Schuljahres mehr als 900 freie Stellen zu besetzen sind, mehr als 900 Lehrpersonen in Grund-, Mittel- und Oberschulen plötzlich fehlen, dann ist wohl etwas eindeutig schiefgelaufen. Das Aufstocken von Schulpersonal mit Personal ohne jegliche Unterrichtserfahrung und ohne dementsprechenden Studienabschluss ist jedenfalls der falsche politische Weg, den die Landesregierung jetzt eingeschlagen hat und entspricht der Tatsache, dass Bildung und Schule ein absolutes Schlusslicht der Südtiroler Politik darstellen. Hier geht es scheinbar nur noch darum Löcher zu stopfen, ohne jegliche Perspektiven für die Zukunft. Im Schulamt dürfte bekannt sein, wann wer in Pension geht. Damit kein Personalnotstand aufkommt, müssten dafür in einem entsprechenden zeitlichen Rahmen im Vorfeld bereits gezielt Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen und Lehrpersonen um einiges besser bezahlt werden. Ein zeitnahes Management wäre hier gefragt. Wenn etwa die Freie Universität Bozen schon die Zuständigkeit für die Ausbildung der Grundschullehrpersonen hat, dann muss sie auch ausreichend Studienplätze dafür bereitstellen. Damit die zahlreichen freien und künftig tausendfach noch frei werdenden Stellen in Grund-, Mittel- und Oberschulen zeitgerecht aufgefüllt werden können, im Hinblick auf die einschneidende baldige Zäsur, wenn die Lehrpersonen der sog. „Babyboomer-Generation“ endgültig die Schultafeln herunterziehen und die Kreide ad acta legen werden, bedarf es eines durchdachten und klaren Konzepts, das bisher völlig fehlt. Mit den üblichen Politfloskeln „Wir werden“ - „Wir möchten“ - „Wir könnten“ ist das LehrerInnen-Problem jedenfalls nicht zu lösen. Das kommende Jahrzehnt wird zeigen, wieviel der Landesregierung Bildung und Schule wert sind; sie muss Bildung endlich in derselben Weise ernst nehmen und der Schule generell denselben Stellenwert zugestehen wie ihn die Industrie, der Handel, die Landwirtschaft und der Tourismus bereits genießt. Einzig Bildung sichert die Zukunft eines Landes. Seit zwei Jahrzehnten warten die Lehrpersonen der staatlichen Grund-, Mittel- und Oberschulen auf die, in den beiden letzten Koalitionsabkommen der SVP festgeschriebene und zugesagte ökonomische Gleichstellung mit dem Landespersonal. Seit zwei Jahrzehnten gab es für die sogenannten Lehrpersonen staatlicher Art nur Null-Lohnrunden, billige Vertröstungen und generelles Hinhalten seitens der Landesregierung. Seitens des Schullandesrates gab es indes zwischendurch einzig fahles Lob und einige psycho-pädagogische Tipps, ökonomisch jedoch keinen Cent. Dies legt den Schluss nahe, dass Grund-, Mittel- und Oberschullehrpersonen dem Land in der Tat nichts wert sind, zumal Bildung und Schule auch keine Lobby haben. Das wiegt schwer für ein Land, das sich überall stets vorne sehen möchte. Die Wertschätzung für die Menschen in dieser Provinz spiegelt sich bekanntlich in ihrem Gehalt wider. Jenes der Lehrpersonen an den Grund-, Mittel- und Oberschulen entspricht in keiner Weise deren Wert für die Gesellschaft.

Florian Leimgruber · Mittelschullehrer

Krankenhaus Bruneck

Seit zirka eineinhalb Jahren kann man das Krankenhaus über den Eingang vom Zugbahnhof Bruneck Nord nicht mehr erreichen und muss einen relativ großen Umweg machen, was für Gehbehinderte, Rollstuhlfahrer usw. ein nicht unwesentliches Problem darstellt. Laut Ausschreibung, die die Firma CISELT aus der Provinz Catania (!) gewonnen hat, hätten die Arbeiten am 05.04.2021 beginnen sollen und innerhalb von 300 Kalendertagen, also innerhalb 31.01.2022 abgeschlossen worden sein. Inzwischen sind aber wesentlich mehr Kalendertage vergangen und der Stand der Arbeiten sind auf beiliegendem Foto ersichtlich. Es steht zwar ein Auto der Firma dort, aber von Arbeitern keine Spur. In der Regel müsste sich Dr. Ing. Arnold Kaiser über die Pönale freuen, die bei Arbeitsverzug lauf Ausschreibungsbedingungen vorgesehen sind. Aber man muss das Gefühl haben, dass die Firma wohl eher eine Preisrevision anstrebt, aus welchem Grund auch immer. Oder die Firma ist dabei - wie in ähnlichen Fällen bereits geschehen, z. B. bei der Umfahrung in Kastelbell – die Zahlungsunfähigkeit anzumelden. Hoffen wir einfach mal das Beste!

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